Beschluss vom 13.04.2021 -
BVerwG 30 GS 2.20ECLI:DE:BVerwG:2021:130421B30GS2.20.0

Beschluss

BVerwG 30 GS 2.20

In der Vorlagefrage betreffend die Verwaltungsstreitsache hat der Große Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. April 2021
durch
den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke,
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler,
die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen-Weiß,
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft,
den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Korbmacher,
die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Steinkühler und
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler
ohne mündliche Verhandlung
beschlossen:

  1. Der vorlegende Senat ist insofern an die Entscheidung des Fachsenats im vorliegenden Verfahren gebunden, als er seiner Sachentscheidung über den ungeschriebenen Verweigerungsgrund des Staatswohls beim verfassungsunmittelbaren presserechtlichen Auskunftsanspruch aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG dieselbe Auslegung des Begriffs des Wohles der Bundesrepublik Deutschland in Ansehung des postmortalen Vertraulichkeitsschutzes zugrunde legen muss, die der Fachsenat dem Geheimhaltungsgrund des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO zugrunde gelegt hat (sogenannte präjudizielle Wirkung).
  2. Ob die Offenlegung der Namen verstorbener Informanten dem Wohl des Bundes Nachteile bereiten würde, ist aufgrund einer strukturierten Einzelfallprüfung zu entscheiden. Dabei kommt einem Zeitablauf von ca. 30 Jahren eine bedeutsame, aber nicht die allein entscheidende Rolle zu. Ein besonderes Offenbarungsinteresse kann eine frühere Offenlegung rechtfertigen, ein besonderes Geheimhaltungsinteresse eine längere Geheimhaltung gebieten.

Gründe

I

1 Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist Herausgeberin des Nachrichtenmagazins "DER SPIEGEL". Der Bundesnachrichtendienst teilte ihr im Juli 2014 auf ihre Bitte um Auskunft mit, dass er während der sogenannten SPIEGEL-Affäre im Jahr 1962 Kontakt zu zwei Personen aus der Redaktion gehabt habe. Deren namentlicher Benennung stünden vorrangige Belange des Staatswohls entgegen. Mit ihrer daraufhin erhobenen Klage begehrt die Klägerin unter Berufung auf den presserechtlichen Auskunftsanspruch gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG Auskunft zu sämtlichen sogenannten konspirativen Linien vor, während und nach der SPIEGEL-Affäre im Jahre 1962.

2 Der vorlegende 6. Senat gab der Beklagten auf, im Einzelnen bezeichnete Unterlagen vollständig und ungeschwärzt vorzulegen. Dem kam die Beklagte nur teilweise nach und legte im Übrigen eine Sperrerklärung des Bundeskanzleramtes vor. Darin wurde die ungeschwärzte Vorlage der Unterlagen insbesondere die Preisgabe der Klar- und Tarnnamen von verstorbenen oder noch lebenden Informanten des Bundesnachrichtendienstes unter Berufung auf das Wohl des Bundes und die ihrem Wesen nach bestehende Geheimhaltungsbedürftigkeit verweigert. Den Informanten sei zugesichert worden, ihre Namen auch nach ihrem Tod geheim zu halten.

3 Mit Beschluss vom 3. Januar 2020 - 20 F 13.17 - billigte der Fachsenat nach § 189 VwGO im In-camera-Verfahren nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Schwärzungen der Namen der Informanten weitgehend. Die Erhaltung der Funktionsfähigkeit und Effektivität der Sicherheitsbehörden des Bundes sowie ihr Tätigwerden im Rahmen der ihnen durch Gesetz übertragenen Aufgaben lägen im öffentlichen Interesse. Das für die Gewinnung von Informanten notwendige Vertrauen in die Verlässlichkeit von unbefristeten Vertraulichkeitszusagen rechtfertige grundsätzlich den Schutz von Informanten über deren Tod hinaus und begründe damit einen Weigerungsgrund im öffentlichen Interesse, sofern nicht besondere Umstände vorlägen. Liege der (mutmaßliche) Tod eines Informanten allerdings länger als 30 Jahre zurück, sei der reine Zeitablauf grundsätzlich ein ausreichender Grund für das Entfallen von Geheimhaltungsgründen. Denn es sei nicht erkennbar, dass die Verlässlichkeit einer Vertraulichkeitszusage auch noch nach so einem großen Zeitablauf potenzielle Informanten in ihrer Entscheidung für diese Tätigkeit beeinflussen könnte.

4 Der 6. Senat hat mit Beschluss vom 13. Mai 2020 - 6 A 3.20 - (NVwZ 2020, 1360) beim Fachsenat angefragt, ob dieser an seiner Rechtsauffassung festhalte. Er beabsichtige seine eigene Rechtsprechung fortzuführen, die postmortalen nachrichtendienstlichen Quellenschutz bei vor Jahrzehnten abgeschlossenen Vorgängen nur dann als gerechtfertigt erachte, wenn sich aus einer vollständigen Offenlegung von Unterlagen aufgrund einer Einzelfallwürdigung die Gefahr einer Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit und Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden ergeben würde. Der Fachsenat hat mit Beschluss vom 4. November 2020 - 20 AV 1.20 - an seiner Rechtsprechung festgehalten und zur Begründung ausgeführt: Das Bundesverfassungsgericht habe im Fall Lembke (BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2017 - 2 BvE 1/15 - BVerfGE 146, 1 Rn. 122 ff.) ausdrücklich einen postmortalen Vertraulichkeitsschutz im Interesse der Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste anerkannt und die Offenlegung der Namen als begründungsbedürftige Ausnahme behandelt. Deshalb habe der Fachsenat mit Beschluss vom 24. Oktober 2018 - 20 F 15.16 - (BVerwGE 163, 271 Rn. 26 ff.) bei über den Tod hinausgehenden Geheimhaltungszusagen eine "strukturierte Einzelfallprüfung" bezüglich des Geheimhaltungsgrundes des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO vorgesehen. Danach sei zunächst zu fragen, ob besondere Umstände vorlägen, die eine vorzeitige Bekanntgabe des Namens der nachrichtendienstlichen Verbindung rechtfertigten. Dies sei etwa bei der Verstrickung in NS-Verbrechen oder Terroranschläge der Fall. Lägen keine besonderen Umstände vor, erscheine eine Freigabe der persönlichen Daten des Informanten erst 30 Jahre nach dessen Ableben oder mutmaßlichem Ableben gerechtfertigt. Nach Ablauf dieser Frist sei eine weitere Geheimhaltung grundsätzlich nur zulässig, wenn dafür wiederum besondere Umstände vorlägen. Hieran halte der Fachsenat fest. Das von ihm entwickelte Modell einer strukturierten Einzelfallprüfung bewege sich im Rahmen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung. Der maßgebliche Grund dafür, dass er bei Vorliegen einer unbeschränkten Vertraulichkeitszusage im Normalfall eine 30-jährige Geheimhaltung nach dem Tod für angemessen halte, sei der Umstand, dass der Staat gegenüber dem Informanten eine gesetzlich zulässige Verpflichtung eingegangen sei, auf deren Einhaltung der Informant vertraut habe und im Normalfall vertrauen dürfe. Auch das Bundesverfassungsgericht hebe hervor, dass mit der Geheimhaltungszusage ein Vertrauensschutztatbestand im Sinne des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG gesetzt worden sei (BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2017 - 2 BvE 1/15 - BVerfGE 146, 1 Rn. 104).

5 Der Fachsenat hat darüber hinaus Zweifel an der Statthaftigkeit der Anrufung des Großen Senats geäußert. Die Besonderheiten des In-camera-Verfahrens, das mit einer rechtskräftigen Zwischenentscheidung ende, schlössen die nachträgliche Anrufung des Großen Senats zum Zwecke der Kontrolle der zuvor verwendeten rechtlichen Maßstäbe aus. Zudem erscheine fraglich, ob die Voraussetzungen der Divergenz nach § 11 Abs. 2 VwGO vorlägen und ob bei deren Fehlen die Anrufung des Großen Senats wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 11 Abs. 4 VwGO möglich sei. Sowohl für die Divergenz- als auch die Grundsatzvorlage fehle es an der Entscheidungserheblichkeit, da der 6. Senat nicht mehr die Möglichkeit habe, auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung zu entscheiden. Mangels Aktenkenntnis fehle ihm die Tatsachengrundlage für die von ihm geforderte umfassende Einzelfallabwägung.

6 Mit Beschluss vom 3. Dezember 2020 - 6 A 3.20 - hat daraufhin der 6. Senat den Großen Senat angerufen und folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:
Rechtfertigen Gründe des Staatswohls, den Schutz der Identität nachrichtendienstlicher Informanten bei vor Jahrzehnten abgeschlossenen Vorgängen regelhaft auf einen Zeitraum von etwa 30 Jahren über deren Tod hinaus zu erstrecken, wenn solche Personen nicht zum Kreis von NS-Tätern gehören und auch selbst keine schweren, insbesondere terroristischen Straftaten begangen haben?

7 Ihm sei die beabsichtigte Einzelfallabwägung nicht möglich, ohne von der neueren Rechtsprechung des Fachsenats im Sinne von § 11 Abs. 2 VwGO abzuweichen. Der Fachsenat habe mit seiner Regelvermutung für den postmortalen Quellenschutz von etwa 30 Jahren nach dem (mutmaßlichen) Tod des Informanten das Staatswohl grundlegend neu interpretiert. Das führe dazu, dass selbst dann, wenn weder eine Enttarnung aktiver Informanten drohe noch der Erfolg eines konkret laufenden Vorgangs durch die Offenlegung gefährdet sei, der Tod des Informanten das Geheimhaltungsinteresse grundsätzlich nicht entfallen lasse. Bei vor Jahrzehnten abgeschlossenen Vorgängen sei postmortaler Vertrauensschutz aber nur dann gerechtfertigt, wenn die Bekanntgabe die künftige Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden erschweren würde. Sofern eine Abweichung im Sinne von § 11 Abs. 2 VwGO nur bei Anwendung ein und derselben Norm in Betracht komme, werde die Frage wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 11 Abs. 4 VwGO an den Großen Senat gerichtet, da dies zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich sei.

8 Von einer Stellungnahme haben alle Revisionssenate abgesehen.

II

9 Der Große Senat beim Bundesverwaltungsgericht entscheidet über die Vorlage ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung (§ 11 Abs. 7 Satz 2 VwGO) und in der für Divergenzvorlagen vorgeschriebenen Zusammensetzung (§ 11 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Will - wie hier - ein Senat gestützt sowohl auf Divergenz als auch auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache von der Rechtsprechung eines anderen als eines Revisionssenats abweichen, ist in der für Divergenzvorlagen vorgesehenen Besetzung zu entscheiden (Pietzner/Bier, in: Schoch/ Schneider, VwGO, Stand Juli 2020, § 11 Rn. 50; Kronisch, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 11 Rn. 48). Die Vorlage ist zulässig (1). Sie wird vom Großen Senat im Sinne des Tenors beantwortet (2).

10 1. a) Entgegen der Auffassung des Fachsenats ist die Anrufung des Großen Senats in Ansehung einer im In-camera-Verfahren getroffenen Entscheidung statthaft. Das als eigenständiges Zwischenverfahren mit einer ausschließlichen Zuständigkeit des Fachsenats ausgestaltete In-camera-Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO stellt zwar, wie der Fachsenat in seinem Beschluss vom 4. November 2020 - 20 AV 2.20 - im Einzelnen näher dargelegt hat, ein selbstständiges Zwischenverfahren mit einem eigenen Rechtsmittelzug dar, das mit einer rechtskräftigen Entscheidung über eine beweisrechtliche Vorfrage endet, an die der in der Hauptsache zur Entscheidung berufene Senat wie an ein rechtskräftiges Zwischenurteil gebunden ist. Hieraus folgt jedoch nicht, dass § 99 Abs. 2 VwGO als spezielle und vorrangige Bestimmung den Rückgriff auf das allgemeine Verfahren des § 11 VwGO ausschließt. Die Auffassung des Fachsenats berücksichtigt nicht hinreichend, dass ohne die Möglichkeit der Anrufung des Großen Senats die Gefahr bestünde, dass die Voraussetzungen und die Reichweite von Geheimhaltungsgründen - hier des postmortalen Vertraulichkeitsschutzes - unterschiedlich bestimmt werden, je nachdem ob dies in Anwendung der fachgesetzlichen Vorgaben oder des Prozessrechts geschieht. Das birgt die Gefahr, dass die Rechtsprechung des Fachsenats und die Rechtsprechung der in der Hauptsache zuständigen Senate bei Konflikten dauerhaft auseinanderlaufen könnten, was dem Zweck des Vorlageverfahrens widerspräche, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu sichern. Dies gilt insbesondere dann, wenn es nicht um eine bereits von einem Senat entschiedene Rechtsfrage geht, sondern darum, eine sich aufgrund unterschiedlicher Rechtsprechungslinien abzeichnende Divergenz für die Zukunft zu vermeiden.

11 Die auf die Klärung von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Senaten zwecks Herstellung und Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausgerichtete Zielsetzung unterscheidet das Verfahren nach § 11 VwGO auch von dem vom Fachsenat für die Unstatthaftigkeit der Anrufung des Großen Senats herangezogenen Vorlageverfahren an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG und das Vorlageverfahren an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV. Soweit der Fachsenat sich außerdem darauf stützt, auch bei der Anrufung des Gemeinsamen Senats der Bundesgerichte nach Art. 95 Abs. 3 GG und dem Rechtsprechungs-Einheitlichkeitsgesetz sei eine vorherige Anrufung des Großen Senats nicht vorgesehen, muss er selbst einräumen, dass dies gerade dann nicht gilt, wenn ein Senat des Bundesverwaltungsgerichts nicht nur von der Rechtsprechung eines anderen Bundesgerichts, sondern gleichzeitig auch von der Rechtsprechung eines anderen Senats des Bundesverwaltungsgerichts abweichen will (Doppeldivergenz). Schließlich folgt die Unstatthaftigkeit der Anrufung des Großen Senats auch nicht daraus, dass § 11 VwGO nicht auf den Fall zugeschnitten ist, dass ein und dasselbe Verfahren zunächst im Zwischenverfahren vor dem Fachsenat nach § 99 Abs. 2 VwGO entschieden wird und danach der Große Senat über die bei der Prüfung nach § 99 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 VwGO anzuwendenden rechtlichen Maßstäbe entscheidet. Soweit der Fachsenat zum Beleg hierfür auf die fehlende Möglichkeit hinweist, sich in der von § 11 Abs. 3 Satz 3 VwGO geforderten Urteilsbesetzung zu äußern, mag dies zwar ein Indiz dafür sein, dass der Gesetzgeber bei der Einführung des In-camera-Verfahrens die Notwendigkeit einer Anpassung des § 11 VwGO nicht in den Blick genommen hat. Den vom Fachsenat hieraus gezogenen Schluss auf eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, den Rückgriff auf das Verfahren vor dem Großen Senat gänzlich auszuschließen, wenn eine Entscheidung des Fachsenats inmitten steht, lässt dieses Unterlassen aber nicht zu. Entsprechendes gilt für das Argument, es fehle eine Kassationsregelung in § 11 Abs. 7 VwGO.

12 b) Entgegen der Auffassung des 6. Senats erfüllt die Vorlage nicht das Divergenzmerkmal in § 11 Abs. 2 und 3 VwGO (aa). Die Vorlage ist aber wegen grundsätzlicher Bedeutung der vom 6. Senat aufgeworfenen Fragen nach § 11 Abs. 4 VwGO zulässig (bb).

13 aa) Die Frage, wie der Begriff der "Abweichung in einer Rechtsfrage" im Sinne des § 11 Abs. 2 VwGO zu verstehen ist, insbesondere ob er eine Abweichung von der Entscheidung eines anderen Senats bei Anwendung ein und derselben entscheidungserheblichen Norm des Bundesrechts erfordert oder ob es genügt, dass die Abweichung im Wesentlichen gleichlautende Vorschriften in verschiedenen Gesetzen betrifft, ist in der Rechtsprechung des Großen Senats bisher nicht geklärt. Allerdings hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer Entscheidung über eine Nichtzulassungsbeschwerde die Auffassung vertreten, eine Abweichung von einer Entscheidung eines anderen Senats im Sinne des § 12 Abs. 1 i.V.m. § 11 Abs. 2 VwGO liege nur dann vor, wenn es sich um eine Divergenz bei Anwendung ein und derselben entscheidungserheblichen Norm handele. Es gälten dieselben Anforderungen, wie sie in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Revisionszulassungsgrund der Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO entwickelt worden seien (BVerwG, Beschluss vom 14. September 2006 - 9 B 2.06 - Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 44 Rn. 14). Die in der Kommentarliteratur vertretene gegenteilige Auffassung (vgl. Ruthig, in: Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 11 Rn. 4; Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 11 Rn. 3; Kronisch, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 11 Rn. 36) übersehe, dass die zu ihrer Untermauerung angeführten Entscheidungen des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (Beschlüsse vom 6. Februar 1973 - GmS-OGB 1/72 - BVerwGE 41, 363 <365> und vom 12. März 1987 - GmS-OGB 6/86 - BVerwGE 77, 370 <373>) die Sonderkonstellation der Koordination von Rechtswege übergreifenden Außendivergenzen zwischen den Obersten Bundesgerichten betreffen. Für diesen besonderen Fall dürfte es in der Tat zutreffend sein, den Begriff der Divergenz in dem beschriebenen Sinne weiter auszulegen. Für die hier in Rede stehenden Binnendivergenzen im Rahmen von § 11 Abs. 2 und 3 VwGO unter Senaten des Bundesverwaltungsgerichts oder eines Oberverwaltungsgerichts (§ 12 VwGO) sei ein derart weites Verständnis des Divergenzmerkmals nicht angezeigt, da hier für die Klärung von Meinungsunterschieden bei (bloß) gleichen Rechtsfragen zusätzlich die Grundsatzvorlage gemäß § 11 Abs. 4 VwGO offen stehe (ebenso Pietzner/Bier, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2020, § 11 Rn. 16, 18; § 132 Rn. 75 ff.).

14 Dieser Auffassung hat sich in der Folgezeit der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts angeschlossen (BVerwG, Beschluss vom 21. Juni 2018 - 4 BN 34.17 - ZfBR 2018, 796 Rn. 13). Auch der Große Senat folgt ihr. Für sie spricht nicht nur, dass sie es ein divergierendes Verständnis desselben Begriffes vermeidet je nachdem, ob es sich um die Divergenzzulassung eines Rechtsmittels (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 und § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) oder um ein Vorlageverfahren nach § 11 Abs. 2 und 3 VwGO handelt. Entscheidend ist vielmehr, dass die Frage nach dem Vorliegen einer Divergenz angesichts der Vorlagepflicht nach § 11 Abs. 2 VwGO für den gesetzlichen Richter maßgeblich ist und daher anhand möglichst klarer und einfacher Kriterien beantwortbar sein muss. Dem wird ein Verständnis des Divergenzbegriffs, das ohne Rücksicht auf das jeweils anwendbare Recht auf die "Rechtsfrage" oder das "Rechtsproblem" abstellt, nicht gerecht. Angesichts der Vielzahl mehr oder weniger gleichgelagerter Rechtsfragen, die sich gesetzesübergreifend stellen können, und der teilweise sehr breit gefächerten sachlichen Zuständigkeiten der einzelnen Senate des Bundesverwaltungsgerichts bestünde bei einem weiten Abweichungsverständnis die Gefahr unerkannter Divergenzentscheidungen. Dies könnte die Senate ohne Not dem Vorwurf einer pflichtwidrig unterbliebenen Vorlage an den Großen Senat und damit eines Verstoßes gegen den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) aussetzen. Hinzu kommt, dass der erkennende Senat für die Beurteilung, ob es sich trotz der Verschiedenheit der Fälle und der anzuwendenden gesetzlichen Vorschriften um die gleiche Rechtsfrage handelt, nicht selten gesetzliche Bestimmungen außerhalb seiner gerichtsinternen Zuständigkeit vertieft prüfen müsste. Die Frage, wer gesetzlicher Richter ist, bliebe damit für längere Zeit in der Schwebe und würde erst durch die Entscheidung des Großen Senats geklärt. Auch dass bei einer Divergenz nach § 11 Abs. 2 VwGO eine Vorlagepflicht besteht, während die Vorlage wegen grundsätzlicher Bedeutung im Ermessen des erkennenden Senats steht, rechtfertigt es nicht, das Divergenzmerkmal auszuweiten. Die der Vorlagepflicht vorgelagerte Beurteilung, ob eine gesetzesübergreifend nur einheitlich beantwortbare Rechtsfrage vorliegt, obliegt allein dem jeweils zur Entscheidung berufenen Senat. Verneint er eine Divergenz, greift auch die Vorlagepflicht nicht.

15 Ein weites Divergenzverständnis ist schließlich auch nicht deswegen geboten, weil die Grundsatzrüge gemäß § 11 Abs. 4 VwGO eine Klärung von Meinungsunterschieden bei (bloß) gleichen Rechtsfragen nicht leisten könnte. Die Grundsatzvorlage hat zwar in erster Linie die Funktion, eine frühzeitige, Divergenzen verhindernde Rechtsauslegung von Fragen des materiellen und prozessualen "Querschnittsrechts" zu ermöglichen, die sich in allen oder vielen Senaten des Bundesverwaltungsgerichts stellen (Pietzner/Bier, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2020, § 11 Rn. 54). Auf diese vorbeugende Wahrung der Rechtseinheit und die Aufgabe der Rechtsfortbildung ist sie aber nicht beschränkt. Die Grundsatzvorlage erfasst von ihren tatbestandlichen Voraussetzungen auch die Rechtsanwendungsgleichheit, die bei der Divergenz im Vordergrund steht. Die Divergenz ist lediglich ein besonders hervorgehobener Fall der grundsätzlichen Bedeutung (vgl. Pietzner/Bier, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2020, § 11 Rn. 49).

16 bb) Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Grundsatzvorlage sind erfüllt. Wie aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 4 VwGO ("nach seiner Auffassung") hervorgeht, ist die Auffassung des vorlegenden Senats, ob die Entscheidung der Rechtsfrage durch den Großen Senat zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist, für den Großen Senat bindend (BVerwG, Beschluss vom 1. November 1965 - GrSen 2.65 - Buchholz 310 § 72 VwGO Nr. 1 S. 2 [insoweit in BVerwGE 22, 281 nicht abgedruckt]). Jedoch ist dem Großen Senat vorbehalten, die Erheblichkeit der vorgelegten Frage zu prüfen und die Frage sinngemäß so zu beantworten, wie es erforderlich ist, um den anhängigen Rechtsstreit zu entscheiden (BVerwG, Beschluss vom 1. November 1965 - GrSen 2.65 - a.a.O.).

17 (1) Der Entscheidungserheblichkeit steht nicht entgegen, dass der Fachsenat mit seinem Beschluss vom 20. September 2019 - 20 F 12.17 - (Buchholz 310 VwGO § 99 Nr. 81) festgestellt hat, dass die Weigerung, die noch streitgegenständlichen Unterlagen ohne Schwärzung vorzulegen, rechtmäßig ist. Allerdings entscheidet ausschließlich und abschließend der Fachsenat nach § 189 VwGO die beweisrechtliche Frage, ob Akten oder Unterlagen vorzulegen sind und verwertet werden dürfen (BVerwG, Beschlüsse vom 15. August 2003 - 20 F 3.03 - BVerwGE 118, 352 <356> und vom 21. Februar 2008 - 20 F 2.07 - BVerwGE 130, 236 Rn. 11 f.). Er entscheidet aber auch nur darüber. Im Zwischenverfahren gemäß § 99 Abs. 2 VwGO geht es allein um die Frage der Vorlage der Akten im Prozess. Nur hinsichtlich dieser prozessualen Frage entfaltet die rechtskräftige Entscheidung des Fachsenats Bindungswirkung. Dagegen verbleibt die Entscheidung über den Klageanspruch bei dem erkennenden Senat als Gericht der Hauptsache. Dessen Entscheidungszuständigkeit als der für die Hauptsache zuständige gesetzliche Richter im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wird durch die Einleitung und Durchführung des Zwischenverfahrens nicht angetastet (BVerwG, Beschluss vom 21. Februar 2008 - 20 F 2.07 - a.a.O. Rn. 12). Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn - wie hier - die Auskunft aus den Akten selbst Gegenstand des Rechtsstreits ist, weil derartige Fälle von der Geltung des § 99 Abs. 2 VwGO nicht ausgenommen sind. Dem hätte der Gesetzgeber nur dadurch entgegenwirken können, dass er die Entscheidung "in-camera" über das Zwischenverfahren hinaus auf den Rechtsstreit in der Hauptsache erstreckt. Dieses Verfahrensmodell ist jedoch in § 99 Abs. 2 VwGO nicht verwirklicht worden (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 15. August 2003 - 20 F 8.03 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 34 Rn. 12, vom 9. Januar 2007 - 20 F 1.06 - BVerwGE 127, 282 Rn. 14 und vom 21. Februar 2008 - 20 F 2.07 - a.a.O.).

18 Werden vom erkennenden Senat für entscheidungserheblich gehaltene Unterlagen von der Behörde nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO aus Gründen der Geheimhaltungsbedürftigkeit nicht vorgelegt und unterbleibt die Vorlage auch als Ergebnis des gerichtlichen Zwischenverfahrens nach § 99 Abs. 2 VwGO, darf dies grundsätzlich weder der beklagten Behörde im Sinne einer Beweisvereitelung zum Nachteil gereichen, weil die dadurch entstandene Beweislage durch § 99 VwGO ausdrücklich gedeckt ist, noch wird umgekehrt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung durch eine gesetzliche Beweisregel zugunsten des Beklagten eingeschränkt (BVerwG, Urteil vom 21. Mai 2008 - 6 C 13.07 - BVerwGE 131, 171 Rn. 29). Vielmehr ist im Einzelfall angemessen zu würdigen, dass bestimmte Umstände nicht aufklärbar bleiben (BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 - 7 A 15.10 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 78 Rn. 22).

19 Ist Streitgegenstand des Hauptsacheverfahrens gerade die Auskunft aus Unterlagen, deren Vorlage der Beklagte nach dem Ergebnis des Zwischenverfahrens zu Recht verweigert, ist dem durch die Sperrerklärung verursachten Beweisnotstand der beklagten Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung allerdings dergestalt Rechnung zu tragen, dass der Entscheidung des Fachsenats im Zwischenverfahren präjudizielle Wirkung beigemessen wird. Das gilt jedenfalls dann, wenn das in § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO vorgegebene Prüfprogramm für die prozessuale Entscheidung mit den fachgesetzlichen Vorgaben faktisch übereinstimmt (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 - 7 A 15.10 - Buchholz 310 VwGO § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 78 Rn. 24; vgl. auch Beschlüsse vom 21. Februar 2008 - 20 F 2.07 - BVerwGE 130, 236 Rn. 19 und vom 19. April 2010 - 20 F 13.09 - BVerwGE 136, 345 Rn. 24). Entscheidet der Fachsenat in Fällen gleichgelagerter Geheimhaltungsgründe zugunsten des Geheimschutzes, bleibt mithin auch die Klage auf Akteneinsicht erfolglos (VGH Mannheim, Urteil vom 24. November 2006 - 1 S 2321/05 - VBlBW 2007, 340 <342>).

20 (2) Ausgehend hiervon wirft der 6. Senat mit seiner auf die Klärung des zutreffenden rechtlichen Maßstabs bei der Bestimmung des Wohls des Bundes gerichteten Vorlagefrage zugleich und untrennbar damit verbunden die Frage auf, ob ein ihn im Sinne eines Präjudizes bindender "gleichgelagerter Geheimhaltungsgrund" vorliegt. Der so verstandenen Vorlagefrage kann die Entscheidungserheblichkeit nicht abgesprochen werden.

21 Bestätigt der Große Senat die rechtlichen Maßstäbe des Fachsenats nicht und kommt er etwa zu dem Ergebnis, dass im Regelfall nach einer deutlich kürzeren Frist das Geheimhaltungsbedürfnis entfällt, hätte der Fachsenat seine prozessrechtliche Entscheidung auf der Grundlage eines im Schutzniveau abweichenden Begriffs des Staatswohls getroffen. Unter Zugrundelegung der auf das Prozessrecht beschränkten Entscheidungsbefugnis des Fachsenats kann in diesem Fall nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass der 6. Senat nach Ausschöpfung aller ihm zur Verfügung stehenden Beweismittel auch ohne Kenntnis des teilweise geschwärzten Akteninhalts eine zu Lasten der Behörde gehende Entscheidung trifft. Wichtige Erkenntnisse können insoweit die ungeschwärzten Aktenbestandteile liefern, die der Sperrerklärung nicht unterliegen oder hinsichtlich derer der Fachsenat die Sperrerklärung nicht bestätigt hat. Aber auch die Sperrerklärung selbst kann entscheidungserhebliche Informationen enthalten und eine differenzierte Betrachtung des Schutzbedarfes ermöglichen. Die Sperrerklärung muss erkennen lassen, dass die Behörde differenziert nach dem Umfeld, in dem der konkrete Informant tätig war, geprüft hat, ob Auswirkungen auf die Bereitschaft anderer Personen dieses Umfelds zur Aufnahme oder Fortführung einer Informantentätigkeit nicht nur theoretisch möglich, sondern mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ernsthaft zu befürchten sind (BVerwG, Beschluss vom 3. Januar 2020 - 20 F 13.17 - Rn. 30).

22 2. Der Große Senat beantwortet die Vorlagefrage dahin, dass über die Frage, ob die Offenlegung der Namen verstorbener Informanten dem Wohl des Bundes Nachteile bereiten würde, aufgrund einer strukturierten Einzelfallprüfung zu entscheiden ist. Dabei kommt einem Zeitablauf von ca. 30 Jahren eine bedeutsame, aber nicht allein entscheidende Rolle zu. Ein besonderes Offenbarungsinteresse kann eine frühere Offenlegung rechtfertigen, ein besonderes Geheimhaltungsinteresse eine längere Geheimhaltung gebieten. Dieser Maßstab ist auch der Prüfung des verfassungsunmittelbaren presserechtlichen Verweigerungsgrundes zugrunde zu legen. Aufgrund der damit gegebenen Maßstabsidentität zu dem Geheimhaltungsgrund des § 99 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 VwGO kommt der Entscheidung des Fachsenats für die Entscheidung des 6. Senats präjudizielle Wirkung zu.

23 a) Der Fachsenat hat mit Beschlüssen vom 24. Oktober 2018 - 20 F 15.16 - (BVerwGE 163, 271 Rn. 26 ff.) und 8. Februar 2019 - 20 F 2.17 - (Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 76 Rn. 24 ff.) seine frühere Rechtsprechung, wonach das öffentliche Interesse einer Offenlegung persönlicher Daten von Informanten nach deren Tod nicht entgegensteht (BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2016 - 20 F 10.15 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 20 Rn. 24), vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Juni 2017 - 2 BvE 1/15 - (BVerfGE 146, 1 Rn. 122 ff.) aufgegeben. Das Bundesverfassungsgericht betont darin, unabhängig von der Gefährdung grundrechtlicher Belange in einem konkreten Fall und ungeachtet des Zeitablaufs könne die Enttarnung verdeckt handelnder Personen die Arbeitsfähigkeit und Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden gefährden, da durch die Herausgabe von Informationen über V-Leute oder sonstige verdeckte Quellen das Vertrauen in die Wirksamkeit von Geheimhaltungszusagen geschwächt und damit noch aktive Quellen von einer weiteren Zusammenarbeit abgehalten und die Gewinnung neuer Quellen erschwert werden könnten (BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2017 - 2 BvE 1/15 - a.a.O. Rn. 123). Selbst bei Fragen zum Einsatz konkreter Personen als V-Leute seien jedoch eng begrenzte Ausnahmefälle denkbar, in denen das Informationsinteresse überwiege. Dies sei insbesondere der Fall, wenn aufgrund besonderer Umstände eine Gefährdung grundrechtlich geschützter Belange ausgeschlossen sei oder zumindest fernliegend erscheine und eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste nicht ernsthaft zu befürchten sei. Bei dieser Abwägung stelle der Zeitablauf einen bedeutsamen - wenn auch nicht allein ausschlaggebenden - Faktor dar. So könne sich im Einzelfall bei weit zurückliegenden Vorgängen die Geheimhaltungsbedürftigkeit erheblich vermindert oder erledigt haben (BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2017 - 2 BvE 1/15 - a.a.O. Rn. 124). Eine solche Ausnahme hat das Bundesverfassungsgericht in dem konkreten Fall aufgrund der durch den mutmaßlichen V-Mann begangenen erheblichen Straftaten und seines Todes vor mehr als 30 Jahren angenommen.

24 Dem folgend hat der Fachsenat bei einer ausdrücklich oder stillschweigend über den Tod hinausgehenden Vertraulichkeitszusage eine (strukturierte) Einzelfallprüfung im Rahmen der Entscheidung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO vorgesehen. Danach ist zunächst zu fragen, ob besondere Umstände vorliegen, die eine vorzeitige Bekanntgabe des Namens der nachrichtendienstlichen Verbindung rechtfertigen. Dies ist etwa bei der Verstrickung in NS-Verbrechen oder Terroranschläge der Fall. Liegen keine besonderen Umstände vor, erscheint dem Fachsenat eine Freigabe der persönlichen Daten des Informanten erst 30 Jahre nach dessen Ableben oder mutmaßlichem Ableben gerechtfertigt. Sind 30 Jahre abgelaufen, ist eine weitere Geheimhaltung grundsätzlich nur zulässig, wenn dafür wiederum besondere Umstände vorliegen. Bei dieser strukturierten Einzelfallprüfung werde dem Allgemeininteresse der Nachrichtendienste an der Einhaltung postmortaler Vertraulichkeitszusagen durch die typische Geheimhaltungsfrist von 30 Jahren Rechnung getragen. Zugleich bleibe Flexibilität für vom Normalfall abweichende Einzelfälle in dem Sinne, dass der Zeitablauf ein bedeutsamer, aber nicht der allein ausschlaggebende Faktor sei (BVerwG, Beschlüsse vom 24. Oktober 2018 - 20 F 15.16 - BVerwGE 163, 271 Rn. 26 ff., vom 18. September 2019 - 20 F 4.18 - NVwZ 2010, 78 Rn. 19 ff. und vom 3. Januar 2020 - 20 F 13.17 - Rn. 24 ff.).

25 Auch der 6. Senat misst Vertraulichkeitszusagen über den Tod hinaus hohes Gewicht bei (BVerwG, Beschluss vom 13. Mai 2020 - 6 A 3.20 - NVwZ 2020, 1360 Rn. 11) und sieht den Zeitablauf als einen bedeutsamen Faktor an, wendet sich aber insbesondere gegen die Geheimhaltungsfrist von 30 Jahren nach dem Tod des Informanten. Er stellt nicht auf diesen Zeitpunkt, sondern den Abschluss des operativen Vorgangs ab und hält es bei lange zurückliegenden, abgeschlossenen Vorgängen für begründungsbedürftig, dass auch in Ansehung der verstrichenen Zeit nach Abschluss des operativen Vorgangs eine Nennung verstorbener Informanten die Erfüllung nachrichtendienstlicher Aufgaben noch ernstlich gefährden oder erheblich erschweren würde (BVerwG, Beschlüsse vom 17. November 2016 - 6 A 3.15 - Rn. 21 f. und vom 12. September 2017 - 6 A 3.15 - Rn. 3, 10, 12 ff. und 18). Hierfür bedürfe es Anhaltspunkte für konkret befürchtete Nachteile, soweit nach den Umständen und unter Wahrung des in Anspruch genommenen Geheimhaltungsinteresses möglich, aus denen sich ergebe, dass die Bekanntgabe des Inhalts der persönlichen Daten unter Berücksichtigung des Umfelds, in dem der Informant eingesetzt gewesen sei, auch heute noch zu einer Erschwerung der Aufgabenerfüllung führe (BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2019 - 6 A 1.17 - BVerwGE 164, 269 Rn. 52; Beschlüsse vom 21. September 2016 - 6 A 10.14 - Rn. 16 und vom 13. Mai 2020 - 6 A 3.20 - NVwZ 2020, 1360 Rn. 12).

26 b) Weder der Fachsenat noch der 6. Senat begründen die Unterschiede in den rechtlichen Maßstäben damit, dass sich der prozessrechtliche Geheimhaltungsgrund des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO und der ungeschriebene Verweigerungsgrund des Staatswohls beim verfassungsunmittelbaren presserechtlichen Auskunftsanspruch aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ihrem Schutzzweck nach oder mit Blick auf das vom Gesetzgeber angestrebte Schutzniveau unterschieden. Der Fachsenat stellt ausdrücklich klar, dass es sich bei der Entwicklung seines Prüfprogramms um einen Akt der zulässigen richterlichen Rechtsfortbildung handele, der durch die generalklauselartige Weite der in § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO genannten Geheimhaltungsgründe bedingt sei. In der Sache nichts anderes gilt für die Entscheidungen des 6. Senats. Auch der Große Senat vermag keine Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass sich die der Entscheidungsbefugnis des Fachsenats unterliegenden Geheimhaltungsgründe von denen, über die der 6. Senat zu entscheiden hat, unterscheiden. Die unterschiedlichen Begrifflichkeiten bieten hierfür, wie bereits der 7. Senat in seinem Urteil vom 27. Juni 2013 - 7 A 15.10 - (Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 78 Rn. 24) im Einzelnen näher dargelegt hat, keinen Anhaltspunkt. Ebenso wenig ergeben sich aus der Entstehungsgeschichte des § 99 VwGO und des ungeschriebenen presserechtlichen Verweigerungsgrundes Hinweise darauf, dass der Gesetzgeber die Geheimhaltungsgründe unterschiedlich verstanden wissen wollte (BVerwG, Beschluss vom 13. Mai 2020 - 6 A 3.20 - NVwZ 2020, 1360 Rn. 13).

27 c) Der Große Senat hält das Prüfprogramm des Fachsenats für vorzugswürdig. Es orientiert sich an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrauensschutz im Zusammenhang mit dem parlamentarischen Fragerecht und trägt mit seiner strukturierten Einzelfallprüfung dem Bedürfnis nach Verlässlichkeit einer über den Tod hinausreichenden Vertraulichkeitszusage Rechnung. Die vom 6. Senat gegen das Prüfprogramm des Fachsenats vorgebrachten Einwendungen vermögen nicht zu überzeugen. Das Prüfprogramm lässt insbesondere hinreichend Raum für eine Verkürzung der Frist.

28 aa) Soweit der 6. Senat einen "methodischen Bedarf" für eine Frist von 30 Jahren vermisst, weil der Fachsenat sich aufgrund der ungeschwärzten Akten Klarheit darüber verschaffen könne, ob die Umstände des Einzelfalles eine weitere Geheimhaltung rechtfertigen könnten, übersieht er, dass die Wirksamkeit einer unbedingten und unbefristet erteilten Geheimhaltungszusage davon abhängt, dass sie für potenzielle oder bereits angeworbene Informanten verlässlich ist. Es geht darum, dass der Staat eine gesetzlich zulässige Verpflichtung eingegangen ist, auf deren Einhaltung der Informant vertraut hat und im Normalfall vertrauen darf (BVerwG, Beschluss vom 4. November 2020 - 20 AV 1.20 - Rn. 28; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2017 - 2 BvE 1/15 - BVerfGE 146, 1 Rn. 104). Wie das Bundesverfassungsgericht anschaulich erläutert hat, schwächt die Herausgabe der persönlichen Daten von erst kürzlich verstorbenen Informanten das generelle Vertrauen in die Wirksamkeit von Geheimhaltungszusagen, erschwert in der Regel die Anwerbung neuer Informanten und belastet die Zusammenarbeit mit vorhandenen Quellen (BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2017 - 2 BvE 1/15 - a.a.O. Rn. 123). Die Verlässlichkeit wäre nicht mehr gegeben oder zumindest stark eingeschränkt, könnte die anwerbende Stelle einer aktuellen oder potenziellen nachrichtendienstlichen Quelle nicht für den Regelfall eine Vertraulichkeit für eine bestimmte Zeit über ihren Tod hinaus zusichern. Dies gilt umso mehr, wenn man mit dem 6. Senat nicht an den seit dem Tod des Informanten verstrichenen Zeitraum anknüpft, sondern ausschließlich daran, dass der Abschluss des Vorgangs lange Zeit zurückliegt. Danach ist bei einer Tätigkeit eines Informanten in jungen Jahren nicht auszuschließen, dass der postmortale Schutz auf Null oder auf wenige Jahre nach dem Tod reduziert wird. Hinzu kommt, dass es der 6. Senat nicht näher konkretisiert, was er unter einem langen Zeitraum nach Abschluss des Vorgangs versteht.

29 bb) Auch die Dauer des vom Fachsenat für einen Schutz der Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste angenommenen zeitlichen Orientierungsrahmens von ca. 30 Jahren überzeugt und hält der Kritik des 6. Senats stand. Der Fachsenat begründet diese Frist nachvollziehbar damit, dass in diesem etwa eine Generation umfassenden Zeitraum die Erinnerung an einen Verstorbenen typischerweise in dessen Umfeld noch präsent und lebendig ist. Nach Ablauf dieser Frist könne man dagegen davon ausgehen, dass bei dann noch lebenden Personen eine aus dem unmittelbaren Kontakt gewonnene persönliche Erinnerung an den oder emotionale Nähe zu dem Informanten weitgehend verblasst sei. Daher sei bereits der Zeitablauf grundsätzlich ein ausreichender Grund für das Entfallen von Geheimhaltungsgründen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Verlässlichkeit einer Vertraulichkeitszusage auch nach so großem Zeitablauf potenzielle Informanten in ihrer Entscheidung für diese Tätigkeit beeinflussen könne (BVerwG, Beschluss vom 3. Januar 2020 - 20 F 13.17 - Rn. 30 m.w.N.). Entgegen der Auffassung des 6. Senats kann sich der Fachsenat für diese Sichtweise auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Juni 2017 berufen. Auch das Bundesverfassungsgericht knüpft in seiner Entscheidung an den erheblichen Zeitablauf von mehr als 30 Jahren nach dem Tod der nachrichtendienstlichen Quelle an und führt aus, dass es angesichts des verstrichenen Zeitraums und der durch den Informanten mutmaßlich begangenen erheblichen Straftaten konkreter Ausführungen bedurft hätte, warum sich aktuelle oder potenzielle V-Leute von einer Nichteinhaltung der gegebenen Vertraulichkeitszusage maßgeblich beeinflussen lassen könnten (BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2017 - 2 BvE 1/15 - BVerfGE 146, 1 Rn. 135). Es folgt der Hinweis, dass die Vertraulichkeit grundsätzlich auch nach einem derart langen Zeitablauf gewahrt und nur ausnahmsweise bei Vorliegen gewichtiger Gründe aufgehoben werden könne, die das Geheimhaltungsinteresse im Einzelfall überwögen.

30 cc) Das vom Fachsenat entwickelte Modell einer strukturierten Einzelfallprüfung vermag auch insoweit zu überzeugen, als es bei einem besonderen Offenlegungsinteresse eine Verkürzung der Geheimhaltungsfrist vorsieht und insoweit den für die Regelfälle vorgesehenen Orientierungsrahmen von 30 Jahren modifiziert. Damit wird die nötige Flexibilität für die Abwägung der gegenläufigen Interessen gewahrt. Ein besonderes Offenlegungsinteresse, das eine Offenbarung der Identität des Informanten vor Ablauf von 30 Jahren nach dessen Tod rechtfertigt, hat der Fachsenat in Bezug auf NS-Täter oder Schwerkriminelle angenommen. Auch insoweit kann sich der Fachsenat auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stützen, das in diesen Fällen das öffentliche Interesse an einer Offenlegung der Identität eines Informanten höher bewertet als das Interesse der Sicherheitsbehörden an der Einhaltung der Geheimhaltungszusage. Das Geheimhaltungsinteresse der Nachrichtendienste ist in diesen Fällen durch das öffentliche und private Interesse an einer möglichst freien, staatlich nicht reglementierten Erforschung historischer Sachverhalte insbesondere durch die Presse, aber auch die Wissenschaft begrenzt (BVerwG, Beschluss vom 4. November 2020 - 20 AV 2.20 - Rn. 20). Im Übrigen ist die Annahme des Fachsenats nachvollziehbar, potenzielle oder aktuelle Informanten ließen sich in ihrer Entscheidung für eine nachrichtendienstliche Tätigkeit nicht davon beeindrucken, dass die Identitäten von NS-Tätern oder Schwerkriminellen bereits weniger als 30 Jahre nach ihrem Tode offengelegt würden (BVerwG, Beschluss vom 4. November 2020 - 20 AV 2.20 - Rn. 34 m.w.N.).

31 dd) Ein besonderes Offenlegungsinteresse ist aber nicht auf die Fälle der NS-Verstrickung eines Informanten oder dessen krimineller Vergangenheit beschränkt. Der Fachsenat selbst führt diese Fälle nur beispielhaft an ("etwa") und lässt damit Raum für kürzere Geheimhaltungsfristen in weiteren Fällen. Eine solche Offenheit für weitere Fallgestaltungen ist auch nach Auffassung des Großen Senats geboten. Sie stellt das notwendige Korrektiv dar für die im Normalfall vom Fachsenat zugrunde gelegte lange Geheimhaltungsfrist von etwa 30 Jahren. Ein besonderes Offenlegungsinteresse wird umso eher eine Verkürzung der Geheimhaltungsfrist von 30 Jahren rechtfertigen können, je länger der nachrichtendienstliche Vorgang, an dem der Informant beteiligt war, zurückliegt und je weniger Anlass für die Annahme besteht, dass sich die Bekanntgabe persönlicher Daten des Informanten weniger als 30 Jahre nach dessen Tod auf die Anwerbung anderer Informanten und damit auf die Arbeitsfähigkeit der Geheimdienste auszuwirken vermag. Ob dies der Fall ist, wird sich nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles beurteilen lassen; hierfür ist das Modell der strukturierten Einzelfallprüfung ausdrücklich offen.