Beschluss vom 13.12.2019 -
BVerwG 6 B 30.19ECLI:DE:BVerwG:2019:131219B6B30.19.0

Leitsatz:

Der Erlass des Bundesministeriums des Innern vom 7. März 2016 (GMBl S. 203) ermöglicht eine unionsrechtskonforme Durchführung von Kontrollen zur Identitätsfeststellung nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG.

  • Rechtsquellen
    BPolG § 23 Abs. 1 Nr. 3
    AEUV Art. 67 Abs. 2
    VO (EG) Nr. 562/2006 Art. 20, Art. 21 Buchst. a
    Erlass des Bundesministeriums des Innern vom 7. März 2016

  • VG Saarlouis - 28.09.2017 - AZ: VG 6 K 1184/16
    OVG Saarlouis - 21.02.2019 - AZ: OVG 2 A 806/17

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 13.12.2019 - 6 B 30.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2019:131219B6B30.19.0]

Beschluss

BVerwG 6 B 30.19

  • VG Saarlouis - 28.09.2017 - AZ: VG 6 K 1184/16
  • OVG Saarlouis - 21.02.2019 - AZ: OVG 2 A 806/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. Dezember 2019
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz und Dr. Tegethoff
beschlossen:

  1. Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 21. Februar 2019 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  2. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Der Kläger will die Rechtswidrigkeit einer Personenkontrolle festgestellt wissen. Der Kläger stammt aus Mali; er ist deutscher Staatsangehöriger. In der Nacht vom 16. auf den 17. Juli 2016 stand der Kläger kurz nach Mitternacht in Saarbrücken-Malstatt am Straßenrand vor dem Haus, in dem sich seine Wohnung befindet, um zu rauchen. Dabei wurde er von Beamten der Bundespolizei, die sich auf Streifenfahrt befanden, aufgefordert, sich auszuweisen. Nachdem die Polizeibeamten die Personalien des Klägers aufgrund seiner mündlichen Angaben durch einen Datenabgleich überprüft hatten, fuhren sie weiter. Die Daten wurden nicht gespeichert.

2 Die Klage mit dem Antrag festzustellen, dass diese Maßnahmen rechtswidrig gewesen seien, ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. In dem Berufungsurteil hat das Oberverwaltungsgericht ausgeführt, die Kontrollmaßnahmen seien aus im Wesentlichen folgenden Gründen rechtmäßig gewesen: Nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 des Bundespolizeigesetzes könne die Bundespolizei im Grenzgebiet bis zu einer räumlichen Tiefe von 30 Kilometern die Identität von Personen feststellen, um unerlaubte Einreisen und Grenzkriminalität zu verhindern. Durch den ermessenslenkenden Erlass des Bundesministeriums des Innern vom 7. März 2016 sei sichergestellt, dass diese gesetzliche Ermächtigung keine Handhabe biete, um Personenkontrollen durchzuführen, die unionsrechtlich verbotenen Grenzübertrittskontrollen gleichstünden. Der Erlass sehe vor, dass Maßnahmen zur Feststellung der Identität von Personen im Grenzgebiet zeitlich und örtlich unregelmäßig und stichprobenartig auf der Grundlage ständig aktualisierter Lageerkenntnisse und/oder grenzpolizeilicher Erfahrung stattfänden, die die Dienststellen der Bundespolizei auf der Grundlage von eigenen Lageinformationen oder denen anderer Behörden entwickelten. Diese seien Grundlage der Ausübung polizeilicher Maßnahmen sowie ihrer Intensität und Häufigkeit.

3 Die Voraussetzungen für eine Personenkontrolle des Klägers hätten vorgelegen: Die Polizeibeamten hätten zur fraglichen Zeit die Aufgabe gehabt, den grenzüberschreitenden Verkehr in Saarbrücken-Malstatt zu überwachen. Nach den Erkenntnissen der Beklagten würde in den Stadtteilen innerhalb des Grenzgebiets verstärkt grenzüberschreitende Kriminalität festgestellt. Die Polizeibeamten hätten nach Lage der Dinge Anlass gehabt, die Identität des Klägers festzustellen. Aus ihrer Sicht habe der Kläger den Eindruck erweckt, entweder auf jemanden zu warten oder gerade abgesetzt worden zu sein. Aufgrund der Einlassungen der Polizeibeamten stehe zur gerichtlichen Überzeugung fest, dass die Hautfarbe des Klägers keine Rolle gespielt habe. Nach den polizeiinternen Vorgaben habe der Vorgang nicht dokumentiert werden müssen. Die vom Kläger geforderte Vorlage eines damals aktuellen Lageberichts der Bundespolizei sei wegen der Ortskunde der mitwirkenden Richter nicht erforderlich gewesen. Es könne als gerichtsbekannt gelten, dass der Stadtteil Malstatt ein Kriminalitätsschwerpunkt sei.

II

4 Die Nichtzulassungsbeschwerde hat mit der Maßgabe Erfolg, dass das Berufungsurteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist (§ 133 Abs. 6, § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

5 Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ist das Bundesverwaltungsgericht aufgrund des Darlegungserfordernisses nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO darauf beschränkt zu prüfen, ob sich aus den Gesichtspunkten, die der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung anführt, ein Grund für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO ergibt. Aus der Beschwerdebegründung des Klägers ergibt sich zwar nicht, dass der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zukommt oder eine Divergenz nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO vorliegt. Der Kläger hat aber hinreichend dargelegt, dass das Berufungsurteil auf einem Verfahrensmangel nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, nämlich auf einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO beruht.

6 1. Der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist dargelegt, wenn die Beschwerde eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage auf der Grundlage der bundesgerichtlichen Rechtsprechung oder der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) eindeutig beantwortet werden kann und der Beschwerdeführer keine neuen, bislang nicht behandelten Gesichtspunkte aufzeigt (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.> und vom 27. Januar 2015 - 6 B 43.14 [ECLI:​DE:​BVerwG:​2015:​270115B6B43.14.0] - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 421 Rn. 8). Diese Voraussetzungen sind in Bezug auf die vom Kläger als rechtsgrundsätzlich aufgeworfenen Fragen nicht erfüllt (vgl. S. 14/15 der Beschwerdebegründung):

7 a) Die Frage,
ob § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG durch sog. Innenrecht wie den Erlass des Bundesministeriums des Innern vom 7. März 2016 derart konkretisiert werden kann, dass die unionsrechtlichen Anforderungen erfüllt sind,
ist nicht rechtsgrundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, weil sie aufgrund der Rechtsprechung des EuGH beantwortet werden kann.

8 Nach der Rechtsprechung des EuGH dürfen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) ihr nationales Recht nur anwenden, wenn und soweit es inhaltlich dem Unionsrecht nicht widerspricht. Dementsprechend müssen die Mitgliedstaaten ihr nationales Recht den unionsrechtlichen Vorgaben anpassen. Sie müssen sicherstellen, dass das nationale Recht unionsrechtskonform ausgelegt und angewandt wird (Anwendungsvorrang des Unionsrechts; stRspr, vgl. grundlegend EuGH, Urteile vom 15. Juli 1964 - Rechtssache 6/64 [ECLI:​EU:​C:​1964:​66], Costa - Slg. 1964, 1259 <1270> und vom 9. März 1978 - Rechtssache 106/77 [ECLI:​EU:​C:​1978:​49], Finanzverwaltung/Simmenthal - Rn. 17 f.). Dagegen ist es grundsätzliche Sache der Mitgliedstaaten zu entscheiden, auf welche Weise und mit welchen Mitteln sie das Unionsrecht in ihrer Rechtsordnung zur Geltung bringen. Aus Sicht des Unionsrechts kommt es ausschließlich darauf an, dass sie diejenigen Formen und Mittel des nationalen Rechts wählen, die am besten geeignet sind, die vollständige praktische Wirksamkeit des Unionsrechts (effet utile) zu gewährleisten. Die Rechtsverbindlichkeit der das Unionsrecht umsetzenden Regelungen des nationalen Rechts muss unbestreitbar sein. Dieses muss die durch das Unionsrecht Begünstigten in die Lage versetzen, von ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und diese vor den nationalen Gerichten geltend zu machen (stRspr, vgl. EuGH, Urteile vom 30. Mai 1991 - C-361/88 [ECLI:​EU:​C:​1991:​224], Kommission/Bundesrepublik Deutschland - Rn. 15 und C-59/89 [ECLI:​EU:​C:​1991:​225], Kommission/Bundesrepublik Deutschland - Rn. 18).

9 Diesen unionsrechtlichen Anforderungen genügt der Erlass des Bundesministeriums des Innern vom 7. März 2016 (GMBl S. 203). Er ist in einer allgemein zugänglichen Quelle veröffentlicht. Inhaltlich legt er Maßstäbe für die Ausübung des der Bundespolizei durch § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG eröffneten Ermessens fest. Dies bedeutet, dass die Bundespolizei Kontrollmaßnahmen auf der Grundlage dieser Bestimmung nur durchführen darf, wenn die Voraussetzungen des Erlasses erfüllt sind. Die Betroffenen können unmittelbar aufgrund ihres Grundrechts auf Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG verlangen, dass der Erlass ihnen gegenüber gleichmäßig angewandt, d.h. sie nur bei Vorliegen seiner Voraussetzungen kontrolliert werden. Dementsprechend nimmt der EuGH in seiner Entscheidung zur Notwendigkeit der unionsrechtskonformen Handhabung des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG an, dass der Erlass ein geeignetes Mittel ist, um die unionsrechtlichen Vorgaben für Personenkontrollen in das nationale Recht umzusetzen (EuGH, Urteil vom 21. Juni 2017 - C-9/16 [ECLI:​EU:​C:​2017:​483] - Rn. 60 ff.).

10 b) Auch der Frage,
ob die Formulierung der Voraussetzungen für Kontrollmaßnahmen in diesem Erlass die unionsrechtlichen Anforderungen an die Begrenzung der Häufigkeit von Kontrollen nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG erfüllt,
kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu, weil aufgrund des Urteils des EuGH vom 21. Juni 2017 - C-9/16 - feststeht, dass der Erlass des Bundesministeriums des Innern vom 7. März 2016 (GMBl S. 203) geeignet ist, die unionsrechtskonforme Durchführung von Kontrollmaßnahmen nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG sicherzustellen.

11 Das Unionsrecht verbietet Kontrollen an den Grenzübergangsstellen der Binnengrenzen der Mitgliedstaaten der EU zur Feststellung der Ein- oder Ausreiseberechtigung (Grenzübertrittskontrollen). Um die Geltung dieses Verbots zu gewährleisten, dürfen die vom nationalen Recht eingeräumten polizeilichen Befugnisse nicht in einer Weise ausgeübt werden, dass sie die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen haben (Art. 67 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU i.d.F. der Bekanntmachung vom 9. Mai 2008 - AEUV - <ABl. C 115 S. 47>; Art. 20, Art. 21 Buchst. a i.V.m. Art. 2 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen - Schengener Grenzkodex - <ABl. L 105 S. 1>).

12 Nach der Rechtsprechung des EuGH stehen polizeiliche Kontrollmaßnahmen insbesondere im Grenzgebiet Grenzübertrittskontrollen gleich, wenn sie geeignet sind, diese nach Art und Umfang ihrer Durchführung zu ersetzen. Dies ist vor allem dann anzunehmen, wenn die Maßnahmen systematisch ohne inhaltliche Voraussetzungen durchgeführt werden (EuGH, Urteil vom 21. Juni 2017 - C-9/16 - Rn. 56 ff.). Ermöglicht das Recht eines Mitgliedstaats derartige unionsrechtswidrige Kontrollmaßnahmen, muss der Mitgliedstaat den Anwendungsvorrang des Unionsrechts dadurch sicherstellen, dass er einen nationalen Rechtsrahmen schafft, der die Polizeibehörden verpflichtet, die ihnen vom nationalen Recht eingeräumten Befugnisse in der Praxis nur unionsrechtskonform wahrzunehmen. Dieser Rechtsrahmen muss hinreichend genau und detailliert festlegen, auf welche Weise die nach nationalem Recht möglichen Kontrollmaßnahmen nach Häufigkeit, Intensität und Selektivität eingeschränkt werden. Der nationale Rechtsrahmen muss rechtsverbindliche Einschränkungen in zeitlicher und örtlicher Hinsicht vorsehen. Dies kann durch ermessenslenkende Regelungen geschehen, die die praktische Handhabung der nationalen Befugnisse steuern (stRspr, vgl. zuletzt EuGH, Urteil vom 21. Juni 2017 - C-9/16 - Rn. 37 ff.). Demnach setzt die Rechtmäßigkeit einer solchen Kontrollmaßnahme voraus, dass die für sich genommen unionsrechtswidrige Eingriffsermächtigung des nationalen Rechts durch einen generellen, inhaltlich hinreichend bestimmten Rechtsrahmen unionsrechtskonform eingeschränkt ist und die dort vorgesehenen Einschränkungen im konkreten Fall beachtet werden.

13 Nach der im vorliegenden Fall angewandten Bestimmung des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG kann die Bundespolizei im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern die Identität einer Person feststellen, um unerlaubte Einreisen in das Bundesgebiet zu verhindern oder zu unterbinden sowie Grenzkriminalität im Sinne von § 12 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 BPolG zu verhüten. Der EuGH ist davon ausgegangen, dass diese Bestimmung der Bundespolizei gestattet, Maßnahmen zur Identitätsfeststellung von Personen unabhängig vom Verhalten der kontrollierten Person oder dem Vorliegen besonderer Umstände durchzuführen (EuGH, Urteil vom 21. Juni 2017 - C-9/16 - Rn. 54 ff. und 63; vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 13. Februar 2018 - 1 S 1468/17 - juris Rn. 65). Aufgrund dessen eröffnet sie der Bundespolizei die Möglichkeit, im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern dauerhaft ohne zeitliche und örtliche Beschränkungen Kontrollmaßnahmen durchzuführen. Diese Ausübung der Befugnisse nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG steht Grenzübertrittskontrollen gleich. Um eine solche unionsrechtswidrige Handhabung des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG zu verhindern, muss die Bestimmung durch einen hinreichend genauen und detaillierten Rechtsrahmen ergänzt werden, der gewährleistet, dass die Durchführung der Kontrollmaßnahmen in ihrer Gesamtheit zeitlich und örtlich deutlich hinter Grenzübertrittskontrollen zurückbleibt (EuGH, Urteil vom 21. Juni 2017 - C-9/16 - Rn. 59 ff.).

14 Den unionsrechtlich erforderlichen Rechtsrahmen stellt der ermessenslenkende Erlass des Bundesministeriums des Innern vom 7. März 2016 dar. Er gibt der Bundespolizei rechtsverbindlich auf, die Durchführung von Kontrollmaßnahmen auf der Grundlage des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG nach Maßgabe der genannten Kriterien einzuschränken. Nach dem Erlass sind Maßnahmen zur Identitätsfeststellung von Personen im Grenzgebiet nur zulässig, wenn sie unregelmäßig zu unterschiedlichen Zeiten, an unterschiedlichen Orten und stichprobenartig auf der Grundlage ständig aktualisierter Lageerkenntnisse und grenzpolizeilicher Erfahrung stattfinden. Die Dienststellen der Bundespolizei müssen diese Erkenntnisse auf der Grundlage eigener Lageinformationen oder denen anderer Behörden entwickeln, um auf dieser Grundlage zeitlich und örtlich unregelmäßige, stichprobenartige Kontrollen durchzuführen. Damit benennt der Erlass generelle Voraussetzungen, die geeignet sind zu verhindern, dass Maßnahmen nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG im Grenzgebiet Grenzübertrittskontrollen gleichstehen, weil sie allein aus Anlass einer Ein- oder Ausreise systematisch oder flächendeckend durchgeführt werden.

15 Der Erlass bestimmt generelle einschränkende Voraussetzungen für die Durchführung von Kontrollmaßnahmen nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG. Er verweist auf die aktuellen Lageerkenntnisse und Erfahrungen der Dienststellen der Bundespolizei als Entscheidungsgrundlagen. Dies steht in Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH (EuGH, Urteil vom 19. Juli 2012 - C-278/12 [ECLI:​EU:​C:​2012:​508], PPU - Rn. 78 und 81). Daher setzt die unionsrechtskonforme praktische Anwendung des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG voraus, dass die in dem Erlass vorgesehenen Einschränkungen auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse und Erfahrungen der Bundespolizei konkretisiert werden. Erst die fortlaufende Konkretisierung durch Einsatzpläne ermöglicht die Beurteilung, ob die Kontrollmaßnahmen nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG auf eine Art und Weise durchgeführt werden, die sie von Grenzübertrittskontrollen unterscheidet.

16 c) Die Frage,
ob für eine Begrenzung der Häufigkeit von Kontrollen nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG eine Dokumentation der Kontrollen erforderlich ist,
rechtfertigt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung schon deshalb nicht, weil der Vortrag des Klägers insoweit den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht genügt. Dies folgt bereits daraus, dass der Kläger diese Frage aufwirft, ohne darzulegen, welche Rechtsnorm oder welcher Rechtsgrundsatz des Unionsrechts Rechtsgrundlage für eine Dokumentationspflicht sein soll. Auch die Ausführungen des Klägers zur Dokumentationspflicht im Rahmen seiner Divergenzrüge beschränken sich darauf, aus den Gründen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Dezember 2018 - 1 BvR 142/15 - (BVerfGE 150, 244) zu der Notwendigkeit der Dokumentation behördlicher Entscheidungsgrundlagen für den Einsatz automatisierter Kennzeichenkontrollen zu zitieren und darauf zu verweisen, dass das Oberverwaltungsgericht die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts ignoriert habe (vgl. S. 18 der Beschwerdebegründung).

17 d) Schließlich hat die Frage,
ob durch die Anwendung des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG im vorliegenden Fall der Gleichheitsgrundsatz verletzt wurde,
bereits deshalb keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung, weil der Kläger keine generelle, fallübergreifend bedeutsame Frage geklärt haben will. Dies macht bereits die Fragestellung deutlich. Auch die Beschwerdebegründung befasst sich insoweit mit den konkreten Umständen der Kontrolle der Personalien des Klägers, wobei der Kläger der Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Oberverwaltungsgerichts seine eigene, naturgemäß abweichende Würdigung entgegensetzt (vgl. S. 16 der Beschwerdebegründung).

18 Die sich daran anschließenden Fragestellungen, die sich mit der Verletzung des Diskriminierungsverbots nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG und den Darlegungs- und Beweislasten in diesem Zusammenhang befassen (vgl. S. 17 der Beschwerdebegründung), sind nicht rechtsgrundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, weil sie sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen würden. Denn das Oberverwaltungsgericht hat den von ihm festgestellten Sachverhalt dahingehend gewürdigt, dass die Hautfarbe des Klägers für den Entschluss der Polizeibeamten, seine Personalien festzustellen, keine Rolle gespielt hat. Daran ist der Senat gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht als Revisionsinstanz ist nach § 137 Abs. 2 VwGO an den tatrichterlich festgestellten Sachverhalt gebunden. Das Ergebnis der tatrichterlichen Beweiswürdigung überprüft es auf entsprechende Rügen nur daraufhin, ob ein Verstoß gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorliegt. Hierzu gehören das Gebot, den gesamten Streitstoff zu berücksichtigen, sowie die Beachtung allgemeiner Erfahrungssätze und der Gesetze der Logik; die Beweiswürdigung muss rational nachvollziehbar sein (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 2. Februar 1984 - 6 C 134.81 - BVerwGE 68, 338 <339> und vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <208 f.>; Beschluss vom 11. Januar 2012 - 8 PKH 8.11 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 72).

19 2. Die vom Kläger geltend gemachte Divergenz nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt nicht vor. Sie würde voraussetzen, dass das Oberverwaltungsgericht das Berufungsurteil auf einen abstrakten Rechtssatz gestützt hat, der einem tragenden Rechtssatz widerspricht, den das Bundesverfassungsgericht in dem vom Kläger benannten Beschluss vom 18. Dezember 2018 - 1 BvR 142/15 - (BVerfGE 150, 244) zu derselben Vorschrift oder demselben Rechtsgrundsatz aufgestellt hat (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 und vom 23. Januar 2018 - 6 B 67.17 [ECLI:​DE:​BVerwG:​2018:​230118B6B67.17.0] - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 431 Rn. 14).

20 Dies ist offensichtlich nicht der Fall: Eine Divergenz kommt bereits wegen der unterschiedlichen Prüfungsgegenstände der beiden Entscheidungen nicht in Betracht. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in dem Beschluss vom 18. Dezember 2018 damit befasst, ob die Vorschriften des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes über die Durchführung automatisierter Kontrollen von Kraftfahrzeugkennzeichen mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Folgerichtig hat das Bundesverfassungsgericht in den vom Kläger zitierten Passagen der Beschlussgründe im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung keinen Rechtssatz zur unionsrechtskonformen Handhabung einer nationalen Rechtsvorschrift aufgestellt, sondern lediglich die unter 1.a) dargestellte Rechtsprechung des EuGH zur unionsrechtlichen Notwendigkeit eines nationalen Rechtsrahmens wiedergegeben. Das Erfordernis der Dokumentation der behördlichen Entscheidungsgrundlagen für Kennzeichenerfassungen hat das Bundesverfassungsgericht aus dem Grundgesetz hergeleitet. Dabei hat es entscheidungstragend darauf abgestellt, dass die Kennzeichenkontrollen verdeckt stattfinden, d.h. von den Betroffenen nicht bemerkt werden. Dies unterscheidet sie von Kontrollmaßnahmen nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG. Demgegenüber geht es im vorliegenden Fall um die unionsrechtskonforme Anwendung einer bundesgesetzlichen Vorschrift über Maßnahmen zur Identitätsfeststellung.

21 3. Der Kläger hat nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt, dass das Berufungsurteil auf einer Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO beruht.

22 Ob ein derartiger Verstoß gegen die Pflicht des Tatsachengerichts, den Sachverhalt umfassend aufzuklären, vorliegt, ist auf der Grundlage seines materiell-rechtlichen Standpunkts zu beurteilen. Die Tatsachengerichte sind nicht gehalten, Ermittlungen anzustellen, die aus ihrer Sicht unnötig, weil ohne Bedeutung für die Sachentscheidung sind (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 28. Juli 2011 - 2 C 28.10 - BVerwGE 140, 199 Rn. 25 und vom 14. Dezember 2016 - 6 C 19.15 [ECLI:​DE:​BVerwG:​2016:​141216U6C19.15.0] - BVerwGE 157, 46 Rn. 5). Die Entscheidungsgründe des Berufungsurteils lassen erkennen, dass das Oberverwaltungsgericht die rechtmäßige, weil unionsrechtskonforme Anwendung des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG an die Beachtung des ermessenslenkenden Erlasses des Bundesministeriums des Innern vom 7. März 2016 geknüpft hat. Dies entspricht den Vorgaben des EuGH in dem Urteil vom 21. Juni 2017 - C-9/16 -. Wie unter 1. b) dargelegt, hält der EuGH diesen Rechtsrahmen und dessen Beachtung für erforderlich, um die Vereinbarkeit der Kontrollmaßnahmen nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG mit Unionsrecht, d.h. insbesondere mit Art. 20 und Art. 21 Buchst. a des Schengener Grenzkodexes, zu gewährleisten. Der Durchführung dieser Maßnahmen seien unionsrechtlich enge Grenzen gesetzt; sie dürften nicht zur Einrichtung von "Ersatzgrenzkontrollen" führen (S. 17/18 des Berufungsurteils).

23 Dementsprechend hat das Oberverwaltungsgericht angenommen, eine solche Kontrollmaßnahme sei zulässig, wenn im konkreten Fall ein Anlass für die Kontrolle bestehe und diese in einem Gebiet mit verstärkter grenzüberschreitender Kriminalität bzw. einem örtlichen Kriminalitätsschwerpunkt stattfinde. Dass der Stadtteil Malstatt ein derartiges Gebiet sei, ergebe sich aus den Erkenntnissen der Beklagten (S. 20 des Berufungsurteils) bzw. aufgrund der Ortskundigkeit des erkennenden Senats (S. 21 des Berufungsurteils). Daher sei es nicht erforderlich, ein Lagebild beizuziehen, wie es der Kläger gefordert habe. Diese Ausführungen lassen darauf schließen, dass das Oberverwaltungsgericht die Voraussetzungen des Erlasses vom 7. März 2016 für die unionsrechtskonforme Durchführung von stichprobenartigen Kontrollmaßnahmen nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG im vorliegenden Fall entweder aufgrund von Erkenntnissen der Beklagten oder aufgrund eigener Ortskunde als erfüllt angesehen hat. Darauf deutet auch die abschließende Bemerkung auf Seite 21 des Berufungsurteils hin, hiervon abgesehen setze § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG das Vorhandensein eines Lagebildes nicht voraus.

24 Davon ausgehend hat der Kläger schlüssig dargelegt, dass es das Oberverwaltungsgericht versäumt hat, Tatsachen festzustellen, die die aus seiner Sicht entscheidungserhebliche Annahme tragen, der Stadtteil Malstatt sei ein Gebiet mit verstärkter grenzüberschreitender Kriminalität bzw. ein Kriminalitätsschwerpunkt. Das Oberverwaltungsgericht hat diese tatsächliche Feststellung getroffen, ohne Ermittlungen anzustellen. Es hat diesen Umstand offenbar nicht für aufklärungsbedürftig gehalten. Dies verstößt schon deshalb gegen die Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO, weil die Feststellung nicht auf Tatsachengrundlagen gestützt ist. In Anbetracht dessen hätte das Oberverwaltungsgericht den in der Berufungsverhandlung gestellten Antrag des Klägers, ein Lagebild der Bundespolizei als Grundlage für die am 16./17. Juli 2016 durchgeführten Personenkontrollen beizuziehen, nicht als unerheblich behandeln dürfen. Die Bedeutung dieses Antrags hätte sich dem Oberverwaltungsgericht auf der Grundlage seiner eigenen Rechtsauffassung auch deshalb aufdrängen müssen, weil der ermessenslenkende Erlass des Bundesministeriums des Innern vom 7. März 2016 vorsieht, dass die Bundespolizei ihre Entscheidungen über die Durchführung von Kontrollmaßnahmen nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG auf der Grundlage aktueller Lageerkenntnisse bzw. grenzpolizeilicher Erfahrung zu treffen hat. Hierbei handelt es sich um die der Bundespolizei bindend vorgegebenen Entscheidungsgrundlagen für die unionsrechtskonforme und damit rechtmäßige Anwendung des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG.

25 Soweit sich das Oberverwaltungsgericht für seine Einschätzung des Stadtteils Malstatt auf Erkenntnisse der Beklagten berufen hat, hat es nicht angegeben, um welche Art von Erkenntnissen es sich handelt, welche tatsächlichen Feststellungen ihnen zugrunde liegen und auf welche Ermittlungen oder Informationen diese Feststellungen gestützt sein sollen. Entsprechendes gilt für die Erkenntnisse, die das Oberverwaltungsgericht aufgrund eigener Ortskunde gewonnen haben will. Das Gericht hat nicht angegeben, über welche Erkenntnisquellen es verfügt, die seine Annahme tragen. Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass es die Erkenntnis, der Stadtteil Malstatt sei ein Kriminalitätsschwerpunkt, in Zusammenhang mit der gerichtlichen Tätigkeit hinreichend gesichert in Erfahrung gebracht hat. Im Übrigen sieht der Erlass vom 7. März 2016 gerichtliche Ortskunde als Entscheidungsgrundlage für die praktische Anwendung des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG nicht vor.

26 In Bezug auf die weiteren Verfahrensrügen hat der Kläger nicht nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt, dass das Berufungsurteil auf einem Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO beruht. Insoweit sieht der Senat von einer Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

27 Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstands für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 47 Abs. 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG.