Beschluss vom 14.02.2011 -
BVerwG 7 B 49.10ECLI:DE:BVerwG:2011:140211B7B49.10.0

Leitsätze:

1. Der Beklagte ist grundsätzlich befugt, gegen die Nichtzulassung der Revision in einem die Klage als unzulässig abweisenden Berufungsurteil Beschwerde einzulegen (im Anschluss an Urteile vom 10. Februar 1960 - BVerwG 5 C 14.58 - BVerwGE 10, 148 <149> und vom 10. April 1968 - BVerwG 4 C 160.65 - NJW 1968, 1795).

2. Eine Zwischenfeststellungsklage (§ 173 VwGO i.V.m. § 256 Abs. 2 ZPO) ist zulässig, wenn ein Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten streitig ist und von der Feststellung dieses Rechtsverhältnisses die Entscheidung in der Hauptsache abhängt. Ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO an der Feststellung ist insoweit nicht erforderlich (im Anschluss an ständige Rechtsprechung des BGH u.a. Urteil vom 6. Juli 1989 - IX ZR 280/88 - NJW-RR 1990, 318 <320>).

  • Rechtsquellen
    VwGO § 42 Abs. 2, § 43 Abs. 1, § 173
    ZPO § 256 Abs. 2

  • VGH Mannheim - 20.04.2010 - AZ: VGH 1 S 2664/09 -
    VGH Baden-Württemberg - 20.04.2010 - AZ: VGH 1 S 2664/09

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 14.02.2011 - 7 B 49.10 - [ECLI:DE:BVerwG:2011:140211B7B49.10.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 49.10

  • VGH Mannheim - 20.04.2010 - AZ: VGH 1 S 2664/09 -
  • VGH Baden-Württemberg - 20.04.2010 - AZ: VGH 1 S 2664/09

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. Februar 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Krauß und Guttenberger
beschlossen:

  1. Der Klägerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung des Rechtsanwalts Siegfried M. Sch. bewilligt.
  2. Auf die Beschwerden der Klägerin und des Beklagten wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg über die Nichtzulassung der Revision gegen
  3. sein Urteil vom 20. April 2010 aufgehoben.
  4. Die Revision wird zugelassen.
  5. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  6. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren und - insoweit vorläufig - für das Revisionsverfahren auf jeweils 5 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Die Klägerin begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Veräußerung ihrer Pferde.

2 Sie betrieb bis 2006 eine Pferdezucht und hielt 15 Pferde sowie ein Fohlen. Nachdem sie am 14. Februar 2006 zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe in Haft genommen worden war, stellte ein Reitverein in Absprache mit dem zuständigen Landratsamt und in dessen Auftrag die Versorgung der nicht anderweitig betreuten Pferde sicher. Die Kosten beglich das beklagte Land; die Klägerin war dazu finanziell nicht imstande. Deren Höhe bezifferte der Beklagte auf 520 € wöchentlich, die Gesamtkosten bei einer zu erwartenden Abwesenheit von acht Monaten auf ca. 20 000 €.

3 In der Folgezeit forderte das Landratsamt die Klägerin erfolglos unter Fristsetzung und Hinweis auf eine andernfalls notwendige Veräußerung auf, die Versorgung der Pferde sicherzustellen. Eine Verfügung über die Veräußerung der Pferde unterblieb; das Amt entschied sich für einen Verkauf im Wege der „unmittelbaren Ausführung“ zur Meidung weiterer Verzögerungen. Das beabsichtigte Vorgehen wurde der Klägerin mitgeteilt, die dem widersprach. Am 10. Juni 2006 veräußerte das Landratsamt sämtliche Pferde im Wege einer Versteigerung.

4 Vor dem Verwaltungsgericht beantragte die Klägerin zunächst sinngemäß die Feststellung, dass die vom Beklagten am 10. Juni 2006 durchgeführte Veräußerung von 15 Pferden und einem Fohlen rechtswidrig war; im Weiteren begehrte sie die Verurteilung des Beklagten zur Rückgängigmachung der Folgen der Versteigerung. Die Klage auf Rückgängigmachung der Folgen der Versteigerung hat das Verwaltungsgericht abgetrennt und ausgesetzt. Der Feststellungsklage hat es mit Urteil vom 10. Dezember 2008 stattgegeben. Ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung folge aus dem Eigentum, ein Rehabilitationsinteresse sei ebenfalls gegeben. Auch das allgemeine Rechtsschutzinteresse sei mit Blick auf das Leistungsbegehren und die Geltendmachung eventueller Schadensersatzansprüche nicht zu verneinen. Die Veräußerung sei rechtswidrig. Grundsätzlich bedürfe es eines die Veräußerung anordnenden Verwaltungsakts; die Voraussetzungen für eine Versteigerung im Wege der unmittelbaren Ausführung entsprechend § 8 Abs. 1 PolG BW hätten nicht vorgelegen.

5 Auf die Berufung des Beklagten hin hat der Verwaltungsgerichtshof die Klage als unzulässig abgewiesen. Es fehle ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung. Die Absicht, durch die verwaltungsgerichtliche Klärung einen Amtshaftungsprozess vorzubereiten, begründe angesichts der bereits vor Klageerhebung eingetretenen Erledigung kein berechtigtes Feststellungsinteresse. Entsprechendes gelte, soweit die Klägerin gegen die Erwerber ihrer Pferde vor den Zivilgerichten Klage auf Herausgabe der Tiere erhoben habe bzw. die Erhebung von Schadensersatzklagen wegen Eigentumsverletzung beabsichtige. Aus der behaupteten Verletzung ihres Eigentums folge ebenfalls kein berechtigtes Interesse. Die Klägerin könne die behauptete Eigentumsverletzung im Wege der vor dem Verwaltungsgericht anhängigen Klage auf Rückgängigmachung der Vollzugsfolgen geltend machen. Ein schutzwürdiges Rehabilitierungsinteresse sei ebenfalls zu verneinen.

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richten sich die Beschwerden der Klägerin wie auch des Beklagten.

II

7 A. Der Klägerin war antragsgemäß Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Verfahrensbevollmächtigten zu bewilligen (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO), weil ihre Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision aus den nachfolgenden Gründen Erfolg hat.

8 B. Beide Beschwerden sind zulässig (1.) und begründet (2.).

9 1. Neben der Beschwerde der Klägerin ist auch die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem die Klage als unzulässig abweisenden Urteil zulässig.

10 Auch er ist durch das klageabweisende Prozessurteil des Verwaltungsgerichtshofs beschwert (zur Beschwer als Zulässigkeitsvoraussetzung vgl. Beschluss vom 18. Februar 2002 - BVerwG 3 B 149.01 - NJW 2002, 2122).

11 Für das zivilgerichtliche Verfahren ist anerkannt, dass der Beklagte beschwert sein kann, wenn die Klage durch Prozessurteil statt durch Sachurteil abgewiesen wird. Denn die Rechtskraft des Sachurteils geht weiter als die des Prozessurteils (BGH, Urteil vom 18. November 1958 - VIII ZR 131/57 - BGHZ 28, 349; BAG, Beschluss vom 19. November 1985 - 1 ABR 37/83 - NJW 1987, 514).

12 Das Bundesverwaltungsgericht und die verwaltungsrechtliche Literatur haben sich dem für das verwaltungsgerichtliche Verfahren angeschlossen (vgl. Urteil vom 10. Februar 1960 - BVerwG 5 C 14.58 - BVerwGE 10, 148 <149>; Beschluss vom 15. März 1968 - BVerwG 7 C 183.65 - BVerwGE 29, 210 <211>; Urteil vom 10. April 1968 - BVerwG 4 C 160.65 - NJW 1968, 1795; Happ, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl., Vorbem. zu § 124 Rn. 41; Blanke, in: Sodan/
Ziekow, VwGO, 3. Aufl., Vorbem. zu § 124 Rn. 66).

13 An dieser Rechtsprechung hält das Bundesverwaltungsgericht fest. § 92 Abs. 1 Satz 2 VwGO bringt zum Ausdruck, dass auch der Beklagte ab dem dort genannten Zeitpunkt einen Anspruch auf gerichtliche Entscheidung hat (vgl. Clausing, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 92 Rn. 25). Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der Beklagte zu seiner Verteidigung bereits Anstalten gemacht und finanziellen Aufwand gehabt hat (vgl. Becker-Eberhard, Münchner Kommentar zur ZPO, 3. Aufl., § 269 Rn. 1). Dieselbe Wertung liegt der Rechtsprechung zugrunde, wonach der Beklagte bei berechtigtem Interesse trotz Erledigterklärung durch den Kläger einen Anspruch auf Nachprüfung hat, ob die Klage gegen ihn zu Recht erhoben worden ist (vgl. Urteil vom 14. Januar 1965 - BVerwG 1 C 68.61 - BVerwGE 20, 146 <154>).

14 Das Bundesverwaltungsgericht bejaht danach eine Beschwer, wenn das Prozessurteil nicht in demselben Umfang in Rechtskraft erwächst wie ein Sachurteil, sondern nur in geringerem Umfang. Dies ist hier der Fall. Der Beklagte hat zu gewärtigen, dass die Frage, die Gegenstand des hiesigen Verfahrens ist, in einem Folgeprozess - etwa in dem angekündigten Amtshaftungsprozess sowie in dem Rechtsstreit um die Rückgängigmachung der Folgen der Veräußerung - erneut aufgeworfen wird, ohne dass er die materielle Rechtskraft einwenden kann.

15 2. Die Beschwerden sind auch begründet. Es liegt ein von beiden Beschwerden geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung des Berufungsgerichts beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

16 Denn zu Unrecht hat der Verwaltungsgerichtshof die Feststellungsklage als unzulässig abgewiesen.

17 Die Klägerin begehrt die Feststellung, der Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, ihre Pferde zu veräußern, und damit die Feststellung eines Rechtsverhältnisses.

18 Diese Klage ist zulässig. Dabei kann dahinstehen, ob dies bereits deshalb der Fall ist, weil die Klägerin ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO an der baldigen Feststellung hat. Die Zulässigkeit der Klage ergibt sich jedenfalls aus Folgendem:

19 Die Klägerin hat vor dem Verwaltungsgericht beantragt, festzustellen, der Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, ihre Pferde zu veräußern, und ihn zur Rückgängigmachung der Folgen der Veräußerung zu verurteilen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Rückgängigmachung der Folgen der Versteigerung abgetrennt und - bis zu einer Entscheidung über die Feststellungsklage - ausgesetzt. Angesichts dessen durfte die Feststellungsklage nicht mit der Begründung als unzulässig abgewiesen werden, es fehle an einem Feststellungsinteresse, weil die Klägerin die behauptete Eigentumsverletzung im Wege der vor dem Verwaltungsgericht anhängigen - und gerade bis zu einer Sachentscheidung über die Feststellungsklage ausgesetzten - Klage auf Rückgängigmachung der Vollzugsfolgen geltend machen könne. Denn bei dieser Feststellungsklage handelt es sich um eine Zwischenfeststellungsklage (§ 173 VwGO i.V.m. § 256 Abs. 2 ZPO, vgl. a), die hier zulässig ist (vgl. b).

20 a) Nach § 256 Abs. 2 ZPO kann bis zum Schluss derjenigen mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, der Kläger durch Erweiterung des Klageantrags beantragen, dass ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt, durch richterliche Entscheidung festgestellt werde. Zweck der Zwischenfeststellungsklage ist die Ausdehnung der Rechtskraft auf das dem Anspruch zugrunde liegende Rechtsverhältnis, das sonst von der Rechtskraftwirkung nicht erfasst würde (Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl., § 256 Rn. 344; vgl. auch Urteil vom 9. Dezember 1971 - BVerwG 8 C 6.69 - BVerwGE 39, 135 <138>). Sie ist ein Ersatz dafür, dass die Elemente der Entscheidung zum Grund der Klage nicht in Rechtskraft erwachsen. Voraussetzung ist daher, dass die Entscheidung des Rechtsstreits von dem Bestehen des Rechtsverhältnisses abhängt. Ein weiteres (rechtliches) Interesse an der alsbaldigen Feststellung ist dagegen nicht erforderlich. Das Feststellungsinteresse wird durch die Vorgreiflichkeit ersetzt (BGH, Urteil vom 17. Mai 1977 - VI ZR 174/74 - BGHZ 69, 37 <41>; BAG, Urteil vom 26. August 2009 - 4 AZR 300/08 - juris Rn. 19). Voraussetzung der Zwischenfeststellungsklage nach § 256 Abs. 2 ZPO ist damit, dass ein Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten streitig ist, und dass von der Feststellung dieses Rechtsverhältnisses die Entscheidung in der Hauptsache abhängt; dabei ist unerheblich, dass die Hauptklage erst im Laufe des Verfahrens „nachgeschoben“ wird (BGH, Urteil vom 6. Juli 1989 - IX ZR 280/88 - NJW-RR 1990, 318 <320>).

21 Durch die Trennung hat sich daran nichts geändert. Ein Zwischenfeststellungsantrag, über den vorab entschieden wird, verliert durch die Trennung nicht seinen unselbstständigen Charakter. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann über den Feststellungsantrag durch Teilurteil vor endgültiger Klärung des Hauptantrags entschieden werden (vgl. BGH, Urteile vom 21. Dezember 1954 - I ZR 13/54 - LNR 1954, 13380, vom 27. Oktober 1960 - III ZR 80/58 - NJW 1961, 75 und vom 17. November 2005 - IX ZR 162/04 - NJW 2006, 915; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 256 Rn. 119). Dies hat das Verwaltungsgericht hier in der Sache in Einklang mit § 110 VwGO getan.

22 b) Davon ausgehend ist die Zwischenfeststellungsklage hier zulässig.

23 Das allgemeine Rechtsschutzinteresse für die Klage liegt vor. Dieses setzt voraus, dass sich die begehrte Feststellung auf einen Gegenstand bezieht, der über den der Rechtskraft fähigen Gegenstand des Rechtsstreits hinausgeht. Für eine Zwischenfeststellungsklage ist daher kein Raum, wenn mit dem Urteil über die Hauptklage die Rechtsbeziehungen der Parteien erschöpfend geregelt sind (vgl. BGH, Urteil vom 28. September 2006 - VII ZR 247/05 - NJW 2007, 82 <83>). Insoweit genügt indes die hier bestehende bloße Möglichkeit, dass das inzident ohnehin zu klärende Rechtsverhältnis zwischen den Parteien noch über den gegenwärtigen Streitgegenstand hinaus Bedeutung gewinnen kann.

24 Das Rechtsverhältnis, dessen Feststellung begehrt wird, ist auch vorgreiflich für die Klage auf Rückgängigmachung der Folgen der Veräußerung. Die Rechtswidrigkeit der Veräußerung ist eine tatbestandliche Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch auf Rückgängigmachung derer Folgen.

25 Von der Möglichkeit, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zurückzuverweisen (§ 133 Abs. 6 VwGO), macht der Senat keinen Gebrauch.

26 Die Festsetzung des Streitwerts beruht für das Beschwerdeverfahren auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG, für das Revisionsverfahren auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2, § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Rechtsbehelfsbelehrung


Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen
BVerwG 7 C 5.11 fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (Verordnung vom 26. November 2004, BGBl I S. 3091) einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO vertreten lassen.