Beschluss vom 14.05.2025 -
BVerwG 8 B 21.24ECLI:DE:BVerwG:2025:140525B8B21.24.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 14.05.2025 - 8 B 21.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:140525B8B21.24.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 21.24

  • VG Dresden - 23.03.2023 - AZ: 7 K 1862/22
  • OVG Bautzen - 27.03.2024 - AZ: 4 A 283/23


In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts


am 14. Mai 2025


durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller und Dr. Naumann


beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 27. März 2024 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
  3. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Der Kläger begehrt die Verpflichtung des Beklagten, die Oberbürgermeisterwahl 2022 in der ...stadt X für ungültig zu erklären. Der Beigeladene wurde von der Wählervereinigung "U..." vorgeschlagen. An der Aufstellungsversammlung nahmen 14 Mitglieder des Vereins teil, von denen zwei außerhalb von X wohnhaft waren. Der Gemeindewahlausschuss ließ den Wahlvorschlag zu. Der Beigeladene gewann die Wahl im zweiten Wahlgang. Auf ihn entfielen 80 483 Stimmen, auf den zweitplatzierten Kandidaten 67 947 Stimmen. Der Kläger legte gegen die Oberbürgermeisterwahl Einspruch ein, den der Beklagte zurückwies. Das Verwaltungsgericht hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen und ausgeführt, zwar habe die Zulassung des Wahlvorschlags wesentliche landesrechtliche Vorschriften über die Wahlvorbereitung missachtet, weil an dessen Zustandekommen zwei Nichtwahlberechtigte beteiligt gewesen seien. Der Wahlfehler führe mangels Ergebnisrelevanz jedoch nicht zum Erfolg der Wahlanfechtung. Der Beigeladene hätte auch als Einzelbewerber antreten können. Zwar sei der Verein auf dem Stimmzettel als Urheber des Wahlvorschlags angegeben. Dies sei jedoch unerheblich, weil der weitgehend unbekannte Verein - anders als eine politische Partei - keine politisch-programmatische Ausrichtung habe, die die Wählerentscheidung hätte beeinflussen können und der Verein in der Öffentlichkeit praktisch nie aufgetreten sei. Wegen des beträchtlichen Vorsprungs des Beigeladenen im ersten Wahlgang (mehr als 25 000 Stimmen) wie im zweiten (mehr als 12 000 Stimmen) liege eine Ergebnisrelevanz der Nennung der Urheberschaft des Wahlvorschlags fern.

2 Die Beschwerde, die eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und einen Verfahrensmangel geltend macht (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), bleibt ohne Erfolg.

3 1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlich klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Januar 2019 - 8 B 37.18 - ZfWG 2019, 262 Rn. 4 m. w. N.). Der Rechtsmittelführer hat darzulegen, dass diese Voraussetzungen vorliegen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Daran fehlt es hier.

4 Die Fragen,
"stellt eine Auslegung des § 27 Abs. 1 SächsKommWG, welche dazu führt, dass bei gleichen Aufstellungsfehlern, wie sie hier durch den Verein 'U...' begangen wurden, durch eine Partei i.S.d. Art. 21 GG eine Wahl aufzuheben wäre, eine Verletzung des Parteienprivilegs aus Art. 21 GG dar?"
und
"stellt eine Auslegung des § 27 Abs. 1 SächsKommWG, welche dazu führt, dass bei gleichen Aufstellungsfehlern, wie sie hier durch den Verein 'U...' begangen wurden, durch eine Partei i.S.d. Art. 21 GG eine Wahl aufzuheben wäre, eine Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit im Wahlrecht dar?",
betreffen die Auslegung des § 27 des Gesetzes über die Kommunalwahlen im Freistaat Sachsen - Kommunalwahlgesetz – (KomWG). Dieser zählt nicht zum revisiblen Recht.

5 Der Einwand, bei seiner Auslegung seien bundesrechtliche Maßstäbe nicht berücksichtigt worden, verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vermag die Rüge der Nichtbeachtung von Bundesrecht bei der Anwendung und Auslegung von irrevisiblem Recht eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nur zu begründen, wenn die Auslegung der - gegenüber dem irrevisiblen Recht als korrigierender Maßstab angeführten - bundesrechtlichen Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (BVerwG, Beschlüsse vom 20. September 1995 - 6 B 11.95 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 6 S. 8 und vom 13. Juni 2009 - 9 B 2.09 - Buchholz 445.4 § 3 WHG Nr. 6 Rn. 4 m. w. N.).

6 Liegt bereits höchstrichterliche Rechtsprechung zum verfassungsrechtlichen Maßstab vor, genügt zur Darlegung nicht der Vortrag, dass die aufgeworfene Frage selbst noch nicht Gegenstand einer höchstrichterlichen Entscheidung war. Vielmehr muss der Beschwerdeführer in Auseinandersetzung mit der bereits vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung darlegen, dass die Frage sich nicht ohne Weiteres anhand dieser Rechtsprechung und der anerkannten Auslegungsgrundsätze beantworten lässt, sondern weiteren oder erneuten Klärungsbedarf aufweist. Daran fehlt es hier.

7 Die Beschwerdebegründung verweist auf das Homogenitätsgebot gemäß Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG, ohne auf die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu den Grenzen einzugehen, die Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG der landesrechtlichen Ausgestaltung des Kommunalwahlrechts und der entsprechenden Wahlprüfungsverfahren zieht. Dieser Rechtsprechung zufolge verfügen die Länder bei Regelungen zur Relevanz von Wahlfehlern über einen großen Gestaltungsspielraum. Er wird überschritten, wenn bedeutende Wahlfehler, insbesondere schwerwiegende Verstöße, von vornherein außer Betracht zu bleiben haben oder wenn - umgekehrt - Wahlbeeinflussungen einfachster Art und ohne jedes Gewicht zum Wahlungültigkeitsgrund erhoben werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2023 - 2 BvR 2189/22 - BVerfGE 165, 296 Rn. 145). Die Beschwerdebegründung setzt sich mit diesen Grenzen nicht auseinander und zeigt nicht auf, inwieweit die Entscheidung des vorliegenden Falls deren weitere Klärung oder Präzisierung erfordert. Sie fragt weder ausdrücklich noch sinngemäß, ob Art. 28 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 und 2 GG einer Ausgestaltung des Kommunalwahlprüfungsrechts entgegensteht, die eine Ergebnisrelevanz schwerer Wahlfehler nicht nur verneint, wenn das Wahlergebnis bei Nichtberücksichtigung der fehlerhaften Handlung unverändert wäre, sondern auch, wenn es bei Eintreten einer bloß hypothetischen, tatsächlich jedoch nicht verwirklichten und auch nicht rechtzeitig zu verwirklichenden Reserveursache hätte erzielt werden können.

8 Stattdessen kritisiert die Beschwerdebegründung die berufungsgerichtlichen Erwägungen zur Ergebnisrelevanz des Wahlfehlers allein mit Blick auf das Parteienprivileg (Art. 21 GG) und die Gewährleistung formaler Wahlrechtsgleichheit (Art. 38 Abs. 1 i. V. m. Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG), und zwar ebenfalls ohne substantiierte Darlegung der Klärungsbedürftigkeit ihrer Fragen. Dabei übersieht sie, dass diese Fragen sich im angestrebten Revisionsverfahren so nicht stellen würden. Das Oberverwaltungsgericht hat für das Verneinen der Mandatsrelevanz des fehlerhaften Wahlvorschlags nicht genügen lassen, dass dieser von einer Wählervereinigung und nicht von einer Partei stammte. Vielmehr hat es einzelfallbezogen darauf abgestellt, dass die konkrete Wählervereinigung in der Öffentlichkeit nahezu unbekannt war und nicht über ein politisches Programm mit inhaltlichem Kern verfügte. Daraus hat es geschlossen, die Wähler hätten sich bei ihrer Wahlentscheidung ebenso wie bei einer Einzelkandidatur an den Eigenschaften des Beigeladenen orientiert. Dagegen hat es nicht die Auffassung vertreten, fehlerhafte Wahlvorschläge bekannter Wählervereinigungen mit zahlreichen Mitgliedern und umfassendem politischem Programm seien großzügiger zu behandeln als ebensolche Wahlvorschläge von Parteien.

9 2. Die vom Kläger erhobene Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO) führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision. Soweit die von ihm als aufklärungsbedürftig bezeichneten Tatsachen nach der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts entscheidungserheblich waren, fehlt es an der substantiierten Darlegung eines Aufklärungsmangels. Auf die Beweggründe des Beigeladenen, sich nicht von seiner Partei, sondern von einer Wählervereinigung aufstellen zu lassen, kam es aus der Sicht der Vorinstanz nicht an. Sie hat nicht auf dessen Motivation, sondern auf die der Wähler abgestellt. Auch die Frage der Parteizugehörigkeit des Beigeladenen war nach der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts nicht erheblich.

10 Sofern der Kläger mit seinen Ausführungen zu den Erkenntnismöglichkeiten eines politikwissenschaftlichen Sachverständigengutachtens eine weitere Aufklärungsrüge erheben wollte, fehlt die zur substantiierten Darlegung erforderliche Angabe, weshalb das Einholen eines solchen Gutachtens sich der Vorinstanz auch ohne förmlichen Beweisantrag des anwaltlich vertretenen Klägers hätte aufdrängen müssen, welche Ergebnisse bei der Begutachtung zu erwarten gewesen wären und inwiefern diese zu einer dem Kläger günstigeren Entscheidung hätten führen können.

11 3. Der Vortrag, das Oberverwaltungsgericht habe ohne zureichende eigene Sachkunde entschieden, macht der Sache nach geltend, die Vorinstanz habe durch eine unzulässige Feststellung "ins Blaue" gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) verstoßen. Zur Substantiierung dieser Rüge hätte dargetan werden müssen, dass das Oberverwaltungsgericht seine Feststellungen zum Wahlverhalten entweder ohne geeignete Anknüpfungstatsachen oder auf der Grundlage von Tatsachen getroffen hat, die es nicht ohne ein Sachverständigengutachten zu würdigen in der Lage war. Das ist hier nicht geschehen. Die Beschwerdebegründung berücksichtigt nicht, dass das Oberverwaltungsgericht nicht an den Status der Wählervereinigung, sondern an deren Unbekanntheit und das Fehlen eines politischen Programms angeknüpft hat (vgl. oben Rn. 8). Sie legt auch nicht substantiiert dar, dass beide Umstände keinerlei Bedeutung für die Wählerentscheidung haben könnten oder nicht ohne politikwissenschaftliche, die Sachkunde des Gerichts übersteigende Kenntnisse zu würdigen wären.

12 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 i. V. m. § 162 Abs. 3 VwGO.

13 Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 2 GKG.