Beschluss
In der Verwaltungsstreitsache hat der 11. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. August 2025
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. Külpmann, den Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. Decker und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Wiedmann
beschlossen:
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Die Antragsgegnerin wird im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin bis spätestens zum 29. August 2025 die beantragte Ausnahme gemäß § 10 Abs. 1 LanLVO für die Durchführung der in dem Antrag vom 20. Juni 2025 bezeichneten geotechnischen Untersuchungen zu erteilen. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
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Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
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Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10 000 € festgesetzt.
Gründe
I
1
Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung eine Ausnahme von einer gemeindlichen Lärmschutzverordnung. Sie möchte Vorarbeiten für eine Energieleitung nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EnWG (Offshore-Anbindungsleitung) durchführen.
2
Die Antragstellerin ist Vorhabenträgerin der Offshore-Anbindungsleitung BalWin5, die Windenergieanlagen an das deutsche Stromnetz anbinden soll. Hierfür hat sie am 30. Juni 2025 die Planfeststellungsunterlagen bei der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr zur Vollständigkeitsprüfung eingereicht. Der Netzanschluss besteht aus einem Offshore-Konverter in der Nordsee und einem Onshore-Netzverknüpfungspunkt in Bremen (Werderland). Konverter und Netzverknüpfungspunkt sollen durch ein See- und Landkabelsystem von 390 km Länge verbunden werden. Die Insel Langeoog soll unterirdisch im Horizontalspülbohrverfahren auf einer Länge von 1 600 m unterquert werden. Zur Durchführung des für die Offshore-Anbindungsleitung erforderlichen Planfeststellungsverfahrens und zur Vorbereitung der Vergabe und Bauausführung will die Antragstellerin im Abschnitt Küstenmeer (12-Seemeilen-Zone) im westlichen Langeoog-Korridor C6a im Bereich der vorgesehenen Querung der Insel Langeoog unter anderem geotechnische Untersuchungen durchführen (vgl. § 44 EnWG).
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Die Antragsgegnerin, die Inselgemeinde Langeoog - ein Kurort und staatlich anerkanntes Nordseeheilbad –, hat - auf der Grundlage von § 2 NLärmSchG und § 10 NKomVG (vgl. Nds. GVBl. 2012, S. 562 ff. und Nds. GVBl. 2010, S. 576 ff.) – eine Verordnung zur Bekämpfung des Lärms erlassen (vgl. Amtsblatt für den Landkreis Wittmund vom 30. September 2013, S. 77 ff., vom 31. Januar 2017 S. 5 f., und vom 31. März 2022, S. 29, im Folgenden: LanLVO). Danach ist die Ausübung lärmender Bau- und Baunebenarbeiten in der Zeit vom 1. Juni bis zum 30. September eines jeden Jahres ganztägig unter Bußgeldbewehrung verboten (vgl. § 4 Abs. 1 LanLVO i. V. m. § 11 LanLVO), hiervon kann allerdings eine Ausnahme zugelassen werden (vgl. § 10 Abs. 1 LanLVO).
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Die Antragstellerin hat am 20. Juni 2025 - gemeinsam mit einer im Korridor C6a parallel planenden Vorhabenträgerin - eine solche Ausnahme zur Durchführung von (unter anderem) geotechnischen Untersuchungen in Form von Kernbohrungen und Drucksondierungen im Zeitraum vom 1. Juli bis zum 30. September 2025 für das zu errichtende Offshore-Netzanbindungssystem beantragt. Pro Kernbohrung wurde zunächst eine Dauer von drei bis fünf Tagen veranschlagt. Der Antrag war unter Vorbehalt der Erteilung der Befreiung von den Verboten des Gesetzes über den Nationalpark "Niedersächsisches Wattenmeer" nach § 17 NWattNPG gestellt.
5
Die geotechnischen Untersuchungen sollen an zwei Punkten am Nordstrand und einem Punkt im südlichen Bereich der Insel durchgeführt werden. Die Antragstellerin nimmt die Untersuchungen am Nordstrand in Eigenregie vor, die Untersuchung im südlichen Bereich der Insel führt - aus Gründen effizienter Bündelung - die parallel planende Vorhabenträgerin aus, die sich hierfür zuletzt auf fünf Tage festgelegt hat. Die Antragstellerin hat die geplanten Vorarbeiten für das Vorhaben am 30. Juni 2025 in einer örtlichen Tageszeitung bekannt gemacht und an diesem Tag auch im elektronischen Amtsblatt des Landeskreises Wittmund veröffentlicht (vgl. Amtsblatt für den Landkreis Wittmund vom 30. Juni 2025 S. 35). Seit dem 30. Juni 2025 verfügt die Antragstellerin für die geotechnischen Untersuchungen über eine vom 16. Juli 2025 bis zum 30. September 2025 befristete Befreiung nach § 17 NWattNPG i. V. m. § 67 Abs. 1 Nr. 1 und § 34 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG. Die Antragstellerin hat ihren Antrag mit ergänzender E-Mail vom 10. Juli 2025 dahingehend konkretisiert, dass an den zwei Punkten am Nordstrand pro Woche nur von Montag bis Donnerstag gearbeitet werden soll.
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Mit Bescheid vom 17. Juli 2025 hat die Antragsgegnerin den Antrag der Antragstellerin abgelehnt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Bescheides verwiesen (vgl. entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
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Die Antragstellerin hat Verpflichtungsklage zum Bundesverwaltungsgericht erhoben und gleichzeitig den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Mit dieser begehrt sie im Hauptantrag die vorläufige Anordnung, dass die geotechnischen Untersuchungen bis zur Entscheidung des Senats in der Hauptsache nicht dem Verbot gemäß § 4 LanLVO unterfallen, hilfsweise die vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin, die beantragte Ausnahme für die geotechnischen Untersuchungen bis spätestens zum 29. August 2025 zu erteilen, und weiter hilfsweise die vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin, über den Antrag auf die Erteilung der genannten Ausnahme bis zum 29. August 2025 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
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Die Antragsgegnerin tritt dem Eilantrag entgegen.
II
9
Das Bundesverwaltungsgericht ist nach dem gemäß § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG ergangenen Beschluss vom 14. August 2025 für die Entscheidung über den Eilantrag zuständig.
10
Der Eilantrag hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
11
Das Bundesverwaltungsgericht kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Dafür muss der Antragsteller einen Anordnungsgrund und einen Anordnungsanspruch glaubhaft machen (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 1 und 2, § 294 ZPO).
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1. Nicht durchdringen kann die Antragstellerin mit ihrem Hauptantrag.
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Damit verfolgt die Antragstellerin bei verständiger Würdigung des Vorbringens den Zweck, wegen der ablehnenden Haltung der Antragsgegnerin gegenüber ihrem Vorhaben im Eilrechtsschutzverfahren einen richterlichen Ausspruch zu erhalten, der keines Vollzugsaktes der Antragsgegnerin bedarf. Dieser Antrag überschreitet indes das Rechtsschutzziel in der Hauptsache, die auf Verpflichtung zur Erteilung einer Ausnahme für den Zeitraum vom 15. Juli bis zum 30. September 2025 und hilfsweise auf Neubescheidung gerichtet ist. Die Abweichung von der grundsätzlich geltenden Akzessorietät des einstweiligen Rechtsschutzes wäre aber nur veranlasst, wenn anderenfalls effektiver Rechtsschutz nicht zu erlangen wäre (vgl. Dombert, in: Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 8. Aufl. 2025, § 18 Rn. 14 ff. m. w. N.). Der Senat geht indes davon aus, dass die Antragsgegnerin als Teil der an Gesetz und Recht gebundenen vollziehenden Gewalt einer einstweiligen Anordnung Folge leistet, zeitgerecht die im Streit stehende Ausnahme nach § 10 Abs. 1 LanLVO zu erteilen. Sollte diese Erwartung enttäuscht werden, bliebe es der Antragstellerin unbenommen, sich mit dem rechtsschutzintensiveren Hauptantrag erneut an den Senat zu wenden.
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2. Der erste Hilfsantrag ist zulässig und begründet.
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a) Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Sie hat voraussichtlich einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Ausnahme nach § 10 Abs. 1 LanLVO von dem Verbot des § 4 Abs. 1 LanLVO.
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aa) § 4 Abs. 1 LanLVO (Störungen durch Baumaßnahmen) regelt:
"(1) Zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen ist die Ausübung lärmender Bau- und Baunebenarbeiten sowie die Anfuhr bzw. Abfuhr von Baumaterialien, Bauschutt, Aushub u. ä. in der Zeit vom 01. Juni bis zum 30. September eines jeden Jahres ganztägig sowie während der Ruhezeiten des übrigen Jahres verboten. Dies gilt insbesondere für lärmintensive Tätigkeiten wie u.a. Hämmern, Stemmen, Sägen, Bohren, Trennschleifen sowie für den Gebrauch von u.a. elektrisch und benzinbetriebenen Geräten wie z. B. Mischmaschinen, Schredder, Kreissägen, Kompressoren, Hobelmaschinen, Fräsen sowie Bagger, Rüttler."
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§ 10 Abs. 1 und 2 Satz 1 LanLVO (Ausnahmen) bestimmt:
"(1) Die Inselgemeinde Langeoog kann auf Antrag Ausnahmen von den Regelungen der §§ 4 bis 9 dieser Verordnung zulassen, sofern die Interessen der Antragstellerin oder des Antragstellers die durch die Verordnung geschützten öffentlichen und privaten Interessen, insbesondere die Belange des Kurortes, im Einzelfall überwiegen oder ein öffentliches Interesse für eine Ausnahmeerteilung gegeben ist.
(2) Ausnahmen können jederzeit mit Nebenbestimmungen oder einem Widerrufsvorbehalt versehen werden."
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Die beabsichtigten geotechnischen Untersuchungen unterfallen dem nach § 11 LanLVO bußgeldbewehrten Verbot des § 4 Abs. 1 LanLVO (vgl. auch § 2 Nr. 2 Buchst. a LanLVO). Das Kernbohrgerät verursacht in unmittelbarer Nähe Schallemissionen von 80 bis 85 dB(A). Bohr-Unimog oder Bohr-Raupe, die am Strand eingesetzt werden, erzeugen bei laufendem Motor und Bohrbetrieb Schallemissionen von 80 bis 88 dB(A). Die Drucksondierungen verursachen in unmittelbarer Nähe Schallemissionen von 70 bis 75 dB(A). Als Beispiel für ein Transportmittel an Land ist ein Drucksondier-LKW mit zuschaltbarem Raupenantrieb und einem Gewicht von etwa 18 Tonnen vorgesehen, von dem ebenfalls Lärmemissionen ausgehen.
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bb) Die tatbestandlichen Voraussetzungen jedenfalls des § 10 Abs. 1 Alt. 2 LanLVO liegen vor; es ist ein öffentliches Interesse für eine Ausnahmeerteilung gegeben. Dies verkennt der ablehnende Bescheid der Antragsgegnerin.
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Nach § 1 Abs. 3 WindSeeG, § 43 Abs. 3a Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EnWG liegen die Errichtung und der Betrieb von Offshore-Anbindungsleitungen von Gesetzes wegen im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit. Bis die Stromversorgung im Bundesgebiet nahezu treibhausgasneutral ist, soll der beschleunigte Ausbau unter anderem dieser Hochspannungsleitungen als vorrangiger Belang in die jeweils durchzuführende Schutzgüterabwägung eingebracht werden (vgl. § 43 Abs. 3a Satz 2 EnWG). Damit verbunden ist nach dem Willen des Gesetzgebers eine materiell-rechtliche Aufwertung des allgemeinen Beschleunigungsgebots. Das "höchstrangige" Gemeinwohlinteresse an einem beschleunigten Ausbau von Hochspannungsleitungen kann somit nur noch in Ausnahmefällen überwunden werden, d. h. der Abwägungsprozess ist insoweit voreingestellt (vgl. BT-Drs. 20/9187 S. 157). Vorarbeiten im Sinne des § 44 EnWG haben an dieser Priorisierung des beschleunigten Ausbaus teil, so dass für sie ein öffentliches Interesse im Sinne von § 10 Abs. 1 Alt. 2 LanLVO besteht.
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Der ablehnende Bescheid der Antragsgegnerin ist im Übrigen rechtswidrig, weil er auf sachwidrige Erwägungen gestützt ist. Diese sind weder geeignet, das Überwiegen der durch die Lärmschutzverordnung geschützten öffentlichen und privaten Interessen gegenüber den Interessen an den Vorarbeiten darzulegen (vgl. § 10 Abs. 1 Alt. 1 LanLVO), noch können sie die von der Norm verlangte Ermessensentscheidung tragen.
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Die Antragsgegnerin hat zu Unrecht ihre Entscheidung darauf gestützt, dass sie schon im Jahr 2021 die Einrichtung von künftigen Korridoren für Offshore-Anbindungsleitungen im niedersächsischen Küstenmeer abgelehnt hat. Ihre ablehnende Haltung zu solchen Vorhaben weist keinen Bezug zum Lärmschutz auf und stellt für die zu treffende Entscheidung über eine Ausnahme nach § 10 Abs. 1 Alt. 1 LanLVO eine sachfremde Erwägung dar. Auch die Erwägungen, dass die Verlegung der Offshore-Anbindungsleitung unter der Insel hindurch ihrer Auffassung nach wegen des überragenden öffentlichen Interesses des Trinkwasserschutzes, des Wasserschutzgebietes, des Nationalparks Wattenmeer und des UNESCO-Weltnaturerbes rechtswidrig sei, betreffen nicht den Lärmschutz und sind folglich nicht tragfähig. Gleiches gilt für die Ausführungen in der Antragserwiderung zum Trinkwasserschutz, dem Wasserschutzgebiet, dem Natur-, Vogel- und Landschaftsschutz, den Küsten- und Meeresbiotopen, dem Belang der Sedimentgewinnung, den Boden- und Kulturdenkmälern sowie archäologischen Funden, dem Tourismus, dem Baurecht und dem Raumordnungsrecht. Ferner trägt auch der Verweis der Antragsgegnerin auf das auf der Insel allgemein geltende Kraftfahrzeugverbot und die Vorgaben zu Achslasten nicht. Denn Gegenstand des Rechtsschutzbegehrens ist nicht die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO (vgl. Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 Vorschriftszeichen Nr. 260 und Nr. 263), die nach dem Gesetz nicht in die Zuständigkeit der Antragsgegnerin fällt (vgl. § 47 Abs. 2 Nr. 7 StVO und § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZustVO-Verkehr, vgl. Nds. GVBl. 2014 S. 249) und über deren Notwendigkeit und Voraussetzungen gegebenenfalls in einem gesonderten Verwaltungsverfahren zu entscheiden wäre.
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cc) Der Anspruch der Antragstellerin auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens verdichtet sich voraussichtlich zu einem Anspruch auf Erteilung der beantragten Ausnahme.
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Es besteht ein überragendes öffentliches Interesse an dem Vorhaben und damit ein vorrangiges Interesse an dessen beschleunigtem Ausbau bzw. den Vorarbeiten hierzu, welche das Ermessen der Antragsgegnerin schon in Richtung einer Erteilung der Ausnahme steuern. Dazu ist das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin zu berücksichtigen. Die Antragstellerin hat die zeitlichen Restriktionen aufgezeigt, denen sie bei der Durchführung der geotechnischen Untersuchungen unterliegt. Diese sind abhängig von stabilen Wetterbedingungen und erfordern wegen des Transports der Geräte per Schiff für die Untersuchungspunkte am Nordstrand eine gute Erreichbarkeit zur See. Diese Voraussetzungen sind nur in den Sommermonaten gegeben. Ein Beginn der geotechnischen Untersuchungen vor Mitte Juli war der Antragstellerin aus Gründen des Brutvogelschutzes nicht möglich. Bereits am 15. September 2025 beginnt an der Nordsee die bis zum 31. März 2026 dauernde Sturmflutsaison. Stürme und Sturmfluten können die Vorarbeiten für das Vorhaben erheblich behindern und verzögern. Dafür müsste die Antragstellerin Vorkehrungen treffen und Mehraufwand betreiben. Schließlich ist die der Antragstellerin für die geotechnischen Untersuchungen am 30. Juni 2025 erteilte Befreiung von den Verboten des Gesetzes über den Nationalpark "Niedersächsisches Wattenmeer" nach § 17 NWattNPG bis zum 30. September 2025 befristet. Daher müsste die Antragstellerin im Fall der Nichterteilung der Ausnahme im beantragten Zeitfenster für den Zeitraum ab dem 1. Oktober 2025 erneut eine Befreiung erwirken und so einen weiteren Zeitverlust hinnehmen.
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All dem steht kein Belang der Antragsgegnerin gegenüber, welcher die Ablehnung der Ausnahme rechtfertigen könnte. Zwar gilt der Kurort der Antragsgegnerin als ein besonders schutzbedürftiges Gebiet nach § 2 Abs. 2 Satz 2 NLärmSchG. Dass eine Höchstspannungsleitung ein Gebiet berührt, das Erholungszwecken dient, ist indes nicht ungewöhnlich (vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Juni 2024 - 11 A 1.23 - juris Rn. 32 f. und vom 26. März 2025 - 11 A 12.24 - juris Rn. 60).
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Der Lärmschutzbelang erhält auch allein dadurch, dass das Erholungsgebiet den Status eines Kurortes hat, nicht das erforderliche Gegengewicht. Die konkrete Beeinträchtigung des Lärmschutzbelangs ist zudem gering. Die geotechnischen Untersuchungen für das Vorhaben der Antragstellerin beschränken sich auf einen Zeitraum von drei Wochen, wobei an den zwei Punkten am Nordstrand nur an vier Tagen pro Woche und an dem Punkt im südlichen Bereich der Insel an fünf Tagen pro Woche, jeweils unter Aussparung der Wochenenden, gearbeitet werden soll. Auf die Geringfügigkeit des Eingriffs in zeitlicher Hinsicht hat auch keinen Einfluss, dass die im Korridor C6a parallel planende Vorhabenträgerin ebenfalls an drei Punkten (jeweils an fünf Tagen pro Woche) für das eigene Vorhaben Untersuchungen durchführt. Die Intensität des Lärms ist begrenzt. Die Lärmemissionen nehmen mit der Entfernung ab. So liegen die Lärmemissionen des eingesetzten Bohrgeräts in 50 m Entfernung typischerweise unter 60 dB(A), in 100 m Entfernung bei etwa 45 dB(A). Da sich an den Untersuchungspunkten keine Wohnbebauung befindet, können die Inselbewohner und die Kurgäste dem Lärm ausweichen. Die Geräuschbeeinträchtigungen in Bezug auf das von der Antragsgegnerin hervorgehobene beliebte Ausflugslokal sind angesichts der Entfernungen zu den Untersuchungspunkten (935 m, 815 m und 640 m) zu vernachlässigen.
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dd) Das Ermessen ist auch in einer Weise auf Null reduziert, dass nur die Erteilung der beantragten Ausnahme in Betracht kommt. Zwar sieht § 10 Abs. 2 Satz 1 LanLVO unter anderem die Möglichkeit von Nebenbestimmungen zum Lärmschutz vor. Die Durchführung der geotechnischen Untersuchungen ist aber in hohem Maße wetterabhängig. Diese Wetterabhängigkeit gebietet es insbesondere, Phasen guten Wetters flexibel - unabhängig von festen Ruhezeiten - auszunutzen. Auch die Antragsgegnerin hat in ihrem umfangreichen Vorbringen nicht aufgezeigt, ob und gegebenenfalls welche Nebenbestimmungen zum Lärmschutz aus ihrer Sicht erforderlich oder sachgerecht sein könnten. Die von ihr angesprochenen Lärmschutzwände auf der Insel Norderney betreffen allein Horizontalbohrungen für die Unterquerung der Insel, aber nicht die beabsichtigten niederschwelligen Vorarbeiten.
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b) Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ein Zuwarten bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren ist der Antragstellerin unzumutbar, da der Zeitraum für die beantragte Ausnahme vor einer möglichen Entscheidung des Senats über die Klage liegt.
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c) Zwar nimmt der Ausspruch des Senats nach § 123 VwGO die Hauptsache vorweg. Dies ist indes aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes angesichts der Bedeutung des beschleunigten Ausbaus von Offshore-Anbindungsleitungen und den hierfür sonst drohenden Nachteilen geboten. Diese können anders als durch die zeitnahe Erteilung der Ausnahme nicht abgewendet und durch eine Entscheidung des Senats über die Klage nachträglich nicht beseitigt werden (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 19. Oktober 1977 - 2 BvR 42/76 - BVerfGE 46, 166 <179> und vom 25. Oktober 1988 - 2 BvR 745/88 - BVerfGE 79, 69 <74 f.> sowie BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 1997 - 11 VR 3.97 - juris Rn. 13, vom 21. Januar 1999 - 11 VR 8.98 - NVwZ 1999, 650 und vom 27. Januar 2023 - 6 VR 2.22 - NVwZ 2023, 835 Rn. 19).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 155 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über den Wert des Streitgegenstands folgt aus § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 34.2.6 ("gegen Vorbereitungsarbeiten") des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 21. Februar 2025 beschlossenen Änderungen (im Folgenden: Streitwertkatalog 2025). Von der regelhaften Halbierung dieses Werts in dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs 2025 wurde abgesehen, weil es die Hauptsache vorwegnimmt.