Beschluss vom 14.12.2010 -
BVerwG 1 WB 30.10ECLI:DE:BVerwG:2010:141210B1WB30.10.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 14.12.2010 - 1 WB 30.10 - [ECLI:DE:BVerwG:2010:141210B1WB30.10.0]

Beschluss

BVerwG 1 WB 30.10

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
den ehrenamtlichen Richter Major Küpper und
die ehrenamtliche Richterin Oberleutnant Köhler
am 14. Dezember 2010 beschlossen:

Der Antrag wird als unzulässig verworfen.

Gründe

I

1 Der Antragsteller beschwert sich gegen einen Eingriff in sein Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit durch die Regelungen der Zentralen Dienstvorschrift Lebenskundlicher Unterricht (ZDv 10/4 <zE>).

2 Mit Schreiben vom 1. März 2010 an seinen Vorgesetzten, den Leiter des ... der Luftwaffe, beschwerte sich der Antragsteller „gegen den Eingriff in mein Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 3 GG) durch die Regelungen der ZDv 10/4“. Nach dieser Vorschrift sei er verpflichtet, an „Lebenskundlichem Unterricht“ teilzunehmen, der von Geistlichen des Evangelischen Kirchenamtes für die Bundeswehr und des Katholischen Militärbischofsamtes oder anderen berufsethisch besonders qualifizierten Lehrkräften gehalten werde. In der Dienstvorschrift werde zwar betont, dass der Unterricht kein Religionsunterricht und auch keine Form der Religionsausübung sei, de facto handele es sich hierbei jedoch um Religionsunterricht, gehalten von Berufsgeistlichen der beiden größten deutschen Glaubensgemeinschaften. Er, der Antragsteller, sei aufgrund der Zentralen Dienstvorschrift bereits verpflichtet gewesen, an zwei solchen Unterrichten teilzunehmen. Der erste Unterricht sei von einem Pfarrer des Evangelischen Kirchenamtes gehalten worden und der zweite Unterricht von einem katholischen Geistlichen. Beide Unterrichte seien aufgrund der Lehrenden, des Themas, der Inhalte und der verwendeten Unterrichtsmaterialien (meist Filme mit offensichtlich religiösem Handlungsstrang und kirchlicher Beratung/Unterstützung bei der Filmproduktion) eindeutig Religionsunterricht. Er wolle sich ausdrücklich nicht gegen die sinnvolle und nötige berufsethische Weiterqualifizierung der Streitkräfte in den Bereichen Ethik und Moral sowie in Bereichen der Grund- und Menschenrechte auf der Basis des Grundgesetzes beschweren, jedoch beschwere er sich nachdrücklich gegen einen religiös angereicherten, verpflichtenden Unterricht durch Berufsgeistliche und den daraus resultierenden, verfassungswidrigen Einfluss zweier Kirchen auf die Ausbildung der Streitkräfte.

3 Der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 -, dem die Beschwerde zuständigkeitshalber zugeleitet wurde, teilte dem Antragsteller mit Erläuterungsschreiben vom 16. April 2010 mit, dass die ZDv 10/4 (zE) im Januar 2009 durch den Bundesminister unterzeichnet und für die Dauer einer Erprobungsphase von drei Jahren in Kraft gesetzt worden sei. Da der Minister keinen Disziplinarvorgesetzten habe, der über eine gegen ihn gerichtete Beschwerde entscheiden könnte, könne insoweit nur ein Antrag auf Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht gestellt werden. Der Antragsteller werde daher um Mitteilung gebeten, ob seine Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt werden solle, der Rechtsbehelf als Änderungsvorschlag an das Streitkräfteamt weitergeleitet werden solle oder die Beschwerde als erledigt betrachtet werden könne.

4 Mit Schreiben vom 30. April 2010 teilte der Antragsteller mit, er wünsche, dass seine Beschwerde als Antrag auf gerichtliche Entscheidung gewertet und dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt werde. Zur Begründung wiederholte er im Wesentlichen den Inhalt des Beschwerdeschreibens und führte weiter aus, die Rechtsauffassung des Bundesministers der Verteidigung - PSZ I 7 -, dass er, der Antragsteller, als einzelner Soldat nicht unmittelbar beschwert sei, teile er nicht. Dienstvorschriften seien dienstliche Anweisungen. Das treffe auch auf die ZDv 10/4 (zE) zu. Laut Definition sei ein Befehl eine Anweisung zu einem bestimmten Verhalten, die ein militärischer Vorgesetzter einem Untergebenen schriftlich, mündlich oder in anderer Weise, allgemein oder für den Einzelfall und mit dem Anspruch auf Gehorsam erteile. Die ZDv 10/4 (zE) sei also eine Anweisung zu einem bestimmten Verhalten, unterzeichnet und in Kraft gesetzt von dem höchsten Disziplinarvorgesetzten. Er, der Antragsteller, sei daher nach § 11 SG zum Gehorsam verpflichtet und deswegen direkt betroffen und auch beschwert.

5 Der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - hat den Antrag mit Schreiben vom 30. Juni 2010 dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

6 Zur Begründung seines Antrags hat der Antragsteller im Wesentlichen sein Vorbringen gegenüber dem Bundesminister der Verteidigung wiederholt und vertieft.

7 Der Bundesminister der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.

8 Er hält den Antrag für unzulässig, weil der Antragsteller durch die Regelungen der ZDv 10/4 nicht unmittelbar in seinen Rechten betroffen werde. Ausweislich eines Schreibens des Leiters des ... der Luftwaffe vom 1. März 2010, mit dem die Beschwerde auf dem Dienstweg vorgelegt worden sei, habe der Antragsteller gegenüber dem Dienststellenleiter erklärt, dass er sich durch die Regelungen der ZDv 10/4 und ausdrücklich nicht durch die tatsächliche Durchführung des Lebenskundlichen Unterrichts durch die dortigen Vertreter der Kirchen beschwert fühle.

9 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministers der Verteidigung - PSZ I 7 - ... - und die Personalgrundakte des Antragstellers haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

II

10 Der Antragsteller hat in seinem Schreiben vom 30. April 2010 lediglich den - prozessualen - Antrag auf gerichtliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts gestellt, ohne indessen einen konkreten Sachantrag zu formulieren. Dies ist auch im gerichtlichen Verfahren nicht nachgeholt werden.

11 Sein Vorbringen ist dahin auszulegen, dass er die Aufhebung bzw. Änderung der ZDv 10/4 (zE) beantragt, soweit darin die Erteilung des Unterrichts durch Geistliche der Evangelischen und Katholischen Kirche oder sonstige Beteiligung der beiden Kirchen in der Festlegung des Themenkatalogs für den Unterricht vorgesehen ist.

12 Der Antrag ist unzulässig.

13 Nach § 17 Abs. 1 WBO kann ein Soldat die Wehrdienstgerichte anrufen, wenn sein Antrag bzw. seine Beschwerde eine Verletzung seiner Rechte oder eine Verletzung von Vorgesetztenpflichten ihm gegenüber zum Gegenstand hat, die im zweiten Unterabschnitt des 1. Abschnitts des Soldatengesetzes mit Ausnahme der §§ 24, 25, 30 und 31 geregelt sind. Daraus folgt, dass der Soldat nur solche Maßnahmen und Unterlassungen (§ 17 Abs. 3 WBO) seiner militärischen Vorgesetzten einer gerichtlichen Überprüfung unterziehen kann, die unmittelbar gegen ihn gerichtet sind oder die, obwohl an andere Soldaten gerichtet, in Form einer Rechtsverletzung oder eines Pflichtenverstoßes in seine Rechtssphäre hineinwirken (stRspr vgl. Beschlüsse vom 6. September 1990 - BVerwG 1 WB 109.89 - BVerwGE 86, 316, vom 4. März 2004 - BVerwG 1 WB 51.03 - m.w.N. und zuletzt vom 27. Mai 2009 - BVerwG 1 WB 18.09 -). Wendet sich ein Antragsteller gegen eine Regelung des Bundesministers der Verteidigung, die ausschließlich an seine Vorgesetzten oder an andere Dienststellen der Bundeswehr gerichtet ist, ohne ihn konkret und unmittelbar in eigener Person zu treffen, ist dieser Antrag auf gerichtliche Entscheidung unzulässig. Denn eine vom Einzelfall losgelöste allgemeine Nachprüfung von Anordnungen, Erlassen oder Verwaltungsvorschriften des Bundesministers/des Bundesministeriums der Verteidigung auf ihre Rechtmäßigkeit im Sinne eines Normenkontrollverfahrens ist der Wehrbeschwerdeordnung fremd (stRspr, Beschlüsse vom 25. Oktober 2000 - BVerwG 1 WB 84.00 - BVerwGE 112, 133 = Buchholz 311 § 17 WBO Nr. 41, vom 8. Mai 2001 - BVerwG 1 WB 25.01 - Buchholz 311 § 17 WBO Nr. 42 = NZWehrr 2001, 164 und zuletzt vom 27. Mai 2009 - BVerwG 1 WB 18.09 ). Das Wehrbeschwerdeverfahren dient nicht dazu, das Handeln oder die Anordnungen bzw. Erlasse der zuständigen Vorgesetzten im Allgemeinen zu überprüfen, sondern setzt vielmehr einen auf einer truppendienstlichen Maßnahme oder Unterlassung beruhenden unmittelbaren Eingriff in die Rechte des Soldaten voraus (Beschlüsse vom 25. Oktober 2000 a.a.O. und vom 8. Mai 2001 a.a.O.).

14 Nach diesen Maßstäben handelt es sich bei den vom Antragsteller angegriffenen Regelungen der ZDv 10/4 (zE) nicht um anfechtbare truppendienstliche Maßnahmen im Sinne des § 17 Abs. 1, Abs. 3 WBO. Nach Nr. 3 der Vorbemerkungen zur ZDv 10/4 (zE) wendet sich die Vorschrift an alle Vorgesetzten, insbesondere die Disziplinarvorgesetzten, an die Militärseelsorger und Militärseelsorgerinnen sowie gegebenenfalls an andere berufsethisch besonders qualifizierte Lehrkräfte. Sie sollen den Lebenskundlichen Unterricht nach den näheren Regelungen der Zentralen Dienstvorschrift organisieren und durchführen (vgl. Nr. 104 Satz 3 und Nr. 207 ZDv 10/4 <zE>). Für den einzelnen Soldaten ergeben sich Pflichten erst daraus, dass sein Vorgesetzter einen von ihm im Zusammenwirken mit den Lehrkräften organisierten konkreten Unterrichtstermin mit einem bestimmten Thema und einer bestimmten Lehrkraft unter Bildung einer bestimmten Unterrichtsgruppe (Nrn. 202 und 203 der ZDv 10/4 <zE>) festsetzt und die betroffenen Soldaten zur Teilnahme verpflichtet (Nr. 201 ZDv 10/4 <zE>). Erst diese konkrete Teilnahmeverpflichtung - z.B. durch Befehl oder Anordnung zur Teilnahme an einem Seminar (Nr. 204 ZDv 10/4 <zE>) - stellt für den einzelnen Soldaten eine Maßnahme im Sinne des § 17 Abs. 1 WBO dar. Soweit in der ZDv 10/4 (zE) die verpflichtende Teilnahme vorgesehen ist, bildet dies nur die Grundlage für die im Einzelfall erfolgende Bestimmung durch den Vorgesetzten.

15 Soweit der Soldat meint, durch die Verpflichtung zur Teilnahme und/oder die konkrete Gestaltung des Unterrichts in seinen Rechten verletzt zu sein, kann er dagegen Beschwerde einlegen. Der Antragsteller hat aber ausweislich des Schreibens seines Dienststellenleiters erklärt, dass er sich gegen die konkrete Durchführung des Unterrichts gerade nicht beschweren will. Dieser Mitteilung des Dienststellenleiters ist der Antragsteller nicht entgegengetreten. Im Übrigen wäre für eine solche Beschwerde, worauf der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - zu Recht hinweist, nicht die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts, sondern nach Beschwerde und weiterer Beschwerde ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung durch das Truppendienstgericht gegeben.

16 Der Antragsteller ist nicht mit Verfahrenskosten zu belasten, weil der Senat die Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 i.V.m. § 20 Abs. 2 WBO nicht als gegeben erachtet.