Beschluss vom 15.07.2021 -
BVerwG 9 B 45.20ECLI:DE:BVerwG:2021:150721B9B45.20.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 15.07.2021 - 9 B 45.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:150721B9B45.20.0]

Beschluss

BVerwG 9 B 45.20

  • VG Halle - 13.11.2018 - AZ: 4 A 197/16 HAL
  • OVG Magdeburg - 16.06.2020 - AZ: OVG 4 L 7/19

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. Juli 2021
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Bick, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Martini und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Sieveking
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 16. Juni 2020 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 75 319,40 € festgesetzt.

Gründe

1 Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Diese Voraussetzungen erfüllt die von der Klägerin aufgeworfene Frage
"Ist § 171 Abs. 3a Satz 1 HS 1 AO dahingehend auszulegen, dass ein Bescheid, der nach Ablauf einer gesetzlich bestimmten Höchstfrist der Festsetzung einer Abgabe im Verlauf eines nicht abgeschlossenen Klageverfahrens gegen den Ausgangsbescheid ergeht und durch diesen eine höhere Abgabe, als der im Klageverfahren zur Prüfung anstehende Ausgangsbescheid beinhaltet hat, festgesetzt wird, während der durch das Klageverfahren bestimmten Ablaufhemmung oder aber in verjährter Zeit erlassen wird?"
nicht. Sie könnte in einem Revisionsverfahren nicht geklärt werden, weil sie der Sache nach die Auslegung irrevisiblen Landesrechts betrifft.

3 Die Klägerin bezieht sich mit ihrer Grundsatzfrage auf die Argumentation des Oberverwaltungsgerichts, wonach die Frist des § 13b Satz 1 KAG LSA, die die zeitliche Obergrenze für eine Abgabenfestsetzung bestimmt, nach § 171 Abs. 3a Satz 1 AO nicht abläuft, bevor über die Anfechtung des fristgemäß erlassenen Ausgangsbescheids unanfechtbar entschieden ist, und eine Abänderung des Bescheids, auch eine Verböserung, bis zu dieser unanfechtbaren Entscheidung zulässig ist (UA S. 15). Das Oberverwaltungsgericht hat deshalb mehrere Bescheide, mit denen die ursprünglich angefochtenen Beitragsbescheide geändert und höhere Beiträge festgesetzt wurden und die zwar nach Ablauf der in § 13b Satz 1, § 18 Abs. 2 KAG LSA genannten Höchstfristen, aber noch vor dem rechtskräftigen Abschluss der gegen die Ausgangsbescheide erhobenen Klage erlassen wurden, nicht unter dem Gesichtspunkt der Festsetzungsverjährung beanstandet.

4 Diesen Begründungsansatz will die Klägerin mit der aufgeworfenen Grundsatzfrage zur Überprüfung durch das Revisionsgericht stellen. Er betrifft jedoch die Auslegung und Anwendung des Kommunalabgabenrechts des Landes Sachsen-Anhalt und damit irrevisibles Landesrecht. Denn es geht, wie das Oberverwaltungsgericht anführt, um die Auslegung des § 13b Satz 2 KAG LSA. Soweit in diesem Zusammenhang die Vorschrift des § 171 Abs. 3a AO genannt wird, beruht dies auf der in § 13b Satz 2 i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG LSA angeordneten entsprechenden Geltung von § 169 Abs. 1 Satz 3 und § 171 AO mit gewissen Maßgaben. Die Vorschriften der Abgabenordnung gelangen damit nicht unmittelbar innerhalb des vom Bundesgesetzgeber bestimmten Geltungsbereichs zur Anwendung, sondern werden lediglich durch die landesrechtlichen Verweisungsregelungen für entsprechend anwendbar erklärt und damit kraft des Rechtsanwendungsbefehls des Landesgesetzgebers in das Landesrecht inkorporiert; sie teilen deshalb dessen Rechtscharakter und sind insoweit ebenfalls nicht revisibel (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 14. August 2019 - 9 B 13.19 - Buchholz 346 LandesVerwVollstrR Nr. 6 Rn. 6 m.w.N.). An die vom Oberverwaltungsgericht vorgenommene Auslegung des § 13b Satz 2 KAG LSA ist das Bundesverwaltungsgericht in einem Revisionsverfahren nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO gebunden.

5 Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache wird auch nicht dadurch dargelegt, dass die Klägerin die Frage "der Verfassungsmäßigkeit der Festsetzung eines erhöhten Herstellungsbeitrags II nach Ablauf der gesetzlich höchsten Festsetzungsfrist des 31. Dezember 2015" anspricht. Dass die Auslegung und Anwendung des Landesrechts mit Bundes- oder Verfassungsrecht in Übereinstimmung stehen muss, macht das Landesrecht selbst noch nicht revisibel. Mit der Rüge einer fehlenden oder unzureichenden Beachtung von Bundes(verfassungs)recht bei der Auslegung und Anwendung von Landesrecht lässt sich die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur dann begründen, wenn gerade die Auslegung der bundesrechtlichen Normen ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 28. Juli 2015 - 9 B 17.15 - NVwZ-RR 2015, 906 Rn. 5 m.w.N. und vom 8. April 2021 - 9 B 28.20 - NVwZ 2021, 647 Rn. 9). Dass dies hier der Fall wäre, ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht.

6 In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass das im verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit verankerte Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit Regelungen verlangt, die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können (vgl. grundlegend BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143). Die Verfassungsgemäßheit der durch die Bestimmungen in § 13b und § 18 Abs. 2 KAG LSA geschaffenen Rechtslage im Land Sachsen-Anhalt ist vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, Beschluss vom 8. März 2017 - 9 B 19.16 - Buchholz 11 Art. 20 GG Nr. 227) und nachfolgend dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Kammerbeschluss vom 16. September 2020 - 1 BvR 1185/17 - LKV 2020, 457) bestätigt worden. Das Oberverwaltungsgericht hat in seinem Urteil näher aufgeführt, dass und warum es seine Auslegung als mit dem Grundsatz der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit vereinbar ansieht, und darauf abgestellt, dass keine zeitlich unbegrenzte Festsetzbarkeit oder Abänderbarkeit der Anschlussbeiträge gegeben sei, sondern der Beitragspflichtige innerhalb eines für ihn noch zumutbaren Zeitrahmens Klarheit über seine Belastung gewinne, wobei zu beachten sei, dass erst der Beitragspflichtige durch seine Anfechtung das Beitragserhebungsverfahren offengehalten habe (UA S. 15). Mit dieser Argumentation setzt sich die Beschwerde nicht auseinander.

7 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3, § 39 Abs. 1 GKG und berücksichtigt, dass die Klägerin hinsichtlich einiger der ursprünglich angefochtenen Abgabenbescheide im Berufungsverfahren obsiegt und nur die übrigen Bescheide zum Gegenstand ihrer Nichtzulassungsbeschwerde gemacht hat.