Urteil vom 16.08.2006 -
BVerwG 8 C 14.05ECLI:DE:BVerwG:2006:160806U8C14.05.0
Leitsatz:
Das in § 6 Abs. 1a Satz 2 VermG festgelegte Quorum findet nur auf solche geschädigten Unternehmensträger Anwendung, die durch oder infolge der Schädigung untergegangen sind. Der noch existente Unternehmensträger oder sein Rechtsnachfolger bedarf für die Anmeldung vermögensrechtlicher Ansprüche keines Quorums.
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Rechtsquellen
VermG § 2 Abs. 1 Satz 1, § 6 Abs. 1a Satz 1, § 6 Abs. 1a Satz 2, § 6 Abs. 1a Satz 4 -
Instanzenzug
VG Gera - 18.11.2004 - AZ: VG 6 K 757/03 GE
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Zitiervorschlag
BVerwG, Urteil vom 16.08.2006 - 8 C 14.05 - [ECLI:DE:BVerwG:2006:160806U8C14.05.0]
Urteil
BVerwG 8 C 14.05
- VG Gera - 18.11.2004 - AZ: VG 6 K 757/03 GE
In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 16. August 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pagenkopf,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Postier und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser
für Recht erkannt:
- Die Revisionen der Klägerinnen gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 18. November 2004
- werden zurückgewiesen.
- Die Klägerinnen tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Gründe
I
1 Die Beteiligten streiten um die Feststellung der Berechtigung an einem ehemaligen Unternehmensteil einer Aktiengesellschaft.
2 Im Jahre 1922 wurde die Theodor K. & Söhne AG mit Sitz in München gegründet. Gegenstand des Unternehmens waren der Betrieb von Sägewerken und der Holzgroßhandel. Im Jahre 1938 errichtete die Gesellschaft in G. eine Zweigniederlassung.
3 Am 25. Januar 1946 wurde die Zweigniederlassung auf der Grundlage des SMAD-Befehls Nr. 124 unter Sequestration gestellt, anschließend auf die Freigabeliste „B“ gesetzt und im Jahre 1948 an die Theodor K. & Söhne AG zurückgegeben. Am 22. Juni 1951 beschloss die Landeskommission beim Ministerium für Land- und Forstwirtschaft, dass der Grundbesitz in G. unter die Bodenreform gefallen sei. Ein entsprechender Feststellungsbescheid des Ministeriums des Innern datiert vom 5. Juli 1951. Die Umschreibung im Grundbuch geschah am 21. Juli 1951; die Zweigniederlassung G der Firma K. & Söhne AG wurde am 2. Mai 1952 im Handelsregister des Amtsgerichts Arnstadt gelöscht.
4 In der Hauptversammlung vom 20. November 1972 beschlossen die Aktionäre der Theodor K. & Söhne AG die Umwandlung der Gesellschaft in eine Kommanditgesellschaft. Die Eintragung dieser Änderung im Handelsregister beim Amtsgericht München geschah am 7. Dezember 1972. Von diesem Zeitpunkt an firmierte die Gesellschaft als Theodor K. & Söhne GmbH & Co. KG. Am 19. Dezember 1989 wurde die Auflösung der Gesellschaft beschlossen. Zum Liquidator wurde Hans G. bestellt, der am 9. Oktober 1990 vermögensrechtliche Ansprüche hinsichtlich der Zweigniederlassung in G. anmeldete.
5 Am 18. November 1991 trat die K. & Söhne GmbH & Co. KG i.L. ihre vermögensrechtlichen Ansprüche an die Beigeladene ab und wurde am 8. März 1995 im Handelsregister gelöscht.
6 Das Thüringer Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen lehnte den Antrag auf Rückübertragung des Unternehmens zunächst mit Bescheid vom 26. Februar 1997 ab, nahm danach den Bescheid aber wieder zurück und stellte mit Bescheid vom 23. Juli 2003 die vermögensrechtliche Berechtigung der Beigeladenen am Zweigwerk der ehemaligen Theodor K. & Söhne AG in G. fest.
7 Im anschließenden Gerichtsverfahren hat die Klägerin zu 1 zur Begründung ihrer Klage im Wesentlichen vorgetragen: Die Aufnahme des Betriebes in die Liste B schließe eine Enteignung im Sinne von § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG noch nicht aus. Den deutschen Behörden sei es unbenommen gewesen, aufgrund weiterer Prüfung zu einem anderen Ergebnis zu gelangen. Die Klägerin zu 2 hat vorgetragen, wegen der Liquidation der Kommanditgesellschaft sei der Antrag nicht von einem werbend tätigen Unternehmensträger gestellt worden. Die Anmeldung des Anspruchs auf Unternehmensrestitution setze daher die Erfüllung des Quorums nach § 6 Abs. 1a Satz 2 VermG voraus. Die Anmeldung durch einen Abwickler genüge nicht den Anforderungen an eine wirksame Anmeldung.
8
Die Klägerinnen haben beantragt,
den Bescheid des Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 23. Juli 2003 aufzuheben.
9
Der Beklagte und die Beigeladene haben beantragt,
die Klagen abzuweisen.
10 Der Beklagte hat hierzu vorgetragen, dass die Behörden selbst noch Anfang der fünfziger Jahre von der Notwendigkeit der Durchführung einer Enteignung ausgegangen seien. Nach Auffassung der Beigeladenen finden die Quorumsregelungen von § 6 Abs. 1a Satz 2 VermG hier auf die Anmeldung der Kommanditgesellschaft in Liquidation keine Anwendung.
11 Das Verwaltungsgericht hat die Klagen mit Urteil vom 18. November 2004 abgewiesen. Bei der K. & Söhne GmbH & Co. KG i.L. habe es sich um die Gesamtrechtsnachfolgerin der geschädigten Theodor K. & Söhne AG gehandelt. Wegen der Gesamtrechtsnachfolge sei die Kommanditgesellschaft in die Rechtsposition als Geschädigter hinsichtlich des Zweigwerks in G. eingetreten. Sie habe deshalb die vermögensrechtlichen Ansprüche an die Beigeladene abtreten können. Auch liege eine wirksame Anmeldung des Anspruchs vor.
12 Auf eine werbende Tätigkeit oder die Erfüllung des Quorums sei es hierbei nicht angekommen; denn § 6 Abs. 1a Satz 2 bis 4 VermG erfasse nur solche Unternehmensträger, die infolge der Schädigung untergegangen seien. Der Anwendungsbereich von § 6 Abs. 1a Satz 4 VermG sei auf Spalt- und Restgesellschaften beschränkt.
13 Die entschädigungslose Enteignung sei nicht im Rahmen der Bodenreform erfolgt. Ob die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme nach den Regelungen der Bodenreform vorgelegen hätten, sei nicht entscheidend. Denn jedenfalls sei ein konkreter Zugriff nach diesen Bestimmungen nicht zu erkennen.
14
Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Revision machen die Klägerinnen einen Verstoß gegen § 6 Abs. 1a Satz 4 VermG geltend. Sie beantragen,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 18. November 2004 sowie den Bescheid des Beklagten vom 23. Juli 2003 aufzuheben.
15
Der Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Revisionen zurückzuweisen.
16 Sie treten dem angefochtenen Urteil bei, und meinen, die Quorumsregelung von § 6 Abs. 1a Satz 2 VermG fände auf den Restitutionsanspruch einer Gesellschaft mit Sitz in Westdeutschland keine Anwendung.
II
17 Die Revisionen der Klägerinnen sind unbegründet. Das angefochtene Urteil beruht auf keiner Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Entgegen der Revisionsbegründung musste die Firma K. & Söhne AG nicht durch Anmeldung der Gesellschafter nach § 6 Abs. 1a Satz 2 VermG wieder aufleben (1.), noch musste die Fa. Theodor K. & Söhne GmbH & Co KG i.L. bei Anmeldung des Restitutionsanspruchs noch werbend tätig gewesen sein (2.). Das Verwaltungsgericht konnte zu Recht davon ausgehen, dass die Anmeldung der Restitution wirksam ist (3.). Gegen seine Annahme, dass die Schädigung nicht auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage beruhte, ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern (4.).
18 1. Eine nach Wortlaut, systematischem Zusammenhang und teleologischem Verständnis vorgenommene Auslegung ergibt, dass das in § 6 Abs. 1a Satz 2 VermG festgelegte Quorum nur auf solche geschädigten Unternehmensträger Anwendung findet, die durch oder infolge der Schädigung untergegangen sind. Der noch existente Unternehmensträger bzw. sein Rechtsnachfolger bedarf für die Anmeldung vermögensrechtlicher Ansprüche keines Quorums.
19 Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift besteht der geschädigte Unternehmensträger als in Auflösung befindlich fort, wenn die im Zeitpunkt der Schädigung vorhandenen Gesellschafter oder Mitglieder oder Rechtsnachfolger dieser Personen, die mehr als 50 v.H. der Anteile oder Mitgliedschaftsrechte auf sich vereinen und namentlich bekannt sind, einen Anspruch auf Rückgabe des Unternehmens oder von Anteilen oder Mitgliedschaftsrechten des Berechtigten angemeldet haben. Bereits diese Formulierung legt den Schluss nahe, dass der Fortbestand an einen untergegangenen Unternehmensträger anknüpft.
20 Aus dem Sachzusammenhang, wie er sich aus dem Gefüge von § 6 Abs. 1a VermG erschließt, wird ferner deutlich, dass das Vorliegen des Quorums nicht generell unerlässliche Voraussetzung für eine Anspruchsberechtigung ist. Das Vermögensgesetz enthält vielmehr unterschiedliche Bestimmungen für die Rückgabe von Unternehmen: Satz 1 dieser Vorschrift bestimmt als Grundregel, dass anmeldeberechtigt ist, wer von der Schädigung betroffen wurde. Dabei wird diese Aussage durch die allgemeine Regelung in § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG ergänzt, wonach auch dessen Rechtsnachfolger Ansprüche geltend machen kann. Wenn indes der geschädigte Unternehmensträger untergegangen ist, regelt Satz 2 dieser Vorschrift mit seiner Bestimmung über das Quorum, wem dann der Anspruch zuzuordnen ist. Allerdings gilt diese Ersatzregelung bei sog. Spalt- und Restgesellschaften nicht; denn sie werden durch Satz 4 - wenn sie werbend tätig sind - von der Quorumsregelung ausgenommen. Sie sind selbst anmeldeberechtigt, weil sie selbst nicht direkt geschädigt wurden, gelten sie doch als erst durch die Schädigung entstanden (hierzu anschließend unter Nr. 2).
21 Unter Einbeziehung ihres Zieles und Zweckes bestätigt sich, dass die Quorumsregelung keine Grundvoraussetzung für die Berechtigtenfeststellung darstellt. Ihr Bedeutungsgehalt liegt darin, dass für den Restitutionsanspruch ein Zuordnungssubjekt geschaffen und zugleich Klarheit innerhalb der Anmeldefrist erreicht wird, ob eine Mehrheit der Gesellschafter im Falle einer Rückgabe das Unternehmen fortführen will (vgl. Urteil vom 11. März 2004 - BVerwG 7 C 61.02 - Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 60 S. 118 <122 ff.>). Weder das Ziel der Regelung noch ihr Zweck kann bei fortexistierenden Unternehmensträgern oder ihren Rechtsnachfolgern Bedeutung erlangen; denn ein Zuordnungssubjekt ist in diesen Fällen bereits vorhanden, und die Gesellschafterinteressen sind in dem Unternehmensträger gebündelt. Eine „Wiederbelebung“ des geschädigten Unternehmensträgers ist deshalb nicht erforderlich (Urteil vom 26. September 2001 - BVerwG 8 C 11.00 - BVerwGE 115, 152 <156 f.> = Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 61). Sie könnte auch firmen- und sonstige gesellschaftsrechtliche Probleme aufwerfen, wenn neben dem existenten Unternehmer noch eine sog. Lazarus-Gesellschaft mit dem zum Zeitpunkt der Schädigung vorhandenen Gesellschafterbestand entstehen müsste.
22 2. Die Auffassung der Klägerinnen, nur ein noch werbend tätiger Unternehmensträger habe einen Anspruch auf Restitution, trifft ebenfalls nicht zu. Zwar verfolgt das Vermögensgesetz mit den Regelungen über die Unternehmensrestitution das Ziel, lebensfähige Unternehmenseinheiten zu erhalten. Die Übertragung eines Unternehmens auf eine in Liquidation befindliche Gesellschaft steht dem jedoch nicht entgegen; denn sie ist keinesfalls mit der Zerschlagung des Unternehmens gleichzusetzen. Vielmehr hat ein Unternehmensträger in Liquidation verschiedene Möglichkeiten, über ein Unternehmen zu verfügen. Er kann auch eine Fortsetzung der Geschäftstätigkeit beschließen. Nichts anderes wird von dem Unternehmensträger erwartet, der nach § 6 Abs. 1a Satz 2 VermG als in Auflösung befindlich wiederbelebt wird.
23 § 6 Abs. 1a Satz 1 VermG verlangt demgemäß auch keine werbende Tätigkeit des geschädigten Unternehmers.
24 Für die Gegenansicht der Klägerinnen streitet nicht die Regelung in § 6 Abs. 1a Satz 4 VermG, wonach Gesellschaften nur anmeldeberechtigt sind, wenn sie „werbend tätig sind“. Diese Regelung ist zugeschnitten auf Gesellschaften, deren Existenz im Hinblick auf außerhalb der DDR belegenes und daher auch von schädigenden Maßnahmen in der DDR nicht betroffenes Vermögen als Restgesellschaft (so bei der Vollenteignung des Unternehmensträgers mit Sitz in der DDR) oder als Spaltgesellschaft (so bei der Enteignung von deren Mitgliedschaftsrechten) fingiert wird (vgl. Beschluss vom 12. Juli 1996 - BVerwG 7 B 171.96 - Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 21 und Urteil vom 11. Dezember 1997 - BVerwG 7 C 69.96 - Buchholz a.a.O. Nr. 31 unter Hinweis auf BGHZ 33, 195 <199>). Die Gleichsetzung der fingierten mit der fortexistierenden Gesellschaft erschien dem Gesetzgeber dann gerechtfertigt, wenn hinsichtlich des nicht im Beitrittsgebiet befindlichen Vermögenswertes eine nach außen hin erkennbare wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet worden ist. Ohne werbende Tätigkeit steht zu vermuten, dass die schädigende Maßnahme am Unternehmen die Handlungsfähigkeit des Unternehmers insgesamt, also auch mit seinem Vermögen jenseits des Gebietes der DDR getroffen hatte und er deshalb der „Wiederbelebung“ gemäß § 6 Abs. 1a Satz 2 VermG bedarf. Eine vergleichbare Situation liegt hier nicht vor. Trotz der mit Bescheid vom 5. Juli 1951 verlautbarten Enteignung ihres Zweigwerkes hatte die Theodor K. & Söhne AG mit ihren Unternehmungen im alten Bundesgebiet fortbestanden. Erst die Umwandlung im Jahre 1972 hat sie - unabhängig von der Schädigung - in der Firma K. & Söhne GmbH & Co. KG aufgehen lassen. Die Konsequenzen, die daraus im Hinblick auf die Befugnis zu ziehen sind, wegen dieser Schädigung vermögensrechtliche Ansprüche stellen zu dürfen, sind nicht dem öffentlich-rechtlichen Vermögensrecht, sondern dem Gesellschaftsrecht zu entnehmen.
25 3. Das Verwaltungsgericht hat ferner zutreffend angenommen, dass die Anmeldung des Restitutionsanspruchs durch die Firma Theodor K. & Söhne GmbH & Co. KG i.L. wirksam ist. Der Antrag erfolgte im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG durch den Rechtsnachfolger des geschädigten Trägers der Zweigniederlassung, der Firma Theodor K. & Söhne AG. Mit der im Jahre 1972 beschlossenen Umwandlung ging das Vermögen der Aktiengesellschaft im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die anmeldende Gesellschaft gemäß § 20 i.V.m. § 3 des Umwandlungsgesetzes i.d.F. vom 6. November 1969 (BGBl I 2081) über. Die Kommanditgesellschaft war damit hinsichtlich der entzogenen Vermögenswerte in die Rechtsposition der geschädigten Aktiengesellschaft eingetreten (vgl. Beschluss vom 20. Mai 2003 - BVerwG 8 B 36.03 - Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 73).
26 4. Frei von Bedenken ist schließlich die Annahme der Vorinstanz, dass eine schädigende Maßnahme gemäß § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG vorliegt, die nicht auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage gemäß § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG beruht hat. Hiergegen sind Revisionsgründe nicht vorgebracht, und ein Bundesrechtsverstoß ist nicht ersichtlich.
27 Die Kostenentscheidung, die sich auf die Kosten des Revisionsverfahrens bezieht, beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO.