Beschluss vom 16.10.2025 -
BVerwG 8 B 21.25ECLI:DE:BVerwG:2025:161025B8B21.25.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 16.10.2025 - 8 B 21.25 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:161025B8B21.25.0]
Beschluss
BVerwG 8 B 21.25
- VG Greifswald - 26.03.2025 - AZ: 5 A 1995/21 HGW
In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 16. Oktober 2025 durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hoock und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller beschlossen:
- Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 26. März 2025 wird zurückgewiesen.
- Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1 Der Kläger ist als Verfolgter im Sinne des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes (BerRehaG) anerkannt. Er begehrt nach teilweise stattgebender Entscheidung über seinen Antrag auf Ausgleichsleistungen vom 21. Juni 2021 solche Leistungen auch für die Monate April bis November 2020. Die Beklagte lehnte den Antrag insoweit ab. Das Verwaltungsgericht hat sie verpflichtet, dem Kläger die begehrte Ausgleichsleistung nach § 8 Abs. 1 BerRehaG auch für den Zeitraum vom 1. April 2020 bis zum 30. November 2020 zu bewilligen. Zwar habe der Kläger einen förmlichen Antrag erst im Juni 2021 gestellt, jedoch könne er einen früheren Leistungsbeginn im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verlangen. Dessen Voraussetzungen seien gegeben, weil die von der Rehabilitierungsbehörde im Antragsformular zum Grundantrag erteilte Auskunft zum frühestmöglichen Leistungsbeginn unrichtig gewesen sei. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.
2 Die dagegen gerichtete Beschwerde der Beklagten, welche die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) geltend macht, hat keinen Erfolg.
3 1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlich klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Januar 2019 - 8 B 37.18 - ZfWG 2019, 262 Rn. 4 m. w. N.). Der Rechtsmittelführer hat darzulegen, dass diese Voraussetzungen vorliegen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Daran fehlt es hier.
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Die von der Beklagten aufgeworfene Frage,
ob eine von der Rehabilitierungsbehörde erteilte falsche Auskunft zu dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch führt,
bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sind die für das Sozialrecht entwickelten Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs auf Leistungen nach dem Dritten Abschnitt des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes anzuwenden. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch greift ein, wenn ein Leistungsberechtigter in einem bestehenden oder angebahnten Sozialrechtsverhältnis, das auf einem Anspruch auf Sozialleistung beruht, durch die Verletzung sozialrechtlicher Pflichten einen Nachteil erlitten hat. Dabei kann es sich um die Verletzung von Nebenpflichten wie diejenigen zur Auskunft, Betreuung und Beratung (§§ 14, 15 SGB I) handeln. Diese sozialrechtlichen Nebenpflichten treffen auch die Rehabilitierungsbehörde, obwohl sie nicht selbst der Leistungsträger ist, dem gegenüber nach § 14 Satz 2 SGB I die Rechte aus § 8 Abs. 1 BerRehaG geltend zu machen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2011 - 3 C 36.10 - BVerwGE 140, 103 Rn. 17 f. und 21). Darüber hinaus ist geklärt, dass die behördliche Auskunft vollständig, eindeutig und richtig sein muss (vgl. BSG, Urteil vom 23. Juni 1977 - 8 RU 36/77 - BSGE 44, 114 <121> m. w. N.). Weitergehenden Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf. Die verwaltungsgerichtliche Subsumtion unter diese Rechtssätze im konkreten Fall kann nicht Gegenstand der Grundsatzrüge sein.
5 2. Die Revision ist nicht wegen einer Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Der Zulassungsgrund der Divergenz ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder eines anderen der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen abstrakten Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das bloße Aufzeigen einer vermeintlich fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung solcher Rechtssätze genügt den Darlegungsanforderungen an eine Divergenzrüge nicht (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 17. April 2025 - 8 B 39.24 - juris Rn. 12 m. w. N.). Danach ist hier keine Divergenz dargetan.
6 Die Beklagte bezeichnet keinen entscheidungstragenden Rechtssatz des angegriffenen Urteils, welcher in Anwendung derselben Rechtsnorm in Widerspruch zu einem Rechtssatz des angeblichen Divergenzurteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Juni 2011 - 3 C 36.10 - (BVerwGE 140, 103) stünde. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht die im vorbezeichneten Urteil formulierten Rechtssätze seiner Entscheidung ausdrücklich zugrunde gelegt. Dass es neben dem Unterlassen einer geschuldeten Beratung auch eine gegebene, aber falsche Auskunft als Pflichtverletzung im Sinne des § 14 SGB I gewertet hat, steht nicht im Widerspruch zum angeblichen Divergenzurteil. Dieses behandelt das Unterlassen einer gebotenen Auskunft als Pflichtverletzung, ohne seinerseits die gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung in Abrede zu stellen, nach der die Auskunft nicht nur vollständig, sondern auch richtig und unmissverständlich klar erteilt werden muss (vgl. bereits BSG, Urteil vom 17. November 1970 - 1 RA 233/68 - BSGE 32, 60 <65 f.> unter Hinweis auf die einhellige Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte).
7 Die sinngemäß gerügte Abweichung vom Urteil des Bundessozialgerichts vom 23. Juni 1977 - 8 RU 36/77 - liegt ebenfalls nicht vor. Dieses Urteil bestätigt die Verpflichtung staatlicher Stellen, Auskünfte vollständig, eindeutig und vor allem richtig zu erteilen. Es weist lediglich darauf hin, dass der Adressat einer pflichtwidrigen Auskunft grundsätzlich nur verlangen kann, so gestellt zu werden, wie er bei pflichtgemäßer Auskunft gestanden hätte (BSG, Urteil vom 23. Juni 1977 - 8 RU 36/77 - BSGE 44, 114 <121>). Auch davon geht das angegriffene Urteil aus und ordnet eine Bescheidung des Klägers an, die bei richtiger Auskunft und entsprechend frühzeitiger Antragstellung vorzunehmen gewesen wäre.
8 Die weitere Aussage des bundessozialgerichtlichen Urteils, die Klägerin des damaligen Verfahrens könne nur einen Amtshaftungsanspruch geltend machen, begründet keine Divergenz. Sie beruht auf der Annahme, die seinerzeit begehrte Freistellung von unfallversicherungsrechtlichen Beitragspflichten sei ein Vorteil, den die damalige Klägerin auch bei richtiger Auskunft nicht hätte erlangen können. Damit betrifft sie die Anwendung versicherungsrechtlicher Vorschriften, die das Verwaltungsgericht nicht angewendet hat.
9 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei; einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht.