Beschluss vom 17.03.2025 -
BVerwG 20 F 7.21ECLI:DE:BVerwG:2025:170325B20F7.21.0
Leitsatz:
Gesetzliche Geheimhaltungsgründe im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 3 Alt. 2 VwGO dienen regelmäßig dem Schutz besonders sensibler Grundrechtsbereiche oder anderer Rechtsgüter mit verfassungsrechtlichem Rang.
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Rechtsquellen
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1, Art. 103 Abs. 1 VwGO §§ 98, 99 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 1, Satz 10, Halbs. 2, § 121, § 173 ZPO §§ 318, 358a Abs. 1 Satz 1 UIG § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 a, § 8 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2, Abs. 2 Halbs. 2, § 9 Abs. 1 Halbs. 2, Abs. 2 Satz 1, Halbs. 2 Umweltinformationsrichtlinie Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 UrhG § 12 Abs. 1, § 45 GeschGehG § 2 Nr. 1 c) StPO § 244 Abs. 2 -
Instanzenzug
VG Berlin - 21.06.2018 - AZ: VG 2 K 291.16
OVG Berlin-Brandenburg - 09.06.2021 - AZ: OVG 12 B 30.18
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 17.03.2025 - 20 F 7.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:170325B20F7.21.0]
Beschluss
BVerwG 20 F 7.21
- VG Berlin - 21.06.2018 - AZ: VG 2 K 291.16
- OVG Berlin-Brandenburg - 09.06.2021 - AZ: OVG 12 B 30.18
In der Verwaltungsstreitsache hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts
für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO
am 17. März 2025
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer und
Prof. Dr. Burmeister
beschlossen:
Die ergänzende Sperrerklärung der Beklagten vom 10. August 2021 i. V. m. der Sperrerklärung vom 20. Januar 2021 ist rechtswidrig.
Gründe
I
1 Der Kläger, ein Fernsehjournalist, begehrt in dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren Zugang zu Informationen des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (Bundesverkehrsministerium) im Zusammenhang mit dem sogenannten VW-Abgasskandal.
2 1. In dem vor dem Oberverwaltungsgericht anhängigen Hauptsacheverfahren hat der Kläger primär gestützt auf das Umweltinformationsgesetz beantragt, ihm einen anonymisierten Zugang zu in bestimmten Dokumenten enthaltenen Informationen zu gewähren.
3 2. Zu einem Teil der den Kläger interessierenden Unterlagen hat die Beklagte unter dem 14. März 2019 eine Sperrerklärung abgegeben, die vom Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts mit Beschluss vom 7. April 2020 - 20 F 2.19 - (NVwZ-RR 2020, 909) für rechtswidrig erklärt worden ist.
4 Zu den hier inmitten stehenden Dokumenten hat das Oberverwaltungsgericht der Beklagten mit Beschluss vom 21. März 2019 aufgegeben, ihre Angaben zu den geltend gemachten Versagungsgründen nach dem Umweltinformationsgesetz durch nähere Auskünfte zum Aktenbestand zu substantiieren (Auskunftsbeschluss). Mit Sperrerklärung vom 20. Januar 2021 hat die Beklagte weitere Auskünfte zu dem hier in Rede stehenden Aktenbestand verweigert. Die Auskünfte widersprächen teilweise dem Wohl des Bundes, weil bestimmte Dokumente als "VS Vertraulich" eingestuft worden seien und weil diese Einstufung gegenwärtig noch gerechtfertigt sei. Ihre Offenlegung sei teilweise wegen nachteiliger außenpolitischer und außenwirtschaftlicher Folgen zu versagen. Teilweise sei die Verweigerung zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur sowie zum Schutz des Kernbereichs der Exekutive erforderlich. Einige Dokumente seien nach einem Gesetz – § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UIG - geheim zu halten. Die Norm schütze die Vertraulichkeit der Beratungen informationspflichtiger Stellen. Da die ministerielle Untersuchungskommission "Volkswagen" ihre Arbeit noch nicht abgeschlossen habe, könnten deren Unterlagen nicht herausgegeben werden. Ein weiterer Teil der Dokumente sei dem Wesen nach geheim, weil sie in einigen Fällen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse von Unternehmen enthielten. In anderen Fällen gehe es um Informationen aus strafrechtlichen Ermittlungsakten und laufenden Gerichtsverfahren und um schützenswertes geistiges Eigentum. Der Kläger beantragte daraufhin am 11. Februar 2021 die Durchführung eines In-camera-Verfahrens und die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Auskunftsverweigerung.
5 3. Mit Beschluss vom 9. Juni 2021 forderte das Oberverwaltungsgericht die Beklagte auf, die noch streitgegenständlichen Originaldokumente aus den Anlagen B 25c sowie B 26c vorzulegen (Aktenvorlagebeschluss). Zur Begründung führte das Oberverwaltungsgericht im Wesentlichen aus:
6 Die Beklagte sehe sich aufgrund ihrer Sperrerklärung vom 20. Januar 2021 gehindert, weitere Auskünfte zur thematischen Reichweite der einzelnen Dokumente zu geben. Die bisherigen Angaben würden jedoch nicht ausreichen, um feststellen zu können, ob die im Beschlusstenor genannten Dokumente vom Informationsantrag des Klägers erfasst seien und, wenn ja, ob deren Zugänglichmachung Ausschlussgründe entgegenstünden. Das Oberverwaltungsgericht sehe zur Vermeidung einer weiteren Verzögerung des Verfahrens davon ab, die Sperrerklärung dem Bundesverwaltungsgericht vorzulegen. Denn es sei nicht auszuschließen, dass sich die Beklagte selbst bei der gerichtlichen Feststellung der Rechtswidrigkeit auch dieser Sperrerklärung veranlasst sehe, eine dritte Sperrerklärung abzugeben. Statt weiter Auskünfte von der Beklagten einzuholen, sehe sich der Senat veranlasst, von ihr nunmehr die Vorlage der noch streitgegenständlichen Dokumente im Original anzufordern. Die Sperrerklärung der Beklagten vom 20. Januar 2021 stehe dem nicht entgegen, weil sie sich auf die Verweigerung von Auskünften beschränke.
7 4. Mit ergänzender Sperrerklärung vom 10. August 2021 (Ergänzungssperrerklärung) hat die Beklagte sodann die Vorlage der Originaldokumente verweigert. Die genannten Dokumente seien nach den materiellen Maßstäben des § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO geheimhaltungsbedürftig; hinsichtlich der Verweigerungstatbestände im Einzelnen werde auf das in der Sperrerklärung Gesagte Bezug genommen. Auch angesichts aktueller Entwicklungen bestünde das vorgetragene Geheimhaltungsinteresse an allen Dokumenten unverändert fort. Die im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens durchgeführte einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem privaten Interesse des Klägers am effektiven Rechtsschutz und den öffentlichen und privaten Interessen an der Geheimhaltung ergebe auch unter Berücksichtigung des öffentlichen Interesses an der Wahrheitsfindung, dass die Vorlage der streitgegenständlichen Dokumente zu verweigern sei; die Geheimhaltungsgründe würden in ihrer Kumulation die Rechte des Klägers, insbesondere auf Pressefreiheit und effektiven Rechtsschutz, überwiegen.
8 5. Unter dem 23. September 2021 hat der Kläger beantragt, die Rechtswidrigkeit der Sperr- und Ergänzungssperrerklärung festzustellen. Er beantrage dies vorsorglich, weil bereits durch Entscheidungen des VG Schleswig (Urteil vom 25. April 2019 - 6 A 222/16 -) und des OVG Schleswig (Beschluss vom 27. April 2020 - 4 LA 251/19 - NordÖR 2020, 370) geklärt sei, dass es schon wegen des überragenden Informationsinteresses unerheblich sei, ob durch die streitgegenständlichen Dokumente Interessen des Bundes, der Kfz-Hersteller oder Ermittlungsbetroffener berührt würden. Ungeachtet dessen seien die Sperrerklärungen rechtswidrig, weil sie an denselben Ermessensfehlern litten, die bereits in dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. April 2020 moniert worden seien. Die Ausführungen würden sich sowohl auf der Tatbestandsebene wie auch bei der Ermessensausübung auf allgemeine Floskeln und abstrakte Formulierungen beschränken. Es fehle an einer konkreten Subsumtion und es fänden sich zirkelschlüssige Argumente bei der Ermessensausübung.
9 6. Nach Klärung der Frage, ob dem Kläger auf Grund des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Schleswig auch im vorliegenden Hauptsacheverfahren streitgegenständliche Unterlagen zugänglich geworden seien, hat das Oberverwaltungsgericht nach negativer Auskunft die Sache dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.
II
10 Der Antrag des Klägers hat Erfolg.
11 1. Der Antrag des Klägers ist zulässig.
12 a) Zwar hat der Kläger den Antrag im September 2021 "vorsorglich" für den Fall gestellt, dass das Oberverwaltungsgericht an seiner Rechtsauffassung festhält, die Durchsicht der Akten für die Prüfung des Umweltinformationsanspruchs zu benötigen. Dies widerspricht jedoch nicht dem Grundsatz der Bedingungsfeindlichkeit von Prozesserklärungen. Es liegt eine zulässige innerprozessuale Bedingung vor (BVerwG, Beschluss vom 10. April 2002 - 4 BN 12.02 - juris Rn. 5). Die vom Antragsteller formulierte Bedingung ist auch eingetreten. Das Oberverwaltungsgericht hat an seiner Rechtsauffassung zur Entscheidungserheblichkeit der Akteneinsicht festgehalten und den Antrag dem Fachsenat vorgelegt.
13 b) Das Oberverwaltungsgericht hat die Entscheidungserheblichkeit der Aktenvorlage auch ordnungsgemäß durch einen Beschluss verlautbart, der den Anforderungen des § 98 VwGO i. V. m. § 358a Satz 1 ZPO genügt (BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2018 - 20 F 5.18 - juris Rn. 12).
14 aa) Das Erfordernis einer vorherigen Verlautbarung des Hauptsachegerichts zur Entscheidungserheblichkeit folgt aus der durch § 99 VwGO vorgegebenen Aufgabenverteilung zwischen dem Fachsenat und dem Hauptsachegericht. Letzteres hat förmlich darüber zu befinden, ob und gegebenenfalls welche Informationen aus den Akten für eine Sachentscheidung erforderlich sind, damit die oberste Aufsichtsbehörde nach § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO über die Freigabe oder Verweigerung der in Rede stehenden Aktenteile anschließend befindet. Hat das Gericht der Hauptsache die Entscheidungserheblichkeit bejaht, ist der Fachsenat grundsätzlich an dessen Rechtsauffassung gebunden. Eine andere Beurteilung durch ihn kommt nur dann in Betracht, wenn die Rechtsauffassung des Hauptsachegerichts offensichtlich fehlerhaft ist (BVerwG, Beschluss vom 15. März 2017 - 20 F 12.15 - juris Rn. 8) oder es seiner Verpflichtung nicht genügt, die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts zu erschöpfen, um auf dieser Grundlage über die Erforderlichkeit der ungeschwärzten Aktenvorlage zu entscheiden (BVerwG, Beschluss vom 2. Januar 2020 - 20 F 5.19 - juris Rn. 6).
15 bb) Zwar hat das Oberverwaltungsgericht den Aktenvorlagebeschluss nicht als förmlichen Beweisbeschluss bezeichnet, jedoch mit dem Vorlagebeschluss seine Erwägungen zur Notwendigkeit der Durchsicht der im Beschluss genannten Dokumente für die Prüfung des materiell-rechtlichen Anspruchs ausreichend begründet. Dass diese Annahme offensichtlich rechtsfehlerhaft ist oder unter Außerachtlassung der dem Oberverwaltungsgericht zur Verfügung stehenden Mittel zur Sachaufklärung erfolgte, ist nicht ersichtlich (BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2018 - 20 F 5.18 - juris Rn. 15). Soweit es seine ursprüngliche Planung aufgegeben hat, mit Hilfe von Auskünften der Beklagten ohne eigene Durchsicht der Dokumente über den materiell-rechtlichen Anspruch zu entscheiden, ist dies angesichts des Prozessverhaltens der Beklagten nachvollziehbar. Denn der damit verbundene Versuch, ein In-camera-Verfahren zu vermeiden, ist fruchtlos geblieben.
16 Zwar enthält der Vorlagebeschluss keine förmliche Aufhebung des Auskunftsbeschlusses; jedoch lässt die Formulierung, "statt weiterer Auskünfte von der Beklagten" sei von ihr "nunmehr die Vorlage der noch streitgegenständlichen Dokumente im Original" zu verlangen, erkennen, dass an der vorangehenden Auskunftsaufforderung nicht mehr festgehalten wird. Dadurch ist die darauf bezogene Sperrerklärung - abgesehen von ihrer Begründung, auf die die Ergänzungssperrerklärung Bezug nimmt - gegenstandslos geworden.
17 2. Der Antrag des Klägers ist auch begründet. Denn die Ergänzungssperrerklärung i. V. m. der Sperrerklärung wird bereits den formellen Anforderungen nicht gerecht.
18 a) Bei umfangreicheren Akten muss eine Sperrerklärung eine differenzierende Zuordnung der Geheimhaltungsgründe zu den jeweiligen Aktenbestandteilen enthalten. Sie muss hinreichend deutlich erkennen lassen, auf welche Weigerungsgründe die oberste Aufsichtsbehörde sie stützt. Eine konkrete Zuordnung von Geheimhaltungsgründen durch die oberste Aufsichtsbehörde ist von zentraler Bedeutung, weil der Fachsenat in Wahrung des Gewaltenteilungsgrundsatzes ausschließlich prüft, ob die von ihr in der Sperrerklärung behaupteten Gründe tatsächlich vorliegen; erst durch die Darlegung der konkreten Gründe wird somit effektiver Rechtsschutz ermöglicht. Im Hinblick auf diese Zwecksetzung reicht es grundsätzlich nicht aus, dass die oberste Aufsichtsbehörde einen gesetzlichen Verweigerungsgrund behauptet und mehrere Umstände dafür aufführt, ohne zu bezeichnen, bei welchem konkreten Dokument welcher konkrete Umstand einen Verweigerungsgrund tatbestandlich erfüllen soll. Es obliegt der Beurteilung der obersten Aufsichtsbehörde, innerhalb des breiten Spektrums eines Verweigerungsgrundes eine Zuordnung von verweigerungsbegründenden Umständen vorzunehmen und auf sie bezogen darzulegen, dass der Nachteil von erheblichem Gewicht ist und nicht die bloße Möglichkeit eines Nachteils besteht, sondern eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür spricht. Eine differenzierende Aufbereitung der Unterlagen - unter Angabe von Blattzahlen, gegebenenfalls auch der Bezifferung von Absätzen oder der Gliederungspunkte eines Dokuments - erweist sich nur ausnahmsweise dann als entbehrlich, wenn der Umfang der Unterlagen überschaubar ist und sich bei Durchsicht der Akte die Zuordnung der Geheimhaltungsgründe ohne Weiteres erschließt (BVerwG, Beschluss vom 10. November 2023 - 20 F 11.22 - NVwZ 2024, 429 Rn. 15 ff.).
19 b) Das Bundesverkehrsministerium hat in der - in Bezug genommenen - Sperrerklärung demzufolge keine ausreichende Zuordnung zu den umfangreichen Dokumenten vorgenommen. Es hat zwar in der Sperrerklärung eine sehr grobe Auflistung der aus Gründen des Bundeswohls zurückgehaltenen Dokumente vorgelegt. Dies genügt jedoch nicht. Ein Verweigerungsgrund - wie etwa die Staatswohlgefährdung nach § 99 Abs. 1 Satz 3 Alt. 1 VwGO - kann durch unterschiedliche Umstände begründet werden. Die konkrete Zuordnung der dort genannten ca. 30 Dokumente zu den geltend gemachten Gemeinwohlinteressen - außenpolitische und außenwirtschaftliche Nachteile, Verschlusssachenschutz, Funktionsfähigkeit des Bundesverkehrsministeriums, Kernbereich der Exekutive etc. – fehlt.
20 Das Bundesverkehrsministerium hat auch nicht geprüft, ob der jeweils geltend gemachte Geheimhaltungsgrund eine komplette Entnahme der Dokumente erforderlich macht oder ob die Vorenthaltung einzelner Seiten oder die Schwärzung bestimmter Passagen genügt. Die Möglichkeit der teilweisen Schwärzung ist zwar gesehen, aber zu Unrecht verworfen worden. Die in der Ergänzungssperrerklärung dafür angeführte Begründung, dass die prozessuale Akteneinsicht nach § 99 VwGO dann über den materiell-rechtlichen Informationsanspruch hinausgehen würde, verfängt nicht. Denn das Recht der Verwaltungsgerichte, zur Kontrolle der Verwaltung Akten anzufordern, kann über den materiell-rechtlichen Anspruch hinausgehen und ist nur in dem Umfang beschränkt, wie Geheimhaltungsgründe vorliegen. Bestehen Geheimhaltungsgründe nur für einzelne Sätze oder Absätze einer Seite, sind die Seiten geschwärzt vorzulegen. Dabei ist für jede Schwärzung einzeln der Geheimhaltungsgrund zu nennen. Erst recht ist es formell fehlerhaft und unverhältnismäßig, wenn - wie hier - mehrseitige Dokumente nicht vorgelegt werden, weil nur für einzelne Seiten partiell Geheimhaltungsgründe geltend gemacht werden. Dass - wie in der Sperrerklärung (auf Seite 22) behauptet - Teilschwärzungen zu einer Verfälschung des Aussagegehalts und damit zu Missverständnissen führen könnten, rechtfertigt im Übrigen ebenfalls nicht, von (Teil-)Schwärzungen als milderen Maßnahmen Abstand zu nehmen (vgl. bereits BVerwG, Beschluss vom 7. April 2020 - 20 F 2.19 - NVwZ-RR 2020, 909 Rn. 33 f.).
21 3. In der Sperrerklärung wird auch nicht plausibel gemacht, dass die geltend gemachten Gründe des Bundeswohls hier konkret vorliegen und die Geheimhaltung rechtfertigen können.
22 a) Die Sperrerklärung lässt nicht erkennen, woraus sich die außen- und außenwirtschaftspolitischen Nachteile des Bundes, auf die eine Gefährdung des Bundeswohls (§ 99 Abs. 1 Satz 3 Alt. 1 VwGO) auf den Seiten 3 - 6 der Sperrerklärung gestützt wird, ableiten sollen und warum dafür eine hinreichende Wahrscheinlichkeit spricht. Sie beschränkt sich auf die Behauptung von "Verfahren im Ausland" (Seite 6) ohne ansatzweise darzulegen, welche Verfahren damit gemeint sind. Anders als von ihr behauptet, liegt auch keineswegs "auf der Hand" (Seite 6), warum wegen etwaiger gegen die Beigeladenen im Ausland anhängiger (Gerichts-)Verfahren, die die Diesel-Thematik betreffen, zugleich außen- oder außenwirtschaftspolitische Interessen des Bundes berührt werden und sie "mögliche Auswirkungen" (Seite 6, 2. Absatz) auf Außenbeziehungen haben. Die Annahme der Identität von staatlichen und privatwirtschaftlichen Interessen überzeugt nicht. Daher hätte dieser Aspekt zumindest einer differenzierenden Begründung und näherer Darlegung bedurft. Auch wenn bei der Annahme nachteiliger außenpolitischer Folgen eine Beurteilungs- und Einschätzungsprärogative der Bundesregierung besteht (BVerwG, Beschluss vom 14. Juni 2012 - 20 F 10.11 - juris Rn. 10), entbindet dies nicht davon, in der Sperrerklärung die konkret befürchteten Nachteile - so wie es unter Wahrung des in Anspruch genommenen Geheimnisschutzes möglich ist - nachvollziehbar und verständlich darzulegen, um ein bestimmtes Maß an gerichtlicher Kontrolle und damit eine Gewährung effektiven Rechtsschutzes zu ermöglichen (BVerwG, Beschluss vom 15. Dezember 2020 - 20 F 4.20 - juris Rn. 19). Allein der Einblick in das Kooperationsverhalten der in den "Diesel-Skandal" involvierten Firmen begründet im Übrigen keinen Gesichtspunkt des Staatswohls.
23 b) Auch kann die Annahme der Sperrerklärung nicht überzeugen, dass bestimmte Dokumente schon wegen ihrer Einstufung als "Verschlusssache vertraulich" im Bundesinteresse geheimhaltungsbedürftig sind. Dies gilt unabhängig davon, ob diese Einstufung nach Ansicht der aktenführenden Behörde überholt oder noch aktuell ist. Der die Verschlusssacheneinstufung tragende § 4 SÜG regelt lediglich die allgemeine Geheimhaltungspflicht der Behörden gegenüber Dritten, nicht die Offenlegungspflicht von Akten gegenüber Verwaltungsgerichten. Die im Gewaltenteilungsprinzip wurzelnde Kontrollbefugnis der Verwaltungsjustiz besteht auch dann, wenn eine Akte insgesamt als Verschlusssache eingestuft ist. Denn die Verwaltungsgerichte sind keine unbefugten Personen i. S. d. § 4 Abs. 3 Nr. 2 SÜG, wenn sie zur Erfüllung ihrer Rechtsschutzaufgaben (§ 4 Abs. 1a SÜG) als Verschlusssachen eingestufte Unterlagen anfordern (BVerwG, Beschlüsse vom 10. November 2023 - 20 F 11.22 - NVwZ 2024, 429 Rn. 18 und vom 1. März 2024 - 20 F 14.23 - NVwZ 2024, 1424 Rn. 16). Entscheidend ist allein, ob nach den Maßstäben des § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO eine Geheimhaltungsbedürftigkeit besteht (BVerwG, Beschluss vom 7. April 2020 - 20 F 2.19 - NVwZ-RR 2020, 909 Rn. 29). Ist die Einstufung als Verschlusssache wegen eines Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses Dritter erfolgt, liegt danach keine Frage des Bundeswohls vor. Es kommt nur eine Geheimhaltung aufgrund eines wesensmäßigen Geheimnisses in Betracht.
24 c) Ebenso wenig lässt die Sperrerklärung auf Seite 7, 2. Absatz, erkennen, warum die Bekanntgabe bestimmter Dokumente die Funktionsfähigkeit des Bundesverkehrsministeriums beeinträchtigen, einen Eingriff in den Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung darstellen und sogar die politische Regierungstätigkeit (im Sinne von Art. 62 ff. GG) beeinträchtigen können soll. An einer Plausibilisierung und einer differenzierenden Zuordnung der auf Seite 3/4 der Sperrerklärung ausgewiesenen Dokumente zu dem behaupteten Versagungsgrund im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 3 Alt. 1 VwGO (Funktionsfähigkeit des Ministeriums, Eingriff in den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung und Beeinträchtigung politischer Regierungstätigkeit) fehlt es.
25 d) Es ist auch nicht erkennbar, dass die Vorgänge den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung berühren und eine besondere Nähe zu gubernativer Entscheidung aufweisen (vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 7. November 2017 - 2 BvE 2/11 - BVerfGE 147, 50 Rn. 232). Ministerien dienen dem Minister oder der Ministerin zwar zur Entwicklung und Umsetzung politischer Zielvorgaben, nehmen indes als Spitze der Verwaltungshierarchie zugleich administrative Aufgaben wahr. Dabei erfasst der Schutz des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung nur einen kleinen Ausschnitt der ministeriellen Tätigkeit. Zu diesem Kernbereich gehört die Willensbildung der Regierung selbst, sowohl hinsichtlich der Erörterungen im Kabinett als auch bei der Vorbereitung von Kabinetts- und Ressortentscheidungen, die sich vornehmlich in ressortübergreifenden und -internen Abstimmungsprozessen vollzieht (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. November 2011 - 7 C 3.11 - BVerwGE 141, 122 Rn. 30). Vorliegend spricht Überwiegendes dafür, dass die vom Bundesverkehrsministerium vorgenommene Untersuchung des Abgas-Diesel-Skandals weder der Vorbereitung von Gesetzentwürfen oder von Kabinetts- oder Ressortentscheidungen diente, sondern lediglich der Information des Bundesverkehrsministeriums und der Bundesregierung über in der Öffentlichkeit erhobene Vorwürfe gegen bestimmte Automobilhersteller und der Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Gesetzesanwendung. Es liegt eine rein administrative Tätigkeit vor, wie sich vorliegend an der engen Kooperation mit dem Kraftfahrtbundesamt als nachgeordneter Behörde zeigt. Ferner streitet gegen die Annahme eines exekutiven Arkanbereichs, dass die Unterlagen Besprechungen mit aus Staatsgründen nicht zur Geheimhaltung verpflichteten Privaten, mithin Staatsexternen, dokumentieren.
26 4. Im Übrigen ist nicht plausibel gemacht, dass die in der Sperrerklärung angeführten Umstände als wesensmäßige Geheimnisse im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 VwGO die Zurückhaltung der Unterlagen erfordern.
27 a) Insbesondere lässt die Sperrerklärung nicht erkennen, warum die Verweigerung von Informationen zum "Schutz der Rechtspflege" (S. 14 - 16 der Sperrerklärung), von der obersten Aufsichtsbehörde verstanden als Schutz vor der Gefahr einer beeinflussten Entscheidungsfindung bei anhängigen Verfahren, einen dem Wesen nach geheimhaltungsbedürftigen Umstand (§ 99 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 VwGO) bilden soll.
28 aa) Dies folgt bei den Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof bereits daraus, dass das Vertragsverletzungsverfahren 2016/2180 am 2. Dezember 2021 eingestellt und über das Verfahren C-635/18 durch Urteil des EuGH vom 3. Juni 2021 - C-635/18 - (NJW 2021, 2637 ff.) entschieden worden ist.
29 bb) Ungeachtet dessen ist weder bei den abgeschlossenen Prozessen noch hinsichtlich der in der Sperrerklärung bezeichneten Strafverfahren nachvollziehbar vorgetragen worden, warum eine Gefährdungslage für eine unbeeinflusste gerichtliche Entscheidungsfindung vorliegen sollte. Eine Gefährdung der Rechtsprechung dergestalt, dass die Durchführung eines laufenden Gerichtsverfahrens, der Anspruch einer Person auf ein faires Verfahren oder die Durchführung strafrechtlicher, ordnungswidrigkeitsrechtlicher oder disziplinarischer Ermittlungen beeinträchtigt (vgl. § 3 Nr. 1 g IFG und § 8 Abs. 1 Nr. 3 UIG) und dies dem Wohl des Bundes oder Landes Nachteile bereiten würde, ist zudem nicht ersichtlich. In Ermangelung konkret benannter atypischer Umstände ist nicht nachvollziehbar, wie die strikt an Recht und Gesetz gebundene (Art. 20 Abs. 3 GG) und zur Neutralität verpflichtete Justiz (Art. 97 Abs. 1 GG) in den bezeichneten Verfahren durch die Bekanntgabe von Informationen in ihrer Funktionsausübung beeinträchtigt werden könnte. Die Offenlegung solcher Informationen mag zwar für die Betroffenen gerichtlicher Verfahren nachteilig sein, nicht aber für die Justiz, deren Grundlage für eine pflichtgemäße Sachverhaltsaufklärung (§ 244 Abs. 2 StPO) erweitert und deren Aufgabenerfüllung dadurch gefördert wird.
30 b) Ebenfalls nicht den Begründungserfordernissen gerecht wird die Behauptung, die auf Seite 16/17 bezeichneten internen Mitteilungen seien ihrem Wesen nach geheim zu halten. Das Bundesverkehrsministerium beschränkt sich darauf, auf den aus seiner Sicht notwendigen Schutz behördlicher Entscheidungsprozesse zu verweisen und orientiert sich dabei ersichtlich an dem auf dieses Schutzgut zugeschnittenen fachgesetzlichen Geheimhaltungsgrund des § 8 Abs. 2 Nr. 2 UIG, der ein allgemeines Informationszugangsrecht beschränken kann. Fachgesetzliche Informationsverweigerungsgründe können zwar in manchen Fällen eine Orientierung bei der Frage bieten, ob Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen. Jedoch ist bei § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 25. Juni 2010 - 20 F 1.10 - NVwZ 2010, 1495 <1496> und vom 22. Juli 2010 - 20 F 11.10 - BVerwGE 137, 318 Rn. 9). Im vorliegenden Fall lässt allein die formale Einstufung einer Information als "interne Mitteilung" noch nicht auf einen materiellen Geheimhaltungsgrund schließen, da innerhalb einer Behörde auch in keiner Weise geheimhaltungsbedürftige Nachrichten ausgetauscht werden. Auch § 8 Abs. 1 Nr. 2 UIG nimmt interne Mitteilungen nicht generell von der Informationspflicht aus, sondern fordert deren Offenlegung, wenn im Einzelfall das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe überwiegt. Denn innerhalb einer Behörde werden auch Informationen ausgetauscht, an deren Weitergabe objektiv ein hohes Allgemeininteresse besteht. Daraus folgt, dass mit der rein formalen Kennzeichnung von Informationen als "interne Mitteilungen" kein wesensmäßiges Geheimnis umschrieben wird. Dementsprechend ist mit der Zuordnung von Schreiben zu dieser Kategorie ein Geheimhaltungsgrund nicht dargetan. Es kommt daher auch nicht mehr darauf an, inwieweit das Bundesverkehrsministerium in der Sperrerklärung die Reichweite dieser Regelung durch die Einbeziehung von Schriftverkehr mit nachgeordneten Behörden verkannt hat (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 2. August 2012 - 7 C 7.12 - NVwZ 2012, 1619 Rn. 34 f.).
31 c) Nicht plausibel geltend gemacht ist auch, dass der Schutz geistigen Eigentums eine Zurückhaltung der auf S. 17 der Sperrerklärung genannten Dokumente vollständig oder auch nur teilweise rechtfertigt. Es wird lediglich ausgeführt, dass die in diesen Dokumenten enthaltenen Pläne, Karten, Skizzen, technischen Zeichnungen, Lichtbilder und Power-Point-Präsentationen den urheberrechtlichen Werkbegriff erfüllten. Damit ist aber noch in keiner Weise dargelegt, dass es sich um wesensmäßig geheime Unterlagen handelt. Allein der Umstand, dass an Aktenbestandteilen Urheberrechte Dritter bestehen, sagt über den Geheimhaltungsbedarf nichts aus. Dies setzt zumindest voraus, dass die Inhaber der Urheberrechte ermittelt werden, ein schützenswertes Geheimhaltungsinteresse geltend machen, einer Offenlegung nicht zustimmen und dass sie die Dokumente nicht bereits anderweitig veröffentlicht haben. Das ist schon nicht dargetan.
32 Falls dies bei einigen der auf S. 17 genannten Werken der Fall sein sollte, greift zwar der Schutz des § 99 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 VwGO ein. Denn das daran bestehende Erstveröffentlichungsrecht des Urhebers ist nicht nur einfachrechtlich durch § 12 Abs. 1 UrhG geschützt, sondern Teil des Urheberpersönlichkeitsrechts, welches grundrechtlich durch Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet wird. Beruft sich der Inhaber (oder Ausübungsberechtigte) des Erstveröffentlichungsrechts auf ein Geheimhaltungsinteresse, ist bei der Ermessensentscheidung nach § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO jedoch zu beachten, dass durch ein urheberrechtliches Erstveröffentlichungsrecht eine prozessuale Einsichtnahme nicht prinzipiell ausgeschlossen ist. Vielmehr hat der Gesetzgeber auch eine prozessuale Nutzung nicht veröffentlichter Werke durch § 45 UrhG in beschränktem Umfang eingeräumt. Diese Regelung und Art. 5 Abs. 3 Buchst. e der Richtlinie 2001/29/EG verlangen auch im In-camera-Verfahren Beachtung, so dass im Rahmen des Ermessens nach § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO der für eine Geheimhaltung maßgebliche Drei-Stufen-Test des Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG durchzuführen ist. Dabei spricht auf der ersten Stufe des Tests für eine Offenlegung, dass der urheberrechtliche Ausnahmetatbestand der prozessualen Inanspruchnahme erfüllt ist. Eine Geheimhaltung ist regelmäßig nur ermessensgerecht, wenn entweder auf der zweiten Stufe eine erhebliche Beeinträchtigung der normalen Verwertung des Werkes oder auf der dritten Stufe eine ungebührliche Verletzung der berechtigten Interessen des Rechteinhabers festgestellt wird (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 4. Januar 2024 - 20 F 3.22 - BVerwGE 181, 212 Rn. 34 f. und vom 9. Januar 2024 - 20 F 2.21 - BVerwGE 181, 226 Rn. 144 ff.). Im vorliegenden Fall hat weder ein Drei-Stufen-Test noch eine Interessenabwägung stattgefunden.
33 d) Nicht plausibel gemacht ist auch die Berufung auf die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Automobilhersteller. Es trifft zwar zu, dass spezielles technisches Wissen der Automobilhersteller allgemein betrachtet Wettbewerbsrelevanz hat und dass ihre jeweils eingesetzte Technologie zur Abgasreinigung oder -vermeidung als Betriebsgeheimnis gewertet werden kann. Das Bundesverkehrsministerium lässt jedoch außer Acht, dass es bei den im Diesel-Abgas-Skandal in Rede stehenden Techniken um Abschaltvorrichtungen oder -programme geht, die nicht der effektiven Abgasminimierung, sondern der Manipulation von Abgasmessungen dienen. Diese technischen Vorrichtungen und Programme haben mit dem Leistungswettbewerb der Automobilhersteller um möglichst geringe Umweltbelastungswerte nichts zu tun, sondern bezwecken lediglich eine Täuschung der Aufsichtsbehörden und Verbraucher bei der Ermittlung von Abgaswerten. Daher fehlt es bei jeder Information darüber an der für ein Geschäftsgeheimnis nach § 2 Nr. 1 c GeschGehG notwendigen Voraussetzung, dass ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung besteht (vgl. OVG Schleswig, Urteil vom 25. April 2019 - 6 A 222/16 - juris Rn. 77). Da die betroffenen Unternehmen jahrelang unerlaubte Abschaltvorrichtungen eingesetzt haben, ergibt sich in Bezug auf die Verhältnisse bis zur Aufgabe dieser Verfahren ein erhebliches Interesse der Allgemeinheit an uneingeschränkter Aktenkenntnis über die illegalen Techniken der Automobilhersteller und die staatliche Kontrollpraxis. Bei verbotenen Abschaltvorrichtungen gelten die zum mangelnden Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen bei illegalen Produktionsverfahren entwickelten Rechtsgrundsätze (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 2009 - 20 F 23.07 - NVwZ 2009, 1114 Rn. 11 - 14). Eine pauschale Geheimhaltung der darüber vorhandenen Informationen ist rechtlich nicht möglich und von § 99 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 VwGO nicht gedeckt.
34 Der Geheimhaltungsschutz des Betriebsgeheimnisses kommt lediglich bei technischen Informationen in Betracht, die erlaubte Abgasvermeidungs- und -reinigungstechnologien betreffen. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass bei betrieblichen Unterlagen regelmäßig der für ein Betriebs- und Geschäftsgeheimnis erforderliche Wettbewerbsbezug fehlt, wenn die Informationen abgeschlossene Vorgänge ohne Bezug zum heutigen Geschäftsbetrieb betreffen. Widerlegbar vermutet wird dies, wenn sie mindestens fünf Jahre alt sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 2020 - 10 C 25.19 - BVerwGE 171, 90 Rn. 40 sowie Beschluss vom 9. Januar 2024 - 20 F 2.21 - BVerwGE 181, 226 Rn. 49 ff.; Schiller, ZGI 2024, 9 <12 f.>).
35 5. Die Annahme des Bundesverkehrsministeriums, hinsichtlich der auf Seite 7/8 der Sperrerklärung dargelegten Dokumente bestehe wegen der Vertraulichkeit von noch nicht abgeschlossenen Beratungen der Untersuchungskommission "Volkswagen" nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UIG ein gesetzlicher Geheimhaltungsgrund im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 3 Alt. 2 VwGO, ist rechtlich unzutreffend.
36 a) Die Beklagte geht mit ihrer Auffassung fehl, fachgesetzliche Vorschriften seien gegenüber § 99 Abs. 1 Satz 3 Alt. 2 VwGO leges speciales, weil es ansonsten zu einer inhaltlichen Asymmetrie zwischen fachgesetzlich geregeltem Informationszugang und der prozessrechtlich ermöglichten Akteneinsicht komme (S. 9 der Sperrerklärung). Der Senat hält trotz der im rechtswissenschaftlichen Schrifttum geübten Kritik (vgl. Rudisile, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsgerichtsordnung, § 99, Stand August 2024 Rn. 17 ff.) daran fest, dass der Geheimhaltungstatbestand des § 99 Abs. 1 Satz 3 Alt. 2 VwGO eng auszulegen ist (BVerwG, Beschlüsse vom 23. Juni 2011 - 20 F 21.10 - NVwZ 2012, 112 Rn. 12 m. w. N. und vom 9. Januar 2024 - 20 F 2.21 - BVerwGE 181, 226 Rn. 41 ff.; Troßbach, Öffentlichkeit und Geheimhaltung im Verwaltungsprozess, 2019 S. 93 ff., 145 f.) und er nicht jeden fachgesetzlichen Verweigerungsgrund erfasst. § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO bildet eine prozessrechtliche Spezialnorm, die ausschließlich auf die Frage zugeschnitten ist, in welchem Umfang behördliche Auskünfte, Akten und elektronische Dokumente den Verwaltungsgerichten zum Zwecke der gerichtlichen Kontrolle der Verwaltung zur Verfügung stehen. Diese prozessrechtliche Frage ist von der materiell-rechtlichen Frage zu trennen, in welchem Umfang jemand materiell-rechtlich einen Anspruch auf eine behördliche Auskunft, Information oder Akteneinsicht hat. Demgemäß haben Bestimmungen, die solche materiell-rechtlichen Informationsansprüche begrenzen oder ausschließen, nicht die Funktion, zugleich das im Gewaltenteilungsprinzip wurzelnde gerichtliche Kontrollrecht einzuschränken oder zu begrenzen.
37 Gesetzliche Geheimhaltungsgründe im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 3 Alt. 2 VwGO sind nur solche, die nach ihrem Wortlaut oder Sinn und Zweck zumindest auch die Akteneinsicht der Gerichte beschränken. Sie dienen regelmäßig dem Schutz besonders sensibler Grundrechtsbereiche oder dem Schutz von anderen Rechtsgütern mit verfassungsrechtlichem Rang. Zu Ersteren zählen etwa das Post- und Fernmelde-, das Sozial- oder das Steuergeheimnis (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 1984 - 1 BvR 1494/78 - BVerfGE 67, 157, <171 ff., 185> und Urteile vom 14. Juli 1999 - 1 BvR 2226/94 u. a. - BVerfGE 100, 313 zum Fernmeldegeheimnis und vom 17. Juli 1984 - 2 BvE 11/83 u. a. - BVerfGE 67, 100 <140 ff.> zum Steuergeheimnis), zu Letzteren etwa das richterliche Beratungsgeheimnis als Ausfluss richterlicher Unabhängigkeit nach Art. 97 Abs. 1 GG (BVerwG, Beschlüsse vom 23. Juni 2011 - 20 F 21.10 - NVwZ 2012, 112 Rn. 12 und vom 17. März 2020 - 20 F 3.18 - NVwZ-RR 2020, 860 Rn. 19).
38 Die von einem gesetzlichen Geheimhaltungsgrund i. S. d. § 99 Abs. 1 Satz 3 Alt. 2 VwGO verfolgten Zwecke müssen jedenfalls von solcher Art und solchem Gewicht sein, dass sie die damit verbundene Einschränkung der Kontrollbefugnis der Verwaltungsgerichte und der Grundrechte sowohl auf effektiven Rechtsschutz (nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG; BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2010 - 1 BvR 1634/04 - NVwZ 2010, 1482 Rn. 46) als auch auf rechtliches Gehör (nach Art. 103 Abs. 1 GG; BVerfG, Beschluss vom 25. März 2020 - 2 BvR 113.20 - juris Rn. 40 ff.) rechtfertigen können.
39 Nach diesen Maßstäben stellt der Ausschluss des jedermann zustehenden Anspruchs auf Umweltinformationen durch § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UIG keine gesetzliche Schranke für das verwaltungsgerichtliche Aktenanforderungsrecht nach § 99 Abs. 1 Satz 3 Alt. 2 VwGO dar. Denn ein Schutz verwaltungsinterner Beratungen vor der justiziellen Kontrolle ist mit der Norm nicht bezweckt. Daran, dass im Gerichtsverfahren die zu den Akten gehörenden Protokolle über verwaltungsinterne Beratungen vorgelegt werden, sollte durch die Vorschrift nichts geändert werden. In § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UIG geht es um den Schutz vertraulicher verwaltungsinterner Diskussions- und Abstimmungsprozesse vor einer öffentlichen Verbreitung (vgl. BT-Drs. 15/3406 S. 19; OVG Schleswig, Urteil vom 15. September 1998 - 4 L 139/98 - NVwZ 1999, 670 <671 f.>.). Da eine Geheimhaltung verwaltungsinterner Entscheidungsfindungsprozesse im Rahmen des Gewaltenteilungsprinzips nur für den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung anerkannt ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Januar 2024 - 20 F 9.23 - BVerwGE 181, 262 Rn. 15 f.), ist die Einstufung des § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UIG als gesetzlicher Geheimhaltungsgrund auch nicht zum Schutz eines Rechtsguts von Verfassungsrang geboten. Auch die Beklagte stützt ihre Verweigerung ausschließlich auf die einfachgesetzliche Regelung des § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UIG, an deren Qualität als einfachgesetzliche Vorgabe sich auch dadurch nichts ändert, dass es sich um die Umsetzung des Art. 4 Abs. 1 und 2 der Umweltinformationsrichtlinie handelt (BT-Drs. 15/3406 S. 1).
40 Im Übrigen erscheint es zweifelhaft, ob die von der Untersuchungskommission Volkswagen mit Vertretern der Privatwirtschaft durchgeführten Besprechungen als Beratung im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UIG angesehen werden können, obwohl (fachgesetzlicher) Zweck der Regelung ist, die interne Willensbildung im behördlichen Bereich zur Sicherung der Effektivität interner Arbeitsabläufe (BT-Drucks 15/3406 S. 19) zu schützen (Reidt/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 105. EL September 2024, UIG § 8 Rn. 21). Ferner dürften die Beratungen seit Langem abgeschlossen sein, so dass sich ein fortbestehender Geheimhaltungsbedarf nicht ohne Weiteres erschließt. Es liegen seit April 2016 mehrere Berichte der Untersuchungskommission "Volkswagen" vor (https://www.kba.de/DE/Themen/Marktueberwachung/Abgasthematik/berichte_uk_vw.html - Stand: 30. Juli 2024), die das Bundesverkehrsministerium selbst als "abschließend" (Seite 8 der Ergänzungssperrerklärung) betrachtet. Zudem liegt bereits seit dem 22. Juni 2017 ein Bericht des 5. Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages vor, in dem (Teil-)Ergebnisse der vom Bundesminister für Verkehr eingesetzten und vom seinerzeitigen Staatssekretär O. geleiteten Untersuchungskommission (auf S. 525 ff.) referiert wurden. In Verbindung mit dem großen Zeitabstand und dem zwischenzeitlichen Regierungswechsel spricht dies dagegen, dass durch diesbezügliche Informationsfreigaben eine etwaige Kommissionsarbeit noch beeinträchtig werden könnte. Umstände, die dafür streiten, dass es für die Funktionsfähigkeit interner ministerieller Untersuchungskommissionen auch zukünftig erforderlich wäre, dortige Äußerungen aus Gründen der inneren oder äußeren Sicherheit generell der Öffentlichkeit zu entziehen (zum Bundessicherheitsrat: BVerwG, Beschluss vom 24. Januar 2024 - 20 F 9.23 - BVerwGE 181, 262 Rn. 20 ff.), sind weder vorgetragen worden noch ersichtlich.
41 6. Die in der Ergänzungssperrerklärung getroffene Ermessensentscheidung ist in mehrfacher Hinsicht rechtswidrig.
42 a) Das Bundesverkehrsministerium hat bereits seinen Entscheidungsspielraum verkannt. Es geht zu Unrecht davon aus, dass ihm nach § 99 VwGO nicht nur ein Ermessens- sondern auch ein Beurteilungsspielraum zustehe. Dies trifft nicht zu. Ein Beurteilungsspielraum ist im Rahmen der Geheimhaltungsprüfung des § 99 VwGO lediglich bei der Beurteilung möglicher außenpolitischer Folgen bei der Offenlegung von Informationen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. November 2020 - 20 F 5.20 - NVwZ 2021, 415 Rn. 20 f.) anerkannt. Eine darüber hinausgehende allgemeine Einschätzungsprärogative der Verwaltung gibt es nicht.
43 b) Hinzu tritt, dass das Bundesverkehrsministerium seine Ermessensentscheidung auf die Annahme gestützt hat, sämtliche der von ihm behaupteten Geheimhaltungsgründe lägen vor. Da dies - wie gezeigt - nicht der Fall ist, hat es sein Ermessen insoweit partiell zweckwidrig ausgeübt (zu tatsächlich unzutreffenden Annahmen: BVerwG, Beschluss vom 7. April 2020 - 20 F 2.19 - NVwZ-RR 2020, 909 Rn. 28 ff.). Dies hat im vorliegenden Fall nicht nur die teilweise Rechtswidrigkeit der Ermessensentscheidung zur Folge. Die Fehleinschätzung führt zur vollständigen Rechtswidrigkeit, weil das Bundesverkehrsministerium seine Ermessensentscheidung (ausweislich Seite 9 der Ergänzungssperrerklärung) ausdrücklich auf die "Kumulation" sämtlicher behaupteter Geheimhaltungsinteressen und nicht selbstständig tragend auf das Vorliegen jeweils eines Geheimhaltungsgrundes gestützt hat.
44 c) Soweit das Bundesverkehrsministerium in der Ergänzungssperrerklärung (auf S. 8, 1. Absatz) ausführt, dass die Vorlage einzelner oder geschwärzter Seiten nicht dem Aufklärungsinteresse des Oberverwaltungsgerichts diene, ist dies ebenfalls ermessensfehlerhaft. Denn die Entscheidung, ob eine solche reduzierte Vorlage dem Aufklärungsinteresse des Oberverwaltungsgerichts dient, sie mithin geeignet ist, das gerichtliche Aufklärungsinteresse zu befriedigen, obliegt ausschließlich dem Gericht.
45 d) Die Aussage des Bundesverkehrsministeriums (auf Seite 8, 2. Absatz der Ergänzungssperrerklärung), die Presse müsse hinnehmen, dass Informationen "aufgrund ihrer Sensibilität" geheim zu bleiben hätten, zumal der "Kerninhalt der Dieselthematik [...] der Beklagten [...] bereits allgemein bekannt", eine Untersuchungskommission mit der Aufklärung der Thematik beauftragt sei und zwei Berichte dazu veröffentlicht worden seien, ist ebenfalls ermessensfehlerhaft. Denn eine aus der Sicht des Bundesverkehrsministeriums ausreichende Informationspolitik vermag nicht gesetzliche Informationsansprüche zu kompensieren oder ihre Wahrnehmung zu beeinflussen. Vielmehr ist es Sache der Presse und der für sie Tätigen, selbst zu beurteilen, welche Informationen sie einfordert, um ein bestimmtes Thema im Recherchewege aufzubereiten (vgl. dazu bereits BVerwG, Beschluss vom 7. April 2020 - 20 F 2. 19 - NVwZ-RR 2020, 909 Rn. 34).
46 7. Einer eigenständigen Kostenentscheidung bedarf es im Verfahren vor dem Fachsenat nach § 99 Abs. 2 VwGO nicht, weil es sich im Verhältnis zum Hauptsacheverfahren um einen unselbstständigen Zwischenstreit handelt (BVerwG, Beschluss vom 7. April 2020 - 20 F 2. 19 - NVwZ-RR 2020, 909 Rn. 37).