Beschluss vom 17.05.2022 -
BVerwG 1 WB 21.22ECLI:DE:BVerwG:2022:170522B1WB21.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 17.05.2022 - 1 WB 21.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:170522B1WB21.22.0]

Beschluss

BVerwG 1 WB 21.22

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt,
den ehrenamtlichen Richter Oberstleutnant Reuter und
die ehrenamtliche Richterin Stabsarzt Guzinski
am 17. Mai 2022 beschlossen:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe

I

1 Der 1987 geborene Antragsteller ist Berufssoldat; seine Dienstzeit endet voraussichtlich mit Ablauf des 30. September 2043. Zuletzt wurde er im März 2018 zum Hauptmann befördert und mit Wirkung vom 1. Oktober 2020 in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 12 eingewiesen. Derzeit wird er bei der ... in ... verwendet.

2 Mit undatiertem Schreiben, eingegangen beim Bundesministerium der Verteidigung am 1. März 2022, erhob der Antragsteller Beschwerde "gegen das neue Beurteilungssystem", insbesondere die dortige Regelung der Vergleichsgruppenbildung und Richtwertvorgaben. Das Bundesministerium der Verteidigung hat die Beschwerde als Antrag auf gerichtliche Entscheidung gewertet und mit seiner Stellungnahme vom 30. März 2022 dem Senat vorgelegt.

3 Zur Begründung führt der Antragsteller im Wesentlichen aus:
Das neue Beurteilungssystem sei für Vergleichsgruppen einer Größe von 20 und mehr Personen konzipiert. Hierzu seien maximale Verteilungen der Bestbewertungen von "A+" bis "C-" festgelegt, die jeweils um maximal 5 % überschritten werden dürften. Danach könnten dem Bereich "A" 5 % bis maximal 10 %, dem Bereich "B" 10 % bis 15 %, dem Bereich "C" 15 % bis 20 % und damit dem oberen Leistungsbereich ("A" bis "C") insgesamt maximal 45 % der Vergleichsgruppe zugeordnet werden. Diese Regelung gelte auch für Vergleichsgruppen mit weniger als 20 Personen, die den Regelfall bildeten; nur ca. 40 der 1460 Vergleichsgruppen in der Bundeswehr wiesen 20 oder mehr Personen auf. Bei sehr kleinen Vergleichsgruppen (1 bis 2 Personen) könne kein Beurteilter in den oberen Bereich gelangen, weil dies mehr als 50 % der Vergleichsgruppe darstellen würde. So hätte dies auch in seinem Fall gelegen, weil man ihm erklärt habe, dass er eigentlich hätte höher bewertet werden sollen, dies aber wegen der kleinen Vergleichsgruppe von 2 Personen nicht möglich gewesen sei. Das neue Beurteilungssystem führe damit bei kleinen bis sehr kleinen Vergleichsgruppen zu einer ungerechten Herabstufung und einer Überfüllung und falschen Reihung im Bereich "D+", weil dort korrekt eingestufte Personen, aber auch Personen, die aufgrund der Regelungen nicht in den oberen Bereich gestuft werden könnten, eingeordnet würden. Das Beurteilungssystem sei deshalb zu überarbeiten, weil es nicht für den Regelfall, sondern für einen Sonderfall (große Vergleichsgruppe) entwickelt worden sei. Eine Möglichkeit sei die Anpassung der Vergleichsgruppen, so dass mehr große Vergleichsgruppen entstünden. Alternativ könnten bei kleinen Vergleichsgruppen fiktive Personen hinzugefügt werden, um auf diese Weise eine größere fiktive Vergleichsgruppe zu schaffen und den gewünschten Regelfall (große Vergleichsgruppe) zu simulieren.

4 Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.

5 Der Antrag sei unzulässig, weil die Allgemeine Regelung A-1340/50 über die "Beurteilungen der Soldatinnen und Soldaten" keine unmittelbar anfechtbare Anordnung an den Antragsteller beinhalte und keinen unmittelbaren Eingriff in seine Rechte darstelle. Die vorzunehmende Vergleichsgruppenbildung sowie die vorgegebenen Richtwerte seien von den beurteilenden Vorgesetzten zu beachten und richteten sich nicht an den zu beurteilenden Soldaten. Ein Eingriff in dessen Rechte komme erst dann in Betracht, wenn auf der Grundlage der Beurteilungsbestimmungen eine Beurteilung für ihn erstellt werde. Allerdings seien dann nicht die Beurteilungsbestimmungen, sondern die Beurteilung selbst der zulässige Beschwerdegegenstand. Die Rechtmäßigkeit des Beurteilungssystems werde ggf. inzident im Rahmen der Beschwerde gegen die Beurteilung geprüft.

6 Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministeriums der Verteidigung und die Personalgrundakte des Antragstellers haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

II

7 Der Antrag ist unzulässig.

8 1. Das Bundesministerium der Verteidigung hat die Beschwerde des Antragstellers "gegen das neue Beurteilungssystem" zutreffend als Antrag auf gerichtliche Entscheidung gewertet. Die ab 31. Juli 2021 geltenden neuen Beurteilungsbestimmungen (Allgemeine Regelung A-1340/50 über die "Beurteilungen der Soldatinnen und Soldaten"), für deren Überarbeitung der Antragsteller plädiert, stellen eine der Bundesministerin der Verteidigung zuzurechnende Maßnahme dar, gegen die unmittelbar die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beantragt werden kann (§ 21 Abs. 1 Satz 1 WBO).

9 Eine Beschwerde auch gegen eine konkrete, ihn betreffende dienstliche Beurteilung lässt sich dem Vorbringen des Antragstellers (undatiertes Beschwerdeschreiben sowie E-Mail vom 21. März 2022) nicht entnehmen. Der Antragsteller bezieht sich auf seine persönliche Situation nur beispielhaft, um ein allgemeines "strukturelles Problem" zu veranschaulichen. Mit einer entsprechenden Auslegung oder Umdeutung seines Rechtsschutzbegehrens wäre dem Antragsteller auch nicht geholfen, da sich hierdurch an der Unzulässigkeit seines Antrags nichts ändern würde, weil es an der Voraussetzung eines erfolglos gebliebenen vorgerichtlichen Beschwerdeverfahrens fehlen würde; denn gegen eine dienstliche Beurteilung müsste der Antragsteller zunächst den - insoweit gegebenen - Beschwerdeweg durchlaufen, bevor er sich an das zuständige Wehrdienstgericht (hier wohl das Truppendienstgericht) wenden könnte.

10 Soweit der Antragsteller anderweitig eine Beschwerde gegen eine konkrete, ihn betreffende dienstliche Beurteilung erhoben haben sollte, wird diese durch die vorliegende Entscheidung nicht berührt.

11 2. Der gegen die neuen Beurteilungsbestimmungen der Allgemeinen Regelung A-1340/50 gerichtete Antrag ist unzulässig, weil die dortigen Regelungen über Vergleichsgruppen und Richtwerte den Antragsteller für sich genommen nicht in seinen durch die Wehrbeschwerdeordnung geschützten Rechten berühren.

12 a) Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO (hier i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO) kann ein Soldat die Wehrdienstgerichte anrufen, wenn seine Beschwerde eine Verletzung seiner Rechte oder eine Verletzung von Vorgesetztenpflichten ihm gegenüber zum Gegenstand hat, die im Zweiten Unterabschnitt des Ersten Abschnitts des Soldatengesetzes mit Ausnahme der §§ 24, 25, 30 und 31 geregelt sind. Daraus folgt, dass der Soldat nur solche truppendienstlichen Maßnahmen oder Unterlassungen (§ 17 Abs. 3 Satz 1 WBO) seiner militärischen Vorgesetzten einer gerichtlichen Überprüfung unterziehen kann, die unmittelbar gegen ihn gerichtet sind oder die - obwohl an andere Soldaten gerichtet - in Form einer Rechtsverletzung oder eines Pflichtenverstoßes in seine Rechtssphäre hineinwirken. Wendet sich der Antragsteller gegen eine Regelung, die an seine Vorgesetzten oder an andere Dienststellen der Bundeswehr gerichtet ist, ohne ihn bereits konkret und unmittelbar in eigener Person zu betreffen, ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung unzulässig.

13 Eine vom Einzelfall losgelöste allgemeine Nachprüfung von Anordnungen, Erlassen oder Verwaltungsvorschriften auf ihre Rechtmäßigkeit im Sinne eines Normenkontrollverfahrens ist der Wehrbeschwerdeordnung fremd (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Oktober 2000 - 1 WB 84.00 - BVerwGE 112, 133 <134>, sowie zu einer früheren Neufassung von Beurteilungsbestimmungen Beschluss vom 15. Juli 2008 - 1 WB 25.07 - Rn. 20, jeweils mit zahlreichen Nachweisen). Zwar kann in Ausnahmefällen auch eine Verwaltungs- oder Dienstvorschrift Gegenstand eines gerichtlichen Antragsverfahrens sein, nach dem eben Gesagten jedoch nur dann, wenn die Vorschrift selbst eine unmittelbar an den einzelnen Soldaten gerichtete Anordnung enthält, die keiner weiteren Konkretisierung durch einen Befehl mehr bedarf (bejaht z.B. für einzelne Vorschriften über das äußere Erscheinungsbild von Soldaten, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 6. Februar 2015 - 1 WB 31.14 - Buchholz 450.1 § 17 WBO Nr. 92 Rn. 13, vom 27. August 2015 - 1 WB 25.15 - NZWehrr 2015, 255 Rn. 14 und vom 31. Januar 2019 - 1 WB 28.17 - BVerwGE 164, 304 Rn. 14).

14 b) Nach diesen Maßstäben liegt hier eine unmittelbar in Rechte des Antragstellers eingreifende und deshalb anfechtbare dienstliche Maßnahme (noch) nicht vor.

15 Die vom Antragsteller beanstandeten Regelungen über die Vergleichsgruppenbildung und über die Vorgabe von Richtwerten (Nr. 907 ff. i. V. m. Anlage 15.4 AR A-1340/50), die es in ähnlicher Form im Übrigen auch bereits in dem früheren Beurteilungssystem gab (siehe Nr. 610 der zuletzt in Version 3.3 geltenden Zentralen Dienstvorschrift A-1340/50 "Beurteilungen der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr"), richten sich nicht unmittelbar an die beurteilten Soldaten, sondern an die beurteilenden Vorgesetzten, die diese Regelungen bei der Erstellung von dienstlichen Beurteilungen zu beachten haben. In seinen nach § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO geschützten Rechten betroffen ist der Antragsteller erst durch die für ihn erstellte dienstliche Beurteilung und nur in der Form, in der sich die Vorgaben an die beurteilenden Vorgesetzten in seiner konkreten Beurteilung niedergeschlagen haben.

16 Der Antragsteller kann deshalb Rechtsschutz nur über eine (fristgerechte) Beschwerde gegen die für ihn erstellte dienstliche Beurteilung erlangen. Damit ist zugleich seinem Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG genügt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Juli 2008 - 1 WB 25.07 - Rn. 21 m. w. N.). Denn im Rahmen der Überprüfung der dienstlichen Beurteilung erfolgt mittelbar (inzident) auch eine Rechtmäßigkeitskontrolle der Vorschriften, die bei der Erstellung zur Anwendung gekommen sind, soweit diese sich entscheidungserheblich zum Nachteil des Antragstellers ausgewirkt haben. Sofern das Gericht dabei Rechtsfehler feststellen sollte, würde es zwar nur die konkret angefochtene dienstliche Beurteilung aufheben; eine allgemeinverbindliche Aufhebung von Vorschriften des Beurteilungssystems käme auch in diesem Falle nicht in Betracht, weil die Wehrbeschwerdeordnung nur dem individuellen Rechtsschutz dient. Gleichwohl ist zu erwarten, dass eine Entscheidung, auch wenn sie nur zwischen den Beteiligten des konkreten Verfahrens wirkt und in Rechtskraft erwächst, eine Überprüfung des zugrunde liegenden strukturellen Problems durch die zuständigen Stellen, um die es dem Antragsteller vor allem geht, anstoßen würde.