Beschluss vom 17.11.2022 -
BVerwG 4 BN 5.22ECLI:DE:BVerwG:2022:171122B4BN5.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 17.11.2022 - 4 BN 5.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:171122B4BN5.22.0]

Beschluss

BVerwG 4 BN 5.22

  • VGH Mannheim - 05.11.2021 - AZ: 8 S 3988/20

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. November 2022
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Külpmann und Dr. Hammer
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 5. November 2021 wird zurückgewiesen.
  2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet.

2 1. Ein Verfahrensmangel nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegt nicht vor.

3 a) Der Verwaltungsgerichtshof hat die Anforderungen an die Antragsbefugnis nicht überspannt.

4 Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist im Normenkontrollverfahren nur eine Person antragsbefugt, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Ist ein Antragsteller Eigentümer oder Nutzer von Grundstücken außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs eines Bebauungsplans, kann die Antragsbefugnis insbesondere aus dem subjektiven Recht auf gerechte Abwägung der eigenen Belange nach § 1 Abs. 7 BauGB folgen (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 24. September 1998 - 4 CN 2.98 - BVerwGE 107, 215 <220 ff.> und vom 16. Juni 2011 - 4 CN 1.10 - BVerwGE 140, 41 Rn. 15). Das dort normierte bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot gewährt ein subjektives Recht. Ein Antragsteller kann sich im Normenkontrollverfahren darauf berufen, dass seine abwägungserheblichen privaten Belange möglicherweise fehlerhaft abgewogen wurden (BVerwG, Urteile vom 16. Juni 2011 - 4 CN 1.10 - a. a. O. und vom 29. Juni 2015 - 4 CN 5.14 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 200 Rn. 14). In diesem Fall obliegt es ihm, einen eigenen Belang als verletzt zu bezeichnen, der für die Abwägung beachtlich war. Nicht abwägungsbeachtlich sind insbesondere geringwertige oder mit einem Makel behaftete Interessen sowie solche, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht oder die für die Gemeinde bei der Entscheidung über den Plan nicht erkennbar waren (BVerwG, Urteil vom 30. April 2004 - 4 CN 1.03 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 165 S. 138; Beschluss vom 15. Juni 2020 - 4 BN 51.19 - NVwZ 2020, 1533 Rn. 6).

5 Die Antragstellerin befürchtet, der fehlende Ausschluss des Einzelhandels in einem der drei neu festgesetzten Gewerbegebiete werde zwangsläufig zu einer Änderung des Bebauungsplans führen, der ihr eigenes Grundstück überplant. Denn der auf ihrem Grundstück genehmigte Einzelhandelsbetrieb sei nach einem Ziel des in Aufstellung befindlichen Raumordnungsplans zusammen mit der nach dem angegriffenen Bebauungsplan zulässigen Einzelhandelsnutzung wie ein einheitliches Einzelhandelsgroßprojekt zu werten und führe zu einer unzulässigen Einzelhandelsagglomeration. Einen abwägungserheblichen Belang legt sie damit nicht dar.

6 Die planende Gemeinde kann grundsätzlich solche Betroffenheiten unberücksichtigt lassen, die sich unmittelbar erst in anderen, regelmäßig späteren Planungen mit anderem Geltungsbereich realisieren. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist geboten, wenn die Planung zwangsläufig zu einer Betroffenheit im Gebiet einer späteren Planung führt oder die spätere Betroffenheit zwar nicht zwangsläufig eintritt, wohl aber Folge des planerischen Konzepts der Gemeinde ist, das der Baugebietsausweisung zu Grunde liegt und deshalb als Ausdruck ihrer planerischen Selbstbindung auch in die bauleitplanerische Abwägung einbezogen werden muss (BVerwG, Urteil vom 16. Juni 2011 - 4 CN 1.10 - BVerwGE 140, 41 Rn. 21 f.).

7 Keiner dieser Ausnahmefälle liegt vor. Nach dem Planungskonzept der Gemeinde löst die - auf eines der drei Gewerbegebiete beschränkte - Zulassung von Einzelhandel keine überörtlich raumbedeutsame Einzelhandelsagglomeration aus, sondern dient der Sicherung der Grundversorgung im Ort, die durch den bestehenden Markt südlich des geplanten Gewerbegebietes als nicht gewährleistet angesehen wird (UA S. 4 f.). Hiervon ausgehend erscheint es nicht zwangsläufig, dass die Anpassungspflicht des § 1 Abs. 4 BauGB ausgelöst wird, wenn das Ziel der Raumordnung zur Einzelhandelsagglomeration wie derzeit beabsichtigt erlassen wird. Im Übrigen ist nicht ausgemacht, dass diese durch Änderung des Bebauungsplans erfolgen muss, der das Grundstück der Antragstellerin überplant. Auch für eine planerische Selbstbindung der Antragsgegnerin ist nichts ersichtlich, da die Antragsgegnerin selbst eine Anpassung nicht für geboten hält.

8 b) Der Verwaltungsgerichtshof hat seine Amtsermittlungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht verletzt. Es ist Sache des Antragstellers, Tatsachen vorzutragen, die eine fehlerhafte Behandlung seiner Belange in der Abwägung als möglich erscheinen lassen. Dagegen ist das Normenkontrollgericht nicht befugt, für die Entscheidung über die Antragsbefugnis den Sachverhalt von sich aus weiter aufzuklären. Damit scheidet auch die Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO schon von vornherein aus (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. Oktober 2021 - 4 BN 3.21 - juris Rn. 7 m. w. N.).

9 2. Eine Divergenz liegt ebenfalls nicht vor. Nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung (u. a.) des Bundesverwaltungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Dies setzt einen Widerspruch in einem abstrakten Rechtssatz voraus, also einen prinzipiellen Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes (BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 2017 - 6 B 43.17 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 198 Rn. 4). Für eine Abweichung nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genügt dagegen nicht der Vorwurf, die Vorinstanz habe einen abstrakten Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts fehlerhaft oder gar nicht angewandt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14 f. und vom 23. August 2021 - 4 BN 10.21 - NVwZ 2021, 1702 Rn. 11).

10 Die Beschwerde rügt eine Divergenz zu dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Juni 2011 - 4 CN 1.10 - (BVerwGE 140, 41), beschränkt sich in der Sache aber auf den Vorwurf, der Verwaltungsgerichtshof habe einen konzeptionellen Zusammenhang der Planungsbereiche (Rn. 21) nicht beachtet. Ein solcher Vorwurf fehlerhafter Rechtsanwendung legt keine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO dar.

11 3. Soweit die Gesellschafter der Antragstellerin sich mit Schreiben vom 9. November 2022 persönlich an das Gericht gewandt haben, kann dieser Vortrag aus prozessualen Gründen nicht berücksichtigt werden. Nach § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO müssen sich Beteiligte vor dem Bundesverwaltungsgericht von Prozessbevollmächtigten i. S. d. § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO vertreten lassen. Auf den Umstand, dass die Frist zur Begründung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nach § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO abgelaufen ist und das Bundesverwaltungsgericht aufgrund seiner Bindung an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen neuen Tatsachenvortrag regelmäßig ohnehin nicht berücksichtigen kann, weist der Senat ergänzend hin.

12 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.