Beschluss vom 18.03.2022 -
BVerwG 8 B 49.21ECLI:DE:BVerwG:2022:180322B8B49.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 18.03.2022 - 8 B 49.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:180322B8B49.21.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 49.21

  • VG Gera - 21.07.2021 - AZ: 2 K 254/19 Ge

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. März 2022
durch
die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rublack und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 21. Juli 2021 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung der vermögensrechtlichen Berechtigung des Beigeladenen hinsichtlich zweier im Zuge der Bodenreform enteigneter Flurstücke und gegen die Rückübertragung des Eigentums an diesen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Enteignung sei der sowjetischen Besatzungsmacht wegen ihres Verstoßes gegen das Verbot der Enteignung ausländischer Staatsangehöriger nicht zuzurechnen. Dafür sei maßgeblich, dass die damaligen Behörden den Rechtsvorgänger des Beigeladenen im Zeitpunkt der Enteignung als ausschließlich österreichischen Staatsangehörigen angesehen hätten.

2 Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete, auf die Zulassungsgründe der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und der Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg.

3 1. Die Revision ist nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Eine Divergenz ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder eines anderen der in der Vorschrift aufgeführten Gerichte aufgestellten ebensolchen (abstrakten) Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Die nach Auffassung eines Beschwerdeführers divergierenden Rechtssätze müssen einander gegenübergestellt und die entscheidungstragende Abweichung muss hierauf bezogen konkret herausgearbeitet werden. Das bloße Aufzeigen einer vermeintlich fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht oder der Gemeinsame Senat der obersten Bundesgerichte oder das Bundesverfassungsgericht aufgestellt haben, genügt den Darlegungsanforderungen an eine Divergenzrüge nicht. So aber liegt der Fall hier.

4 Der Kläger bezeichnet schon keinen abstrakten Rechtssatz in dem Urteil des Verwaltungsgerichts, der von dem im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Dezember 2008 - 8 B 69.08 - (Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 39) aufgestellten Rechtssatz abwiche, wonach die Maßstäbe hinsichtlich der Bestimmung der Staatsangehörigkeit von Enteignungsbetroffenen während der Besatzungszeit keine strengeren sein können als diejenigen, die deutsche Stellen in den Jahren 1933 bis 1945 im Hinblick auf die deutsche Staatsangehörigkeit eines Betroffenen anlegten. Er beanstandet vielmehr, das Verwaltungsgericht rechne den damaligen Behörden ein nach der Aktenlage nicht verfügbares Wissen über die Staatsangehörigkeit des Rechtsvorgängers des Beigeladenen zu. Damit macht er lediglich eine fehlerhafte Anwendung des rechtlichen Maßstabes der Divergenzentscheidung geltend.

5 Ebenso wenig bezeichnet die Beschwerdebegründung einen abstrakten Rechtssatz des Verwaltungsgerichts, mit dem es von dem weiteren in der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten Rechtssatz abwiche, wonach für einen Verstoß der damals handelnden Behörden gegen das Enteignungsverbot für ausländische Staatsangehörige maßgeblich ist, ob sie nach ihren damaligen Erkenntnissen von einer deutschen Staatsangehörigkeit des Enteignungsbetroffenen ausgingen. Auch insoweit kritisiert der Kläger lediglich eine vermeintlich fehlerhafte Rechtsanwendung des Verwaltungsgerichts.

6 2. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensmangels im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

7 a) Der Kläger legt eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) in seiner Beschwerdebegründung nicht hinreichend dar.

8 Die Rüge einer Verletzung der Aufklärungspflicht erfordert die substantiierte Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des Berufungsgerichts aufklärungsbedürftig waren, welche für erforderlich und geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des Berufungsgerichts zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätten führen können. Außerdem muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 und vom 13. Juli 2007 - 9 B 1.07 - juris Rn. 2 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

9 Zu der vermeintlich noch aufzuklärenden Einordnung von Österreichern und zur Enteignung von Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit oder mit deutscher und zugleich österreichischer Staatsangehörigkeit hat das Verwaltungsgericht bereits Feststellungen getroffen. Es ist davon ausgegangen, dass das sowjetische Enteignungsverbot sich auf Vermögensgegenstände von Österreichern erstreckte, die nicht zugleich deutsche Staatsangehörige waren. Dem liegt die tatsächliche Annahme zugrunde, dass solche Personen - nicht jedoch solche mit österreichischer und deutscher Staatsangehörigkeit - von der sowjetischen Besatzungsmacht als Ausländer angesehen wurden. Auf die Frage, ob die deutschen Stellen diese Sicht teilten, kam es nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts nicht an.

10 Weshalb nach dieser Rechtsauffassung weitergehende, allgemeine Feststellungen zum Umgang mit sonstigem ausländischen Besitz oder zur damaligen Sach- und Rechtslage und der Verwaltungspraxis bezüglich der Enteignung von anderen Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit oder von Personen mit deutscher und zugleich österreichischer Staatsangehörigkeit hätten getroffen werden müssen, legt der Kläger nicht dar. Seine Kritik an der Datierung der Enteignung rügt nicht, dass der Enteignungszeitpunkt noch aufgeklärt werden müsste, sondern der Sache nach, dass die Vorinstanz ihn unzutreffend festgestellt hätte. Hinsichtlich der übrigen für aufklärungsbedürftig gehaltenen Umstände fehlt teils eine Konkretisierung der gebotenen Beweiserhebung, teils ihres voraussichtlichen Ergebnisses und seiner Erheblichkeit. Soweit die Beschwerdebegründung dazu Ausführungen enthält, ist nicht dargetan, dass der bereits im vorinstanzlichen Verfahren anwaltlich vertretene Kläger seine prozessualen Möglichkeiten genutzt hätte, durch förmlichen Beweisantrag auf die seines Erachtens gebotenen Aufklärungsmaßnahmen hinzuwirken. Dies gilt auch für seine Forderung, ein historisches Gutachten zur Frage der Übereinstimmung der Verwaltungspraxis der Thüringer Landesregierung im Jahre 1945 mit den Anordnungen und Billigungen der Sowjetischen Militäradministration für Thüringen einzuholen. Die Aufklärungsrüge kann das Unterlassen eines förmlichen Beweisantrages in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nicht kompensieren (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. Februar 2017 - 10 B 24.16 - juris Rn. 4).

11 b) Dem Vorbringen der Beschwerde lässt sich auch keine Verletzung der Hinweispflicht (§ 86 Abs. 3 VwGO) des Verwaltungsgerichts gegenüber dem Kläger entnehmen, um ihm Gelegenheit zur Präzisierung seiner schriftsätzlichen Beweisanregung zu geben. Nachdem der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht von einem förmlichen Beweisantrag abgesehen hat, musste das Gericht einen Hinweis nicht für erforderlich halten.

12 c) Schließlich verstößt das angegriffene Urteil nach den Darlegungen des Klägers in der Beschwerdebegründung auch nicht gegen den Überzeugungsgrundsatz.

13 Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat das Gericht seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde zu legen. Es darf nicht einzelne erhebliche Tatsachen oder Beweisergebnisse aus seiner Würdigung ausblenden. Im Übrigen darf es zur Überzeugungsbildung die ihm vorliegenden Tatsachen und Beweise frei würdigen. Die Einhaltung der verfahrensrechtlichen Grenzen zulässiger Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist deshalb nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter das vorliegende Tatsachenmaterial anders würdigt oder aus ihm andere Schlüsse ziehen will als das Gericht. Diese Grenzen sind erst dann überschritten, wenn das Gericht nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen tatsächlichen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen. Die Beweiswürdigung des Tatsachengerichts darf vom Revisionsgericht nicht daraufhin überprüft werden, ob sie überzeugend ist, ob festgestellte Einzelumstände mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die abschließende Würdigung des Sachverhalts eingegangen sind und ob solche Einzelumstände ausreichen, die Würdigung zu tragen. Solche Fehler sind revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen und können einen Verfahrensmangel deshalb grundsätzlich nicht begründen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Februar 2017 - 6 B 31.16 - juris m.w.N.).

14 Nach diesen Maßstäben ist der Beschwerdebegründung keine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes zu entnehmen. Das Verwaltungsgericht hat seine Feststellung, dass der Rechtsvorgänger des Beigeladenen zum Enteignungszeitpunkt Ende 1945 als ausschließlich österreichischer Staatsangehöriger angesehen wurde, entgegen dem Vorbringen des Klägers nicht auf eine unkritische Übernahme der Beweiswürdigung der Kammer in einem anderen Verfahren und nicht ausschließlich auf den Vermerk zu wahrscheinlich ausländischem Vermögen auf dem amtlichen Fragebogen zum Befehl Nr. 124, sondern auf mehrere Schriftstücke aus den Akten insgesamt dreier verwaltungsgerichtlicher Verfahren gestützt (UA S. 15 ff.). Dass es aus diesen individuell auf die Person des Rechtsvorgängers des Beigeladenen bezogenen Unterlagen folgerte, die damaligen Behörden seien von einer ausschließlich österreichischen Staatsangehörigkeit ausgegangen, war weder denkfehlerhaft noch willkürlich. Das wäre nur der Fall, wenn die festgestellten Indizien allein den gegenteiligen Schluss zuließen. Das legt die Beschwerdebegründung jedoch nicht dar. Der Hinweis auf die in den Akten enthaltene Fehlanzeige des Kreises Gera aus dem Jahr 1947 genügt dazu nicht. Sie mag ein Indiz für die damalige Einschätzung des Kreises sein, zwingt jedoch nicht zu der Schlussfolgerung, dieselbe Einschätzung hätte der Enteignung des Rechtsvorgängers des Beigeladenen im Zuge der Bodenreform im Jahr 1945 zugrunde gelegen. Darauf kam es nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts jedoch an.

15 Eine unzulässige selektive Beweiswürdigung ist dem Beschwerdevorbringen ebenfalls nicht zu entnehmen. Es zeigt nicht auf, dass die Vorinstanz aus ihrer Sicht erhebliche Beweismittel und Indizien ausgeblendet hätte.

16 Soweit der Kläger Zweifel an der Aussagekraft von nach dem Enteignungszeitpunkt datierenden Dokumenten sowie daran geltend macht, dass sich die Behörden im Zeitpunkt der Enteignung Gedanken über die Staatsangehörigkeit des Rechtsvorgängers des Beigeladenen gemacht hätten, ist damit ebenfalls noch kein Verstoß der Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz gegen die Gesetze der Denklogik oder das Willkürverbot dargetan. Indem der Kläger einen anderen Schluss für naheliegender hält als denjenigen des Verwaltungsgerichts, stellt er der dem sachlichen Recht zuzuordnenden Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts lediglich seine abweichende Bewertung gegenüber.

17 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.