Beschluss vom 18.06.2018 -
BVerwG 4 B 63.17ECLI:DE:BVerwG:2018:180618B4B63.17.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 18.06.2018 - 4 B 63.17 - [ECLI:DE:BVerwG:2018:180618B4B63.17.0]

Beschluss

BVerwG 4 B 63.17

  • VG München - 19.01.2015 - AZ: VG M 8 K 14.90
  • VGH München - 05.07.2017 - AZ: VGH 2 B 17.824

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. Juni 2018
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und Prof. Dr. Külpmann
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 5. Juli 2017 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt die Klägerin.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf alle Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Sie ist jedenfalls unbegründet.

2 I. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs wurde in dem angegriffenen Vorbescheid das Gebot der Rücksichtnahme geprüft (UA Rn. 47). Die Klägerin meint, diese Annahme widerspreche Äußerungen der Beteiligten im erstinstanzlichen Verfahren. Ihre insoweit erhobenen Verfahrensrügen bleiben erfolglos. Die Revision ist daher nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

3 1. Der Verwaltungsgerichtshof hat nicht gegen § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 314 ZPO verstoßen.

4 Nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 314 Satz 1 ZPO liefert der Tatbestand des Urteils Beweis für das mündliche Beteiligtenvorbringen. Der Beweis kann nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 314 Satz 2 ZPO nur durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden. Ausweislich des Tatbestands des erstinstanzlichen Urteils haben die Bevollmächtigten der Beigeladenen erklärt, dass sie (u.a.) die Beantwortung der unter Ziffer 1.1 gestellten Frage so verstanden wissen wollten, dass das Gebot der Rücksichtnahme nicht Gegenstand des Vorbescheidsantrags sei. Der Vertreter der Beklagten hat hierzu erklärt, die Antwort auf die Frage 1.1. sei so zu verstehen, dass es sich um die grundsätzliche Zulässigkeit nach der Art der baulichen Nutzung handele. Die nachbarrechtlichen Fragen sollten ausdrücklich ausgeklammert sein, insbesondere bleibe das planungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme einem späteren Baugenehmigungsverfahren vorbehalten (VG München, Urteil vom 19. Januar 2015 - M 8 K 14.90 - UA S. 24).

5 Nach dem Verständnis des Verwaltungsgerichtshofs hat die Beigeladene mit ihrer Erklärung den Vorbescheidsantrag für einen Teilbereich zurückgenommen, darauf habe die Beklagte reagiert und den Vorbescheid ändern wollen (UA Rn. 47). Diesem Verständnis liegt in Übereinstimmung mit § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 314 Satz 1 ZPO das Beteiligtenvorbringen in der ersten Instanz zu Grunde, wie es sich aus dem Tatbestand des Urteils ergibt. Dass der Verwaltungsgerichtshof den Erklärungen einen anderen Inhalt beimisst als die Klägerin, ändert daran nichts.

6 2. Die Beschwerde sieht die Pflicht zur Amtsermittlung nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzt, weil der Verwaltungsgerichtshof weder die sachbearbeitenden Beamten noch die verantwortliche Stadtbaurätin als Zeuge oder Zeugin vernommen hat.

7 Eine Aufklärungsrüge kann nur Erfolg haben, wenn substantiiert dargetan wird, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären, welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der vermissten Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer dem Kläger günstigeren Entscheidung hätte führen können (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerde nicht, weil sie nicht darlegt, welche tatsächlichen Feststellungen bei einer Zeugenvernehmung voraussichtlich getroffen worden wären. Ein Zeuge kann grundsätzlich nur über seine eigenen Wahrnehmungen vernommen werden (BVerwG, Beschluss vom 18. Oktober 2012 - 8 B 18.12 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 106 Rn. 10). Welche Wahrnehmungen dies sein könnten, lässt die Beschwerde unbeantwortet und deutet allein an, welche Folgerungen die Klägerin aus der Zeugenvernehmung für die Auslegung des Bescheides ziehen will. Dies genügt nicht.

8 Im Übrigen legt die Beschwerde nicht dar, dass die Klägerin bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben sie nunmehr beanstandet, hingewirkt hat, oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 f.). Die Passage aus dem Schriftsatz vom 3. Juli 2017 genügt nicht, da dieser Schriftsatz erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung gemäß § 104 Abs. 3 Satz 1 VwGO bei dem Verwaltungsgerichtshof eingegangen ist und der nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 283 Satz 1 ZPO eingeräumte Schriftsatznachlass auf die Frage der Verkehrssituation beschränkt war. Dem Verwaltungsgerichtshof musste sich eine Vernehmung der Zeugen zu ihren Absichten bei der Erstellung des Bescheides auch nicht aufdrängen, da es bei Verwaltungsakten nicht auf den wirklichen Willen des Erklärenden, sondern auf den objektiven Erklärungsinhalt ankommt (BVerwG, Urteil vom 20. Juni 2013 - 8 C 46.12 - BVerwGE 147, 81 Rn. 27).

9 3. Die Beschwerde wendet sich gegen die Auslegung des Verwaltungsakts durch die Vorinstanz. Auch dies führt nicht auf einen Verfahrensfehler.

10 Die Auslegung eines Verwaltungsakts ist Aufgabe des Tatsachengerichts. Begründet es seine Auslegung, bindet der Erklärungsinhalt als Tatsachenfeststellung nach § 137 Abs. 2 VwGO das Revisionsgericht, wenn das Tatsachengericht den Regelungsgehalt nach den zu §§ 133, 157 BGB entwickelten Regeln ermittelt hat (BVerwG, Urteil vom 3. August 2016 - 4 C 3.15 - BVerwGE 155, 390 Rn. 21). Eine Verfahrensrüge kann nur darauf gestützt werden, dass die vom Tatsachengericht vorgenommene Auslegung als Teil der Sachverhaltswürdigung an einem Rechtsirrtum leidet oder gegen allgemeine Erfahrungssätze, Denkgesetze oder Auslegungsregeln verstößt (vgl. BVerwG, Urteile vom 19. Februar 1982 - 8 C 27.81 - BVerwGE 65, 61 <69> und vom 1. September 2016 - 4 C 4.15 - BVerwGE 156, 94 Rn. 26).

11 Daran fehlt es. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich maßgeblich auf den Wortlaut des angegriffenen Bescheides (vgl. S. 11 des Vorbescheides: "Nachbarwürdigung") und damit auf ein anerkanntes Mittel der Auslegung gestützt (UA Rn. 47). Sein Verständnis der Erklärung der Beklagten in der ersten Instanz trägt dieser Auslegung Rechnung: Wenn im Vorbescheid das Rücksichtnahmegebot geprüft worden war, konnte die spätere Prozesserklärung diese Prüfung nicht ungeschehen machen, aber als Versuch erscheinen, dem Bescheid nachträglich einen anderen Sinn beizumessen und so zu ändern. Dass ein anderes Verständnis möglich sein mag, reicht nicht für die Annahme aus, die Vorinstanz habe gegen allgemeine Erfahrungsgesetze, Denkgesetze oder Auslegungsregeln verstoßen.

12 II. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst.

13 Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zu Grunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>).

14 1. Die Beschwerde möchte grundsätzlich klären lassen,
ob es ein zur Nichtigkeit nach Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG führender Mangel ist, wenn ein Gericht einen Verwaltungsakt so auslegen muss, dass das Auslegungsergebnis diametral dem entgegensteht, was die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, zum Ausdruck bringen wollte und gegenüber dem Drittbetroffenen ausdrücklich als ihren Willen erklärt hat.

15 Die Frage führt mangels Entscheidungserheblichkeit nicht zur Zulassung der Revision. Sie setzt voraus, die Erklärung der Beklagten in der ersten Instanz anders zu verstehen als der Verwaltungsgerichtshof, der keinen Widerspruch zwischen dem Inhalt des Verwaltungsakts und dem Willen der Behörde bei dessen Erlass erkannt hat. Dieses Ergebnis tatrichterlicher Würdigung wäre für den Senat in einem Revisionsverfahren nach § 137 Abs. 2 VwGO bindend.

16 2. Die Beschwerde sieht grundsätzlichen Klärungsbedarf,
ob es für die Bestimmtheit eines Vorbescheids gemäß Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG ausreicht, dass das abgefragte konkrete Vorhaben allenfalls anhand von Unterlagen bestimmbar ist, auf die weder in der Vorbescheidsfrage noch im Vorbescheidstenor oder seiner Begründung Bezug genommen wird.

17 Die Beschwerde genügt insoweit nicht den Darlegungsanforderungen. Sie kritisiert das Urteil der Vorinstanz im Stil eines zulassungsfreien Rechtsmittels und endet mit einer abstrakt formulierten Frage, legt aber nicht dar, welchen allgemeinen Klärungsbedarf sie sieht. Ferner erläutert die Beschwerde nicht, warum eine Bezugnahme auf Anträge oder Antragsunterlagen entgegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unzulässig sein sollte (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. April 2001 - 6 C 6.00 - BVerwGE 114, 160 <164> und Urteil vom 29. November 2012 - 4 C 8.11 - ZfBR 2013, 261 Rn. 13 <insoweit nicht veröffentlicht in BVerwGE 145, 145>; Beschluss vom 20. Mai 2014 - 4 B 21.14 - BRS 82 Nr. 167 = juris Rn. 9).

18 3. Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob der erforderliche konkrete Vorhabenbezug in einer Vorbescheidsanfrage aus anderen Vorbescheidsanfragen abgeleitet werden kann.

19 Die Beschwerde legt auch insoweit keinen allgemeinen Klärungsbedarf dar, sondern beschränkt sich auf den Vorwurf, der Verwaltungsgerichtshof habe Anforderungen des Senatsbeschlusses vom 28. Februar 2008 - 4 B 60.07 - (Buchholz 406.12 § 4 BauNVO Nr. 19 Rn. 11) verkannt. Das Aufzeigen einer - vorgeblich - fehlerhaften Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt indes nicht den Zulässigkeitsanforderungen einer Grundsatzrüge (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14).

20 III. Die Revision ist nicht wegen Divergenz nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen.

21 Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz zu einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14).

22 Die Beschwerde versäumt es bereits, einen abstrakten Rechtssatz zu benennen, mit dem sich die Vorinstanz in Widerspruch zu einem abstrakten Rechtssatz in dem Senatsbeschluss vom 28. Februar 2008 - 4 B 60.07 - (Buchholz 406.12 § 4 BauNVO Nr. 19 Rn. 11) gesetzt haben könnte. Der Vorwurf fehlerhafter Rechtsanwendung im Einzelfall genügt hierfür nicht. Im Übrigen beziehen sich die Aussagen des Beschlusses vom 28. Februar 2008 (a.a.O.) auf § 4 Abs. 2 BauNVO und damit auf eine Rechtsvorschrift, die der Verwaltungsgerichtshof nicht angewendet hat.

23 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.