Beschluss vom 19.07.2017 -
BVerwG 8 C 8.17ECLI:DE:BVerwG:2017:190717B8C8.17.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 19.07.2017 - 8 C 8.17 - [ECLI:DE:BVerwG:2017:190717B8C8.17.0]

Beschluss

BVerwG 8 C 8.17

  • VG Neustadt a. d. Weinstraße - 20.05.2014 - AZ: VG 5 K 782/13.NW
  • OVG Koblenz - 10.03.2015 - AZ: OVG 6 A 10788/14

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. Juli 2017
durch die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab, Hoock und Dr. Rublack
beschlossen:

  1. Die Anhörungsrüge der Klägerin gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Dezember 2016 - 8 C 4.16 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rügeverfahrens.

Gründe

1 Die Anhörungsrüge der Klägerin hat keinen Erfolg.

2 Nach § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO kann die Anhörungsrüge nur darauf gestützt werden, dass das Gericht den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Die Klägerin hat nicht aufgezeigt, dass der Senat nach seiner materiellrechtlichen Rechtsauffassung entscheidungserhebliches Vorbringen der Klägerin nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hat.

3 1. Die Anhörungsrüge erschöpft sich in weiten Teilen in sachlichen Angriffen gegen das Revisionsurteil, mit denen eine Verletzung rechtlichen Gehörs nicht dargelegt werden kann. Art. 103 Abs. 1 GG vermittelt keinen Schutz davor, dass ein Gericht dem Vorbringen von Beteiligten nicht folgt oder aus Gründen des materiellen Rechts Parteivorbringen nicht weiter aufnimmt (BVerfG, Beschluss vom 21. April 1982 - 2 BvR 810/81 - BVerfGE 60, 305 <310> m.w.N.). Insbesondere wäre es verfehlt, aus der Nichterwähnung einzelner Vortragselemente eines sehr umfangreichen Verfahrens zu folgern, das Gericht habe sich mit den darin enthaltenen Argumenten nicht befasst (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. April 1980 - 1 BvR 1365/78 - BVerfGE 54, 43 <46> m.w.N.).

4 a) Den Vortrag der Klägerin zu einer normativ-rezeptiven Auslegung des Kompetenztitels für das "Recht der Spielhallen" in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG hat der Senat nicht unbeachtet gelassen, sondern sich intensiv mit ihm auseinandergesetzt (UA Rn. 16). Er hat die Eingrenzung des Kompetenztitels auf den vormaligen einfachgesetzlichen Regelungsbestand für Spielhallen in der Gewerbeordnung jedoch ebenso abgelehnt wie zwischenzeitlich das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017 - 1 BvR 1314/12 u.a. - juris Rn. 102 ff.). Das Revisionsurteil geht auch auf die von der Klägerin angesprochene Frage der Bedeutung eines regionalen Bezuges des Kompetenztitels ein, teilt dabei allerdings in der Sache nicht die Auffassung der Klägerin, jede der angegriffenen Regelungen müsse auf einen besonderen regionalen Differenzierungsbedarf zurückgeführt werden können (vgl. UA Rn. 16). Den klägerischen Standpunkt, es handele sich bei dem angegriffenen Abstandsgebot für Spielhallen um "Bodenrecht" im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG, hat der Senat gleichfalls ausdrücklich nicht geteilt (ebd.). Auch dies wird durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bestätigt (BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017 a.a.O. Rn. 115). Ebenso ist die Argumentation der Klägerin, ein Abstandsgebot im Verhältnis zu Einrichtungen für Minderjährige könne wegen der Sperrwirkung des Jugendschutzgesetzes und der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das "Recht der öffentlichen Fürsorge" von den Ländern nicht erlassen werden, zur Kenntnis genommen und in der Sache zurückgewiesen worden (vgl. Rn. 16 des Senatsurteils, Rn. 116 der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts).

5 Sämtliche auf die Gesetzgebungskompetenz der Länder für die angegriffene Abstandsregelung zwischen Spielhallen und Einrichtungen für Minderjährige bezogenen Einwände der Klägerin können der Anhörungsrüge überdies schon deshalb nicht zum Erfolg verhelfen, weil das Bundesverfassungsgericht die Zuordnung solcher Regelungen zur Länderkompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG für das "Recht der Spielhallen" zwischenzeitlich bestätigt hat (BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017 - 1 BvR 1314/12 u.a. - juris Rn. 111).

6 b) Auch mit dem Vortrag der Klägerin, das streitgegenständliche Abstandsgebot stelle eine objektive Berufswahlschranke dar, hat sich der Senat in Rn. 4, 17 und 18 des Revisionsurteils ausdrücklich befasst. Ihre Rüge, der Senat habe ihr Vorbringen unvollständig aufgenommen, wonach es der Abstandsregelung im Hinblick auf die Art der Minderjährigeneinrichtung an Bestimmtheit mangele, greift schon deshalb nicht durch, weil das entsprechende Vorbringen keinen aus der Sicht des Senats entscheidungserheblichen Punkt betraf. Nach den tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsgerichts stand fest, dass die Spielhalle der Klägerin den Abstand zu einer unzweifelhaft unter § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des Landesglücksspielgesetzes Rheinland-Pfalz fallenden Einrichtung für Jugendliche ("Haus der Jugend") nicht einhält.

7 Mangels Erheblichkeit des Vortrages kann auch die Rüge der Klägerin keinen Erfolg haben, ihr Vorbringen zur Unverhältnismäßigkeit einer Abstandsregelung im Verhältnis zu Einrichtungen für Kleinkinder sei nicht berücksichtigt worden. Um eine solche Einrichtung ging es hier nicht. Die von der Klägerin angesprochene Frage hat der Senat außerdem in dem insoweit in Rn. 22 des Revisionsurteils in Bezug genommenen Senatsurteil vom selben Tage im Verfahren BVerwG 8 C 6.15 ausdrücklich behandelt.

8 c) Die Klägerin kann ihre vom Senat (UA Rn. 19 ff.) und vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017 - 1 BvR 1314/12 u.a. - juris Rn. 152) nicht geteilte materiellrechtliche Auffassung, das Abstandsgebot verfolge in Wahrheit ausschließlich fiskalische Ziele, im Wege der Anhörungsrüge nicht erfolgreich weiterverfolgen. Ein Gehörsverstoß liegt insoweit nicht vor. Der Vortrag der Klägerin ist auch diesbezüglich ausdrücklich wiedergegeben (UA Rn. 4) und dadurch hinreichend behandelt worden, dass das vom Gesetzgeber benannte Ziel der Verminderung von Glücksspielsucht und des Jugendschutzes als einschlägig und hinreichend tragfähig bewertet worden ist (vgl. UA Rn. 19 ff.). Auch soweit die Klägerin bemängelt, unberücksichtigt sei ihr Vortrag geblieben, das Abstandsgebot sei zur Erreichung des Ziels des Schutzes Minderjähriger vor den Gefahren der Spielsucht nicht geeignet, wendet sie sich lediglich gegen die von ihrem Rechtsstandpunkt abweichende materiellrechtliche Bewertung des Senats, der die Eignung und Erforderlichkeit des Abstandsgebotes ausdrücklich auch in Ansehung des anderweitig schon bestehenden Zutritts- und Teilnahmeverbots für Kinder und Jugendliche in Spielhallen bejaht hat (UA Rn. 22; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017 a.a.O. Rn. 152).

9 d) Soweit die Klägerin ihr Vorbringen nicht hinreichend beachtet sieht, die Abstandsregelung sei wegen des aus ihrer Sicht geringen Suchtpotentials des Automatenspiels unverhältnismäßig, hat sich der Senat auch damit unter Bezugnahme auf gegenteilige wissenschaftliche Erkenntnisse, an die der rheinland-pfälzische Landesgesetzgeber angeknüpft hat, hinreichend auseinandergesetzt und eine andere rechtliche Einschätzung vorgenommen (UA Rn. 19). Auch das Bundesverfassungsgericht kommt im Übrigen aufgrund der ihm vorliegenden Untersuchungen zur Suchtgefahr des Automatenspiels und der Bedeutung der Verfügbarkeit von Glücksspiel für problematisches Spielverhalten zu einer Bewertung, die derjenigen der Klägerin entgegengesetzt ist (BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017 - 1 BvR 1314/12 u.a. - juris Rn. 137 ff., 150 f.).

10 e) Auch der Vortrag der Klägerin, dem Abstandsgebot komme eine enteignungsähnliche Wirkung zu, ist nicht unbeachtet geblieben. Der Senat hat sich mit der Frage, ob die Regelung in durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtspositionen der Klägerin eingreift, befasst und die auf der Grundlage der tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsgerichts zu ihrem Betrieb verneint (UA Rn. 25 und 26). Diese Feststellungen hat bereits das Berufungsgericht - anders als es die Klägerin in ihrer Anhörungsrüge darstellt - dahingehend gewürdigt, dass die von der Klägerin getroffenen Dispositionen nicht Ausdruck eines schutzwürdigen Vertrauens auf den Fortbestand der Spielhallenerlaubnis waren (vgl. Berufungsurteil des OVG Rheinland-Pfalz - 6 A 10788/14.OVG - S. 9).

11 f) Auf die von der Klägerin angesprochenen Gesichtspunkte der unterschiedlichen, nach ihrer Auffassung gleichheitswidrigen Regulierung des Automatenspiels in Gaststätten, Spielbanken und Spielhallen in Bezug auf den Schutz von Minderjährigen ist der Senat in Rn. 29 des Revisionsurteils ausführlich eingegangen, hat aber - wie nachfolgend das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017 - 1 BvR 1314/12 u.a. - juris Rn. 175) - im Ergebnis keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung erkannt.

12 g) Die Rüge der Klägerin, der Senat habe sich mit ihrem Vortrag zu den für sie existenzvernichtenden Folgen der Abstandsregelung nicht hinreichend befasst, lässt ebenfalls keinen Gehörsverstoß erkennen. Das Revisionsurteil setzt sich in Rn. 24 und 26 mit der Frage, ob einzelfallbezogene Gesichtspunkte die Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Abstandsregelung der Klägerin gegenüber in Frage stellen, hinreichend auseinander.

13 2. Die weiteren Rügen der Klägerin lassen im Übrigen schon mangels Entscheidungserheblichkeit des diesbezüglichen Vorbringens im Revisionsverfahren keine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör erkennen.

14 a) Die mit der Anhörungsrüge erneut von der Klägerin angesprochene Frage, welcher Übergangsfrist die von ihr übernommene Spielhalle nach der brandbedingten Schließung des Betriebes der Rechtsvorgängerin unterlag und ob ihr wegen der zwischenzeitlich erloschenen Alterlaubnis Vertrauensschutz zustand, war nicht mehr Gegenstand des Verfahrens. Insoweit hatte der Senat die Revision nicht zugelassen und musste deshalb im Revisionsurteil auf das diesbezügliche Vorbringen der Klägerin nicht mehr eingehen.

15 b) Da Gegenstand des Verfahrens der Klägerin - anders als in den Parallelverfahren zu Spielhallen in Berlin - lediglich der Mindestabstand zu Einrichtungen war, die überwiegend von Minderjährigen besucht werden, musste sich der Senat auch zu dem Aspekt eines additiven Grundrechtseingriffs, der bei einer Kumulation verschiedener grundrechtsrelevanter Maßnahmen zu prüfen sein kann, nicht äußern. Ebenso wenig war die Pflicht von Spielhallenbetreibern zur Durchführung von Identitätskontrollen Gegenstand des vorliegenden Verfahrens, so dass auch insoweit kein entscheidungserhebliches Vorbringen der Klägerin übergangen worden ist.

16 c) Der Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör ist schließlich auch nicht hinsichtlich ihres Vorbringens zum unionsrechtlichen Kohärenzgebot verletzt worden. Ausgehend von den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts war in ihrem Fall der Gewährleistungsgehalt der unionsrechtlichen Dienstleistungs- oder Niederlassungsfreiheit nicht eröffnet. Deshalb kam es für das Revisionsurteil auf die Frage der Kohärenz nicht entscheidungserheblich an (vgl. UA Rn. 31 f.). Der Senat hat überdies ausdrücklich offengelassen, ob das Kohärenzgebot, sofern denn eine unionsrechtliche Grundfreiheit betroffen wäre, in nicht monopolisierten Bereichen des Glücksspiels Wirkung entfaltet, weil es selbst bei Annahme einer derartigen Wirkung vorliegend nicht verletzt wäre. Soweit die Klägerin an ihrer Auffassung festhält, die Abstandsregelung zu Einrichtungen für Minderjährige sei im Verhältnis zu Regelungen für Lotteriegesellschaften und Wettvermittlungsstellen inkohärent, wendet sie sich lediglich gegen die materiellrechtliche Bewertung des Senats, dass eine konterkarierende Expansionspolitik des Landes Rheinland-Pfalz in einem Sektor mit mindestens gleicher Spielsuchtrelevanz wie das Automatenspiel nicht erkennbar ist (UA Rn. 32). Damit kann sie im Wege der Anhörungsrüge nicht durchdringen.

17 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.