Beschluss vom 01.04.2014 -
BVerwG 1 B 1.14ECLI:DE:BVerwG:2014:010414B1B1.14.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 01.04.2014 - 1 B 1.14 - [ECLI:DE:BVerwG:2014:010414B1B1.14.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 1.14

  • VG Frankfurt am Main - 26.09.2012 - AZ: VG 11 K 586/10.F
  • VGH Kassel - 31.10.2013 - AZ: VGH 3 A 840/13

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. April 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Maidowski
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 31. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstands für das Beschwerdeverfahren wird auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. auf Grund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist.

3 1.1. Die Beschwerde macht zunächst geltend, das vorliegende Verfahren gebe Gelegenheit, in Ergänzung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. März 2013 - BVerwG 1 C 12.12 - zu den konkreten Voraussetzungen und möglichen Ausnahmetatbeständen der jeweils zu erteilenden Aufenthaltserlaubnisse grundsätzliche Vorgaben zu entwickeln. Zu klären sei insbesondere,
„ob bei der Erteilung von mehreren Aufenthaltstiteln die Erteilungsvoraussetzungen der Aufenthaltserlaubnisse jeweils selbständig vollständig vorliegen müssen oder ob Ausnahmetatbestände, wie z.B. das Absehen von der Sicherung des Lebensunterhaltes, mehrfach berücksichtigt werden dürfen.“

4 Insoweit fehlt es schon an der Entscheidungserheblichkeit der konkret aufgeworfenen Rechtsfrage. Denn das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen für die Erteilung der vom Kläger begehrten Aufenthaltserlaubnis zum Kindernachzug nach § 32 Abs. 3, § 29 Abs. 3 AufenthG in der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung gültigen Fassung vollständig geprüft und bejaht. Dabei hat es in Bezug auf die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (Sicherung des Lebensunterhalts) nicht darauf abgestellt, dass der Kläger bereits im Besitz einer aus humanitären Gründen erteilten Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG ist, bei deren Erteilung auf Grund der Sonderregelung in § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von der Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG im Ermessenswege abgesehen werden konnte. Vielmehr ist es davon ausgegangen, dass die Sicherung des Lebensunterhalts bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Kindernachzug nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG eine Regelerteilungsvoraussetzung darstellt, von der nur in Ausnahmefällen abgesehen werden kann. Hiervon ausgehend hat es ohne Rückgriff auf § 5 Abs. 3 AufenthG eine, eine Ausnahme rechtfertigende, Atypik damit begründet, dass den Eltern des Klägers eine Rückkehr in ihr Heimatland nicht zugemutet werden könne, die familiäre Lebensgemeinschaft damit nach realistischer Sichtweise nur im Bundesgebiet gelebt werden könne und die Familie lediglich ergänzend und in einem untergeordneten Umfang auf den Bezug von Sozialleistungen angewiesen sei.

5 Im Übrigen ist in der Rechtsprechung des Senats bereits geklärt, dass nach dem dem Aufenthaltsgesetz zugrunde liegenden Konzept unterschiedlicher Aufenthaltstitel mit jeweils eigenständigen Voraussetzungen und Rechtsfolgen mehrere Aufenthaltstitel nebeneinander erteilt werden können, solange das Gesetz nicht eindeutig etwas anderes bestimmt. Der Ausländer erhält hierdurch kein über die gesetzlich geregelten Aufenthaltstitel hinausgehendes „neues“ Aufenthaltsrecht, sondern lediglich mehrere Aufenthaltstitel, die in ihren Rechtsfolgen und in ihrem Fortbestand weiterhin jeweils ihren eigenen Regelungen unterliegen (Urteil vom 19. März 2013 - BVerwG 1 C 12.12 - BVerwGE 146, 117 Rn. 19 f. = InfAuslR 2013, 264). Daraus ergibt sich zugleich, dass auch der Umstand, dass die dem Kläger bereits erteilte humanitäre Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG an die vollziehbare Ausreisepflicht des Ausländers anknüpft und damit gegenüber anderen Aufenthaltstiteln subsidiär ist, der Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels bei Vorliegen der für diesen Titel erforderlichen Erteilungsvoraussetzungen nicht entgegensteht, sondern allenfalls Anlass für eine nachträgliche Verkürzung der Geltungsdauer der humanitären Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG gibt (vgl. Beschluss vom 17. August 2011 - BVerwG 1 C 19.10 - InfAuslR 2011, 431, dort noch offengelassen). Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG entfaltet auch keine generelle Sperrwirkung, im Rahmen der Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG von einer Atypik auszugehen, welche eine Ausnahme vom Erfordernis der (vollständigen) eigenständigen Sicherung des Lebensunterhalts gebietet.

6 1.2 Soweit die Beschwerde der Auffassung ist, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts zur Folge habe, dass nunmehr auch den Eltern des Klägers, die bislang nur über eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis verfügten, die Möglichkeit eröffnet werde, zu ihrem minderjährigen Kind „nachzuziehen“, und insoweit für klärungsbedürftig hält,
„ob eine solche, sich aus der vorliegenden Entscheidung ergebende Nachzugskonstellation über § 36 Abs. 1 AufenthG hinaus, rechtlich möglich sein kann,“
rechtfertigt dies ebenfalls keine Zulassung der Revision. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist ausschließlich die Frage, ob dem minderjährigen Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zum Kindernachzug zu erteilen ist. Folgerichtig verhält sich die Berufungsentscheidung nicht zu der Frage etwaiger Konsequenzen für den weiteren Aufenthalt der Eltern. Diese Frage würde sich in einem Revisionsverfahren daher nicht stellen.

7 1.3 Soweit die Beschwerde schließlich geklärt haben möchte,
„ob die Feststellung des Berufungsgerichts, dass nach § 29 Abs. 3 Satz 1 AufenthG grundsätzlich ein Familiennachzug des minderjährigen Kindes zu seinen Eltern stattfindet, wenn diese über Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 3 AufenthG verfügen,“
bedarf es ebenfalls keiner Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Die Beantwortung dieser Frage ergibt sich ohne Weiteres aus dem Gesetz. Nach §§ 7 und 8 AufenthG wird jede Aufenthaltserlaubnis für einen bestimmten Aufenthaltszweck erteilt. Neben den allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung von Aufenthaltstiteln nach § 5 AufenthG enthalten die §§ 29 ff. AufenthG weitere Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen. Liegen sowohl die allgemeinen als auch die besonderen Erteilungsvoraussetzungen vor, ist dem minderjährigen ledigen Kind eines Ausländers, welches das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, eine Aufenthaltserlaubnis zum Kindernachzug zu erteilen, wenn beide Elternteile oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sind (§ 32 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 AufenthG a.F.; inzwischen: § 32 Abs. 1 AufenthG). Für den Nachzug zu Inhabern einer humanitären Erlaubnis finden sich in § 29 Abs. 3 AufenthG Sonderregelungen. Danach darf dem minderjährigen Kind eines Ausländers, der eine Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 22, 23 Abs. 1 oder § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2oder Abs. 3 besitzt, die Aufenthaltserlaubnis nur aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik erteilt werden (§ 29 Abs. 3 Satz 1 AufenthG), während in den Fällen des § 25 Abs. 4 bis 5, § 25a Abs. 1 und 2, § 104a Abs. 1 Satz 1 und § 104b AufenthG ein Familiennachzug nicht gewährt wird (§ 29 Abs. 3 Satz 3 AufenthG). Damit ist ein Familiennachzug nur zu Inhabern der in § 29 Abs. 3 Satz 3 AufenthG aufgezählten humanitären Aufenthaltserlaubnisse generell ausgeschlossen. Zu den Inhabern der in § 29 Abs. 3 Satz 1 AufenthG aufgezählten humanitären Aufenthaltserlaubnisse ist ein Familiennachzug hingegen grundsätzlich möglich, setzt aber zusätzlich zu den sonstigen Nachzugsvoraussetzungen voraus, dass die nachziehende Person die Voraussetzungen für eine Aufnahme aus dem Ausland aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen erfüllt (BTDrucks 15/420 S. 81). Dies ändert nach dem Trennungsprinzip aber nichts daran, dass dem Nachziehenden auch in den von § 29 Abs. 3 Satz 1 AufenthG erfassten Fällen eine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen erteilt wird, die auf Grund der entsprechenden Anwendung des § 26 Abs. 4 AufenthG (vgl. § 29 Abs. 3 Satz 2 AufenthG) in ihrer Verfestigung allerdings weiteren Sonderregelungen unterliegt. Einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf.

8 2. Die von der Beschwerde behauptete Abweichung vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. März 2013 - BVerwG 1 C 12.12 - (a.a.O.) ist schon nicht entsprechend den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt. Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz zu einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten und seine Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt hierfür nicht (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328 m.w.N.). Der Hinweis der Beschwerde, das Berufungsgericht hätte auf Grund des im vorliegenden Fall gegebenen Sachverhalts zu einem anderen Ergebnis kommen müssen, vermag daher keine Divergenz zu begründen.

9 3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

10 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.

Beschluss vom 27.10.2014 -
BVerwG 1 B 1.14ECLI:DE:BVerwG:2014:271014B1B1.14.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 27.10.2014 - 1 B 1.14 - [ECLI:DE:BVerwG:2014:271014B1B1.14.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 1.14

  • VG Frankfurt am Main - 26.09.2012 - AZ: VG 11 K 586/10.F
  • VGH Kassel - 31.10.2013 - AZ: VGH 3 A 840/13

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Oktober 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rudolph
beschlossen:

Der Beschluss des Senats vom 1. April 2014 wird in Randnummer 7 vorletzter Satz („Dies ändert aber nichts daran ...“) gemäß § 118 Abs. 2 Satz 1 VwGO dahin berichtigt, dass die Worte „Satz 3“ ersetzt werden durch die Worte „Satz 1“.