Beschluss vom 20.05.2003 -
BVerwG 3 B 37.03ECLI:DE:BVerwG:2003:200503B3B37.03.0

Beschluss

BVerwG 3 B 37.03

  • Hamburgisches OVG - 29.10.2002 - AZ: OVG 3 Bf 286/01

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Mai 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. D r i e h a u s sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht van S c h e w i c k und
Dr. B r u n n
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. Oktober 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 93,41 € festgesetzt.

Die Beschwerde ist unbegründet. Das Beschwerdevorbringen ergibt keinen Revisionszulassungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO. Namentlich haftet dem angefochtenen Urteil kein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO an, wie die Beschwerde im Schwerpunkt geltend macht.
1. Nach den Gründen des angefochtenen Urteils hat das Oberverwaltungsgericht die Zurückweisung der Berufung der Beklagten und damit die Bestätigung der verwaltungsgerichtlichen Aufhebung des Abschleppkosten-Bescheids entscheidungstragend damit begründet, es habe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden können, dass ein Haltverbot auch noch galt, als der Kläger sein Fahrzeug abstellte; da die Beklagte hierfür die materielle Beweislast trage, gehe dies zu ihren Lasten.
Zu dieser Überzeugung ist das Oberverwaltungsgericht durch eine Würdigung einerseits der unstreitigen Umstände und andererseits der Aussagen der von den Beteiligten aufgebotenen Zeugen gelangt.
Dabei hat das Oberverwaltungsgericht Aussagen der vom Kläger aufgebotenen Zeugen gewürdigt, die schwerpunktmäßig darauf hinausliefen, dass auf einem unter einem "mobilen Haltverbotsschild" angebrachten Zusatzzeichen zum Zeitpunkt des Abstellens des Kraftfahrzeugs, welcher unstreitig nach 16 Uhr lag, als zeitlicher Endpunkt des Haltverbots 16 Uhr bestimmt gewesen sei; später - so Zeugenaussagen - habe man bemerken können, dass der Endzeitpunkt auf 17 Uhr abgeändert worden sei.
Was die von der Beklagten aufgebotenen Zeugen angeht, so hat der für ein Umzugsunternehmen handelnde Zeuge, der die Haltverbotsschilder aufgestellt und das Zusatzschild beschriftet hat, nach den Urteilsgründen angegeben, auf dem Zusatzschild von Anfang an die Geltungsdauer von 7 Uhr bis 19 Uhr angegeben zu haben, wobei er - so die Urteilsgründe - eingeräumt habe, er habe zwar keine genaue Erinnerung an den konkreten Fall, verfahre aber immer so. Die den Abschleppvorgang veranlassenden Polizeibeamten haben nach den Urteilsgründen bekundet, man habe damals die Übereinstimmung der Aufschrift der Zusatzschilder mit der entsprechenden straßenverkehrsbehördlichen Anordnung überprüft; zwar hätten sie keine konkrete Erinnerung daran, welche Anfangs- und Endzeiten vermerkt gewesen seien, es entspreche aber ihrer regelmäßigen Übung, eine solche Übereinstimmung vor Ort zu überprüfen.
2. Vor diesem Hintergrund müssen die Versuche der Beschwerde erfolglos bleiben, die gerichtliche Überzeugungsbildung und Beweiswürdigung mit der Behauptung zu Fall zu bringen, sie beruhten auf einer Fülle von Verfahrensfehlern; überdies weiche das Urteil von einschlägiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab, und es bedürfe ferner grundsätzlicher Klärung, welche Anforderungen an den Nachweis des Vorliegens von Abschleppvoraussetzungen für eine Behörde angesichts des massenhaften Auftretens solcher Fälle zumutbar seien.
a) Dem Urteil haftet kein Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) an.
aa) Die Beschwerde verkennt zunächst, dass eine tatsachengerichtliche Beweiswürdigung aufgrund des § 137 Abs. 2 VwGO der Überprüfung durch das Revisionsgericht weitgehend entzogen ist; die Beweiswürdigung ist regelmäßig dem sachlichen Recht zuzurechnen und vom Revisionsgericht nur auf allgemein gültige Würdigungsgrundsätze zu überprüfen, zu denen die allgemeinen Auslegungsgrundsätze (§§ 133, 157 BGB), die allgemeinen Erfahrungssätze und die Denkgesetze gehören (vgl. Urteil vom 18. September 1985 - BVerwG 2 C 30.84 - Buchholz 237.5 § 14 LBG Hessen Nr. 2 S. 2 und 6; stRspr).
(1) Eine Verletzung allgemeiner Sachverhalts- oder Beweiswürdigungsgrundsätze durch das Tatsachengericht kann mithin etwa dann angenommen werden, wenn es von einem zweifelsfrei unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist oder gesetzliche Beweisregeln, allgemeine Erfahrungssätze, unumstrittene Geschichtstatsachen oder gar die Denkgesetze missachtet hat (vgl. Urteil vom 14. Januar 1998 - BVerwG 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <123>).
Dabei setzt ein Verstoß gegen die Denkgesetze, wie er von der Beschwerde vor allem geltend gemacht wird, voraus, dass das Tatsachengericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung einen aus denkgesetzlichen Gründen schlechthin unmöglichen Schluss gezogen hat; der Vorwurf der Verletzung von Denkgesetzen trifft also nicht schon dann zu, wenn das Gericht nach Meinung eines Beschwerde- bzw. Revisionsführers einen unrichtigen oder fernab liegenden, gleichwohl aber möglichen Schluss gezogen hat (vgl. Urteil vom 6. Februar 1975 - BVerwG 2 C 68.73 - BVerwGE 47, 330 <361>).
Die hierdurch gebildete Grenze überschreitet das angefochtene Berufungsurteil durch keine Annahme oder Erwägung:
(2) Die umfängliche Beschwerdebegründung stellt den untauglichen Versuch dar, die vorgenommene Beweiswürdigung, die nachvollziehbar ist und zumindest keinen denklogisch unmöglichen Schluss enthält, durch eine Gegenüberstellung einzelner Zeugenaussagen als in sich widersprüchlich zu charakterisieren und daraus abzuleiten, dass das Oberverwaltungsgericht von einem eindeutig falschen Sachverhalt ausgegangen sei oder einen Verstoß gegen Denkgesetze begangen habe. Dies kann bereits deshalb nicht zum Erfolg führen, weil auch die Beschwerde nicht an der unstreitigen Tatsache vorbeigehen kann, dass das Zusatzschild mit seinen Einzelangaben nicht mehr existiert und auch nicht dokumentiert worden ist; selbst seine Aufbewahrung würde wegen des unstreitigen Umstands, dass die Beschriftung mit einem Filzstift erfolgte, worin die tatsächliche Möglichkeit eingeschlossen liegt, dass die Angaben im Laufe des Tages verändert worden sind, nicht zu einem unabweisbaren Schluss führen können.
Das Oberverwaltungsgericht hat auch entgegen dem Vorwurf der Beschwerde keine in sich widersprüchlichen Feststellungen oder Bewertungen getroffen durch die Erwägung, es gebe auf der einen Seite "keine rechte Erklärung" dafür, dass der Bedienstete des Umzugsunternehmens die Dauer des Haltverbots nur bis 16 Uhr vermerkt haben soll, obgleich die straßenverkehrsbehördliche Anordnung eine längere Dauer ermöglicht habe, es sei auf der anderen Seite aber auch denkbar, dass die Umzugsarbeiten mehr Zeit in Anspruch genommen hätten als ursprünglich geplant war. Insoweit sind die Urteilsgründe ohne weiteres so zu verstehen, dass es keine unabweisbar zutreffende Erklärung für ein entsprechendes Verhalten des Bediensteten gebe, und unter dieser Voraussetzung sind die beiden vorerwähnten Aussagen zwanglos miteinander vereinbar.
bb) Vergeblich macht die Beschwerde auch Verstöße gegen § 86 Abs. 1 VwGO (unzureichende Erforschung des Sachverhalts) und gegen das Gehörsgrundrecht geltend. Sie vermag nicht aufzuzeigen, welche Möglichkeiten dem Gericht zu Gebote gestanden hätten, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Der Vorwurf der Überraschungsentscheidung, der in einem Abstellen auf Beweislastgrundsätze bestehen soll, erweist sich bereits aufgrund des Beschwerdevorbringens als unschlüssig, weil die Beschwerde an anderer Stelle bemerkt, in der Verwaltungsgerichtsbarkeit Hamburgs werde die Frage von Beweislastgrundsätzen bei Abschleppfällen unterschiedlich beurteilt; folglich hätte die Beklagte mit einer Entscheidung rechnen können, die auf Beweislastgesichtspunkte abstellt.
cc) Ähnlich offensichtlich unschlüssig ist - von anderen Gesichtspunkten abgesehen - der Vorwurf, das Oberverwaltungsgericht hätte nicht die erstinstanzliche Entscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten bestätigen dürfen. Angesichts des Umfangs der Beschwerdebegründungsschrift und der darin aufgeworfenen Fragen ist die Behauptung der Beschwerde abwegig, der Kläger sei auch ohne Einschaltung eines Rechtsanwalts ohne weiteres in der Lage gewesen, das Verfahren zu betreiben.
b) Soweit die Beschwerde Klärungsbedarf im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sieht, macht sie noch nicht einmal deutlich, welche Vorschriften des revisiblen Bundesrechts anhand des Streitfalles weiter geklärt werden könnten; die Beschwerdebegründung beschränkt sich auf die Darlegung von Schwierigkeiten, die Abschleppbehörden in Ansehung der sie verpflichtenden Beweislast hätten, und fordert der Sache nach Beweiserleichterungen bzw. die Umkehr der Beweislast.
Soweit damit eine weitere Ausformung des verwaltungsprozessualen Beweisrechts (§ 86 Abs. 1, §§ 96 ff., § 108 VwGO) begehrt sein sollte, führt das Beschwerdevorbringen nicht auf die Möglichkeit, dass ein Revisionsverfahren einen solchen Ertrag erbringen könnte. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass eine Behörde, die die Rechtmäßigkeit eines Abschleppvorgangs behauptet und hieraus das Recht ableitet, vom Halter Kostenerstattung verlangen zu können, allgemeinen Regeln entsprechend (vgl. etwa Urteil vom 2. Februar 2000 - BVerwG 8 C 29.98 - Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 10 S. 40, für Beweislast des Klägers) insoweit darlegungs- und beweispflichtig ist; das Beschwerdevorbringen führt auch nicht auf Beweiserleichterungen oder Ausnahmen wie etwa den Anscheinsbeweis (a.a.O. S. 38 m.w.N.) oder eine Beweisvereitelung (vgl. etwa Beschluss vom 12. Dezember 2000 - BVerwG 11 B 76.00 - Buchholz 424.01 § 138 FlurbG Nr. 8 S. 3 m.w.N.; dort auch dazu, dass einer Beweisnot im Rahmen der prozessualen Darlegungs- und Mitwirkungslast Rechnung zu tragen ist).
c) Unbegründet ist schließlich auch die Rüge der Abweichung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die Beschwerde zeigt keinen entscheidungserheblichen abstrakten Rechtssatz im angefochtenen Urteil auf, der von einem ebensolchen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten abweicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Bei der Streitwertfestsetzung orientiert sich der beschließende Senat an den Kosten des Abschlepp-Vorgangs.