Beschluss vom 20.11.2025 -
BVerwG 4 BN 3.25ECLI:DE:BVerwG:2025:201125B4BN3.25.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 20.11.2025 - 4 BN 3.25 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:201125B4BN3.25.0]
Beschluss
BVerwG 4 BN 3.25
- OVG Saarlouis - 21.11.2024 - AZ: 2 C 147/23
In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 20. November 2025 durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Koch und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Stamm beschlossen:
- Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 21. November 2024 ergangenen Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes wird zurückgewiesen.
- Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.
Gründe
1 1. Die Antragstellerin wendet sich gegen einen Bebauungsplan, der für das nördliche Plangebiet ein "Sonstiges Sondergebiet - Gebiet für Einzelhandel und Wohnen" und für das südliche Plangebiet ein Mischgebiet festsetzt. Dazwischen wird u. a. eine öffentliche Grünfläche ausgewiesen. Die Antragstellerin ist Mieterin einer Erdgeschosswohnung mit zum Innenhof ausgerichtetem Gartenanteil auf einem Nachbargrundstück. Dieses grenzt mit der südwestlichen Ecke an einen nordöstlichen Ausläufer des Plangebiets an. Das Oberverwaltungsgericht hat den Normenkontrollantrag zurückgewiesen, weil die Antragstellerin nicht antragsbefugt sei. Die von ihr geltend gemachte Lärmbetroffenheit erreiche nicht die Schwelle der Abwägungserheblichkeit.
2 2. Die ausschließlich auf § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Verfahrensfehler liegt nicht vor; das Oberverwaltungsgericht hat die Anforderungen an die Antragsbefugnis nicht überspannt.
3 Erforderlich, aber auch ausreichend für die Antragsbefugnis ist, dass die Antragstellerin hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es als zumindest möglich erscheinen lassen, dass sie durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in einem subjektiven Recht verletzt wird (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. April 2004 - 4 CN 1.03 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 165 S. 137). An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung sind grundsätzlich auch dann keine höheren Anforderungen zu stellen, wenn es - wie hier - um das Recht auf gerechte Abwägung (§ 1 Abs. 7 BauGB) geht. Auch insoweit reicht es aus, dass die Antragstellerin Tatsachen vorträgt, die eine fehlerhafte Behandlung ihrer Belange in der Abwägung als möglich erscheinen lassen (BVerwG, Urteil vom 24. September 1998 - 4 CN 2.98 - BVerwGE 107, 215 <218 f.>). Antragsbefugt ist hiernach, wer sich auf einen eigenen abwägungserheblichen privaten Belang berufen kann; denn wenn es einen solchen Belang gibt, besteht grundsätzlich auch die Möglichkeit, dass die Gemeinde ihn bei ihrer Abwägung nicht korrekt berücksichtigt hat (BVerwG, Urteil vom 30. April 2004 - 4 CN 1.03 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 165 S. 137 f. und Beschluss vom 16. Juni 2020 - 4 BN 53.19 - BRS 88 Nr. 175 <1102>). Zum Kreis derjenigen, deren persönlichen Interessen die Gemeinde je nach den Umständen Rechnung zu tragen hat, gehören neben den Eigentümern von Grundstücken innerhalb oder im Umkreis des Plangebiets sowie den dinglich Nutzungsberechtigten unter Umständen auch obligatorisch Berechtigte wie Mieter oder Pächter (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1999 - 4 CN 1.98 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 136 S. 23 sowie Beschluss vom 14. Dezember 2022 - 4 BN 24.22 - juris Rn. 9). Die Antragsbefugnis ist jedoch dann nicht gegeben, wenn eine Rechtsverletzung offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausscheidet. Hiervon ist insbesondere auszugehen, wenn das Interesse der Betroffenen geringwertig, nicht schutzwürdig, für die Gemeinde nicht erkennbar oder sonst makelbehaftet ist. Die Prüfung, ob das der Fall ist, ist allerdings nicht unter Auswertung des gesamten Prozessstoffes vorzunehmen (BVerwG, Urteil vom 24. September 1998 - 4 CN 2.98 - BVerwGE 107, 215 <217>) und darf nicht in einem Umfang und in einer Intensität erfolgen, die einer Begründetheitsprüfung gleichkommt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Juni 2011 - 4 BN 42.10 - BauR 2011, 1641 Rn. 8).
4 Die Antragstellerin macht Lärmschutzbelange geltend. Eine planbedingte Zunahme des Lärms durch Verkehr und/oder Gewerbe auch unterhalb der Grenzwerte gehört grundsätzlich zum Abwägungsmaterial und kann damit die Antragsbefugnis der Betroffenen begründen. Anderes gilt, wenn der Lärmzuwachs nur geringfügig ist, d. h. über die Bagatellgrenze nicht hinausgeht, oder sich nur unwesentlich auf das Nachbargrundstück auswirkt. Wann das der Fall ist, lässt sich nicht durch reine Subsumtion ermitteln. Vielmehr bedarf es einer wertenden Betrachtung der konkreten Verhältnisse unter Berücksichtigung der jeweiligen Vorbelastung und der Schutzwürdigkeit des jeweiligen Gebiets (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Juni 2020 - 4 BN 53.19 - BRS 88 Nr. 175 <1102 f.> m. w. N.). Diese Maßstäbe hat das Oberverwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt.
5 Gemessen hieran war das Interesse der Antragstellerin, vor planbedingten Lärmimmissionen geschützt zu werden, in der konkreten Situation nicht abwägungserheblich. Dies lässt sich feststellen, ohne dass es einer Prüfung bedarf, die nach Umfang und Intensität einer Begründetheitsprüfung gleichkommt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. Juni 2011 - 4 BN 42.10 - BauR 2011, 1641 Rn. 8 und vom 2. März 2015 - 4 BN 30.14 - ZfBR 2015, 380 Rn. 3).
6 Das Oberverwaltungsgericht hat dem im Planaufstellungsverfahren vorgelegten schalltechnischen Gutachten vom 7. September 2022 entnommen, dass die mit der Realisierung des geplanten Vorhabens einhergehende Zunahme des Verkehrs- und Gewerbelärms die Grenze der Geringfügigkeit nicht überschreite. Nach den Feststellungen dieses Gutachtens unterschritten die Beurteilungspegel an den näher zum Plangebiet gelegenen Immissionsorten IP01 und IP07 die für allgemeine Wohngebiete maßgeblichen Richtwerte um 13 bzw. 16 db(A) tags und 6 bzw. 7 db(A) nachts. Es sei angesichts der abgeschirmten Lage und der Entfernung zum Plangebiet nachvollziehbar, dass die Wohnung der Antragstellerin nicht als relevanter Immissionsort betrachtet worden sei. Die nach Westen ausgerichtete Terrasse der Antragstellerin befinde sich am Ende des durch die Gebäude X-Straße 9 und Y-Straße 5 gebildeten Innenhofs, der zum Plangebiet - nach Osten versetzt - in südlicher Richtung geöffnet sei. Bei dem zu erwartenden Höhenunterschied von sechs Metern zwischen der Bodenplatte des geplanten Einzelhandelsbetriebs und der Terrasse der Antragstellerin wirkten auch die dazwischenliegenden Doppelgaragen zusätzlich abschirmend. Diese Annahme werde durch die in sich schlüssigen und nachvollziehbaren Feststellungen des Ergänzungsgutachtens vom 10. Juni 2024 bestätigt, in dem die Lärmimmissionen an der Wohnung der Antragstellerin ermittelt worden seien. Die maßgeblichen Beurteilungspegel unterschritten mit 36 db(A) tags und 23 db(A) nachts die Immissionsrichtwerte für ein allgemeines Wohngebiet (55 db(A) tags bzw. 40 db(A) nachts) deutlich. Es werde jeweils das Irrelevanzkriterium der Nr. 3.2.1 Abs. 2 der TA Lärm erreicht. Selbst die strengeren Immissionsrichtwerte für reine Wohngebiete von 50 dB(A) tags und 35 dB(A) nachts würden unproblematisch eingehalten. Damit hat das Oberverwaltungsgericht nicht in unzulässiger Weise der Begründetheitsprüfung vorgegriffen. Es konnte seine Bewertung auf der Grundlage der Planzeichnung, der Angaben der Antragsgegnerin und des schalltechnischen Gutachtens ohne nennenswerten Aufwand, namentlich ohne Rückgriff auf den Sachverstand des Gutachters vornehmen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. März 2015 - 4 BN 30.14 - ZfBR 2015, 380 Rn. 4).
7 Methodische Mängel der Schallgutachten hat die Antragstellerin nicht substantiiert geltend gemacht. Ihrer Rüge, die Schallgutachten bildeten die planbedingten Lärmimmissionen unzureichend ab, weil sie trotz des Angebotscharakters des Bebauungsplans nur auf ein konkretes Vorhaben abstellten, ist das Oberverwaltungsgericht nicht gefolgt. Die voraussichtliche Lärmbelastung werde im Gutachten realistisch abgebildet. Es sei nicht erkennbar, dass andere oder weitere, erheblich störträchtigere Nutzungen zu erwarten seien. Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass das Oberverwaltungsgericht die Anforderungen insoweit überspannt hat. Es ist schon nicht dargetan, dass vor dem Hintergrund einer wirtschaftlich sinnvollen Ausnutzung des nördlichen Plangebiets eine von den bisherigen Planungen abweichende Bebauung oder räumliche Anordnung der baulichen Anlagen realistisch erscheint. Zudem ist angesichts der abgeschirmten Lage der Wohnung der Antragstellerin und der erheblichen Unterschreitung der Immissionsrichtwerte für allgemeine Wohngebiete um 19 dB(A) tags und 17 dB(A) nachts weder ersichtlich noch von der Beschwerde nachvollziehbar dargelegt, dass die Schwelle zur Abwägungsbeachtlichkeit dann erreicht würde. Aus dem Hinweis auf die im Obergeschoss zulässigen Nutzungen folgt nichts Anderes. Entgegen der Beschwerde sind nach den Festsetzungen des Bebauungsplans in den Obergeschossen des Sondergebiets keine wesentlich störträchtigeren Nutzungen als die der Lärmprognose zugrunde gelegten zulässig. Dort sind neben dem Wohnen auch Sozialräume, Aufenthaltsräume, Verwaltungsräume, Technikräume und Räume für gesundheitliche Zwecke, Büroräume, Räume für freie Berufe und Dienstleistungsbetriebe sowie Anlagen für kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke gestattet. Solche Anlagen sind nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO auch in einem allgemeinen Wohngebiet - dem die Umgebung des nördlichen Plangebiets entspricht - zulässig und damit im Grundsatz wohngebietsverträglich. Ob eine regelhaft zulässige Nutzungsart im Einzelfall nach Art und Umfang gebietsverträglich ist und/oder von ihr unzumutbare Störungen oder Belästigungen ausgehen, ist eine Frage des Genehmigungsverfahrens (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Februar 2008 - 4 B 60.07 - ZfBR 2008, 379 <381>).
8 Die Abwägungsrelevanz der Belange der Antragstellerin ergibt sich nicht daraus, dass der überplante Bereich bislang unbebaut ist und infolge der Festsetzungen damit erstmals Lärmemissionen zu erwarten sind. Führt ein Bebauungsplan dazu, dass ein Nachbargrundstück anders genutzt werden darf als bisher, so gehören die Interessen der Betroffenen an der Beibehaltung des bisherigen Zustands nicht stets, sondern nur grundsätzlich zum notwendigen Abwägungsmaterial. Auch in diesem Fall ergeben sich Beschränkungen der Antragsbefugnis bei Änderungen, die objektiv geringfügig sind und/oder sich nur unwesentlich auf das Nachbargrundstück auswirken können (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Juli 2011 - 4 BN 22.11 - BauR 2012, 76 Rn. 7 m. w. N.).
9 Fehl geht ferner die Annahme der Beschwerde, die Lärmauswirkungen seien ungeachtet der sonstigen Umstände des Einzelfalls schon deshalb als abwägungsrelevant einzustufen, weil der Bebauungsplan Lärmschutzmaßnahmen festsetze. Dies lässt sich auch den von der Beschwerde angeführten obergerichtlichen Entscheidungen nicht entnehmen. Lärmreduzierende Festsetzungen sind bei der Beurteilung der Abwägungsrelevanz vielmehr grundsätzlich zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Juli 2017 - 4 BN 10.17 - BauR 2017, 1972 <1974> zur Einrichtung eines verkehrsberuhigten Bereichs mit der Folge der Verkehrslärmreduzierung); die relevante planbedingte Beeinträchtigung besteht nur in dem Umfang, wie sie von den durch den Plan ermöglichten Nutzungen tatsächlich ausgeht. Abweichendes dürfte gelten, wenn die Rechtmäßigkeit einer Festsetzung zum Lärmschutz substantiiert in Frage gestellt wird (vgl. VGH München, Urteil vom 25. November 2022 - 15 N 21.22 43 - DVBl 2023, 613 Rn. 19). Dies hat das Oberverwaltungsgericht verneint (UA S. 29 f.). Nach der textlichen Festsetzung unter Nr. 12 des Bebauungsplans ist eine Einhausung der Anlieferungsrampe mit einer Länge von ca. 20 m ab Rampenkante mit einem Flächengewicht von mindestens 15 kg/m² und einem spaltfreien Anschluss an das Gebäude und an den Boden zu errichten. Zudem dürfen stationäre Außengeräte einen Emissionspegel von 60 dB(A) nicht überschreiten. Dass der Standort der Anlieferungsrampe im Angebotsplan nicht festgelegt ist, stellt die Bestimmtheit der Festsetzung nicht in Frage. Im Übrigen erscheint es, ohne dass es darauf entscheidend ankommt, angesichts der erheblichen Unterschreitung der Richtwerte an den bereits im ursprünglichen Lärmgutachten betrachteten Lärmimmissionspunkten IP01 und IP07 als zweifelhaft, dass gerade in diesem Bereich ohne die festgesetzten Schallschutzmaßnahmen eine Überschreitung der Grenzwerte anzunehmen war und die Festsetzung damit überhaupt (zumindest auch) im Hinblick auf das Wohngrundstück der Antragstellerin getroffen worden ist.
10 Soweit die Antragstellerin schließlich rügt, das Oberverwaltungsgericht habe die Anforderungen an die Antragsbefugnis mit Blick auf die zu erwartenden Verkehrslärmimmissionen überspannt, dringt sie damit ebenfalls nicht durch. Die Vorinstanz hat die Antragsbefugnis insoweit entscheidungstragend mit der Erwägung verneint, die Erschließung des geplanten Lebensmittelmarktes erfolge nicht über die der Wohnung der Antragstellerin am nächsten gelegene X- oder Y-Straße, sondern über die Z-Straße (L ...); angesichts dessen erscheine es abwegig, dass die aus dem An- und Abfahrtsverkehr zum Plangebiet resultierende Lärmzunahme die Schwelle der Abwägungsrelevanz überschreiten könnte. Ob der für die Z-Straße berechnete Lärmzuwachs zutreffend und insbesondere auf hinreichend ermittelter Datengrundlage berechnet worden ist - was die Antragstellerin bestreitet –, spielt für diese Annahme keine Rolle. Auf die weitere Erwägung des Oberverwaltungsgerichts, es fehle seitens der Antragstellerin an einer substantiierten Auseinandersetzung mit den gutachterlichen Feststellungen, kommt es daher nicht an.
11 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 und 8 GKG.