Beschluss vom 20.12.2018 -
BVerwG 2 B 33.18ECLI:DE:BVerwG:2018:201218B2B33.18.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 20.12.2018 - 2 B 33.18 - [ECLI:DE:BVerwG:2018:201218B2B33.18.0]

Beschluss

BVerwG 2 B 33.18

  • VG Berlin - 17.11.2016 - AZ: VG 85 K 5.14 OB
  • OVG Berlin-Brandenburg - 16.02.2018 - AZ: OVG 82 D 2.17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Dezember 2018
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden und Dr. Hartung
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 16. Februar 2018 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die auf das Vorliegen von Verfahrensmängeln gestützte Beschwerde des Beklagten (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO und § 69 BDG) ist zulässig, aber nicht begründet.

2 1. Der 1964 geborene Beklagte steht als Postbetriebsassistent (Besoldungsgruppe A 5) im Dienst der Klägerin und wurde zuletzt als Paketzusteller eingesetzt. Im Zeitraum von Mai bis Oktober 2012 änderte der Beklagte in zwölf Fällen den Status von Paketsendungen mit Zusatzleistung "Nachnahme" in seinem Handscanner in Paketsendungen ohne diese Zusatzleistung, händigte die Paketsendungen an die jeweiligen Empfänger aus, nahm den Nachnahmebetrag von diesen entgegen, dokumentierte die Auslieferung der Paketsendungen ohne Zusatzleistung "Nachnahme", behielt die eingenommenen Gelder in Höhe von insgesamt 5 568,11 € für sich und führte sie nicht an die Dienststelle ab. Mitte November 2012 verbot die Klägerin dem Beklagten die Führung der Dienstgeschäfte. Das auf die Strafanzeige der Klägerin hin eingeleitete Strafermittlungsverfahren stellte die Staatsanwaltschaft Ende Juni 2013 gemäß § 153 StPO ein. Im Jahr 2014 erstattete der Beklagte die von ihm einbehaltenen Nachnahmebeträge. Auf die Disziplinarklage der Klägerin hat das Verwaltungsgericht den Beklagten antragsgemäß aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

3 Durch das schwere Dienstvergehen habe der Beklagte das Vertrauen seines Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren. Die Taten habe der Beklagte eingeräumt. Er habe eine veruntreuende Unterschlagung in zwölf Fällen begangen. Auch habe der Beklagte durch die Manipulation der konkreten Postdienstleistungen gegen das bestehende Verbot vorsätzlich verstoßen, Daten zu verfälschen. Da für die veruntreuende Unterschlagung eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren vorgesehen sei, reiche der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Diese Disziplinarmaßnahme entspreche auch dem Schweregehalt des vom Beklagten begangenen Dienstvergehens. Der Beklagte habe ein schweres Dienstvergehen im Kernbereich der ihm obliegenden dienstlichen Pflichten begangen und damit das erforderliche Vertrauen in seine Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit endgültig zerstört. Bei der jeweiligen Änderung des Produktcodes im Handscanner handele es sich nicht um bloße Begleitdelikte oder Mittel zur Tatbegehung. Vielmehr habe die Veränderung des Codes jeweils dazu gedient, die Unterschlagung zu verdecken, und sei deshalb für sich genommen disziplinarisch von hohem Gewicht. Insgesamt seien keine entlastenden Gründe von solchem Gewicht gegeben, die bei einer Gesamtbetrachtung den Schluss rechtfertigten, der Beklagte habe das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit noch nicht endgültig verloren. Ein in der Rechtsprechung anerkannter Milderungsgrund liege nicht vor.

4 2. Das Berufungsurteil leidet nicht an den vom Beklagten geltend gemachten Verfahrensmängeln (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO und § 69 BDG).

5 a) Die Ausführungen in der Beschwerdebegründung zur "rechtsfehlerhaften doppelten Verwertung" von Umständen - hier die Veränderung des Produktcodes - wertet der Senat dahingehend, dass damit dem Berufungsgericht der Vorwurf gemacht wird, es habe entgegen § 46 Abs. 3 StGB, der sinngemäß auch für die disziplinarrechtliche Ahndung eines Dienstvergehens gelte, Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes nochmals bei der Bemessung der konkreten Disziplinarmaßnahme verschärfend berücksichtigt. Dieser Vorwurf eines Verfahrensfehlers trifft nicht zu.

6 Zunächst verfolgen Straf- und Disziplinarrecht unterschiedliche Zwecke. Das Strafrecht ist vom Vergeltungsprinzip mit dem Ziel der individuellen Sühne durch ein Unwerturteil über gemeinschaftswidriges Verhalten und strafrechtliche Sanktionen geprägt. Demgegenüber ist es ausschließlich Zweck des Disziplinarverfahrens, das Vertrauen in die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit der Beamten und damit in die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes sicherzustellen (BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2015 - 2 C 9.14 - BVerwGE 152, 228 Rn. 37 und Beschluss vom 5. Juli 2016 - 2 B 24.16 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 38 Rn. 13 ff.).

7 Darüber hinaus ergeben sich die Vorgaben für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme aus § 13 BDG und nicht aus den Vorschriften des Strafgesetzbuches über die Strafzumessung. § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG gibt vor, dass ein Beamter aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen ist, wenn er durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat.

8 Bei der den Verwaltungsgerichten obliegenden Bemessungsentscheidung sind sämtliche be- und entlastenden Umstände zu berücksichtigen (BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2015 - 2 C 50.13 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 39 Rn. 10). Dazu gehört hier der Umstand, dass dem Beklagten die Nachnahmezahlungen i.S.v. § 246 Abs. 2 StGB anvertraut waren. Denn die Empfänger hatten die Geldbeträge an den Beklagten jeweils in der Erwartung übergeben, dieser werde die Geldbeträge an die Post AG abführen, damit diese die Beträge an die jeweiligen Absender zur Erfüllung der Verpflichtungen der Empfänger der Sendungen weiterleitet. Ausgehend von dem in § 246 Abs. 2 StGB gesetzlich bestimmten Strafrahmen einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren reicht der Orientierungsrahmen für die Disziplinarmaßnahme bis hin zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.

9 Nach den gesetzlichen Vorgaben des § 13 BDG ist aber auch der Umstand bemessungsrelevant, auf welche Weise der Beklagte - hier durch die Veränderung des Produktcodes auf seinem Handscanner - die rechtswidrige Zueignung der Nachnahmebeträge von insgesamt mehr als 5 000 € über einen Zeitraum von mindestens fünf Monaten gegenüber der Klägerin geheim gehalten hat. Die Verfälschung von Daten durch Änderung des Produktcodes in einem Handscanner beeinträchtigt die Sicherheit des Postverkehrs und hat einen nicht notwendig in der Verwirklichung des Straftatbestandes enthaltenen disziplinarrechtlich relevanten Unwertgehalt.

10 b) Hinsichtlich der "anerkannten" Milderungsgründe sieht es die Beschwerde als verfahrensfehlerhaft an, dass das Berufungsgericht zur Frage, ob die tatsächlichen Voraussetzungen eines solchen Milderungsgrundes vorliegen, jeweils von der Einholung eines Sachverständigengutachtens abgesehen hat.

11 Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erfordert die Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht aus § 58 Abs. 1 BDG, § 3 BDG i.V.m. § 86 Abs. 1 VwGO die substanziierte Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des Berufungsgerichts aufklärungsbedürftig waren, welche für erforderlich oder geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des Tatsachengerichts zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätten führen können. Die Aufklärungsrüge stellt zudem kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren, vor allem wenn er es unterlassen hat, einen Beweisantrag zu stellen. Deshalb muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (BVerwG, Urteil vom 22. Januar 1969 - 6 C 52.65 - BVerwGE 31, 212 <217 f.>; Beschlüsse vom 19.  August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 und vom 19. Februar 2018 - 2 B 51.17 - juris Rn. 6).

12 Förmliche Beweisanträge zur Einholung eines Sachverständigengutachtens hat der anwaltlich vertretene Beklagte ausweislich des Protokolls der Berufungsverhandlung nicht gestellt. In dieser Verhandlung ist der Beklagte vom Oberverwaltungsgericht gerade zu solchen Aspekten befragt worden - u.a. Ausfallzeiten wegen Erkrankungen im Jahr 2012, Räumung seiner Mietwohnung, Umgang mit "falschen" Freunden bereits ab Mitte 2011 -, hinsichtlich derer nunmehr geltend gemacht wird, das Berufungsgericht hätte zur Beurteilung der gesundheitlichen Verfassung des Beklagten ein Sachverständigengutachten einholen müssen. In der Beschwerdebegründung wird aber nicht im vorstehend beschriebenen Sinne dargelegt, dass sich dem Oberverwaltungsgericht auf der Basis seiner Rechtsauffassung ungeachtet des Fehlens von unbedingten Beweisanträgen des Beklagten - z.B. wegen des Inhalts der Angaben des Beklagten in der Berufungsverhandlung - eine Aufklärung des Sachverhalts durch Einholung eines Sachverständigengutachtens hätte aufdrängen müssen. Der pauschale Hinweis auf das Erfordernis der Einholung eines solchen Gutachtens reicht hierfür nicht aus.

13 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Verfahren Festgebühren nach der Anlage zu § 78 Satz 1 BDG erhoben werden.