Beschluss vom 21.02.2023 -
BVerwG 1 WNB 6.22ECLI:DE:BVerwG:2023:210223B1WNB6.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 21.02.2023 - 1 WNB 6.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:210223B1WNB6.22.0]

Beschluss

BVerwG 1 WNB 6.22

  • TDG Nord 1. Kammer - 08.03.2022 - AZ: N 1 BLa 33/20 und N 1 RL 4/22

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt
am 21. Februar 2023 beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des Truppendienstgerichts Nord vom 8. März 2022 wird zurückgewiesen.
  2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die behauptete grundsätzliche Bedeutung der Beschwerdesache (§ 22a Abs. 2 Nr. 1 WBO) sowie der gerügte Verfahrensmangel (§ 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO) einer Verletzung der gerichtlichen Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 18 Abs. 2 Satz 1 WBO) sind nicht prozessordnungsgemäß dargelegt bzw. liegen nicht vor.

2 1. Die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 22 a Abs. 2 Nr. 1 WBO kommt der Sache nicht zu.

3 a) Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache erfordert die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Rechtsbeschwerde entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. für das Revisionsrecht der VwGO BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> sowie für das Rechtsbeschwerderecht der WBO BVerwG, Beschlüsse vom 23. November 2011 - 1 WNB 5.11 - Rn. 2 und vom 12. April 2018 - 2 WNB 1.18 - juris Rn. 5, jeweils m. w. N.). Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die der - ggf. erneuten oder weitergehenden - höchstrichterlichen Klärung bedarf, sofern mit dieser Klärung im angestrebten Rechtsbeschwerdeverfahren zu rechnen ist und hiervon eine Fortentwicklung der Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus zu erwarten steht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Januar 2017 - 8 B 16.16 - juris Rn. 16). Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie sich auch ohne Durchführung eines Rechtsbeschwerdeverfahrens auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Interpretation und auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und der vorliegenden Literatur ohne Weiteres beantworten lässt (stRspr, vgl. z. B. BVerwG, Beschluss vom 13. Juni 2014 - 1 WNB 1. 14 - juris Rn. 4 m. w. N.). Nicht im Rechtsbeschwerdeverfahren klärungsfähig sind Rechtsfragen, die sich nicht in verallgemeinerungsfähiger Form beantworten lassen, weil es maßgeblich auf konkrete Umstände des Einzelfalles ankommt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 23. November 2011 - 1 WNB 5.11 - Rn. 5 und vom 3. Mai 2019 - 1 WNB 3.18 - Rn. 11 und 13).

4 b) Die vom Antragsteller formulierten Rechtsfragen
"1. Genügt der Widerruf einer Nebentätigkeitsgenehmigung auch dann den gesetzlichen Erfordernissen, wenn der Versagungsgrund nicht in der Tätigkeit, sondern nur in der Person des Antragstellers begründet ist und die Nebentätigkeit entgegen dem gesetzlichen Wortlaut nicht dienstliche Interessen beeinträchtigt, sondern nur die Möglichkeit der Beeinträchtigung gegeben ist?
2. Dürfen wertende Einstufungen und nicht überprüfbare Behauptungen und Vermutungen des BAMAD, die zudem nicht isoliert im Verwaltungsstreitverfahren angegriffen werden können, ohne weitere Konkretisierungen und Nachweise der behaupteten Handlungen als feststehende Tatsachen einer Entscheidung des Vorgesetzten über den Widerruf einer Nebentätigkeitsgenehmigung zugrunde gelegt werden?"
rechtfertigen die Durchführung eines Rechtsbeschwerdeverfahrens nicht, auch wenn damit Fragen zur Auslegung von revisiblem Recht, nämlich von § 20 Abs. 2 Satz 9 SG, formuliert sind.

5 Die erste Frage setzt sich aus zwei Teilfragen zusammen, die aus unterschiedlichen Gründen die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht rechtfertigen.

6 Soweit gefragt wird, ob der "Versagungsgrund" bzw. der Widerrufsgrund in der Person des betroffenen Soldaten oder seiner Tätigkeit liegen muss, hängt die Frage von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab und ist einer verallgemeinerungsfähigen, über den Einzelfall hinausgehenden Klärung in einem Rechtsbeschwerdeverfahren nicht zugänglich. § 20 Abs. 2 Satz 9 SG stellt auf eine Beeinträchtigung dienstlicher Interessen ab. Zur Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffes ist die exemplarische Aufzählung in § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 4 SG heranzuziehen. Bereits hieraus ist abzuleiten, dass eine Beeinträchtigung dienstlicher Interessen durch die Nebentätigkeit in einer Vielzahl von Kollisionen zwischen den Dienstpflichten des Soldaten und der in Rede stehenden Nebentätigkeit bestehen kann. Damit sind je nach den Umständen des Einzelfalles unterschiedliche Interessenkonflikte erfasst, die sich sowohl aus der Person des Soldaten als auch aus seiner Tätigkeit ergeben könnten.

7 Soweit sich die Frage darauf richtet, ob die Nebentätigkeitsgenehmigung auch dann widerrufen werden darf, wenn eine Beeinträchtigung dienstlicher Interessen nicht tatsächlich vorliegt, sondern nur möglich ist, bedarf es wegen der Eindeutigkeit des Gesetzeswortlautes und der Gesetzessystematik nicht der Durchführung eines Rechtsbeschwerdeverfahrens. Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 SG ist die Nebentätigkeitsgenehmigung zu versagen, wenn zu besorgen ist, dass durch die Nebentätigkeit dienstliche Interessen beeinträchtigt werden. Der zwingende Widerruf einer erteilten Nebentätigkeitsgenehmigung nach § 20 Abs. 2 Satz 9 SG setzt dagegen voraus, dass sich eine Beeinträchtigung dienstlicher Interessen nach Erteilung der Genehmigung ergibt. Nach diesem Wortlaut setzt der Widerruf nach dieser Norm den tatsächlichen Eintritt der Beeinträchtigung dienstlicher Interessen voraus (so auch Metzger, in: Eichen/Metzger/Sohm, SG, 4. Aufl. 2021, § 20 Rn. 69, sowie zu § 99 Abs. 4 Satz 3 BBG Geis, in: GKÖD, Stand: September 2022, BBG L § 99 Rn. 79, Plog/Wiedow, BBG 2009 § 99 Rn. 29).

8 Entgegen den Ausführungen der Vorinstanz im Nichtabhilfebeschluss vom 27. Juni 2022 folgt nichts Anderes aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juni 2014 - 2 C 23.13 - BVerwGE 150, 153 Rn. 23. Die Entscheidung betrifft weder § 20 Abs. 2 Satz 9 SG noch deren beamtenrechtliche Parallelvorschrift in § 99 Abs. 4 Satz 3 BBG. Vielmehr beschäftigt sich die Entscheidung mit § 41 Satz 2 BeamtStG. Danach ist einem Ruhestandsbeamten eine Erwerbstätigkeit zu untersagen, wenn zu besorgen ist, dass durch sie dienstliche Interessen beeinträchtigt werden. Da diese Norm offensichtlich einen anderen Wortlaut hat und einen anderen Regelungsbereich betrifft, kann dieses Revisionsurteil zur Auslegung des § 20 Abs. 2 Satz 9 SG nicht herangezogen werden. Ob die angegriffene Entscheidung des Truppendienstgerichts hiernach auf einem Rechtsfehler beruht, kann offenbleiben. Denn die Rüge einer fehlerhaften Anwendung des materiellen Rechts im Einzelfall kann die Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 22b Abs. 2 WBO i. V. m. § 22a Abs. 2 Nr. 1 WBO nicht rechtfertigen (stRspr, vgl. z. B. BVerwG, Beschluss vom 12. April 2018 - 2 WNB 1.18 - juris Rn. 6).

9 Die zweite Frage würde sich in einem Rechtsbeschwerdeverfahren nicht stellen, weil das Truppendienstgericht seine Entscheidung nicht auf wertende Einstufungen, nicht überprüfbare Behauptungen oder Vermutungen des BAMAD stützt. Es stützt die Zweifel an der Verfassungstreue des Antragstellers ausweislich der Ausführungen auf Seite 14 der Entscheidungsgründe ("Bereits diese Erkenntnisse sind geeignet, erhebliche Zweifel an der Bereitschaft des Antragstellers, für die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des § 8 SG aufkommen zu lassen.") vielmehr tragend auf den - vom Antragsteller mit der Begründung seiner Rechtsbeschwerde ausdrücklich eingeräumten - Umstand, dass er 2019 als ... in den Landesvorstand der Jungen Alternative ... gewählt wurde, sowie den Umstand, dass diese vom Bundesamt für Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft wird. Ob hieraus rechtsfehlerfrei auf eine Beeinträchtigung dienstlicher Interessen geschlossen werden kann, ist eine Frage der Rechtsanwendung im Einzelfall, die die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht rechtfertigt.

10 2. Die Verfahrensrüge greift ebenfalls nicht durch.

11 a) Gemäß § 18 Abs. 2 Satz 1 WBO hat das Truppendienstgericht von Amts wegen den nach seiner Rechtsauffassung maßgeblichen Sachverhalt aufzuklären. Die ordnungsgemäße Darlegung einer Aufklärungsrüge setzt unter anderem die Angabe voraus, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des Truppendienstgerichts ermittlungsbedürftig gewesen wären und inwiefern die angegriffene Entscheidung auf der unterbliebenen Sachaufklärung beruhen kann. Weiter muss dargelegt werden, welche konkreten Beweismittel zur Klärung der für entscheidungserheblich gehaltenen Behauptungen zur Verfügung gestanden hätten, welches Ergebnis die Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte und dass entsprechende Beweisanträge im gerichtlichen Verfahren gestellt wurden oder warum sich dem Gericht die weitere Aufklärung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen (BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14 f. m. w. N. und vom 12. April 2018 - 2 WNB 1.18 - juris Rn. 3).

12 Hieran fehlt es bereits deshalb, weil der Antragsteller nicht ausführt, welche konkreten Beweismittel das Truppendienstgericht hätte heranziehen müssen. Es fehlt außerdem an der Darlegung, dass sich weitere Ermittlungen für das Truppendienstgericht aufgedrängt hätten oder Beweisanträge mit entscheidungserheblichen konkreten Tatsachenbehauptungen und bestimmten Beweismitteln gestellt worden seien.

13 b) Soweit eine Verletzung rechtlichen Gehörs durch den Leiter des Gefechtsübungszentrums gerügt wird, ist ein Verfahrensmangel im Sinne von § 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO damit nicht dargetan. Verfahrensmängel im Sinne dieser Norm können nur solche des gerichtlichen Verfahrens sein, nicht jedoch solche des Ausgangsverfahrens oder des vorgerichtlichen Beschwerdeverfahrens (BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 2015 - 1 WNB 2.15 - NZWehrr 2016, 84 m. w. N.).

14 Die Kostenentscheidung beruht auf § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO.