Beschluss vom 21.09.2023 -
BVerwG 10 B 7.23ECLI:DE:BVerwG:2023:210923B10B7.23.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 21.09.2023 - 10 B 7.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:210923B10B7.23.0]
Beschluss
BVerwG 10 B 7.23
- VG München - 25.01.2017 - AZ: M 9 K 15.3863
- VGH München - 28.10.2022 - AZ: 8 BV 20.1918
In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. September 2023
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Rublack und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Günther und Dr. Löffelbein
beschlossen:
- Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. Oktober 2022 wird zurückgewiesen.
- Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
- Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.
Gründe
I
1 Der Kläger, eine anerkannte Umweltvereinigung, begehrt vom Beklagten, dem Vorhabenträger des Kramertunnels Schadensbegrenzungs- und Sanierungsmaßnahmen nach dem Umweltschadensgesetz aufzugeben.
2 Mit bestandskräftigem Planfeststellungsbeschluss vom 30. November 2007 wurde die Untertunnelung des Kramers bei Garmisch-Partenkirchen planfestgestellt. Das Vorhaben besteht aus einer Hauptröhre und einem Rettungs- bzw. Erkundungsstollen.
3 Im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung nach § 34 BNatSchG wurde u. a. die Maßnahme M2 beschlossen, die die "Abdichtung durch diskretes oder flächenhaftes Injizieren der Wasserwegigkeit, Umfang richtet sich nach Art des Zutritts" beinhaltet.
4 Zunächst wurde mit dem Bau des Rettungsstollens begonnen. Dabei kam es im Jahr 2012 zu Wasserzutritten. Drei Quellschüttungen versiegten und es entstanden Schäden in einem FFH-Gebiet. Die Bauarbeiten wurden daraufhin eingestellt.
5 Der Kläger verlangt seither vom Beklagten ein Tätigwerden nach dem Umweltschadensgesetz. Ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes blieb im Jahr 2015 erfolglos. Die erhobene Klage mit dem Ziel, dem Vorhabenträger die Durchführung der Maßnahme M2 aufzuerlegen, hilfsweise diesen zur Durchführung der erforderlichen Sanierungsmaßnahmen nach § 8 USchadG zu verpflichten, hat das Verwaltungsgericht im Januar 2017 abgewiesen.
6 Mit bestandskräftigem Planfeststellungsbeschluss vom 28. Juli 2017 ist der Planfeststellungsbeschluss von 2007 geändert bzw. ergänzt worden. Nunmehr soll das Vorhaben unter Verzicht auf die Maßnahme M2 bei dauerhafter Absenkung des Bergwasserspiegels durchgeführt werden. Kohärenzausgleichsflächen sowie eine Kompensationsfläche sind dauerhaft für Naturschutzzwecke bereitzustellen.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat der Berufung hinsichtlich des Hilfsantrags stattgegeben. Die Revision hat er nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beklagten.
II
8 Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und auf Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet.
9 1. Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt werden, dass und inwiefern diese Voraussetzungen vorliegen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom 7. Oktober 2022 - 7 B 6.22 - juris Rn. 5). Daran fehlt es hier.
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a) Die von der Beschwerde als rechtsgrundsätzlich erachtete Frage,
Kann die Konzentrationswirkung, die einem Planänderungsbeschluss nach § 75 Satz 1 VwVfG zukommt, dann, wenn der Planänderungsbeschluss denjenigen Planfeststellungsbeschluss ändert, in dessen Durchführung ein Umweltschaden entstanden ist, eine Sanierungsanordnung nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 USchadG in Gestalt einer ergänzenden Sanierung nach Anhang II Nr. 1.1.2 RL 2004/35/EG jedenfalls dann mit umfassen, wenn eine Primärsanierung nach Anhang II Nr. 1.1.1 RL 2004/35/EG mit der Durchführung des durch die verschmolzenen Beschlüsse zugelassenen Vorhabens unvereinbar ist, mithin der Ausschluss einer Primärsanierung Voraussetzung für die Durchführung des Vorhabens mit der Folge ist, dass die Durchführung des Vorhabens nur noch eine ergänzende Sanierung zulässt?,
kann ohne die Durchführung eines Revisionsverfahrens anhand des geltenden Rechts und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantwortet werden. Die Konzentrationswirkung eines Planfeststellungsbeschlusses ergibt sich aus § 75 Abs. 1 VwVfG. Sie erstreckt sich nach § 75 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwVfG vor allem auf andere behördliche Entscheidungen, insbesondere öffentlich-rechtliche Genehmigungen, Verleihungen, Erlaubnisse, Bewilligungen, Zustimmungen und Planfeststellungen. Sie erfasst damit denjenigen Bereich staatlicher Entscheidungen, in denen sich der Gesetzgeber des Mittels vorheriger Kontrolle bedient, sei es eines präventiven Verbots mit Erlaubnisvorbehalt oder eines repressiven Verbots mit Befreiungsvorbehalt. Entscheidungen über Gefahrenabwehr oder - bei eingetretenem Schaden - über dessen Beseitigung oder Kompensation werden hingegen von der Konzentrationswirkung des Planfeststellungsbeschlusses nicht erfasst (BVerwG, Urteil vom 16. März 2006 - 4 A 1075.04 - BVerwGE 125, 116 Rn. 466 zu § 9 Abs. 1 Satz 1 LuftVG). Das Umweltschadensgesetz befasst sich mit der Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden. Dabei sollen Umweltschäden im Sinne der Gefahrenabwehr möglichst vermieden und dort, wo dies nicht mehr möglich ist, weil ein Schaden bereits eingetreten ist, unter Beachtung des Verursacherprinzips saniert werden (vgl. BT-Drs. 16/3806 S. 19 f.). Eine erteilte Zulassung oder Genehmigung schließt die Verantwortlichkeit nach dem Umweltschadensgesetz nicht aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. September 2017 - 7 C 29.15 - Buchholz 406.257 USchadG Nr. 1 Rn. 25).
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b) Auch der weiter durch die Beschwerde aufgeworfenen Frage,
Schließt die Konzentrationswirkung, die einem Planänderungsbeschluss nach § 75 Satz 1 VwVfG zukommt, dann, wenn der Planänderungsbeschluss denjenigen Planfeststellungsbeschluss ändert, in dessen Durchführung ein Umweltschaden entstanden ist, eine Sanierungsanordnung nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 USchadG in Gestalt einer Primärsanierung nach Anhang II Nr. 1.1.1 RL 2004/35/EG, aus, wenn die Primärsanierung mit der Durchführung des durch die verschmolzenen Beschlüsse zugelassenen Vorhabens unvereinbar ist, mithin der Ausschluss einer Primärsanierung Voraussetzung für die Durchführung des Vorhabens ist?,
kommt keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung zu. Die Frage war für das Berufungsgericht nicht entscheidungserheblich. Der Verwaltungsgerichtshof hat dem Hauptantrag des Klägers, welcher auf die Anordnung einer konkreten Maßnahme gerichtet war, nicht stattgegeben, sondern - dem Hilfsantrag folgend - den Beklagten unter Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe verpflichtet, dem Vorhabenträger die Ergreifung "erforderlicher Sanierungsmaßnahmen" nach § 8 USchadG aufzugeben. Dass jegliche denkbare, als erforderlich angesehene Sanierungsmaßnahme zwingend im Sinne der aufgeworfenen Rechtsfrage mit dem geänderten Planfeststellungsbeschluss in sachlichem Widerspruch steht, hat die Beschwerde nicht dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).
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c) Die Beschwerde hält weiterhin die folgende Frage für rechtsgrundsätzlich:
Ist für die Frage, ob eine Schädigung von Gewässern nach § 2 Nr. 1 Buchst. b USchadG in Gestalt einer nach § 90 Abs. 1 Nr. 3 WHG erheblichen nachteiligen Auswirkung auf den mengenmäßigen Zustand des Grundwassers vorliegt, nur der konkret veränderte Teil des einen Grundwasserkörpers (§ 2 GrwV), also letztlich ein Ausschnitt aus diesem, maßgeblich zu betrachten, oder setzt die Bejahung erheblicher nachteiliger Auswirkungen auf den mengenmäßigen Zustand des Grundwassers eine Betrachtung des Grundwasserkörpers insgesamt voraus? M. a. W.: Ist der mengenmäßige Zustand des Grundwassers im Sinne des § 90 WHG am Grundwasserkörper im Sinne des § 2 GrwV auszurichten?
13 Sie legt aber die Entscheidungserheblichkeit dieser Frage nicht dar. § 2 Nr. 1 Buchst. b USchadG verweist bezüglich eines Gewässerschadens, um den es hier geht, auf § 90 WHG. Nach dessen Absatz 1 Nr. 3 ist eine Schädigung eines Gewässers im Sinne des Umweltschadensgesetzes bei jedem Schaden mit erheblichen nachteiligen Auswirkungen auf den chemischen oder mengenmäßigen Zustand des Grundwassers anzunehmen. Das Berufungsgericht bejaht solche, nach seiner Auffassung erheblichen nachteiligen Auswirkungen, indem es tatsächliche Feststellungen über das Absinken des Grundwasserspiegels um bis zu 128 m und das hieraus folgende Trockenfallen von drei Quellen als Schaden im Sinne des § 90 Abs. 1 Nr. 3 WHG trifft. Die Beschwerde versäumt aufzuzeigen, dass die Erheblichkeitsschwelle bei einer Ausrichtung am Grundwasserkörper im Sinne des § 2 GrwV nicht überschritten wäre. Dies wäre aber die Voraussetzung für die Annahme einer Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Frage.
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d) Die Beschwerde hält schließlich die Frage für entscheidungserheblich:
Ist für die Frage, ob eine Schädigung von Gewässern nach § 2 Nr. 1 Buchst. b USchadG in Gestalt einer nach § 90 Abs. 1 Nr. 1 WHG erheblichen nachteiligen Auswirkung auf den ökologischen oder chemischen Zustand eines oberirdischen Gewässers vorliegt, abzustellen auf das Gewässer im Sinne von § 3 Nr. 1 WHG oder auf den gemäß § 3 OGewV behördlich festgelegten Oberflächenwasserkörper?
15 Auch insoweit versäumt es die Beschwerde, die Entscheidungserheblichkeit darzulegen. Hierfür genügt es nicht, dass sie moniert, für den von ihr in den Raum gestellten Rechtsstandpunkt, bei der Feststellung der Schädigung von Gewässern im Sinne von § 2 Nr. 1 Buchst. b USchadG sei auf § 3 Nr. 1 WHG bzw. auf § 3 OGewV abzustellen, fehlten hinreichende tatsächliche Feststellungen. Es wäre vielmehr jedenfalls erforderlich gewesen, dass die Beschwerde ihrerseits aufzeigt, dass bei Annahme der Richtigkeit dieses Rechtsstandpunktes das Berufungsgericht zu einem anderen Ergebnis hätte kommen müssen (vgl. oben, 1. c). Dies ist nicht geschehen. Im Übrigen stützt der Verwaltungsgerichtshof die Annahme eines Gewässerschadens im Sinne des § 90 Abs. 1 WHG kumulativ auf Schädigungen von Grundwasser und oberirdischen Gewässern.
16 2. Die Beschwerde zeigt auch keinen Verfahrensfehler auf. Namentlich die Annahme der Aktenwidrigkeit ist verfehlt.
17 Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die Grenzen der "Freiheit" des Gerichts sind jedoch überschritten, wenn es entweder seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen tatsächlichen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen. Solche Verstöße gegen den Überzeugungsgrundsatz können als Verfahrensmängel gerügt werden (stRspr, vgl. nur BVerwG, Urteil vom 30. August 2012 - 8 C 5.11 - Buchholz 428 § 1 Abs. 1 VermG Nr. 28 Rn. 24 m. w. N.).
18 Eine "aktenwidrige Entscheidung" liegt erst vor, wenn der Streitstoff, den das Tatsachengericht seiner Entscheidung zugrunde legt, von dem tatsächlichen Streitstoff, wie er sich aus den Akten ergibt, zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht, sei es dass er darüber hinausgeht, indem aktenwidrig – "ins Blaue hinein" – Tatsachen angenommen werden, sei es dass er dahinter zurückbleibt, indem Akteninhalt übergangen wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. August 2012 - 8 C 5.11 - Buchholz 428 § 1 Abs. 1 VermG Nr. 28 Rn. 25; Beschluss vom 30. August 2018 - 7 B 5.18 - juris Rn. 6 f.).
19 Der Vorwurf der Aktenwidrigkeit wird hier allein auf den Umstand bezogen, dass das Berufungsgericht die Annahme eines Umweltschadens als "unstreitig" bezeichnet hat. Dies war aber jedenfalls nicht entscheidungserheblich. Denn das Berufungsgericht hat seine Entscheidung unabhängig von diesem Hinweis in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht ausführlich begründet. Dies stellt auch die Beschwerde nicht in Abrede. Hinzu kommt, dass der Beklagte zum Beleg seiner Rüge lediglich auf Planfeststellungsunterlagen und nicht (auch) auf Akten des Rechtsstreits über die Verantwortlichkeit nach dem Umweltschadensgesetz Bezug nimmt.
20 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Entscheidung über den Wert des Streitgegenstands beruht auf § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 1 und 3 GKG.