Beschluss vom 22.06.2006 -
BVerwG 5 B 42.06ECLI:DE:BVerwG:2006:220606B5B42.06.0
Beschluss
BVerwG 5 B 42.06
- Sächsisches OVG - 17.11.2005 - AZ: OVG 5 B 553/04
In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Juni 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Brunn und Prof. Dr. Berlit
beschlossen:
- Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 17. November 2005 wird zurückgewiesen.
- Der Antrag der Klägerin, ihr unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird abgelehnt.
- Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1 Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.
2 1. Die Revision ist nicht wegen der ihr von der Beschwerde beigemessenen grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
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1.1. Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage,
„ob zwischen § 5 und § 7 Unterhaltsvorschussgesetz - UVG - ein Rangverhältnis dergestalt besteht, dass zunächst der gemäß § 7 UVG übergegangene zivilrechtliche Unterhaltsanspruch gegen den insoweit unterhaltspflichtigen Elternteil und erst bei dessen Uneinbringlichkeit subsidiär der Anspruch aus § 5 I UVG gegen den anderen Elternteil geltend zu machen ist“,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Denn es folgt, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf, auch in Anlehnung der von der Klägerin herangezogenen, gegenteiligen Stimme im Schrifttum unmittelbar aus dem Gesetz, dass ein solches „Rangverhältnis“ nicht besteht.
4 Der Wortlaut des § 5 UVG enthält keinen Hinweis darauf, dass die hier strittige Ersatzpflicht von nicht in § 5 Abs. 1 geregelten, weiteren Voraussetzungen abhängen könnte; hierfür fehlt auch entstehungsgeschichtlich jeder Anhalt. Ein solches „Rangverhältnis“ folgt auch nicht aus dem Sinn und Zweck der Regelungen. Der in § 7 Abs. 1 UVG geregelte gesetzliche Übergang von Ansprüchen des Berechtigten bei Gewährung von Unterhaltsleistungen nach dem UVG dient der Sicherung des Nachranges dieser Leistungen und soll insbesondere sicherstellen, dass ein zum Barunterhalt verpflichteter Elternteil nicht durch säumige oder unzureichende Unterhaltszahlungen endgültig entlastet wird. Der Ersatzanspruch nach § 5 Abs. 1 UVG normiert einen von den §§ 45 ff. SGB X abweichenden und insoweit vorrangigen (§ 37 Satz 1 SGB I) Rückgriffsanspruch in bestimmten Fällen zurechenbar rechtswidriger Leistungsgewährung; dieser Ersatzanspruch setzt die Aufhebung des bewilligenden, an das Kind als Berechtigten zu richtenden Verwaltungsakts gerade deswegen nicht voraus, weil für die „Rückabwicklung“ nicht das berechtigte Kind, sondern der Elternteil in Anspruch genommen werden sollte, dem die objektiv rechtswidrige Zahlung der Unterhaltsleistung zuzurechnen ist. Die Regelungen des § 5 Abs. 1 UVG einerseits, des § 7 UVG andererseits unterscheiden sich mithin - wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat - nach Zweckrichtung, Voraussetzungen und Rechtsfolgen in einem Maße, dass für ein „Rangverhältnis“ bei der Geltendmachung weder Raum noch Anlass besteht.
5 Die auch sonst systematisch getrennten Regelungen berühren sich allerdings in Fällen rechtswidriger Leistungsgewährung, soweit der gesetzliche Anspruchsübergang nach § 7 Abs. 1 UVG auch in diesen Fällen eintreten sollte. Das vorliegende Verfahren gibt indes keinen Anlass zur näheren Erörterung, ob oder unter welchen Voraussetzungen dies der Fall ist und wie zu § 5 Abs. 1 UVG in Fällen zu verfahren ist, in denen der Leistungsträger für die von ihm gezahlten und nach § 5 Abs. 1 UVG zu ersetzenden Unterhaltsleistungen von Dritten bereits aus übergegangenem Recht oder kraft Erstattung Zahlungen erlangt hat. Denn auch wenn unterstellt wird, dass Ansprüche gegen Dritte auch bei rechtwidriger Leistungsgewährung übergehen, greift dieser Übergang jedenfalls für die Zeiträume nicht (mehr), für die nach § 5 Abs. 1 UVG Ersatz zu leisten ist; die Ersatzleistung nach § 5 Abs. 1 UVG lässt zwar die Tatsache der Leistungsgewährung und den Bestand des Bewilligungsbescheides nicht (rückwirkend) entfallen, wohl aber den rechtfertigenden Grund für den gesetzlichen Anspruchsübergang. Das Problem, dass in der von der Beschwerde herangezogenen Kommentierung (Helmbrecht, UVG, 5. Aufl. 2004, § 7 Rn. 7; ebenso die noch von R. Scholz bearbeitete Vorauflage) ohne nähere Begründung (der Verweis auf BGH, Urteil vom 18. Juni 1986 - IVb ZR 43/85 -, NJW 1986, 3082 stützt diese Ansicht schon deswegen nicht, weil eine Leistungsgewährung unter Verkennung des seinerzeit geltenden Titelerfordernisses des § 1 Abs. 1 Nr. 4 UVG <a.F.> schon im Ansatz keinen Ersatzanspruch gegen den betreuenden Elternteil begründen konnte) durch eine Anwendung des § 5 Abs. 1 UVG erst bei erfolglosen Bemühungen um die Durchsetzung des übergegangenen Anspruchs lösen wollte, ist bei der Anwendung des § 7 Abs. 1 UVG zu bewältigen. Da Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens allein der gegen die Klägerin gerichtete Ersatzanspruch ist, dessen Bestehen nicht davon abhängig ist, dass und wie das Kind der Klägerin insoweit wieder Berechtigter des Unterhaltsanspruchs wird, bedarf keiner Klärung, ob dies durch eine Rechtspflicht des Leistungsträgers zur Rückübertragung im Umfang des festgesetzten bzw. durchgesetzten Ersatzanspruchs zu erfolgen hat, in diesen Fällen der Ersatzanspruch (rückwirkend) eine Leistungsgewährung i.S.d. § 7 Abs. 1 Satz 1 UVG als nicht erfolgt gilt oder § 7 Abs. 1 Satz 2 UVG entsprechend anzuwenden ist.
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1.2. Die von der Beschwerde weiterhin aufgeworfene Frage,
„Handelt der Elternteil im Sinne des § 5 I Nr. 1 2. A. UVG in einem für die Entstehung eines Erstattungsanspruchs begründenden Maße fahrlässig, der zwar nicht der zuständigen Stelle des Jugendamts im Sinne des § 5 I UVG Anzeige von seiner Wiederverheiratung - als anspruchsvernichtendem Umstand für den Bezug von Leistungen nach dem UVG - macht, gleichwohl aber davon ausgeht, dass es sich bei dem von ihm für sein Kind, das Leistungen nach dem UVG bezieht, nach seiner Wiederverheiratung aufgrund dieses Umstandes beantragten Namensänderungsverfahrens, an dem dasselbe Jugendamt beteiligt ist, auch um die ‚zuständige Stelle’ im Sinne des § 5 I Nr. 2 A. UVG handelt, und in dem Bewilligungsbescheid über die UVG-Leistungen nur das Jugendamt des zuständigen Landratsamtes als die Behörde ausgewiesen ist, der gegenüber gemäß einer Belehrung auf der Rückseite des Bewilligungsbescheides Änderungen nach § 6 IV UVG mitzuteilen sind?“,
betrifft ohne hinreichende Bezeichnung (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) einer fallübergreifend klärungsfähigen oder -bedürftigen Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung die einzelfallbezogene Auslegung und Anwendung des § 5 Abs. 1 UVG.
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Soweit die Beschwerde damit die Rechtsfrage hätte aufwerfen wollen,
„welches Maß an Verletzung der Sorgfalt bzw. Verschulden einen Fahrlässigkeitsvorwurf, der für die Bejahung des Tatbestandes des § 5 I Nr. 1 UVG erforderlich ist“
(so zur Verfahrensrüge <Nr. 3 der Beschwerdeschrift>),
zeigt die Beschwerde selbst auf, dass das Berufungsgericht diese Frage letztlich dahingestellt hat sein lassen und das Verhalten der Klägerin auch in Anwendung eines im Schrifttum vertretenen, strengeren Maßstabes als fahrlässig bewertet hat, sich die aufgeworfene Rechtsfrage als nicht erheblich mithin nicht stellte. Unabhängig davon ist nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut, der auch mit Sinn und Zweck vereinbar ist, neben vorsätzlichem auch (lediglich) fahrlässiges Verhalten ausreichend, wobei kein Anhalt besteht, dass dieser Begriff abweichend von § 276 Abs. 2 BGB zu verstehen ist; dies lässt Raum für eine dem Unterhaltsvorschussrecht entsprechende Auslegung und Anwendungen der Sorgfaltsanforderungen. Unter welchen Voraussetzungen die anderweitige, nicht durch zielgerichtete Anzeige an die leistungsgewährende Stelle gewonnene Kenntnis einer anderen Stelle in einem größeren Jugendamt von einem anspruchsvernichtenden Umstand geeignet ist, eine Verletzung der Anzeigepflicht (§ 6 UVG) oder doch den Fahrlässigkeitsvorwurf (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG) entfallen zu lassen, betrifft auch sonst fallübergreifender Klärung nicht zugängliche Fragen der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts, bei der sich als Vorfrage zudem die von der Beklagten aufgeworfene Frage der Befugnis zur Weitergabe der personenbezogenen Informationen durch die im Namensänderungsverfahren beteiligte Stelle ihres Jugendamtes stellte.
8 2. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Die von der Beschwerde sinngemäß gerügte Verletzung des § 86 Abs. 1 VwGO ist schon nicht hinreichend darlegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) und liegt jedenfalls in der Sache nicht vor.
9 Wer, wie die Klägerin, die Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht erhebt, obwohl er - anwaltlich vertreten - in der Vorinstanz keinen förmlichen Beweisantrag gestellt hat (vgl. § 86 Abs. 2 VwGO), muss, um den gerügten Verfahrensmangel prozessordnungsgemäß zu bezeichnen, substantiiert darlegen, warum sich dem Tatsachengericht aus seiner für den Umfang der verfahrensrechtlichen Sachaufklärung maßgebenden materiellrechtlichen Sicht die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung in der aufgezeichneten Richtung hätte aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. März 1978 - BVerwG 6 B 24.78 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 164 S. 43 f., vom 1. April 1997 - BVerwG 4 B 206.96 - NVwZ 1997, 890, 893, vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328, vom 17. September 2001 - BVerwG 9 B 59.01 - <juris> sowie vom 13. März 2003 - BVerwG 5 B 267.02 - <juris>); die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Prozessbeteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen von förmlichen Beweisanträgen, zu kompensieren (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B 81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265; Beschluss vom 10. Oktober 2001 - BVerwG 9 BN 2.01 - NVwZ-RR 2002, 140).
10 Es ist nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen die Klägerin das - aus ihrer Sicht entscheidungserhebliche - konkret ihr überreichte Merkblatt nicht vorgelegt und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht hat, zumal bereits das Verwaltungsgericht auch auf eine Verletzung der Anzeigepflicht abgestellt hatte. Aus welchen Gründen sich dem Berufungsgericht gleichwohl eine weitere Sachaufklärung zum genauen Wortlaut des Merkblattes hätte aufdrängen sollen, wird auch nicht mit dem Hinweis dargelegt, dass nach dem nunmehr mitgeteilten Wortlaut des Merkblattes als Adressat der Änderungsmitteilung lediglich „das Jugendamt“ und nicht eine bestimmte Stelle, nämlich die die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz gewährende Stelle, innerhalb des Jugendamts bezeichnet worden ist. Denn das Berufungsgericht ist von seiner für das Vorliegen eines Aufklärungsmangels maßgeblichen Rechtsauffassung auch aufgrund der Umstände - und damit unabhängig von dem genauen Wortlaut der erteilten Belehrung - davon ausgegangen, dass es sich der Klägerin hätte „aufdrängen müssen, sich diesbezüglich noch einmal direkt an die zuständige Stelle im Jugendamt zu wenden“ (Berufungsurteil S. 7). Hieraus folgt zugleich, dass der Aufklärungsmangel auch in der Sache nicht vorliegt.
11 3. Aus den vorstehenden Gründen ergibt sich, dass die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden kann. Es fehlt an der erforderlichen Erfolgsaussicht (§ 166 VwGO, §§ 114, 121 Abs. 1 ZPO).
12 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.