Beschluss vom 22.07.2009 -
BVerwG 5 B 45.09ECLI:DE:BVerwG:2009:220709B5B45.09.0

Beschluss

BVerwG 5 B 45.09

  • Sächsisches OVG - 07.04.2009 - AZ: OVG 4 A 415/08

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Juli 2009
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen
beschlossen:

  1. Der Antrag der Kläger auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
  2. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 7. April 2009 wird zurückgewiesen.
  3. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1 Mangels hinreichender Erfolgsaussichten, wie sich aus den nachfolgenden Darlegungen ergibt, ist das Prozesskostenhilfebegehren abzulehnen (§ 166 VwGO i.V.m §§ 114 ff. ZPO).

2 Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.

3 1. Das Vorbringen der Kläger,
„(i)nsoweit das Sächsische Oberverwaltungsgericht Zweifel daran hegt, dass die Gesamteinkünfte deutlich weniger als 600,00 € ausmachen und dies nicht einmal den damaligen sozialhilferechtlichen Regelsätzen entspräche, ist es offensichtlich außerhalb der Vorstellungskraft des erkennenden Senats, dass eine zum damaligen Zeitpunkt dreiköpfige Familie mit einem Betrag von ca. 560,00 € pro Monat zuzüglich Unterstützung von Eltern und Angehörigen der Kirchengemeinde zu unterhalten sei“,
und
„(d)er Senat ist in den Urteilgründen hierauf nicht eingegangen, sondern hat die Aspekte, die der Senat für nicht aufgeklärt hielt, in den Vordergrund gestellt (...) Der Kläger zu 1. ist, soweit der Senat Belege angefordert hat und Informationen verlangte, diesen jederzeit und vollumfänglich nachgekommen. Die für die Kläger sprechenden Aspekte wurden in der Urteilsbegründung nicht angeführt. Insoweit fehlt es an einer ordnungsgemäßen Begründung des Urteils im Sinne des § 108 Abs. 2 VwGO. Damit liegt zum einen ein Verstoß gegen die Begründungspflicht des Urteils vor wie auch ein Verstoß gegen die Gewährung des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz“,
rechtfertigt auch in Ansehung des weiteren Vorbringens nicht die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers.

4 1.1 Mit diesem Vorbringen greifen die Kläger der Sache nach die tatsächliche und rechtliche Würdigung des Sachverhalts durch das Berufungsgericht an. Damit wird ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO schon deshalb nicht dargelegt, weil die Grundsätze der Sachverhalts- und Beweiswürdigung jedenfalls in aller Regel revisionsrechtlich dem sachlichen Recht zuzuordnen sind (vgl. Beschluss vom 11. August 1999 - BVerwG 11 B 61.98 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 19). Anhaltspunkte für das Vorliegen eines möglichen Ausnahmefalles einer gegen Denkgesetze verstoßenden oder sonst von Willkür geprägten Sachverhaltswürdigung sind von der Beschwerde nicht dargetan. Die Beschwerde vernachlässigt insbesondere, dass die Darlegungs- und materielle Beweislast hinsichtlich des Vorliegens der Leistungsvoraussetzungen den Hilfesuchenden trifft, verbleibende Unklarheiten oder Zweifel mit der Folge zu seinen Lasten gehen, dass der Träger der Sozialhilfe zur Ablehnung der Leistung berechtigt ist (stRspr Urteile vom 2. Juni 1965 - BVerwG 5 C 63.64 - BVerwGE 21, 208 und vom 5. Mai 1983 - BVerwG 5 C 112.81 - BVerwGE 67, 163 <171 f.>; Beschluss vom 13. April 2000 - BVerwG 5 B 14.00 -) und eine deutliche Unterschreitung des rechnerischen sozialhilferechtlichen Regelbedarfs durch die angegebenen Einkünfte auch ohne Berücksichtigung von Aufwendungen für eine Haussanierung und das Vorhalten jedenfalls eines Kraftfahrzeuges geeignet ist, klärungsbedürftige Zweifel an der Vollständigkeit der Angaben zum Einkommen zu wecken, so dass auch nicht eine Situation vorliegt, in der existenzsichernde Leistungen aufgrund bloßer Mutmaßungen verweigert werden (siehe dazu Hess. LSG, Beschluss vom 8. August 2008 - L 7 AS 149/08 - B ER - im Anschluss an BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927).

5 1.2 In Bezug auf die Angaben zur Einkommenssituation ist auch sonst nicht hinreichend dargelegt, dass das Oberverwaltungsgericht den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG i.V.m. § 108 Abs. 2 VwGO verletzt hat. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und die wesentlichen Gründe für seine Entscheidung anzugeben (§ 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Die Gerichte brauchen sich jedoch nicht mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich auseinanderzusetzen. Denn es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Beteiligtenvorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Etwas anderes gilt, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2003 - 2 BvR 624/01 - NVwZ-RR 2004, 3). Gemessen an diesen Anforderungen ergibt sich aus den Darlegungen der Kläger keine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör. Insbesondere hat das Berufungsgericht in den Entscheidungsgründen (S. 10 f.) das Vorbringen der Kläger zur Unterstützung durch Dritte (Zuwendungen der Eltern und Erhalt von Lebensmitteln von Angehörigen der Kirchgemeinde) zur Kenntnis genommen und hinreichend gewürdigt. Ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO scheidet daher aus. Das Prozessgrundrecht auf rechtliches Gehör sowie der Grundsatz des fairen Verfahrens verpflichten die Gerichte nicht, dem zur Kenntnis genommenen tatsächlichen Vorbringen oder der Rechtsansicht eines Beteiligten auch in der Sache zu folgen (vgl. bezüglich des Anspruchs auf rechtliches Gehör etwa BVerfG, Beschluss vom 13. Dezember 1994 - 2 BvR 894/94 - NJW 1995, 2839; Senatsbeschluss vom 5. Juni 2009 - BVerwG 5 B 80.08 -; stRspr).

6 1.3 Insoweit ist die Revision auch nicht wegen des gleichzeitig sinngemäß geltend gemachten Begründungsmangels (§ 117 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) zuzulassen, der erst dann zu einer Zulassung führen kann, wenn die Entscheidung i.S.d. § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen ist. Bereits aus § 173 VwGO, § 313 Abs. 3 ZPO folgt, dass dafür - aus Sicht eines Beteiligten - zu knappe oder diesen in der Sache nicht überzeugende Entscheidungsgründe nicht ausreichen. Ein solcher Begründungsmangel liegt erst vor, wenn die vorhandene Begründung nicht erkennen lässt, welche Überlegungen für die Entscheidung maßgebend waren, weil die angeführten Gründe rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder sonst wie völlig unzureichend und unbrauchbar sind (Beschluss vom 5. Juni 1998 - BVerwG 9 B 412.98 - NJW 1998, 3290; Urteil vom 28. November 2002 - BVerwG 2 C 25.01 - BVerwGE 117, 228). Dies ist hier nicht der Fall.

7 2. Das Vorbringen der Beschwerde in Bezug auf die Erklärung, die Schwiegermutter habe die Haussanierung mitfinanziert, legt einen Verfahrensfehler i.S.d. § 138 Nr. 3 VwGO, also einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) infolge einer Verletzung der Hinweispflicht (§ 86 Abs. 3 VwGO) durch Nichtabforderung entsprechender Belege, ebenfalls schon nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dar. Aus dem Recht auf rechtliches Gehör folgt keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Gerichts (vgl. BVerfGE 84, 188, 190). Auch in der Ausprägung, die dieses Recht in § 86 Abs. 3 VwGO gefunden hat, wird dem Gericht keine umfassende Erörterung aller entscheidungserheblichen Gesichtspunkte abverlangt. Insbesondere muss ein Gericht die Beteiligten grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (stRspr; siehe etwa Beschlüsse vom 8. August 1994 - BVerwG 6 B 87.93 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 335, vom 26. Juni 1998 - BVerwG 4 B 19.98 - NVwZ-RR 1998, 711, vom 28. Dezember 1999 - BVerwG 9 B 467.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 51 und vom 13. März 2003 - BVerwG 5 B 253.02 - juris). Stellt das Gericht aber an den Vortrag eines Beteiligten Anforderungen, mit denen auch ein verständiger Prozessbeteiligter aufgrund des bisherigen Verlaufs des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte, ist es zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung verpflichtet, einen entsprechenden Hinweis zu geben.

8 Ein solcher Fall ist nicht einmal ansatzweise dargetan. Nach dem Sach- und Streitstand, dem Berufungsvorbringen des Beklagten, dem Beschluss über die Zulassung der Berufung vom 15. Juli 2008, in dem das Berufungsgericht ausgeführt hatte, dass weder dem Tatbestand noch den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils in hinreichender Weise zu entnehmen sei, auf welche Feststellungen zur Hilfebedürftigkeit der Kläger das Verwaltungsgericht seinen Verpflichtungsausspruch gestützt habe, und darauf hingewiesen hatte, dass die - vom Verwaltungsgericht angenommene - Erfüllung der Mitwirkungspflicht im Verwaltungsverfahren für sich genommen nicht ausreiche, um den Nachweis der Hilfebedürftigkeit zu erbringen, dem Hinweisschreiben des Berichterstatters vom 10. September 2008 und dem Hinweis in der Ladung vom 2. März 2009, das persönliche Erscheinen des Klägers zu 1. sei „sinnvoll, weil die Einkommens- und Vermögensverhältnisse im streitigen Zeitraum bislang nicht dargelegt wurden“, musste es sich den Klägern aufdrängen, dass die Frage des Nachweises der sozialhilferechtlichen Hilfebedürftigkeit entscheidungserheblich sein werde und daher auch mit Blick auf die erheblichen, vom Kläger zu 1. in der mündlichen Verhandlung mit etwa 10 000 bis 15 000 € bezifferten Aufwendungen für die - teils wohl auch im streitbefangenen Zeitraum durchgeführte - Sanierung des im April 2002 erworbenen Mehrfamilienhauses substantiierte, belegbare Angaben erforderlich seien. Soweit das Berufungsgericht ausgeführt hat, dass der Kläger zu 1. in der mündlichen Verhandlung nicht in einer für den Senat glaubhaften Weise habe darlegen können, aus welchen Mitteln der Kläger zu 1. und seine Lebensgefährtin eine solche umfassende Sanierung des Hauses - mit einem Materialbedarf von mindestens 10 000 bis 15 000 € - hätten finanzieren können, und sich für die Erklärung, die Schwiegermutter habe die Haussanierung mitfinanziert, benötige als Rentnerin jetzt aber ihr Geld zurück, trotz jahrelang geführten Streits über die Einkommensverhältnisse der Einsatzgemeinschaft keine anderweitigen Belege finden ließen, so ist dies nur ein untergeordneter Aspekt in der Beweiswürdigung und betrifft zudem, soweit es eine etwaige Rückforderung von Mitteln durch die Schwiegermutter betrifft, nicht die Frage, aus welchen Mitteln die Kläger im streitbefangenen Zeitraum ihren Lebensunterhalt haben bestreiten können. Ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör ist auch deswegen nicht hinreichend dargetan, weil die Kläger zwar geltend machen, dass sie bei entsprechendem Hinweis eine Erklärung hätten beibringen können, indes der Begründung der Beschwerde weder diese Erklärung beigeführt haben noch sonst substantiiert unter Beifügung nachprüfbarer Belege ausgeführt worden ist, in welcher Höhe und zu welchen Zeitpunkten die Schwiegermutter des Klägers zu 1. die Hausfinanzierung unterstützt habe.

9 3. Das Vorbringen der Kläger in Bezug auf die Bewertung des Berufungsgerichts,
„(a)usgehend von der klägerseitig dargelegten finanziellen Situation im Zeitraum von September 2003 bis Juni 2004 spricht der Erwerb eines zweiten Personenkraftwagens im November 2003 für 'gelegentliche Fahrten' der Frau ... von ... zu ihrer Praktikumsstelle nach ... als weiteres Indiz gegen die Vollständigkeit und Richtigkeit der klägerischen Angaben zur Einkommens- und Vermögenssituation der Einsatzgemeinschaft. Selbst wenn - wie klägerseitig vorgetragen - für den Erwerb des Pkw Citroen nur 40 € aufgewendet wurden, verursachte der Zweitwagen zusätzliche Kosten (u.a. Versicherungskosten in Höhe von jährlich rund 340 € einschließlich Schutzbrief, VG Akte Seite 131 f.), deren Höhe die vom Kläger zu 1. angegebenen finanziellen Verhältnisse des gemeinsamen Haushalts selbst bei einem geringen Kraftstoffverbrauch deutlich überschritten. Dies gilt auch dann, wenn der Pkw entsprechend dem Vorbringen des Klägers zu 1. mit Salatöl betrieben werden konnte",
legt ebenfalls eine Verletzung des Anspruchs der Kläger auf rechtliches Gehör oder einen anderen Verfahrensmangel nicht hinreichend dar (§ 133 Abs 3 Satz 3 VwGO). Auch insoweit wenden sich die Kläger mit ihrem Vorbringen,
„(d)ie Unterhalts- und Betriebskosten sind nachgewiesen worden. Die Deckung der Unterhalts- und Betriebskosten steht auch bei diesen engen Verhältnissen außer Frage. Der erkennende Senat stützt die Entscheidung auf diese unrichtigen Tatsachen. Damit handelt es sich um ein Überraschungsurteil wie auch eine weitere Verletzung des rechtlichen Gehörs der Kläger, § 108 Abs. 2; Art. 103 Abs. 1 GG“,
ohne Bezeichnung von Tatsachen, die dieses nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen habe, gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Berufungsgericht.

10 4. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

11 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.