Beschluss vom 22.07.2022 -
BVerwG 4 B 12.22ECLI:DE:BVerwG:2022:220722B4B12.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 22.07.2022 - 4 B 12.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:220722B4B12.22.0]

Beschluss

BVerwG 4 B 12.22

  • VG Koblenz - 25.06.2020 - AZ: 4 K 834/19.KO
  • OVG Koblenz - 22.02.2022 - AZ: 1 A 11498/20.OVG

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Juli 2022
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt und Dr. Decker
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22. Februar 2022 ergangenen Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 118 650 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist jedenfalls unbegründet.

2 1. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensfehlers nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Der gerügte Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist nicht dargelegt.

3 Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Danach muss das Gericht den Prozessstoff des gerichtlichen Verfahrens in seiner Gesamtheit ausschöpfen. Dem wird das Gericht dann nicht gerecht, wenn es den Prozessstoff nur unvollständig oder unzutreffend erfasst und folglich seiner Entscheidung einen unzulänglichen Sachverhalt zugrunde legt. Es darf festgestellte Umstände nicht übergehen, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. August 2021 - 4 B 3.21 - juris Rn. 12 f. m. w. N.).

4 Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass das Oberverwaltungsgericht gegen diese Verpflichtung verstoßen hat. Mit dem Vorbringen, das Oberverwaltungsgericht habe bei seiner rechtlichen Würdigung außer Acht gelassen, dass hier zwei Umstände vorliegen, die nicht getrennt, jeder für sich, Folgen für die Wirksamkeit des Bebauungsplans haben, sondern in ihrem Zusammenwirken dessen Wirksamkeit in Frage stellen könnten, wendet sich die Beschwerde gegen die materielle Rechtsauffassung der Vorinstanz, was nicht zur Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO führen kann (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 24. Oktober 2018 - 4 B 15.18 - NVwZ 2019, 318 Rn. 22 <insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 406.11 § 2 BauGB Nr. 44>).

5 2. Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) des angefochtenen Urteils zu Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zuzulassen.

6 Nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung (u. a.) des Bundesverwaltungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Diese Abweichung setzt einen Widerspruch in einem abstrakten Rechtssatz voraus, also einen prinzipiellen Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes (BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 2017 - 6 B 43.17 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 198 Rn. 4). Der Beschwerde obliegt es nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, aus einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts einen tragenden, abstrakten Rechtssatz zu einer revisiblen Rechtsvorschrift zu benennen und darzulegen, dass die Entscheidung der Vorinstanz auf einem abweichenden abstrakten Rechtssatz zu derselben Rechtsvorschrift beruht. Das leistet die Beschwerde nicht.

7 a) Die Klägerin ist der Auffassung, dass das angefochtene Urteil in entscheidungserheblicher Weise vom Beschluss des Senats vom 30. Oktober 2019 - 4 B 37.18 - (juris) abweicht, soweit darin die Voraussetzungen für die Teilunwirksamkeit eines Bebauungsplans formuliert werden. Das Oberverwaltungsgericht ist jedoch - durch den Verweis auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts (dort UA S. 9), das seinerseits auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. April 2008 - 4 CN 3.07 - (BVerwGE 131, 86 Rn. 30) Bezug nimmt - davon ausgegangen, dass die Unwirksamkeit eines Teils einer Satzungsbestimmung nur dann nicht die Gesamtunwirksamkeit zur Folge hat, wenn die Restbestimmung auch ohne den unwirksamen Teil sinnvoll bleibt (Grundsatz der Teilbarkeit) und mit Sicherheit anzunehmen ist, dass sie auch ohne diesen Teil erlassen worden wäre (Grundsatz des mutmaßlichen Willens des Normgebers). Dieser Rechtssatz wird im Beschluss vom 30. Oktober 2019 - 4 B 37.18 - wiedergegeben (juris Rn. 6). Mit dem Verweis auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts und die dortigen Umschreibungen der genannten beiden Voraussetzungen im Rahmen der Subsumtion hat sich das Oberverwaltungsgericht - entgegen der Auffassung der Beschwerde - keine abweichenden Rechtssätze zu eigen gemacht. Der von der Beschwerde zitierte Satz aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts wird zu Unrecht der zweiten Voraussetzung und nicht der Frage der Teilbarkeit zugeordnet. Die Ausführungen zum Willen des Plangebers stehen nicht im Widerspruch zum Ausnahmecharakter der Teilwirksamkeit.

8 Soweit die Beschwerde eine Divergenz zum Beschluss vom 30. Oktober 2019 - 4 B 37.18 - (juris) darin sieht, dass es nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts hinreichender Anhaltspunkte für einen offensichtlichen hypothetischen Willen der Gemeinde bedürfe, wonach der von dem Fehler nicht betroffene Teilbereich eines Bebauungsplans auch ohne den unwirksamen Teil beschlossen worden wäre, handelt es sich hierbei um keinen Rechtssatz, sondern lediglich um die Wiedergabe der Rechtsausführungen der Klägerin im Berufungsverfahren (UA S. 9 oben).

9 b) Auch eine Abweichung von den Beschlüssen vom 22. Juli 2010 - 4 B 22.10 - (ZfBR 2010, 787), vom 9. April 2003 - 4 B 75.02 - (juris) und vom 26. Mai 2008 - 4 B 31.08 - (juris) legt die Beschwerde nicht dar.

10 Die Beschlüsse vom 9. April 2003 (a. a. O.) und vom 26. Mai 2008 (a. a. O.) befassen sich mit dem Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses für eine Bebauungsplanung als Voraussetzung für den Erlass einer Veränderungssperre bzw. für die Zurückstellung eines Baugesuchs nach § 15 Abs. 1 BauGB, wenn die Gemeinde die zu sichernde Planung zwischenzeitlich aufgegeben hat. Darum geht es hier nicht.

11 Eine Divergenz zu dem Beschluss vom 22. Juli 2010 (a. a. O.) ist ebenfalls nicht dargetan. Der Vortrag der Beschwerde, das Oberverwaltungsgericht habe diesen Beschluss zwar erwähnt, dann aber sinngemäß einen hiervon abweichenden Rechtssatz aufgestellt, sieht daran vorbei, dass das Oberverwaltungsgericht mit der endgültigen Aufgabe der Planungsabsicht seitens der Gemeinde eine weitere Fallgruppe erwähnt, bei der ein Bebauungsplan funktionslos werden kann. Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass die im Beschluss vom 22. Juli 2010 - 4 B 22.10 - erwähnten Voraussetzungen für die Funktionslosigkeit - die nachträgliche Veränderung der Sach- oder Rechtslage, so dass ein Planvollzug auf unüberschaubare Zeit ausgeschlossen erscheint - als insoweit abschließend zu verstehen sind.

12 Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts stützt sich auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.