Verfahrensinformation

Die Klägerin wohnte mit ihren Kindern in einer Mietwohnung und bezog dafür im streitigen Zeitraum von November 2011 und Juli 2012 Wohngeld von der beklagten Stadt. Zu den Kindern gehörte ein volljähriger Sohn, der als Haushaltsmitglied wohngelderhöhend berücksichtigt wurde. Bevor die Klägerin den Wohngeldantrag gestellt hatte, hatte der Sohn die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie für Unterkunft und Heizung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ab Januar 2012 beantragt. Im Wohngeldantrag der Klägerin war dies nicht angegeben worden. Nachdem die beklagte Stadt später von der Klägerin darauf hingewiesen wurde, dass ihr Sohn Leistungen nach dem SGB II beziehe, forderte die Stadt das im streitigen Zeitraum an die Klägerin geleistete Wohngeld i.H.v. 2 172 € von dieser zurück. Die hiergegen erhobene Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Oberverwaltungsgericht hat die Rückforderung des Wohngeldes nicht beanstandet, weil die Wohngeldgewährung an die Klägerin unwirksam gewesen sei. Nach den wohngeldrechtlichen Bestimmungen werde ein Wohngeldbescheid, der ein Haushaltsmitglied leistungserhöhend berücksichtigte, obgleich dieses andere Transferleistungen beantragt habe, ab dem Zeitpunkt der Stellung eines solchen Antrages insgesamt unwirksam. Daher sei das Wohngeld zu Unrecht geleistet worden und die beklagte Stadt könne dieses zurückfordern, ohne dass es einer behördlichen Aufhebung des Wohngeldbescheides bedurft hätte. Hiergegen richtet sich die Klägerin mit ihrer bei dem Bundesverwaltungsgericht erhobenen Revision, die das Oberverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen hat.


Urteil vom 23.04.2019 -
BVerwG 5 C 2.18ECLI:DE:BVerwG:2019:230419U5C2.18.0

Rückforderung von Wohngeld

Leitsätze:

1. Die Unwirksamkeitsregelung des § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG setzt einen wirksam erlassenen Bewilligungsbescheid voraus und erfasst keine Fälle, in denen der Ausschlussgrund bereits vor Erlass des Bewilligungsbescheides vorgelegen hat.

2. Streitigkeiten um Wohngeldsachen sind Angelegenheiten der Fürsorge im Sinne von § 188 Satz 1 VwGO, für die nach § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO Gerichtskosten nicht erhoben werden (Änderung der Rechtsprechung des Senats).

  • Rechtsquellen
    WoGG § 1 Abs. 1, §§ 7, 8, 24 Abs. 2 Satz 2, § 25 Abs. 3 Satz 3 und Abs. 5, § 28 Abs. 3 Satz 1 und 2, Abs. 4 Satz 1 und Abs. 5
    SGB X § 39 Abs. 2, § 40 Abs. 1 und 2, §§ 45, 64 Abs. 1 Satz 1
    SGB I §§ 7, 11 Satz 1, § 26 Abs. 1, § 68 Nr. 10
    SGG § 183
    VwVfG § 43 Abs. 1 und 2, § 44 Abs. 1 und 2
    VwGO § 188 Satz 1 und 2 Halbs. 1
    GG Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 und 18

  • VG Dresden - 04.03.2015 - AZ: VG 1 K 921/13
    OVG Bautzen - 05.12.2017 - AZ: OVG 4 A 223/15

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 23.04.2019 - 5 C 2.18 - [ECLI:DE:BVerwG:2019:230419U5C2.18.0]

Urteil

BVerwG 5 C 2.18

  • VG Dresden - 04.03.2015 - AZ: VG 1 K 921/13
  • OVG Bautzen - 05.12.2017 - AZ: OVG 4 A 223/15

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 23. April 2019
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Vormeier,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen-Weiß,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Harms und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Holtbrügge
für Recht erkannt:

  1. Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 5. Dezember 2017 und des Verwaltungsgerichts Dresden vom 4. März 2015, soweit in diesem das Verfahren nicht eingestellt wurde, geändert.
  2. Der Bescheid der Beklagten vom 28. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Juli 2013 wird aufgehoben, soweit dieser einen Erstattungsbetrag von mehr als 1 206 € festsetzt.
  3. Die Beklagte trägt die Kosten des gesamten Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I

1 Die Beteiligten streiten um die Rückforderung von Wohngeld.

2 Die Klägerin wohnte mit ihren drei volljährigen Kindern, darunter ihrem Sohn B., in einer Mietwohnung und beantragte Anfang Februar 2012 die Weiterleistung von Wohngeld. In dem Antragsformular wurde die Frage, ob ein Haushaltsmitglied Transferleistungen beziehe oder beantragt habe, mit "nein" beantwortet.

3 Mit Bescheid vom 26. April 2012 bewilligte die Beklagte der Klägerin für den Zeitraum vom 1. November 2011 bis zum 31. Juli 2012 Wohngeld in Höhe von 362 € monatlich und zahlte ihr dieses aus. Bei der Berechnung des Wohngeldes wurde auch der Sohn B. als Haushaltsmitglied berücksichtigt.

4 Dieser hatte am 10. Januar 2012 bei dem Jobcenter einen Leistungsantrag gestellt. Daraufhin hatte ihm das Jobcenter mit Bescheid vom 8. Februar 2012 antragsgemäß Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch einschließlich Kosten der Unterkunft für den Zeitraum vom 25. Januar bis zum 31. Juli 2012 gewährt.

5 Im September 2012 wies die Klägerin die Beklagte darauf hin, dass ihr Sohn B. Transferleistungen vom Jobcenter beziehe. Mit Bescheid vom 28. November 2012 forderte die Beklagte die Klägerin auf, das ihr für den Zeitraum vom 1. Februar bis 31. Juli 2012 erbrachte Wohngeld in Höhe von 2 172 € zurückzuerstatten. Die auf § 50 Abs. 2 SGB X gestützte Rückforderung begründete die Beklagte damit, dass der Wohngeldbewilligungsbescheid vom 26. April 2012 wegen des Transferleistungsbezuges des Sohnes B. gemäß § 28 Abs. 3 WoGG unwirksam geworden und der Wohngeldanspruch ab 1. Februar 2012 erloschen sei.

6 Hiergegen hat die Klägerin nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage bei dem Verwaltungsgericht erhoben. Während des Klageverfahrens bewilligte die Beklagte der Klägerin auf deren Antrag rückwirkend Wohngeld für den Zeitraum vom 1. Februar bis zum 31. Juli 2012 ohne Berücksichtigung des Sohnes B. als Haushaltsmitglied in Höhe von insgesamt 1 206 €. Diesen Betrag zahlte die Beklagte nicht aus, sondern rechnete ihn gegen den entsprechenden Teil der in ihrem Rückforderungsbescheid vom 28. November 2012 ausgewiesenen Forderung auf. Insoweit erklärten die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für erledigt. Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren hinsichtlich des für erledigt erklärten Teils eingestellt und die Klage im Übrigen, d.h. hinsichtlich der noch im Streit stehenden Rückforderung in Höhe von 966 €, abgewiesen.

7 Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Rückforderungsbescheid der Beklagten sei in dem noch streitigen Umfang rechtmäßig. Er beruhe auf § 50 Abs. 2 SGB X. Die Wohngeldleistungen seien insoweit zu Unrecht erbracht worden, weil der Bewilligungsbescheid gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG teilunwirksam erlassen worden sei. Die Vorschrift sei zwar grundsätzlich auf Fallkonstellationen zugeschnitten, in denen der Ausschlussgrund erst nach der Wohngeldfestsetzung eintrete. Sie finde aber auch auf Fälle wie den vorliegenden Streitfall Anwendung, bei denen der Ausschlussgrund schon vor der Wohngeldfestsetzung vorgelegen habe.

8 Mit der hiergegen erhobenen Revision rügt die Klägerin insbesondere eine Verletzung des § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG.

9 Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil des Oberverwaltungsgerichts.

II

10 Die Revision der Klägerin ist begründet. Das angefochtene Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) nicht in Einklang. Es beruht auf einer nicht zutreffenden Auslegung des § 28 Abs. 3 Satz 1 des Wohngeldgesetzes (WoGG) vom 24. September 2008 (BGBl. I S. 1856) i.d.F. des Gesetzes vom 20. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2854). Das Oberverwaltungsgericht hat zu Unrecht angenommen, diese Vorschrift sei auch auf Fälle anwendbar, in denen der zum Ausschluss des Wohngeldes führende Grund bereits vor Erlass des Bewilligungsbescheides gegeben war. Die streitbefangene Rückforderung von Wohngeld ist daher weder durch die von der Beklagten in Bezug genommene Regelung des § 50 Abs. 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) i.d.F. der Bekanntmachung vom 18. Januar 2001 (BGBl. I S. 130), für den hier maßgeblichen Zeitraum zuletzt geändert durch Gesetz vom 12. April 2012 (BGBl. I S. 579), gerechtfertigt (1.), noch ist sie durch eine sonstige Rechtsgrundlage gedeckt (2.). Weil der Rückforderungsbescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheids deshalb rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt, ist er im noch streitigen Umfang, d.h. soweit er einen Erstattungsbetrag von mehr als 1 206 € festsetzt, aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

11 1. Ein Erstattungsanspruch der Beklagten ergibt sich nicht aus § 50 Abs. 2 SGB X. Nach dieser Vorschrift sind Leistungen zu erstatten, soweit sie ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind (Satz 1), wobei die Regelungen der §§ 45 und 48 SGB X entsprechend gelten (Satz 2).

12 Eine "ohne Verwaltungsakt zu Unrecht" im Sinne von § 50 Abs. 2 Satz 1 SGB X erbrachte Leistung kann auch dann vorliegen, wenn die Leistung aufgrund eines Verwaltungsakts erfolgt, der von Anfang an unwirksam ist (vgl. BSG, Urteil vom 4. September 2013 - B 10 EG 7/12 R - BSGE 114, 180 Rn. 36 f.; Merten, in: Hauck/Noftz, SGB X, Stand November 2014, § 50 Rn. 38). Allerdings ist der Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 26. April 2012, der ihrer streitigen Wohngeldleistung an die Klägerin zugrunde lag, weder von Anfang an unwirksam gewesen noch unwirksam geworden; er war - was für die Rückforderung nach § 50 Abs. 2 Satz 1 SGB X nicht genügt - lediglich von Anfang an rechtswidrig und wäre deshalb nur einer von der Beklagten nicht ausgesprochenen Rücknahme zugänglich gewesen.

13 Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG als der für das Eintreten der Unwirksamkeitsfolge allein in Betracht kommenden Rechtsgrundlage sind nicht erfüllt. Nach § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG wird der Bewilligungsbescheid von dem Zeitpunkt an unwirksam, ab dem ein zu berücksichtigendes Haushaltsmitglied nach den §§ 7 und 8 Abs. 1 WoGG vom Wohngeld ausgeschlossen ist. Zwar lag ein solcher Ausschlussgrund vom Wohngeld für ein zu berücksichtigendes Haushaltsmitglied vor (a). § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG ist im vorliegenden Fall jedoch nicht anwendbar, weil die Vorschrift keine Fälle erfasst, in denen der Ausschlussgrund nicht nach Ergehen des Bewilligungsbescheides eingetreten ist, sondern - wie hier - bereits vor seinem Erlass vorgelegen hat (b).

14 a) Die Anforderung des § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG, dass ein zu berücksichtigendes Haushaltsmitglied nach den §§ 7 und 8 Abs. 1 WoGG vom Wohngeld ausgeschlossen ist, war - wovon die Beteiligten zu Recht übereinstimmend ausgehen - bereits vor Erlass des Wohngeldbewilligungsbescheides der Beklagten vom 26. April 2012 erfüllt.

15 Denn der im Haushalt der Klägerin lebende Sohn B., der bei der Berechnung des Wohngeldes (§ 4 Nr. 1, § 19 WoGG) grundsätzlich als Haushaltsmitglied zu berücksichtigen war (§ 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4, § 6 Abs. 1 WoGG), hatte am 10. Januar 2012 bei dem Jobcenter beantragt, ihm ab dem 25. Januar 2012 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch unter Berücksichtigung der Kosten der Unterkunft zu gewähren, die ihm mit Bescheid vom 8. Februar 2012 bewilligt wurden. Er war deshalb bereits vor Erlass des Wohngeldbewilligungsbescheides am 26. April 2012 nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WoGG als Empfänger von Arbeitslosengeld II in der Zeit vom 1. Februar 2012 (§ 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b WoGG) bis zum 31. Juli 2012 (§ 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Buchst. a WoGG) vom Wohngeld ausgeschlossen.

16 b) Die in § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG angeordnete Rechtsfolge des Unwirksam-"Werdens" des Bewilligungsbescheides ist hier jedoch nicht eingetreten.

17 Zu dem Zeitpunkt, als der materielle Ausschlussgrund bereits vorlag und die Unwirksamkeitsfolge hätte eintreten können, war noch kein Bewilligungsbescheid im Sinne dieser Vorschrift erlassen worden. § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG setzt jedoch einen (zunächst) wirksam erlassenen Bewilligungsbescheid voraus (Stadler/Gutekunst/Dietrich/Bräuer/Wiedmann, WoGG, Stand März 2015, § 28 Rn. 36; Unkel, in: Klein/Schulte/Unkel, WoGG, 1. Aufl. 2015, § 28 Rn. 27; Winkler, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, BeckOK Sozialrecht, 52. Edition, Stand 1. März 2019, § 28 WoGG Rn. 16), der durch nachträglich eintretende Umstände unwirksam wird. Der Senat folgt nicht der von der Vorinstanz (im Anschluss an das LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 18. März 2014 - L 9 AS 969/12 - juris Rn. 31) vertretenen Ansicht, dass nach § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG der Fall des Nicht-Wirksam-Werdens dem des Unwirksam-Werdens gleich stehe. Entgegen der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts erfasst die Vorschrift keine Fälle, in denen der Ausschlussgrund bereits vor Erlass des Bewilligungsbescheides vorlag; die Rechtsfolge des § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG kann vielmehr nur dann ausgelöst werden, wenn der zum Ausschluss des Wohngeldes führende Grund nach dem Ergehen des Bewilligungsbescheides eingetreten ist.

18 aa) Dieses Verständnis erschließt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, die anordnet, dass der Bewilligungsbescheid ab dem Zeitpunkt unwirksam "wird", ab dem ein zu berücksichtigendes Haushaltsmitglied nach den §§ 7 und 8 Abs. 1 WoGG vom Wohngeld ausgeschlossen ist. Nach dem allgemeinen und insbesondere dem juristischen Fachsprachgebrauch muss danach zunächst ein Bewilligungsbescheid existent und wirksam sein, bevor ein Umstand zu seiner Unwirksamkeit führen kann. Ein Bewilligungsbescheid kann nur unwirksam "werden", wenn er zunächst wirksam erlassen worden und nicht von Anfang an unwirksam gewesen "ist".

19 Die dem zugrunde liegende Unterscheidung, dass ein Bescheid, der - wie der Wohngeldbewilligungsbescheid - die Merkmale des Verwaltungsakts (§ 31 SGB X, § 35 VwVfG) erfüllt, entweder bereits aufgrund des Vorliegens eines Unwirksamkeitsgrundes bei seinem Erlass unwirksam "ist" oder erst durch einen nach seinem Erlass eintretenden Unwirksamkeitsgrund unwirksam "wird", entspricht dem Fachsprachgebrauch, wie er insbesondere in grundlegende Regelungen des allgemeinen Verwaltungsrechts Eingang gefunden hat. Danach "ist" ein Verwaltungsakt nichtig und damit von Anfang an unwirksam, wenn schon zum Zeitpunkt seines Erlasses ein Nichtigkeitsgrund vorlag (§ 39 Abs. 3, § 40 Abs. 1 und 2 SGB X, § 43 Abs. 3, § 44 Abs. 1 und 2 VwVfG). Demgegenüber bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (§ 39 Abs. 2 SGB X, § 43 Abs. 2 VwVfG). Dies bedeutet, dass er "unwirksam wird", wenn nach seinem Erlass einer der vorgenannten Gründe eintritt, die seinem "Wirksam-Bleiben" entgegenstehen.

20 Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die vorgenannte grundlegende rechtsdogmatische Unterscheidung dem Gesetzgeber des Wohngeldgesetzes nicht nur bekannt war, sondern dass er diese auch bei der Normierung des § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG zugrunde gelegt hat. Hätte der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG darauf erstrecken wollen, dass ein bereits vor Erlass des Bewilligungsbescheides erfüllter Ausschlussgrund (von Anfang an) zur Unwirksamkeit des Bewilligungsbescheides führt, hätte er dementsprechend (auch) angeordnet, dass ein Bewilligungsbescheid unwirksam "ist", wenn ein vom Wohngeld ausgeschlossenes Haushaltsmitglied berücksichtigt worden ist.

21 bb) Angesichts des nahezu eindeutigen Wortlautverständnisses könnte sich ein davon abweichender Norminhalt allenfalls ergeben, wenn sich für einen diesbezüglichen Willen des Gesetzgebers, dem Gesetz einen von dem allgemeinen Fachsprachgebrauch abweichenden Inhalt beizumessen, im Wege systematischer, historisch-genetischer oder teleologischer Auslegung des § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG deutliche Hinweise ergäben, deren Gewicht dasjenige des Ergebnisses der Wortlautinterpretation überstiege. Das ist jedoch hinsichtlich keiner dieser Interpretationsmethoden der Fall. Vielmehr bestätigt deren Anwendung den Wortlautbefund.

22 (1) Dies gilt zunächst für den binnensystematischen Zusammenhang, der zwischen den Sätzen 1 und 2 des § 28 Abs. 3 WoGG besteht. Denn die Ausrichtung an dem Bewilligungsbescheid und die Orientierung daran, ob der Bewilligungsbescheid unwirksam ist, bleibt oder erst unwirksam wird, liegt auch der Regelung des § 28 Abs. 3 Satz 2 WoGG zugrunde, wonach im Fall des § 8 Abs. 1 Satz 3 WoGG der Bewilligungsbescheid unwirksam "bleibt".

23 Gegen ein Abweichen von allgemeinen fachsprachlichen Grundsätzen im Rahmen des § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG und für die Annahme, dass nach dieser Vorschrift nur nachträglich eintretende Ausschlussgründe die Unwirksamkeitsfolge auslösen, spricht auch der systematische Blick auf § 28 Abs. 5 WoGG. Diese Vorschrift ordnet unter anderem an, dass die wohngeldberechtigte Person von der "Unwirksamkeit des Bewilligungsbescheides zu unterrichten" ist. Auch diese Regelung geht mithin in zeitlicher Hinsicht von einem (wirksam erlassenen) Bewilligungsbescheid aus, der (durch nachträglich eingetretene Gründe) unwirksam geworden ist und ordnet an, dass die wohngeldberechtigten Personen über dessen Unwirksamkeit zu informieren sind.

24 Ein weiterer systematischer Anhalt ergibt sich aus § 28 Abs. 4 Satz 1 WoGG. Danach trifft sowohl die wohngeldberechtigte Person als auch das Haushaltsmitglied, "an welches das Wohngeld nach § 26 Abs. 1 Satz 2 gezahlt wird", die Pflicht, der Wohngeldbehörde unverzüglich ihre bzw. seine Kenntnis über die zum Leistungsausschluss eines Haushaltsmitgliedes führenden Umstände mitzuteilen. Dies wiederum setzt implizit voraus, dass zunächst ein wirksamer Bewilligungsbescheid ergangen ist, auf dessen Grundlage das Wohngeld "gezahlt wird".

25 Für die Annahme, dass die Regelung des § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG nur die Fälle erfasst, in denen ein zur Unwirksamkeit führender Ausschlussgrund nach Erlass des Bewilligungsbescheides eingetreten ist, sprechen ferner die systematischen Bezüge zu den Bestimmungen des § 25 Abs. 3 Satz 3 und Abs. 5 WoGG. Diese Vorschriften enthalten Regelungen über den Beginn eines Bewilligungszeitraums, wenn "ein Bewilligungsbescheid nach § 28 Abs. 3 unwirksam geworden" ist (§ 25 Abs. 3 Satz 3 WoGG) bzw. lassen einen neuen Bewilligungszeitraum am Ersten des Monats beginnen, an dem "die Unwirksamkeit des Bewilligungsbescheids eintritt" (§ 25 Abs. 5 WoGG). Sie gehen damit ebenfalls implizit von einem zunächst wirksam erlassenen Bewilligungsbescheid aus, der durch nach seinem Erlass eintretende Umstände unwirksam wird.

26 (2) Auch die Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien spricht dafür, dass der Gesetzgeber die Unwirksamkeitsfolge des § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG nur durch solche Ausschlussgründe auslösen wollte, die nach Erlass des Wohngeldbewilligungsbescheides eingetreten sind.

27 Dies erschließt sich insbesondere aus der Gesetzesbegründung zu der Vorgängerregelung des § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG, dem § 30 Abs. 4 des Wohngeldgesetzes i.d.F. von Art. 3 Nr. 9 Buchst. b des Zweiten Gesetzes zur Änderung wohnungsrechtlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3450) - WoGG a.F. -. In der Einzelbegründung zu dieser Vorschrift (BT-Drs. 15/3943 S. 15) heißt es, sie solle bewirken, dass die Leistung von Wohngeld zeitnah dann ende, wenn Familienmitglieder, die bei der Berechnung des Wohngeldes berücksichtigt worden waren, "nach Bescheiderteilung" Empfänger einer Transferleistung (i.S.d. in § 1 Abs. 2 WoGG a.F. geregelten Ausschlussgrundes) werden. Der Bewilligungsbescheid sei "kraft Gesetzes auflösend bedingt". Weiter heißt es: "Der Bewilligungsbescheid wird nach § 30 Abs. 4 Satz 1 WoGG - neu - unwirksam, wenn er nachträglich der Regelungsaussage des § 1 Abs. 2 WoGG widerspricht".

28 Die vorgenannten gesetzgeberischen Erwägungen zu § 30 Abs. 4 WoGG a.F. liegen in unveränderter Weise der dieser Vorschrift nachfolgenden und sie ersetzenden Regelung des § 28 Abs. 3 WoGG zugrunde, die im Zuge der Neufassung des Wohngeldgesetzes durch Art. 1 des Gesetzes vom 24. September 2008 (BGBl. I S. 1856) Eingang in das Wohngeldgesetz gefunden hat. In der Begründung des diesbezüglichen Gesetzesentwurfs wird ausgeführt, dass die Regelung des § 30 Abs. 4 WoGG a.F. auf § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG "reduziert werden" solle (BT-Drs. 16/6543 S. 106).

29 Gegenüber der klaren Aussage in den Gesetzesmaterialien, dass die Unwirksamkeitsfolge der vorgenannten Regelungen (nur) im Falle "nachträglicher" bzw. "nach Bescheiderteilung" eintretender Ausschlussgründe ausgelöst werden soll, treten andere Äußerungen im Gesetzgebungsverfahren von ihrem Gewicht her deutlich zurück. Entgegen der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts ist den Ausführungen in der Begründung des Entwurfs, die sich zur Neufassung des § 24 Abs. 2 Satz 2 WoGG verhalten (BT-Drs. 16/6543 S. 103), keine bedeutsame Aussagekraft für die hier zu klärende Frage beizumessen. Zwar ist in der Gesetzesbegründung zu dieser Regelung ausgeführt worden, sie solle "verhindern, dass ein Wohngeldbescheid im Moment seines Erlasses bzw. seiner Bekanntgabe aufgrund zwingender gesetzlicher Änderungsvorschriften sofort unwirksam würde oder zu ändern wäre" (BT-Drs. 16/6543 S. 103). Allerdings ist diese im Gesetzgebungsverfahren geäußerte Ansicht bereits insofern alternativ formuliert, als sie offenlässt, ob ein Bescheid unwirksam würde oder ob er zu ändern (bzw. ganz oder teilweise aufzuheben) wäre. Zudem ist diese Erwägung - anders als die oben genannten klaren Aussagen zu § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG - nicht im Zusammenhang oder in Bezug auf die hier in Rede stehende Regelung des § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG angestellt worden, sondern verhält sich spekulativ zu den Rechtswirkungen, deren Eintritt durch die Regelung des § 24 Abs. 2 Satz 2 WoGG verhindert werden soll. Selbst wenn man diese Äußerung auch auf § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG bezöge, könnte daraus nichts Gewichtiges für die hier in Rede stehende Frage hergeleitet werden, zu welchem Zeitpunkt ein Ausschlussgrund nach §§ 7, 8 Abs. 1 WoGG eingetreten sein muss, um die Unwirksamkeitsfolge des § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG auslösen zu können. Denn die in der Gesetzesbegründung geäußerte Rechtsmeinung zu § 24 Abs. 2 Satz 2 WoGG hat jedenfalls im Wortlaut des § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG keinerlei Niederschlag gefunden.

30 (3) Schließlich rechtfertigen auch Sinn und Zweck des § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG keine Abweichung von dem zuvor ermittelten Auslegungsergebnis.

31 Wie schon die Vorgängerregelung des § 30 Abs. 4 WoGG a.F. soll auch diese Bestimmung auf verfahrensrechtlicher Ebene zur Umsetzung des sog. wohngeldrechtlichen Vereinfachungsmodells dienen (BT-Drs. 15/3943 S. 8), wonach die Kosten der Unterkunft im Falle eines entsprechenden Bedarfs zur Verhinderung von Doppelleistungen und zur Reduzierung des Verwaltungsaufwandes vollständig im Rahmen eines einzigen sozialen Sicherungssystems abgedeckt werden sollen (vgl. BT-Drs. 15/1516 S. 48). Insoweit ist zwar auch § 28 Abs. 3 WoGG dazu bestimmt, der Verwaltungsvereinfachung und -beschleunigung zu dienen, indem die Vorschrift kraft ihrer Unwirksamkeitsanordnung die Grundlage für eine unmittelbare Leistungseinstellung schaffen und hieran anknüpfend ein behördliches Aufhebungsverfahren entbehrlich machen soll. Allerdings bezieht sich diese Zwecksetzung des § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG ausweislich der Gesetzesmaterialien nur auf die - nach den gesetzgeberischen Vorstellungen wohl in erster Linie praktisch bedeutsame - Fallgestaltung der nach Erlass eines Bewilligungsbescheides eintretenden Änderungen (vgl. BT-Drs. 15/3943 S. 15 zu § 30 Abs. 4 WoGG a.F.). Ein darüber hinausgehender spezifischer Zweck der Vorschrift, auch die Fälle zu erfassen, in denen ein Ausschlussgrund bereits vor Erlass des Bewilligungsbescheides vorlag, lässt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen. Die Ausklammerung dieser Fälle führt regelmäßig auch nicht zu einer Vereitelung der mit der Regelung des § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG verfolgten Verwaltungsvereinfachung. Ist der Wohngeldstelle bereits vor Erlass des Bewilligungsbescheides bekannt, dass dem Wohngeldbezug entgegenstehende Transferleistungen beantragt oder bewilligt worden sind, soll sie dies vielmehr grundsätzlich bereits bei ihrer Bewilligungsentscheidung berücksichtigen (vgl. § 24 Abs. 2 Satz 2 WoGG). Sie kann dann gegebenenfalls durch gänzliche oder teilweise Versagung des Wohngeldes einer Doppelleistung sowie einem etwaigen Erstattungsverfahren entgegenwirken und auf diesem Wege dem gesetzgeberischen Zweck der Verwaltungsvereinfachung Rechnung tragen.

32 2. Als Rechtsgrundlage für den angefochtenen Rückforderungsbescheid der Beklagten kommt auch die Regelung des § 50 Abs. 1 SGB X nicht in Betracht. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Daran fehlt es hier. Die Beklagte hat ihren Wohngeldbewilligungsbescheid vom 26. April 2012 nicht aufgehoben. Sie hat vielmehr angenommen, dass dieser bereits kraft Gesetzes (gem. § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG) unwirksam sei, und deshalb - aus ihrer Sicht konsequent - von einer Rücknahme des Bewilligungsbescheides abgesehen.

33 Ein fehlerhafter Verwaltungsakt kann zwar in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind (§ 43 Abs. 1 SGB X). Eine Umdeutung des auf § 50 Abs. 2 SGB X gestützten Erstattungsbescheides in einen Rücknahmebescheid unter gleichzeitiger Festsetzung der Erstattungsforderung (§§ 45, 50 Abs. 1 und 3 SGB X) kommt jedoch nicht in Betracht. Sie scheitert hier jedenfalls daran, dass die Beklagte keine Ermessenserwägungen angestellt hat, die auf die Rücknahme des das Wohngeld bewilligenden Verwaltungsaktes gerichtet gewesen sind, es also an einer Voraussetzung für die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte nach § 45 SGB X fehlt (vgl. auch BSG, Urteil vom 10. März 1987 - 3 RK 7/86 - SozR 1300 § 50 Nr. 15).

34 3. Die Entscheidung, dass die Beklagte die (außergerichtlichen) Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen zu tragen hat, folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

35 4. Das Oberverwaltungsgerichts hat (unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Schleswig-Holstein <Beschluss vom 9. Oktober 2014 - 3 O 24/14 - NVwZ-RR 2015, 665>) im Ergebnis zu Recht angenommen, dass die vorliegende wohngeldrechtliche Streitigkeit gerichtskostenfrei ist (§ 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO).

36 Für Verfahren der in § 188 Satz 1 VwGO unter anderem genannten "Angelegenheiten der Fürsorge" (mit Ausnahme der Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes) werden nach § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) nicht erhoben. Der Begriff der "Angelegenheiten der Fürsorge" bezieht sich auf Fürsorgemaßnahmen in einem weiteren Sinne und erfasst Sachgebiete, in denen soziale Leistungen mit primär fürsorgerischer Zwecksetzung vorgesehen sind (a). Weil dazu nach dem heutigen Stand der rechtlichen Bewertung auch die Wohngeldleistungen nach dem Wohngeldgesetz gehören (b), sind für diesbezügliche Streitigkeiten keine Gerichtskosten zu erheben (§ 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO). Die bislang von dem Senat vertretene gegenteilige Rechtsauffassung, die durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Oktober 1972 - 8 C 127.71 - (BVerwGE 41, 115 <126>) begründet worden ist (diesem zuletzt folgend BVerwG, Beschluss vom 5. März 2015 - 5 KSt 6.15 - juris Rn. 6), ist durch die Rechtsentwicklung überholt und wird aufgegeben.

37 a) Zu den "Angelegenheiten der Fürsorge" im Sinne von § 188 Satz 1 VwGO gehören alle in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit fallenden Sachgebiete, die Fürsorgemaßnahmen im weiteren Sinne zum Gegenstand haben und nicht schon unter eines der übrigen in § 188 Satz 1 VwGO aufgezählten Sachgebiete fallen. Erfasst werden insbesondere Sachgebiete, in denen Leistungen mit primär fürsorgerischer Zwecksetzung vorgesehen sind, für die regelmäßig kennzeichnend ist, dass bestimmte Einkommens- und gegebenenfalls Vermögensgrenzen nicht überschritten werden dürfen (vgl. bereits BVerwG, Urteil vom 17. Januar 1980 - 5 C 62.78 - Buchholz 412.4 § 2 KgfEG Nr. 38 S. 14 f.; Beschlüsse vom 10. Dezember 2004 - 5 B 47.04 - RdLH 2005, 29 und vom 20. April 2011 - 6 C 10.10 - Buchholz 310 § 188 VwGO Nr. 18 S. 1 f.).

38 aa) Dieses Verständnis, das zu einer Einbeziehung der Streitigkeiten um Wohngeld führt, steht mit dem Wortsinn der Vorschrift in Einklang. Der Begriff der Angelegenheiten der Fürsorge ist in der Weise fachsprachlich geprägt, dass er sich als Querschnittsbegriff nicht nur auf ein bestimmtes (Leistungs-) Gesetz, sondern auf die Normenkomplexe bezieht, welche die öffentliche Fürsorge in einem sozialstaatlichen Sinne zum Gegenstand haben. Zu den Leistungen der öffentlichen Fürsorge sind zwar traditionell insbesondere die Leistungen zu zählen, die - wie die Sozialhilfe - der Sicherung der Lebensgrundlagen bzw. des Existenzminimums und damit der Gewährleistung eines der Menschenwürde genügenden Daseins dienen; der Begriff ist jedoch fachsprachlich nicht darauf beschränkt, sondern erstreckt sich jedenfalls im Kontext der Regelung über die Gerichtskostenfreiheit auf Fürsorgeleistungen in einem weiteren Sinne (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 1972 - 8 C 127.71 - BVerwGE 41, 115 <126 f.>), mit denen der Gesetzgeber auf bestimmte Bedarfslagen reagiert und deren Gewährung er typischerweise von bestimmten Einkommens- und Vermögensgrenzen abhängig macht.

39 bb) Dieser Befund wird durch rechtssystematische Erwägungen bestärkt. Der Fürsorgebegriff des § 188 Satz 1 VwGO knüpft ausweislich des aus der Gesetzesbegründung zu entnehmenden Hinweises des Gesetzgebers an den Begriff der Fürsorge in Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG an und stimmt mit diesem im Wesentlichen überein (vgl. BT-Drs. 15/3867 S. 4). Der damit in Bezug genommene Begriff der "öffentlichen Fürsorge" im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weit zu verstehen und umfasst alle Reaktionen des Gesetzgebers auf Situationen zumindest potenzieller Bedürftigkeit, wobei es genügt, wenn eine - sei es auch nur typisierend bezeichnete und nicht notwendig akute - Bedarfslage im Sinne einer mit besonderen Belastungen einhergehenden Lebenssituation besteht, auf deren Beseitigung oder Minderung das Gesetz zielt (BVerfG, Urteile vom 28. Mai 1993 - 2 BvF 2/90 u.a. - BVerfGE 88, 203 <329 f.> und vom 21. Juli 2015 - 1 BvF 2/13 - BVerfGE 140, 65 Rn. 29; Beschluss vom 10. März 1998 - 1 BvR 178/97 - BVerfGE 97, 332 <341>). Diesem weiten Begriff der öffentlichen Fürsorge im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG wird daher nach überwiegender Rechtsmeinung auch das Wohngeldrecht zugeordnet (vgl. etwa VG Hannover, Beschluss vom 30. November 2005 - 3 A 8488/05 - juris Rn. 14; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Stand November 2018, Art. 74 Rn. 108; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl. 2018, Art. 74 Rn. 18a; Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 2, 7. Aufl. 2018, Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 Rn. 58; Degenhart, in: Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 74 Rn. 41; Hering, DÖV 1975, 8 <14>; Steinbach, in: Hauck/Noftz, SGB I, Stand August 2006, § 26 Rn. 16). Auch wenn und soweit die Regelung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG als Grundlage der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes durch die insoweit speziellere Regelung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG für das Wohnungswesen verdrängt wird (vgl. Axer, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand Juli 2014, Artikel 74 Abs. 1 Nr. 7 Rn. 11), ändert dies nichts an der Weite des (mit § 188 Satz 1 VwGO übereinstimmenden) Fürsorgebegriffs, der auch die sozialstaatliche Leistung des Wohngeldes erfasst.

40 cc) Die historisch-genetische Betrachtung der Regelung über die Gerichtskostenfreiheit steht dem ermittelten Auslegungsergebnis nicht entgegen, sondern bestärkt es.

41 Mit der Änderung des § 188 der Verwaltungsgerichtsordnung durch das Gesetz vom 20. August 1975 (BGBl. I S. 2189) war der in dieser Norm bis dahin verwendete Begriff der "allgemeinen öffentlichen Fürsorge" durch den Begriff der Sozialhilfe ersetzt worden. Diese Gesetzesfassung, die vom 15. September 1975 bis Ende 2004 Geltung beanspruchte, benannte nicht mehr wie die ursprüngliche Regelung "die Sachgebiete der allgemeinen öffentlichen Fürsorge, der Tuberkulosehilfe und der sozialen Fürsorge für Kriegsopfer", sondern bezog sich auf die "Sachgebiete der Sozialhilfe, der Jugendhilfe, der Kriegsopferfürsorge, der Schwerbehindertenfürsorge sowie der Ausbildungsförderung." Durch die weitere und bis heute maßgebliche Änderung (durch Art. 2 des Gesetzes vom 9. Dezember 2004 - BGBl. I S. 3302), mit der die Vorschrift des § 188 Satz 1 VwGO ihre geltende Fassung erhalten hat, ist der Begriff der "Fürsorge" wieder eingeführt worden. Der nunmehr vorangestellte Begriff der Angelegenheiten der Fürsorge (mit Ausnahme der Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes) greift damit den tradierten Begriffsinhalt der Fürsorge im weit verstandenen Sinne wieder auf. Darunter fallen zwar nach der Gesetzesbegründung "insbesondere finanzielle, wirtschaftliche oder gesundheitliche Leistungen, die dem Hilfsbedürftigen ein Leben ermöglichen, das der Menschenwürde entspricht" (BT-Drs. 15/3867 S. 4). Das in dieser Formulierung vorangestellte Wort "insbesondere" deutet jedoch darauf hin, dass der Anwendungsbereich des § 188 Satz 1 VwGO über die damit in erster Linie umschriebenen Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums hinausgeht. Insgesamt spricht die Wiedereinführung des weiten Begriffs der - die Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes ausdrücklich ausnehmenden und deshalb darüber hinausgehenden - Angelegenheiten der Fürsorge dafür, dass damit alle Sachgebiete erfasst werden sollen, in denen Leistungen mit primär fürsorgerischer Zwecksetzung vorgesehen sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. April 2011 - 6 C 10.10 - Buchholz 310 § 188 VwGO Nr. 18 S. 1 f.).

42 dd) Das bisherige Auslegungsergebnis wird schließlich durch den Sinn und Zweck der vom Gesetzgeber in § 188 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Halbs. 1 VwGO vorgesehenen Gerichtskostenfreiheit bekräftigt.

43 Nach den bereits aus der Gesetzesbegründung zur Einführung der Verwaltungsgerichtsordnung i.d.F. vom 21. Januar 1960 (BGBl. I S. 17) zu entnehmenden Motiven entsprach die "generelle Einführung der Gebührenfreiheit in Angelegenheiten der sozialen und allgemeinen öffentlichen Fürsorge" nach Ansicht des damaligen Gesetzgebers "einer dringenden Notwendigkeit" (BT-Drs. 3/55 S. 49). Dabei ist die Überlegung, "dass mittellose oder minderbemittelte Kläger in den Sachgebieten des § 188 Satz 1 VwGO häufiger vorkommen", ein Grund dafür gewesen, die Gerichtskostenfreiheit für diese Sachgebiete allgemein einzuführen. Aus Gründen der Vereinfachung ist sie als umfassende Pauschalregelung getroffen worden, bezogen auf die Art der Streitigkeit, ohne Rücksicht auf die (finanziellen) Verhältnisse der in einem Einzelfall an einer Rechtsstreitigkeit Beteiligten (BVerwG, Urteil vom 28. November 1974 - 5 C 18.74 - BVerwGE 47, 233 <238>). Zudem ist mit der Einführung der Gerichtskostenfreiheit eine Gleichstellung der in § 188 VwGO aufgezählten Sachen mit den der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesenen Sachen bezweckt worden, weil die in § 188 VwGO angeführten Sachgebiete und die der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesenen Sachgebiete als gleichartig angesehen wurden (BVerwG, Urteil vom 15. April 1964 - 5 C 45.63 - BVerwGE 18, 216 <220>).

44 Insoweit bestehen Übereinstimmungen mit den Zwecksetzungen, die hinter der Entscheidung des Gesetzgebers stehen, im Grundsatz die Kostenfreiheit im Sozialverwaltungsverfahren (§ 64 Abs. 1 Satz 1 SGB X) zu gewährleisten, die auch Streitigkeiten um Wohngeld erfasst. Diese Kostenfreiheit soll dazu beitragen, dass sich niemand aus finanziellen Gründen gehindert sieht, seine sozialen Ansprüche geltend zu machen oder die Tätigkeit der Sozialbehörden in Anspruch zu nehmen (vgl. etwa Littmann, in: Hauck/Noftz, SGB X, Stand Mai 2015, § 64 Rn. 2). Diese Zwecksetzung findet ihre Fortsetzung in der in § 183 SGG grundsätzlich angeordneten Kostenfreiheit für das sozialgerichtliche Verfahren. Die diesbezügliche Gesetzesbegründung verweist auf ein "Schutzbedürfnis" des typisierend aufgezählten, privilegierten Personenkreises und spricht von der Notwendigkeit eines "besonderen sozialen Schutzes in Form eines kostenfreien Rechtsschutzes" (BT-Drs. 14/5943 S. 28 f.).

45 Obgleich sich die Regelungstechnik des § 188 VwGO von derjenigen des § 183 SGG unterscheidet (vgl. VG Frankfurt/Oder, Beschluss vom 12. März 2013 - 6 KE 12/13 - juris Rn. 7 f. m.w.N.), lässt sich auch die Zwecksetzung der Gerichtskostenfreiheit nach § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO dahin umschreiben, dass diese der Durchsetzung der sozialen Rechtsansprüche dienen und die Chancengleichheit zwischen den Recht suchenden Hilfebedürftigen und den Behörden ermöglichen soll (vgl. zur Rocklage, DVBl 1973, 28 <29>). Dieser Zwecksetzung entspricht es, solche der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte zugewiesenen Gesetzesmaterien von den Angelegenheiten der Fürsorge im Sinne von § 188 Satz 1 VwGO als erfasst anzusehen, die als Ausdruck staatlicher Fürsorge soziale Ansprüche vermitteln und bei denen nach der Annahme des Gesetzgebers typischerweise eine nach Einkommens- und Vermögensgrenzen zu bestimmende Bedürftigkeit besteht, die es rechtfertigt, die dadurch berechtigten Personen in gleicher Weise durch die Gerichtskostenfreiheit zu begünstigen, wie dies bei den in § 188 Satz 1 VwGO ausdrücklich genannten Gesetzesmaterien der Fall ist.

46 b) Von dem vorangehend ermittelten Inhalt des Begriffs der "Angelegenheiten der Fürsorge" im Sinne von § 188 Satz 1 VwGO ist jedenfalls nach der heute gebotenen rechtlichen Bewertung auch das Sachgebiet des Wohngeldrechts erfasst. Das Wohngeld stellt sich als eine vom Einkommen (§ 4 Nr. 3, §§ 13 ff. WoGG) und (zumindest mittelbar auch) vom Vermögen (§ 21 Nr. 3 WoGG) abhängige Sozialleistung dar (vgl. § 11 Satz 1, § 26 Abs. 1, § 68 Nr. 10 SGB I), die als Bestandteil des sozialen Sicherungssystems der wirtschaftlichen Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnens dient (vgl. § 1 Abs. 1 WoGG).

47 Zwar ist der primär fürsorgerische Charakter des Wohngeldes ursprünglich insoweit fraglich gewesen, als der Gesetzgeber mit dem Wohngeldgesetz nach früherer Einschätzung in gewichtiger Weise den Zweck der Wohnraumförderung verfolgt und das Wohngeld als Teil der öffentlichen Wohnungsbaufinanzierung angesehen hat (vgl. BT-Drs. 6/1116 S. 29). Zudem hatte § 1 des Wohngeldgesetzes alter Fassung (WoGG a.F.) bis zum Inkrafttreten des Fünften Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes vom 4. August 1980 (BGBl. I S. 1159) am 1. Januar 1981 den Hinweis enthalten, dass das Wohngeld keine Leistung der Sozialhilfe sei (vgl. darauf bezugnehmend BVerfG, Beschluss vom 14. November 1969 - 1 BvL 4/69 - BVerfGE 27, 220 <221, 227>).

48 Den heutigen Regelungen des Wohngeldgesetzes kann hingegen ein die fürsorgerische Zwecksetzung erheblich überlagernder und sie von anderen Sozialleistungen kategorial abgrenzender Zweck der Wohnraumförderung nicht mehr entnommen werden. Ob und inwieweit das Wohngeld als Leistung der Sozialhilfe im weiteren Sinne anzusehen ist oder nicht, ist insoweit unerheblich. Überdies ist die entsprechende Aussage in § 1 WoGG a.F. bereits durch das Wohngeldänderungsgesetz vom 4. August 1980 (BGBl. I S. 1159) mit der Begründung gestrichen worden, der Zusatz sei entbehrlich geworden, nachdem mit dem Inkrafttreten des durch Gesetz vom 11. Dezember 1975 (BGBl. I S. 3015) eingeführten Sozialgesetzbuchs - Allgemeiner Teil - das Wohngeldgesetz und das Bundessozialhilfegesetz besondere Teile des Sozialgesetzbuchs geworden seien (BT-Drs. 8/3903 S. 78).

49 Nach der heutigen Regelung des § 1 Abs. 1 WoGG dient das Wohngeld der wirtschaftlichen Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnens. Dies spricht ebenso für seine primär fürsorgerische Zwecksetzung wie die Wertung, die der Gesetzgeber mit der Einbeziehung des Wohngeldgesetzes in das Sozialgesetzbuch und den im dortigen Ersten Buch normierten wohngeldbezogenen Regelungen zum Ausdruck gebracht hat. Das Wohngeldgesetz gilt danach als besonderer Teil des Sozialgesetzbuchs (§ 68 Nr. 10 SGB I). § 7 SGB I normiert - korrespondierend mit § 26 SGB I - das soziale Recht auf Zuschuss zu den Aufwendungen für erforderlichen Wohnraum für denjenigen, dem aus diesen Aufwendungen Belastungen erwachsen, die ihm im Hinblick auf sein Einkommen nicht zugemutet werden können. Zu der im Gesetzgebungsverfahren streitigen Frage, ob das Wohngeldrecht in das Sozialgesetzbuch einbezogen werden sollte, hat sich nicht die Ansicht (insbesondere des Bundesrates) durchgesetzt, die das Wohngeld als ein in erster Linie der Wohnungsbauförderung dienendes Instrument gesehen hat. Vielmehr entsprach es der Mehrheitsauffassung, dass das Wohngeld eine Sozialleistung sei, die enge sozialpolitische und rechtliche Gemeinsamkeiten mit den anderen im Sozialgesetzbuch genannten Sozialleistungen aufweise und deshalb in das Sozialgesetzbuch einbezogen werden müsse (vgl. BT-Drs. 6/3764 S. 39; BT-Drs. 7/868 S. 44 sowie Weselski, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Aufl. 2018, § 7 Rn. 2; Palsherm, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Aufl. 2018, § 26 Rn. 1). Daraus ist erkennbar, dass das Wohngeldrecht nach dieser gesetzgeberischen Wertung entsprechend den Grundprinzipien des Sozialgesetzbuches die primäre Zielsetzung verfolgt, der Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit zu dienen, und zwar durch eine Minderung der wirtschaftlichen Belastung einerseits und die Verwirklichung angemessenen Wohnens andererseits (Steinbach, in: Hauck/Noftz, SGB I, Stand August 2006, § 7 Rn. 2 m.w.N.).

50 Das Wohngeld hat sich jedenfalls im Zuge dieser Rechtsentwicklung zu einer individuellen Sozialleistung gewandelt (VG Hannover, Beschluss vom 30. November 2005 - 3 A 8488/05 - juris Rn. 20), deren primär fürsorgerechtlicher Charakter es gebietet, Wohngeldsachen den Angelegenheiten der Fürsorge im Sinne von § 188 Satz 1 VwGO zuzuordnen, für deren Streitigkeiten vor den Verwaltungsgerichten keine Gerichtskosten zu erheben sind (§ 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO).