Beschluss vom 23.11.2017 -
BVerwG 10 B 14.17ECLI:DE:BVerwG:2017:231117B10B14.17.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 23.11.2017 - 10 B 14.17 - [ECLI:DE:BVerwG:2017:231117B10B14.17.0]

Beschluss

BVerwG 10 B 14.17

  • VG Braunschweig - 21.12.2015 - AZ: VG 1 A 61/15
  • OVG Lüneburg - 29.03.2017 - AZ: OVG 10 LB 80/16

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. November 2017
durch
den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rublack
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. März 2017 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Der Kläger begehrt die Feststellung, dass er als Mitglied des Rates des Beklagten vor der Ratssitzung im April 2015 zur Beschlussfassung über die Vergabe eines Auftrags zum Einbau einer Lüftungsanlage in der gemeindlichen Grundschule berechtigt gewesen sei, Zugang zu den Ausschreibungsunterlagen zu erhalten. Das Verwaltungsgericht hat seine Klage hinsichtlich der im Hauptantrag begehrten Feststellung des Rechts auf Überlassung einer Kopie der Ausschreibungsunterlagen abgewiesen und festgestellt, dass der Beklagte zur Gewährung der Einsichtnahme des Klägers in diese Unterlagen verpflichtet war.

2 Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht das verwaltungsgerichtliche Urteil geändert und die Klage insgesamt abgewiesen, auch soweit der Kläger hilfsweise die Feststellung seines Rechts auf mündliche Unterrichtung durch Verlesung des wesentlichen Inhalts der Unterlagen begehrt hatte. Das niedersächsische Kommunalverfassungsrecht verleihe nur einer Fraktion bzw. Gruppe, nicht jedoch einzelnen Ratsmitgliedern ein Akteneinsichtsrecht. Der Kläger habe zudem weder im eigenen Namen noch für seine Gruppe Akteneinsicht in die Ausschreibungsunterlagen beantragt. Aus seinem landesgesetzlichen Auskunftsrecht als einzelnes Ratsmitglied lasse sich kein Akteneinsichtsrecht ableiten, da der Gesetzgeber beide Formen der Informationsgewährung unterschieden und die an Ratsmitglieder zu erteilende Auskunft auf einen Dialog von Frage und Antwort beschränkt habe. Weder das Demokratieprinzip noch das Rechtsstaatsprinzip verlangten, das Auskunftsrecht als Akteneinsichtsrecht zu verstehen. Der ungeschriebene verfassungsunmittelbare Informationsanspruch eines jeden Ratsmitglieds werde durch das einfachgesetzlich gewährleistete Auskunftsrecht erfüllt. Dieses Recht verleihe dem Kläger auch keinen Anspruch auf Verlesen von Ausschreibungsunterlagen, weil damit die gesetzlichen Voraussetzungen des Akteneinsichtsrechts der Fraktion bzw. Gruppe umgangen würden. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen seinen Beschluss nicht zugelassen.

3 Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde des Klägers hiergegen hat keinen Erfolg.

4 Der Kläger hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam,
ob den Ratsmitgliedern einer Kommune ein unmittelbarer Anspruch auf Informationserteilung aufgrund des in Art. 20 GG verankerten Demokratieprinzips zusteht und ob dieser Anspruch über die Erteilung mündlicher Informationen hinaus auch darauf gerichtet ist, zur Vorbereitung auf einen Tagesordnungspunkt in einer bevorstehenden Ratssitzung Zugang auch zu solchen Informationen zu erhalten, die in einem schriftlichen oder in einem elektronischen Dokument verkörpert sind.

5 Die vom Kläger formulierte Frage könnte in dieser Reichweite in einem Revisionsverfahren nicht geklärt werden, da sie zu großen Teilen an den - zwischen verschiedenen Formen des Informationszugangs differenzierenden - Entscheidungen der Vorinstanzen vorbeigeht. Soweit der Kläger ursprünglich die Übermittlung der Ausschreibungsunterlagen zur Lüftungsanlage der gemeindlichen Schule begehrt hatte, ist das klagabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig geworden. Soweit Zugang zu Informationen in einem Dokument durch Akteneinsicht gewährt werden könnte, fehlte es nach den Feststellungen des Berufungsgerichts an einem Akteneinsichtsgesuch und stellt der Kläger in seiner ergänzenden Beschwerdebegründung klar, dass er ein Akteneinsichtsrecht nicht geltend macht. Somit könnte die vom Kläger für grundsatzbedeutsam gehaltene Frage in einem Revisionsverfahren allein auf die mit seinem ursprünglich zweiten Hilfsantrag begehrte Form der Informationserteilung durch mündliche Unterrichtung im Wege der Verlesung des wesentlichen Inhalts der Unterlagen bezogen werden.

6 Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hatte der Kläger bei dem Beklagten ausschließlich die Zusendung bzw. Vorlage der Ausschreibungsunterlagen beantragt. Ein dahinter zurückbleibendes Auskunftsersuchen hat er nicht gestellt, obwohl der Beklagte sich vor der Ratsentscheidung über die Auftragsvergabe schriftlich zur Erteilung konkret bezeichneter Auskünfte bereit erklärt hatte. Zwischen den Beteiligten ist daher allenfalls eine Auskunftserteilung durch Verlesung von Ausschreibungsunterlagen streitig, die ihrem Umfang nach an eine vollständige Übermittlung der Unterlagen heranreicht. Dass der Beklagte zur Beantwortung einzelner Fragen des Klägers grundsätzlich verpflichtet ist, unterliegt dagegen keinem Streit. Entsprechend hat das Berufungsgericht den diesbezüglichen Hilfsantrag des Klägers verstanden und die Feststellungsklage insoweit für zulässig gehalten.

7 Selbst wenn man die vom Kläger aufgeworfene Frage lediglich auf die Verschaffung des Zugangs zu Informationen aus einem Dokument durch dessen im Wesentlichen vollständiges Verlesen bezieht, legt der Kläger entgegen dem Erfordernis aus § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO in der Beschwerdebegründung nicht hinreichend dar, warum ihr am Maßstab des revisiblen Rechts grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Abs. 1 VwGO zukommt. Mit der Erwägung des Berufungsgerichts, der verfassungsrechtliche Informationsanspruch eines Ratsmitglieds werde durch das landesrechtliche Auskunftsrecht gewährleistet, auch wenn es nicht als Akteneinsichtsrecht oder ihm gleichkommendes Recht auf Verlesen des Inhaltes von Unterlagen verstanden wird, setzt sich die Beschwerdebegründung nicht auseinander. Die Ausführungen des Klägers zum verfassungsunmittelbaren Informationsanspruch gehen auf die rechtlich gebotene Form eines Informationszugangs nicht ein. Sie nehmen auf die berufungsgerichtliche Auslegung der landesgesetzlichen Informationsrechte von Ratsmitgliedern als Einzelne oder als Teil einer Fraktion bzw. Gruppe keinerlei Bezug und erläutern nicht, inwieweit das Demokratieprinzip oder andere Verfassungsgrundsätze eine Erweiterung gebieten.

8 Schließlich setzt sich der Kläger auch nicht mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Inhalt des Informationsrechts einzelner Abgeordneter auseinander. Die von ihm angeführte Entscheidung (BVerfG, Urteil vom 14. Januar 1986 - 2 BvE 14/83 und 4/84 - BVerfGE 70, 324 <355>) betrifft nicht Auskunfts- oder Akteneinsichtsrechte von Abgeordneten, sondern die Zusammensetzung eines parlamentarischen Gremiums. Der parlamentarische Informationsanspruch, an dem die einzelnen Abgeordneten und Fraktionen teilhaben, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf die Beantwortung von aus dem Parlament gestellten Fragen durch die Regierung angelegt und unterliegt seinerseits verfassungsrechtlichen Grenzen (BVerfG, Beschluss vom 1. Juli 2009 - 2 BvE 5/06 - BVerfGE 124, 161 <193>; vgl. zuletzt BVerfG, Urteil vom 7. November 2017 - 2 BvE 2/11 - juris Rn. 195 ff., 200). Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass der Fall des Klägers einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf aufwirft.

9 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.