Beschluss vom 23.12.2010 -
BVerwG 4 B 36.10ECLI:DE:BVerwG:2010:231210B4B36.10.0

Beschluss

BVerwG 4 B 36.10

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 24.06.2010 - AZ: OVG 8 A 2764/09

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Dezember 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 24. Juni 2010 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die von der Beigeladenen geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung.

2 Die Beigeladene möchte in einem Revisionsverfahren rechtsgrundsätzlich geklärt wissen,
ob eine Windenergieanlage mit einem Abstand zu einer Wohnnutzung, der weniger als das Doppelte ihrer Gesamthöhe beträgt, regelmäßig gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme verstößt und
ob dies selbst dann gilt, wenn die betroffene Wohnbebauung sich im Außenbereich befindet und ihrerseits keinen Privilegierungstatbestand in Anspruch nehmen kann oder ob sich insoweit nicht vielmehr regelmäßig die im Außenbereich privilegierte Windenergienutzung durchsetzen wird.

3 1. Die erste Frage würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Denn das Oberverwaltungsgericht hat einen Rechtssatz mit diesem Inhalt nicht aufgestellt. Es ist vielmehr davon ausgegangen, dass die Prüfung, ob von einer Windenergieanlage eine optisch bedrängende, das Gebot der Rücksichtnahme verletzende Wirkung ausgeht, stets eine Würdigung aller Umstände des Einzelfalls erfordert (UA S. 9). Lediglich als „groben Anhaltswert“ (UA S. 9) hat es prognostiziert, dass die Einzelfallprüfung überwiegend zu einer dominanten und optisch bedrängenden Wirkung der Anlage gelangen dürfte, wenn der Abstand zu einem Wohnhaus geringer als das Zweifache der Gesamthöhe der Anlage ist. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Wohnhaus werde bei einem solchen Abstand in der Regel optisch von der Anlage überlagert und vereinnahmt; auch trete die Anlage in einem solchen Fall durch den verkürzten Abstand und den damit vergrößerten Betrachtungswinkel derart unausweichlich in das Sichtfeld, dass die Wohnnutzung überwiegend in unzumutbarer Weise beeinträchtigt werde (UA S. 10). Mehr als eine gewisse, auf tatrichterlicher Erfahrung basierende Orientierung für die erforderliche Würdigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls hat es damit nicht gegeben. Insbesondere hat es der Unterschreitung des genannten Abstands keinen rechtlichen Vorrang eingeräumt gegenüber anderen relevanten Umständen wie etwa den konkreten Sichtbeziehungen oder den Möglichkeiten „architektonischer Selbsthilfe“. Es hat auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz aufgestellt über den Zusammenhang zwischen der Unterschreitung des genannten Abstands und einem Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Ein allgemeiner Erfahrungssatz wäre einer revisionsgerichtlichen Überprüfung zugänglich; er unterscheidet sich von einer bloßen Erfahrungstatsache dadurch, dass er keine Ausnahme zulässt (Urteil vom 22. April 1994 - BVerwG 8 C 29.92 - BVerwGE 95, 341 <351>; Beschluss vom 31. Januar 1989 - BVerwG 2 B 2.89 - juris; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 137 Rn. 76). Das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass eine Windenergieanlage, wenn ihr Abstand zu einem Wohngebäude das Zweifache der Gesamthöhe der Anlage unterschreitet, nach der Lebenserfahrung in der Mehrzahl der Fälle gegenüber der Wohnnutzung rücksichtslos ist. Dass dies ausnahmslos so sei, hat es - wie bereits dargelegt - nicht angenommen.

4 2. Da das Oberverwaltungsgericht einen Rechtssatz mit dem in der ersten Frage genannten Inhalt nicht aufgestellt hat, würde sich auch die zweite Frage in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Im Übrigen ist in der Rechtsprechung des Senats bereits geklärt, dass ein im Außenbereich privilegiert zulässiges Vorhaben gegenüber einer dort bereits ausgeübten, genehmigten Nutzung auch dann rücksichtslos sein kann, wenn diese einen Privilegierungstatbestand nach § 35 Abs. 1 BauGB für sich nicht in Anspruch nehmen könnte (Urteil vom 18. November 2004 - BVerwG 4 C 1.04 - Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 366 S. 140).

5 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.