Beschluss vom 24.03.2006 -
BVerwG 10 B 55.05ECLI:DE:BVerwG:2006:240306B10B55.05.0

Beschluss

BVerwG 10 B 55.05

  • OVG des Landes Sachsen-Anhalt - 15.04.2005 - AZ: OVG 4 L 176/06

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. März 2006
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hien und die
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Nolte und Domgörgen
beschlossen:

  1. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 15. April 2005 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1 449,51 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Verfahrensrüge des Beklagten greift durch, weil der mit ihr geltend gemachte Gehörsverstoß vorliegt und der angefochtene Beschluss als auf ihm beruhend anzusehen ist (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO). Dies führt zur Aufhebung des Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Vorinstanz (§ 133 Abs. 6 VwGO).

2 Das Berufungsgericht hat dem in § 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO geregelten Anhörungsgebot nur unzureichend Rechnung getragen. Die Anhörung ist nicht ordnungsgemäß erfolgt, weil das Gericht über die Berufung der Kläger ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entschieden hat, ohne den Ablauf der in der Anhörungsmitteilung vom 5. April 2005 bis zum 22. April 2005 gesetzten Äußerungsfrist abzuwarten. Die Anhörung soll den Beteiligten Gelegenheit bieten, ihre Sachargumente zu vertiefen und zu ergänzen und gegebenenfalls die Gründe darzulegen, aus denen sie eine mündliche Verhandlung für sachdienlich halten (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 1979 - BVerwG 7 C 76.78 - Buchholz 312 EntlG Nr. 12). Dieses Recht wird nachhaltig beeinträchtigt, wenn das Gericht den Beteiligten - wie hier - die Möglichkeit nimmt, die gesetzte Frist voll auszuschöpfen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. März 1994 - BVerwG 11 B 141.93 - juris Rn. 3).

3 Die Einhaltung der Frist erübrigte sich nicht etwa aufgrund der Berufungserwiderung des Beklagten vom 8. April 2005. Das gilt unabhängig davon, ob den Prozessbevollmächtigten des Beklagten die ihnen am 9. April 2005 zugestellte Anhörungsmitteilung bei Absendung der Berufungserwiderung bereits bekannt war. Die Erwiderung enthielt nämlich jedenfalls keinen Hinweis, dass der Beklagte auf weiteren Vortrag verzichten wolle (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. August 1991 - BVerwG 4 C 11.90 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 238 S. 87).

4 Ist demnach eine ordnungsgemäße Anhörung unterblieben, so stellt das einen Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs dar (vgl. für eine Entscheidung vor Fristablauf BVerwG, Beschluss vom 14. März 1994 a.a.O.; für andere Fallgestaltungen BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 1993 - BVerwG 6 B 76.92 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 10 S. 11; Beschluss vom 17. November 1994 - BVerwG 1 B 42.94 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 11 S. 1; Beschluss vom 22. April 1999 - BVerwG 9 B 1037.98 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 38 S. 16). Denn ohne ordnungsgemäße vorherige Anhörung fehlt es an den Voraussetzungen, unter denen das Berufungsgericht ausnahmsweise von einer mündlichen Verhandlung absehen und im Beschlussweg entscheiden darf (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. November 1994 a.a.O. S. 2; Neumann in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 138 Rn. 176). Da sich ein solcher Mangel nicht nur auf einzelne Sachverhaltsumstände, sondern auf den Streitstoff insgesamt auswirkt, kommt es nicht darauf an, was der Betroffene bei Einhaltung der Äußerungsfrist durch das Gericht noch vorgetragen hätte und ob dieser Vortrag erheblich gewesen wäre (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Juni 2001 - BVerwG 8 B 38.01 - juris Rn. 10). Macht der Betroffene hierzu - wie der Beklagte des vorliegenden Verfahrens - in seiner Beschwerdebegründung keine Ausführungen, so stellt dies - jedenfalls wenn es um eine nicht ordnungsgemäße erste Anhörung geht (anders zum Sonderfall einer nach neuem Sachvortrag rechtswidrig unterbliebenen zweiten Anhörungsmitteilung BVerwG, Beschluss vom 18. März 1992 - BVerwG 5 B 36.92 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 4 S. 4; Beschluss vom 18. Juni 1996 - BVerwG 9 B 140.96 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 16 S. 10) - keinen Verstoß gegen das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dar.

5 Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.