Beschluss vom 25.03.2024 -
BVerwG 9 B 3.24ECLI:DE:BVerwG:2024:250324B9B3.24.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 25.03.2024 - 9 B 3.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:250324B9B3.24.0]

Beschluss

BVerwG 9 B 3.24

  • VG Würzburg - 11.11.2020 - AZ: W 2 K 20.1035
  • VGH München - 23.08.2023 - AZ: 4 B 22.192

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. März 2024
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Bick, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Martini und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Sieveking
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. August 2023 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 241 522,21 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Die Klägerin begehrt die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von insgesamt 241 522,21 € für die Beseitigung des Schmutzwassers der von der Beklagten betriebenen Tank- und Rastanlage Riedener Wald an der Bundesautobahn A 7 in den Jahren 2013, 2014 und 2015.

2 Der geltend gemachte Zahlungsanspruch ist auf die Beteiligung der Beklagten an den jährlichen Abschreibungen für eine im Jahr 2013 fertiggestellte Kläranlage gerichtet. Diese ersetzt eine im Jahr 1971 von der heute zur Klägerin gehörenden Gemeinde Rieden errichtete Kläranlage. Die Tank- und Rastanlage ist seit 1971 an die öffentliche Entwässerungseinrichtung angeschlossen, wobei zwischen den Beteiligten streitig ist, ob insoweit ein dem Satzungsregime unterliegender Anschluss durch einen öffentlichen Kanal vorliegt.

3 Die Klägerin leitet den Anspruch aus einem faktisch begründeten öffentlich-rechtlichen Dauerschuldverhältnis her. Dieses beruhe darauf, dass die Beklagte seit der Übernahme des Betriebs der Tank- und Rastanlage im Jahr 1999 ohne Einwendungen den Verpflichtungen nachgekommen sei, die sich aus zwei Vereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Gemeinde Rieden aus den Jahren 1970 und 1973 ergäben, die die Errichtung der 1971 fertiggestellten gemeindlichen Kläranlage beträfen.

4 Das Verwaltungsgericht gab der Klage in getrennten Urteilen für die Jahre 2013, 2014 und 2015 statt und verurteilte die Beklagte jeweils zur Zahlung des eingeklagten Betrages. Der Verwaltungsgerichtshof änderte - nach Verbindung der Verfahren - die erstinstanzlichen Urteile ab und wies die Klagen in vollem Umfang ab. Die geltend gemachten Ansprüche ergäben sich weder aus den Vereinbarungen von 1970 und 1973 noch aus anderen Rechtsgründen. Insbesondere sei das durch die Vereinbarung von 1973 begründete Dauerschuldverhältnis nicht in einer Weise faktisch fortgesetzt worden, dass die von der Klägerin geltend gemachten Zahlungsansprüche darauf gestützt werden könnten. Auch bestehe weder ein zivilrechtlicher Vertrag noch ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch, der Grundlage für die geltend gemachten Forderungen sein könne. Der Klägerin habe aber die Möglichkeit offen gestanden, die Investitionskosten für den Ersatzbau der Kläranlage wahlweise über Anschlussbeiträge oder über Benutzungsgebühren nach ihrer jeweiligen Satzung zu refinanzieren.

5 Die Revision ließ der Verwaltungsgerichtshof nicht zu.

II

6 Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

7 Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint.

8 1. Danach verleiht die von der Klägerin aufgeworfene Frage,
ob die aus dem verfahrensgegenständlichen Urteil des Berufungsgerichts vom 23. August 2023 für den Träger einer leitungsgebundenen kommunalen Entsorgungseinrichtung resultierenden Vorgaben gegen das aus Art. 3 GG resultierende Verbot, ungleiche Sachverhalte ohne rechtfertigenden Grund gleich zu behandeln, verstoßen,
der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung.

9 a) Die Frage knüpft hinsichtlich der Vorgaben des Urteils daran an, dass der Verwaltungsgerichtshof unter Hinweis auf seinen Beschluss vom 3. April 2008‌ - 4 CS 08.44 - (juris Rn. 33) ebenso wie in dem dortigen Fall von der Möglichkeit ausgeht, die Investitionskosten für die neue Kläranlage unter Beteiligung der Tank- und Rastanlage wahlweise über Anschlussbeiträge oder über nach der jeweiligen Satzung berechnete Benutzungsgebühren zu refinanzieren. Den ungleichen Sachverhalt sieht die Klägerin darin, dass dem Beschluss vom 3. April 2008 ein Fall zugrunde liege, in dem die Tank- und Rastanlage durch die öffentliche Entwässerungseinrichtung erschlossen gewesen sei und deshalb ein satzungsgemäßes Anschlussverhältnis bestanden habe, während im vorliegenden Fall die Abnahme und Reinigung des Schmutzwassers über eine nicht gewidmete Zuleitung außerhalb des Satzungsregimes der Klägerin auf der Grundlage eines faktischen Dauernutzungsverhältnisses erfolge.

10 Danach zielt die von der Klägerin für klärungsbedürftig gehaltene Frage der Sache nach darauf ab, ob es gegen das Verbot, ungleiche Sachverhalte ohne rechtfertigenden Grund gleich zu behandeln, verstößt, dass der Verwaltungsgerichtshof ungeachtet des hinsichtlich der Erschließung durch die öffentliche Entwässerungseinrichtung unterschiedlichen Sachverhalts in beiden Fallkonstellationen die Erhebung von Anschlussbeiträgen oder Benutzungsgebühren zur Refinanzierung der Investitionskosten für möglich hält.

11 So verstanden rechtfertigt die Frage die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht. Denn sie war für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs nicht von Bedeutung. Das Berufungsgericht ging ausdrücklich davon aus, dass es sich bei dem von ihm in Bezug genommenen Verfahren 4 CS 08.44 um einen Parallelfall handelte. Es nahm also einen gleichgelagerten Sachverhalt an. Die Frage eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG wegen einer ungerechtfertigten Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte stellte sich ihm daher nicht.

12 b) Darüber hinaus wäre ihre Klärung im Revisionsverfahren nicht zu erwarten.

13 Von der Klärungsfähigkeit einer Rechtsfrage im Revisionsverfahren kann dann nicht ausgegangen werden, wenn Tatsachen, die vorliegen müssten, damit die mit der Nichtzulassungsbeschwerde aufgeworfene Rechtsfrage sich in einem Revisionsverfahren stellen könnte, vom Berufungsgericht nicht festgestellt worden sind (BVerwG, Beschlüsse vom 2. Februar 2011 - 6 B 37.10 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 173 Rn. 11 und vom 6. März 2013 - 6 B 47.12 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 283 Rn. 15). Ein solcher Fall liegt hier vor.

14 Die von der Klägerin aufgeworfene Frage könnte sich im Revisionsverfahren nur dann stellen, wenn ein ungleicher Sachverhalt vorläge, weil die Tank- und Rastanlage im vorliegenden Fall anders als im Verfahren 4 CS 08.44 durch die öffentliche Entwässerungseinrichtung nicht erschlossen wäre. Dazu hat das Berufungsgericht jedoch keine Feststellungen getroffen. Es ist vielmehr, wie dargelegt, davon ausgegangen, dass es sich bei den beiden Verfahren um Parallelfälle handelt.

15 2. Die Klägerin macht außerdem geltend, sie werde durch die Vorgaben des Berufungsurteils gezwungen, den Anteil der Beklagten an den Abschreibungen in Anwendung ihres Satzungsrechts z. B. über Benutzungsgebühren zu decken. Dies führe zwangsläufig zu einer Benachteiligung der übrigen Einleiter gegenüber der Beklagten, zumal zu deren Lasten kein Starkverschmutzerzuschlag festgesetzt werden könne. Damit ist die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache jedoch nicht in einer den Anforderungen von § 133 Abs. 3 VwGO genügenden Art und Weise dargelegt.

16 Die Klägerin bringt mit ihren Ausführungen der Sache nach lediglich zum Ausdruck, dass sie die Vorgaben des Verwaltungsgerichtshofs für unzutreffend hält. Der bloße Hinweis auf eine fehlerhafte Rechtsanwendung reicht zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache jedoch nicht aus (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1998 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14 und vom 19. November 2020 - 9 B 40.19 - Buchholz 424.01 § 58 FlurbG Nr. 7 Rn. 15).

17 3. Grundsätzliche Bedeutung hat die Rechtssache auch nicht deshalb, weil das Berufungsurteil vom Urteil des Bundesgerichtshofs vom 15. Februar 2006 ‌- VIII ZR 138.05 - (NJW 2006, 1667) abweichen würde.

18 Zwar kann einer Rechtssache auch dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn wie hier die Abweichung von einer Entscheidung eines in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht aufgeführten obersten Bundesgerichts geltend gemacht wird. Denn eine unterschiedliche Rechtsauslegung durch ein oberstes Bundesgericht einerseits und ein Oberverwaltungsgericht andererseits kann den Schluss nahelegen, dass es sich um eine Frage handelt, die auch der Klärung durch das Bundesverwaltungsgericht bedarf (BVerwG, Beschlüsse vom 22. Juni 1984 ‌- 8 B 121.83 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 225 S. 15 f. und vom 4. Dezember 2006 - 2 B 57/06 - juris Rn. 3). Der Beschwerdebegründung ist aber nicht zu entnehmen, dass das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs von dem des Bundesgerichtshofs abweicht. Sie lässt nicht erkennen, dass der Verwaltungsgerichtshof sich in Anwendung derselben Rechtsvorschrift des revisiblen Rechts mit einem seine Entscheidung tragenden Rechtssatz zu einem in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Widerspruch gesetzt hat.

19 Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs gelten im Bereich der Energielieferung keine hohen Anforderungen an einen Vertragsschluss durch schlüssiges Verhalten. Grundsätzlich ist in dem Leistungsangebot eines Versorgungsunternehmens ein Vertragsangebot in Form einer sogenannten Realofferte zum Abschluss eines Versorgungsvertrags zu sehen, das von demjenigen angenommen wird, der aus dem Leitungsnetz des Versorgungsunternehmens Elektrizität, Gas, Wasser oder Fernwärme entnimmt (BGH, Urteil vom 15. Februar 2006 ‌- VIII ZR 138.05 - NJW 2006, 1667 Rn. 15). Dazu hat sich der Verwaltungsgerichtshof allerdings nicht in Widerspruch gesetzt. Der vom Bundesgerichtshof aufgestellte Rechtssatz betrifft nur die Entnahme von Elektrizität, Gas, Wasser oder Fernwärme aus dem öffentlichen Leitungsnetz des Versorgungsunternehmens, nicht aber die Einleitung von Schmutzwasser in eine öffentliche Entwässerungseinrichtung. Dass der Verwaltungsgerichtshof seine Anwendbarkeit auf die Einleitung des Schmutzwassers der Beklagten in die öffentliche Entwässerungseinrichtung der Klägerin verneint hat, widerspricht diesem Rechtssatz daher nicht.

20 4. Grundsätzliche Bedeutung hat die Rechtssache schließlich auch nicht, soweit die Klägerin geltend macht, der Rechtssatz des Bundesgerichtshofs müsse auch für den Bereich der leitungsgebundenen Schmutzwasserentsorgung gelten.

21 Diese Frage war für die Entscheidung des Berufungsgerichts ohne Bedeutung. Denn der Verwaltungsgerichtshof stützte die Unanwendbarkeit des vom Bundesgerichtshof aufgestellten Rechtssatzes tragend darauf, dass dieser der Verhinderung eines vertragslosen Zustands diene und deshalb nicht dazu herangezogen werden könne, eine bisher öffentlich-rechtlich geregelte Sondervereinbarung, deren Fortgeltung und inhaltliche Reichweite streitig geworden sei, in ein zivilrechtliches Rechtsverhältnis zu überführen. Die Frage, ob der Rechtssatz des Bundesgerichtshofs generell auf die Einleitung von Schmutzwasser in die öffentliche Entwässerungseinrichtung übertragen werden kann, spielte danach für die Berufungsentscheidung keine Rolle.

22 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 39 Abs. 1 und § 52 Abs. 1 GKG.