Urteil vom 25.05.2005 -
BVerwG 8 C 7.04ECLI:DE:BVerwG:2005:250505U8C7.04.0
Leitsatz:
In Thüringen führte der durch besonderen Enteignungsbeschluss erfolgte Zugriff auf das Vermögen "der Betriebe der Monopolisten und anderer Kriegs- und Naziverbrecher" (SMAD-Befehl Nr. 64 Nr. 1) nach den Richtlinien Nr. 3 der Deutschen Wirtschaftskommission (§ 1 Nr. 2) vom 21. September 1948 auch dann zur Erfassung des Privatvermögens der Inhaber oder Gesellschafter von wirtschaftlichen Unternehmungen, wenn die zum Privatvermögen gehörigen Vermögenswerte nicht listenmäßig gesondert aufgeführt waren.
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Rechtsquellen
VermG § 1 Abs. 8 Buchst. a -
Instanzenzug
VG Gera - 24.03.2004 - AZ: VG 5 K 1808/99 GE
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Zitiervorschlag
BVerwG, Urteil vom 25.05.2005 - 8 C 7.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2005:250505U8C7.04.0]
Urteil
BVerwG 8 C 7.04
- VG Gera - 24.03.2004 - AZ: VG 5 K 1808/99 GE
In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 25. Mai 2005
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a g e n k o p f und
G o l z e , die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von H e i m b u r g , den Richter am Bundesverwaltungsgericht P o s t i e r und die Richterin
am Bundesverwaltungsgericht Dr. H a u s e r
für Recht erkannt:
- Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 9. Dezember 2003 wird zurückgewiesen.
- Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
I
Die Kläger begehren als Erbeserben des am 8. März 1945 in der Schweiz verstorbenen Carl Gustav V. die Rückübertragung eines Grundstücks sowie die Auskehr des Erlöses aus der Veräußerung eines weiteren Grundstücks.
Eigentümer des 470 m2 großen ehemaligen Gartengrundstücks, eingetragen im Grundbuch von K., Bl. 2496 mit der Flurstücksbezeichnung n600, aus dem später die streitgegenständlichen Flurstücke hervorgingen, war seit 1924 der genannte Erblasser. Seine beiden Söhne Arthur Gustav V. und Ludwig V. waren Komplementäre des seit 1937 als Kommanditgesellschaft firmierenden V.-Verlags in P. Kommanditisten waren ausweislich des Handelsregisterauszuges der Kläger zu 5, die Klägerin zu 4 und Beate V., die Rechtsvorgängerin der Kläger zu 1 bis 3 mit je einem Geschäftsanteil von 5 000 RM.
Der V.-Verlag ist neben drei weiteren Unternehmen der Familie V. in der Liste A des Landes Thüringen zur "Zusammenstellung der enteigneten betrieblichen Vermögensobjekte" eingetragen worden. Der V.-Verlag ist gleichfalls auf der Liste C betreffend die "Enteignung des sonstigen Vermögens" unter der laufenden Nr. 105 verzeichnet worden. Nach der Handelsregistereintragung vom 25. November 1947 war der V.-Verlag seit dem 4. November 1945 auf der Grundlage des SMAD-Befehls Nr. 124 beschlagnahmt worden. Zugleich war auch der Grundbesitz der damaligen Firmeninhaber seit diesem Zeitpunkt beschlagnahmt worden. Das streitbefangene Grundstück ist auf einer sich auf das Jahr 1946 beziehenden Vermögenserklärung, in der die "C.G. V. Erben" als Erklärungspflichtige genannt waren, aufgeführt worden. Der V.-Verlag und die zu diesem gehörenden Unternehmen wurden auf der Grundlage des SMAD-Befehls Nr. 64 vom 17. April 1948 enteignet und später in Volkseigentum überführt.
Am 28. Oktober 1948 legte das Nachfolgeunternehmen für den V.-Verlag, die Thüringer Volksverlag GmbH, dem Amt zum Schutze des Volkseigentums Weimar eine Übersicht über das private Grundvermögen der früheren Inhaber des V.-Verlages vor. Darin ist auch das streitbefangene Flurstück n600 als Grundvermögen der erklärungspflichtigen Erben aufgeführt. In drei, an verschiedene Adressaten gerichtete Schreiben teilte das genannte Amt zum Schutze des Volkseigentums zwischen Juni und Oktober 1948 jeweils mit, dass neben dem Betriebsvermögen auch das private Vermögen der beiden Komplementäre des V.-Verlages enteignet sei. Mit Schreiben vom 30. November 1948 ersuchte das genannte Amt den Bevollmächtigten der Deutschen Wirtschaftskommission für das Land Sachsen den dort belegenen privaten Grundbesitz der Komplementäre zu erfassen und in Volkseigentum zu überführen. Mit Schreiben vom 21. April 1950 stellte das genannte Amt zum Schutz des Volkseigentums beim Amtsgericht Jena - Grundbuchamt, den Antrag auf Umschreibung des streitbefangenen Grundstücks in Eigentum des Volkes und nahm dabei auf die Eintragung des V.-Verlages in die Liste A Bezug. Die Umschreibung im Grundbuch erfolgte am 25. Mai 1950.
1990 ist das streitbefangene Grundstück in die Flurstücke Nr. 600/13 und 600/14 geteilt worden. Das Flurstück Nr. 600/14 veräußerte die Beigeladene mit notariellem Kaufvertrag vom 8. Januar 1991 zu einem Kaufpreis von 3 300 DM, wobei die Rechtsänderung später im Grundbuch eingetragen worden ist. Als Eigentümerin des Flurstücks Nr. 600/13 ist die Beigeladene nunmehr im Grundbuch eingetragen.
Den auch auf Rückübertragung des streitbefangenen Flurstücks gerichteten Antrag der Kläger vom 2. Oktober 1990 lehnte das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen mit Bescheid vom 29. Januar 1998 unter Hinweis auf das Eingreifen des § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG ab.
Den Widerspruch der Kläger vom 9. Februar 1998 wies das Thüringer Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen mit Widerspruchsbescheid vom 12. November 1999 zurück.
Mit ihrer am 13. Dezember 1999 beim Verwaltungsgericht erhobenen Klage haben die Kläger im Wesentlichen vorgetragen, dass vorliegend nicht von einer Enteignung von Vermögenswerten auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage auszugehen sei. Die Enteignung des Betriebsvermögens habe sich nicht automatisch auf das Privatvermögen der Inhaber erstreckt. Der Zugriff auf das betriebliche Vermögen des bereits vor Kriegsende verstorbenen Carl Gustav V. sei gar nicht mehr möglich gewesen. Auch habe die sowjetische Besatzungsmacht die Deutsche Wirtschaftskommission gemäß Nr. 4 des SMAD-Befehls Nr. 64 nicht zur Enteignung sonstiger Vermögenswerte ermächtigt. Die von der DWK erlassenen Richtlinien Nr. 3 (zur Ausführung des SMAD-Befehls Nr. 64/1948 - Enteignung sonstiger Vermögen -, Zentralverordnungsblatt - Jahrgang 1948 - Ausgabetag 9. Oktober 1948 S. 449) erstrecke sich lediglich auf Vermögen, das durch einen gesonderten Enteignungsbeschluss erfasst und in den Enteignungslisten über sonstiges Vermögen zusammengefasst worden sei, was bei dem streitbefangenen Grundstück nicht der Fall sei. Da die V.-Unternehmen in der Liste A ohne Nennung der Inhaber und ohne "etwaiger privater Vermögensanteile" aufgeführt gewesen seien, sei für das Privatvermögen der Komplementäre eine Enteignung nicht nachzuweisen, zumal das streitbefangene Flurstück auch kein Betriebsvermögen sei.
Das Verwaltungsgericht hat einen Beweisantrag der Kläger bezüglich weiterer Sachaufklärung abgelehnt und als wahr unterstellt, dass weder die Rechtsvorgängerin der Kläger zu 1 bis 3 noch die anderen Inhaber des V.-Verlages auf einer Liste zur Enteignung sonstigen Vermögens des Landes Thüringen namentlich aufgeführt gewesen seien. Gleichzeitig hat das Gericht es als wahr unterstellt, dass die vorgenannten Personen nicht in der Liste A des Landes Thüringen benannt worden seien.
Mit Urteil vom 9. Dezember 2003 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Es ist davon ausgegangen, dass zwar die Ausschlussfrist des § 30 a Abs. 1 VermG eingehalten wurde, hat aber ein Eingreifen des Vermögensgesetzes im Hinblick auf die Regelung des § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG verneint. Im vorliegenden Falle sei auch das private Vermögen der in Thüringen enteigneten Unternehmensinhaber von der auf besatzungsrechtlicher Basis erfolgte Enteignung mit erfasst gewesen. Nach der in Thüringen geübten Praxis sei für das Privatvermögen der Unternehmensinhaber keine gesonderte Enteignungsentscheidung ergangen. Diese von anderen Ländern in der SBZ abweichende Praxis sei durch die Richtlinien Nr. 3 der DWK, die zum SMAD-Befehl Nr. 64 ergangen ist, gedeckt worden. Durch die Verkündung der Richtlinien Nr. 3 sei die vollständige Verdrängung aus dem Privateigentum der betroffenen ehemaligen Firmeninhaber in der Rechtswirklichkeit greifbar zum Ausdruck gelangt.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgericht wegen rechtsgrundsätzlicher Bedeutung zugelassene Revision der Kläger, mit der sie ihr Begehren auf Rückübertragung und Auskehr des Erlöses weiterverfolgen. Sie rügen die Verletzung materiellen Rechts.
Die Kläger beantragen,
den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Gera vom 9. Dezember 2003 und des Bescheides des Amtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 29. Januar 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Thüringer Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 12. November 1999 zu verpflichten, das im Grundbuch von K. Bl. 1901 eingetragene Flurstück Nr. 600/13 an die Kläger in ungeteilter Erbengemeinschaft zurückzuübertragen und der Beigeladenen die Auskehr des Veräußerungserlöses, mindestens jedoch des Verkehrswertes, aus dem Verkauf des Flurstücks Nr. 600/14 aufzugeben.
Der Beklagte und die Beigeladene verteidigen das angefochtene Urteil.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
II
Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet.
Zunächst ist die vom ursprünglichen Prozessbevollmächtigten der Kläger eingelegte Revision zulässig. Wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist um einen Tag gewährt der Senat Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO von Amts wegen. Denn der frühere Prozessbevollmächtigte der Kläger war ohne Verschulden verhindert, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten. Er konnte nach den üblichen Laufzeiten der Post davon ausgehen, dass die Revisionsbegründungsschrift noch innerhalb der Revisionsbegründungsfrist bei dem Bundesverwaltungsgericht eingehen werde. Sein Vertrauen in die normale Laufzeit eines Briefes, auch in der Form eines "Einwurf-Einschreibens" ist schützenswert. Nach der Mitteilung der Deutschen Post ist von einer gewöhnlichen Laufzeit von einem Tag bei 95 % aller Briefe einschließlich der Briefe mit der Zusatzleistung "Einwurf-Einschreiben" auszugehen.
Die Revision ist aber unbegründet.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts beruht nicht auf der Verletzung von Bundesrecht. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr nach Auffassung des Senats die Klage zu Recht aufgrund des Eingreifens des § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG abgewiesen. Das streitbefangene Grundstück war nämlich im September 1948 auf besatzungshoheitlicher Grundlage enteignet worden.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteile vom 13. Februar 1997 - BVerwG 7 C 50.95 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 104, vom 27. Februar 1997 - BVerwG 7 C 42.96 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 106 und vom 2. Februar 2000 - BVerwG 8 C 15.99 - Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 10) setzt eine Enteignung im Sinne des Vermögensgesetzes keine bestimmte Form der Enteignung voraus. Sie ist immer dann anzunehmen, wenn der frühere Eigentümer durch hierauf gerichtete staatliche Maßnahmen vollständig und endgültig aus seinem Eigentum verdrängt worden ist. Der Enteignungsbegriff des Vermögensgesetzes ist damit vornehmlich in einem faktischen Sinne zu verstehen. Das folgt aus dem Sinn des Gesetzes, nämlich demjenigen, der durch staatliche Unrechtsmaßnahmen sein Vermögen verloren hat, ein behördliches Verfahren an die Hand zu geben, mit dem das geschehene Unrecht wieder gutgemacht wird.
Die Entziehung auch des privaten Vermögens kam in der Rechtswirklichkeit (erstmals) greifbar mit der Verkündung der Richtlinien Nr. 3 der Deutschen Wirtschaftskommission vom 21. September 1948 zum Ausdruck. Zu diesem Zeitpunkt mussten sich die Inhaber von enteigneten Unternehmen hinsichtlich ihres gesamten, auch des nicht betrieblich genutzten Privatvermögens, ohne weiteren Zugriffsakt der sowjetischen Besatzungsmacht oder deutscher Stellen, als enteignet betrachten. Mit der Verkündung der Richtlinie ist die endgültige und vollständige Verdrängung auch aus dem Privateigentum in der Rechtswirklichkeit greifbar zum Ausdruck gekommen. Nach der insoweit eindeutigen Anordnung in § 1 Nr. 2 der Richtlinien Nr. 3 sollte auch das "Privatvermögen der Inhaber oder Gesellschafter von wirtschaftlichen Unternehmungen, soweit es durch den gegen das Betriebsvermögen gerichteten Enteignungsbeschluss mit erfasst wurde", sonstiges Vermögen im Sinne der in diesen Richtlinien geregelten Anordnung sein. Mit dem Zugriff auf die in den Enteignungslisten ausdrücklich benannten Vermögenswerte war damit eine das gesamte Vermögen erfassende Enteignung greifbar zum Ausdruck gelangt (vgl. Urteil vom 27. Februar 1997 - BVerwG 7 C 42.96 - a.a.O.). Deshalb musste sich auch jedermann, dem Vermögensgegenstände nach Maßgabe des Enteignungsbeschlusses im Sinne des § 1 der Richtlinien Nr. 3 weggenommen worden waren, hinsichtlich seines gesamten Privatvermögens als enteignet betrachten.
Dass die Erben des 1945 verstorbenen Carl Gustav V. sich auch als enteignet fühlten, geht zudem aus ihren verschiedenen Eingaben an die damaligen Dienststellen der SBZ hervor. Ludwig V. bemühte sich von Anfang an unter Hinweis auf seine Nichtzugehörigkeit zum Kreis der "Kriegs- und Naziverbrecher" um Freigabe seines Privatvermögens. Noch mit Schreiben vom 8. November 1948, das an den Innenminister des Landes Thüringen gerichtet war, bat Ludwig V. um Freistellung seines Privatvermögens von der Enteignung.
Auch die Rechtsvorgängerin der Kläger zu 1 bis 3 hat sich in mehreren Schreiben gegen die Enteignung ihres Privatvermögens vor dem maßgeblichen Zeitpunkt der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 gewandt. Aus der Abschrift der im März 1950 beim Oberverwaltungsgericht Jena erhobenen Anfechtungsklage der Rechtsvorgängerin der Kläger zu 1 bis 3 (Bl. 177 Beiakte VI) geht hervor, dass diese mit Schreiben vom 11. Juli 1949 an das Thüringische Innenministerium Einspruch erhoben und mit Schreiben vom 20. September 1949 nach dem Sachstand angefragt hatte. Nach den Grundsätzen des faktischen Enteignungsbegriffs haben sich damit die Rechtsvorgänger der Kläger als enteignet gefühlt, so dass der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG eingreift.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO.