Beschluss vom 25.11.2025 -
BVerwG 4 BN 16.25ECLI:DE:BVerwG:2025:251125B4BN16.25.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 25.11.2025 - 4 BN 16.25 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:251125B4BN16.25.0]

Beschluss

BVerwG 4 BN 16.25

  • VGH Mannheim - 17.01.2025 - AZ: 14 S 376/24

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 25. November 2025 durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Koch und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Stamm beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17. Januar 2025 ergangenen Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg wird zurückgewiesen.
  2. Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 60 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Antragstellerin wendet sich gegen einen sachlichen Teilflächennutzungsplan zur Ausweisung von Konzentrationsflächen für Windkraftanlagen. Der Verwaltungsgerichtshof hat diesen insoweit für unwirksam erklärt, als damit die Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB herbeigeführt werden sollen. Der Teilflächennutzungsplan leide unter Fehlern im Abwägungsvorgang. Sowohl die Festsetzung eines Vorsorge-Siedlungsabstandes von 1 000 m als weiches Tabukriterium als auch dessen Anwendung seien zu beanstanden. Ferner habe die Antragsgegnerin die Planungsabsichten der Nachbargemeinde nicht ausreichend ermittelt. Diese Fehler seien offensichtlich und jeweils auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen. Die Mängel seien auch nicht unbeachtlich geworden, weil die Rügefrist des § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch nicht abgelaufen gewesen sei. Unabhängig davon habe die Antragstellerin die Fehler aber auch fristgerecht mit der Antragsbegründung gegenüber der Gemeinde geltend gemacht. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision nicht zugelassen. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Beigeladenen hat keinen Erfolg.

2 Ist die vorinstanzliche Entscheidung - wie hier - auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Januar 2019 - 4 BN 4.18 - juris Rn. 10). Jedenfalls in Bezug auf die Erwägung des Verwaltungsgerichtshofs, das weiche Tabukriterium des Vorsorge-Siedlungsabstands von 1 000 m sei mit Blick auf die in der Gemarkung B. gelegene, im Flächennutzungsplan als "gemischte Baufläche" gekennzeichnete Fläche fehlerhaft "angewendet" worden, hat die Beschwerde einen Zulassungsgrund nicht dargelegt. Insoweit liegt keine Divergenz vor (1.). Auch die hierzu erhobene Verfahrensrüge bleibt erfolglos (2.).

3 1. Nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung (u. a.) des Bundesverwaltungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Diese Abweichung setzt einen Widerspruch in einem abstrakten Rechtssatz voraus, also einen prinzipiellen Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes. In der Beschwerdebegründung muss nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO die Entscheidung bezeichnet werden, von der das Urteil abweicht. Der Beschwerde obliegt es, aus einer Entscheidung des Divergenzgerichts einen tragenden, abstrakten Rechtssatz zu einer revisiblen Rechtsvorschrift zu benennen und darzulegen, dass die Entscheidung der Vorinstanz auf einem abweichenden abstrakten Rechtssatz zu derselben Rechtsvorschrift beruht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. November 2024 - 4 B 20.24 - juris Rn. 13).

4 Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerde nicht. Dabei kann dahinstehen, ob wegen der inhaltlichen Nähe von Grundsatz- und Divergenzrevision die zur Grundsatzrüge entwickelten Maßstäbe zum Ausschluss der Revisionszulassung bei ausgelaufenem und auslaufendem Recht auch bei der Divergenzrüge heranzuziehen sind (siehe dazu BVerwG, Beschlüsse vom 27. Februar 1997 - 5 B 155.96 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 15 S. 22 und vom 15. Oktober 2009 - 1 B 3.09 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 18 Rn. 9) und danach hier eine Revisionszulassung ausscheidet (vgl. zur gesetzlichen Neuausrichtung der Ausweisung von Windenergiegebieten BVerwG, Beschlüsse vom 12. September 2024 - 4 BN 4.24 - ZfBR 2024, 736 Rn. 5 ff. und vom 16. Juli 2025 - 4 BN 36.24 - juris Rn. 10 ff.).

5 Die Beschwerde entnimmt dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. September 2009 - 4 BN 25.09 - (BauR 2010, 82 Rn. 10) den Rechtssatz, für eine differenzierte "ortsbezogene" Anwendung der Restriktionskriterien sei bei der Ermittlung der Potentialflächen kein Raum. Die Betrachtung der konkreten örtlichen Verhältnisse erfolge erst auf der nächsten Stufe. Demgegenüber habe der Verwaltungsgerichtshof der Sache nach den Rechtssatz aufgestellt, dass - ungeachtet der Erfüllung ihrer abstrakten Voraussetzungen - bei der Anwendung weicher Tabukriterien ortsbezogene Besonderheiten zu berücksichtigen seien. Der behauptete Rechtssatz lässt sich der angefochtenen Entscheidung indes nicht entnehmen; die Rüge geht an der Argumentation des Verwaltungsgerichtshofs vorbei. Dieser verweist darauf, dass die Gemeinde die Wahl des einheitlichen Vorsorge-Siedlungsabstands von 1 000 m als weiches Tabukriterium, den sie - im Ausgangspunkt unterschiedlich schutzbedürftigen - gemischten wie auch Wohnbauflächen zu Gute kommen lässt, im Kern mit dem starken Wandel der historisch gewachsenen Ortskerne begründet habe, in denen Wohnnutzung die zuvor übliche gewerbliche Nutzung zunehmend verdränge. Daraus leitet der Verwaltungsgerichtshof ab, dass das Kriterium spezifisch für den eigenen Planungsraum entwickelt worden sei. Werde es in einem solchen Fall auf außerhalb dieses Raums gelegene Flächen angewendet, so müsse erwogen werden, ob dies mit Blick auf die dortigen Gegebenheiten gerechtfertigt sei. Nötigenfalls müsse das Kriterium angepasst oder müssten weitere Kriterien entwickelt werden (UA S. 56 f.). Damit löst sich der Verwaltungsgerichtshof nicht von der Vorgabe der Senatsrechtsprechung, dass die Tabukriterien abstrakt definiert und einheitlich angelegt werden müssen. Ungeachtet der möglicherweise missverständlichen Formulierung, die "Anwendung" des Kriteriums zum Vorsorge-Siedlungsabstand erweise sich als inkonsistent, verlangt er vielmehr der Sache nach auf der Stufe der abstrakten Definition des weichen Tabukriteriums eine nachvollziehbare Begründung dafür, dass der als Rechtfertigung für die Festlegung eines einheitlichen Vorsorge-Siedlungsabstands von 1 000 m im eigenen Planungsraum angeführte Grund (Verdrängung der gewerblichen Nutzung durch Wohnnutzung) auch für die angrenzenden Flächen zutrifft.

6 2. Die sinngemäße Rüge, der Verwaltungsgerichtshof habe gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verstoßen, greift ebenfalls nicht durch.

7 (Angebliche) Fehler der Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Tatsachengerichts, die dem Überzeugungsgrundsatz gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO genügen muss, sind regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen. Die Grenzen der Freiheit der richterlichen Überzeugungsbildung sind mit der Folge des Vorliegens eines Verfahrensfehlers erst dann überschritten, wenn das Gericht seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen oder sonst von objektiver Willkür geprägt sind (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. September 2024 - 4 BN 6.24 - juris Rn. 3 m. w. N.).

8 Einen derartigen Fehler zeigt die Beschwerde nicht auf. Namentlich handelt es sich bei der Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, der vorliegende Mangel des Teilflächennutzungsplans sei der Gemeinde gegenüber mit der Antragsbegründung vom 29. Juli 2024 - und damit innerhalb der Jahresfrist des § 215 Abs. 1 BauGB - unter Darlegung des die Verletzung begründenden Sachverhalts geltend gemacht worden (UA S. 61), nicht um eine aktenwidrige Tatsache. Die Beschwerde bemängelt vielmehr unzutreffende rechtliche Wertungen des Verwaltungsgerichtshofs, wenn sie rügt, die Antragsbegründung verhalte sich zwar auch zum Vorsorge-Siedlungsabstand und zum "B. Bereich", die dortige Argumentation stimme aber nicht mit dem Normenkontrollurteil überein.

9 Auf die Angriffe der Beschwerde gegen die weitere Begründung des Verwaltungsgerichtshofs zur Wahrung der Rügefrist kommt es nicht an, weil das Urteil auch insoweit auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt ist.

10 Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 und 3VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 und 8 GKG.