Beschluss vom 26.09.2006 -
BVerwG 6 PB 10.06ECLI:DE:BVerwG:2006:260906B6PB10.06.0

Beschluss

BVerwG 6 PB 10.06

  • OVG Berlin-Brandenburg - 28.02.2006 - AZ: OVG 60 PV 19.05

In der Personalvertretungssache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. September 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge
und Vormeier
beschlossen:

Die Beschwerde des Beteiligten gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde im Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg - Fachsenat für Personalvertretungssachen des Landes Berlin - vom 28. Februar 2006 wird zurückgewiesen.

Gründe

1 Die Beschwerde des Beteiligten gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das Oberverwaltungsgericht gemäß § 91 Abs. 2 BlnPersVG i.V.m. § 92a Satz 1 ArbGG hat keinen Erfolg.

2 1. Die Grundsatzrüge gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG greift nicht durch. Die in Abschnitt 5 der Rechtsbeschwerdebegründung aufgeworfenen Rechtsfragen haben keine grundsätzliche Bedeutung.

3 Der Beteiligte will geklärt wissen, „ob es im Rahmen der objektiv-finalen Betrachtungsweise bei der Auslegung der Vorschriften in § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG und des wortgleichen § 85 Abs. 1 Nr. 13 PersVG Berlin (1.) auf die konkrete oder die abstrakte Verwendungsmöglichkeit der technischen Einrichtung, (2.) auf eine jederzeitige bzw. fortlaufende Kontrollmöglichkeit oder nur eine gelegentliche sowie (3.) eine unmittelbare oder nur mittelbare Überwachung des Verhaltens und der Leistung der Beschäftigten ankommt.“ Diese Fragen sind in der Senatsrechtsprechung geklärt.

4 Danach ist bei der Auslegung, ob eine technische Einrichtung im Sinne des § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG dazu bestimmt ist, das Verhalten oder die Leistung des Beschäftigten zu überwachen, von einer objektiv-finalen Betrachtungsweise auszugehen. Somit unterliegen diejenigen technischen Einrichtungen der Mitbestimmung des Personalrats, die ihrer Konstruktion oder konkreten Verwendungsweise nach eine Überwachung von Verhalten oder Leistung der Beschäftigten ermöglichen. Der Mitbestimmungstatbestand erstreckt sich daher auch auf solche technischen Einrichtungen, die zur Überwachung lediglich objektiv geeignet sind, ohne dass der Dienststellenleiter bei ihrer Einführung und Anwendung subjektiv die Absicht hat, sie zu diesem Zweck einzusetzen (vgl. Beschluss vom 23. September 1992 - BVerwG 6 P 26.90 - BVerwGE 91, 45 <49> = Buchholz 250 § 75 BPersVG Nr. 81 S. 95 m.w.N.). Bei dieser Auslegung hat sich der Senat vom Schutzzweck der Vorschrift leiten lassen. Das Mitbestimmungsrecht des Personalrats soll sicherstellen, dass die Beeinträchtigungen und Gefahren für den Schutz der Persönlichkeit des Beschäftigten am Arbeitsplatz, die von der Technisierung der Verhaltens- und Leistungskontrolle ausgehen, auf das erforderliche Maß beschränkt bleiben. Denn ein Beschäftigter, der befürchten muss, während der Arbeit mit Hilfe technischer oder elektronischer Kontrolleinrichtungen jederzeit beobachtet oder in anderer Weise fortlaufend kontrolliert zu werden, kann unter einen Überwachungsdruck geraten, der ihn in der freien Entfaltung der Persönlichkeit behindert, ihn insbesondere unter Anpassungsdruck setzt und ihn in eine erhöhte Abhängigkeit bringt (a.a.O. S. 50 bzw. S. 96). Dabei hat der Senat auch die Verstärkung eines Überwachungsdrucks berücksichtigt, die aus den Ungewissheiten einer als nur möglich bekannten, aber verdeckten und daher nicht erkennbaren Überwachung herrühren kann. Wenn es um den Schutz der freien Entfaltung der Persönlichkeit geht, muss nämlich auch die Sicht der Beschäftigten berücksichtigt werden. Demnach ist für den Schutzzweck bedeutsam auch das, was sie bei für sie nicht durchschaubaren Gegebenheiten vernünftigerweise, durch objektive Umstände veranlasst, an möglicher und zu erwartender Überwachung befürchten dürfen oder müssen. Wenn sich solche Befürchtungen erst anhand einer fachkundigen Würdigung der Programme - oder gar erst aufgrund einer Sachverständigenbegutachtung - letztlich als unbegründet erweisen, fehlt es deshalb nicht schon an den Voraussetzungen der Mitbestimmung, kann dies vielmehr nur ein Ergebnis der Überprüfung im Mitbestimmungsverfahren sein (a.a.O. S. 50 f. bzw. S. 96). Ein Mitbestimmungsrecht nach § 75 Abs. 3 Nr. 17 ist nicht gegeben, wenn die Befürchtung einer Überwachung objektiv und erkennbar unbegründet ist. Das ist der Fall, wenn die technische Einrichtung nach ihrer Konstruktion überhaupt nicht zur Überwachung geeignet ist oder es zur Überwachung einer technischen Änderung der Anlage bedarf. Letzteres gilt bei Anlagen der elektronischen Datenverarbeitung auch dann, wenn sich der Dienstherr ein entsprechendes Programm nur mit außergewöhnlichem und unverhältnismäßigem Aufwand beschaffen muss (a.a.O. S. 52 f. bzw. S. 98). Wenn nach den objektiv feststehenden und erkennbaren Bedingungen für den Einsatz der Anlage eine Überwachung nicht stattfindet und aus der Sicht eines objektiven Betrachters auch keine Veranlassung zu einer solchen Befürchtung besteht, ist auch bei einer am Schutzzweck orientierten Betrachtung ein Mitbestimmungsrecht aus § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG nicht gegeben (a.a.O. S. 53 f. bzw. S. 99). Ein Mitbestimmungsrecht der Personalvertretung kommt nur bei solchen Einrichtungen in Betracht, die eine Aussage unmittelbar über Verhalten oder Leistung der Beschäftigten liefern (vgl. Beschluss vom 16. Dezember 1987 - BVerwG 6 P 32.84 - Buchholz 250 § 75 BPersVG Nr. 53 S. 23).

5 Den zitierten Ausführungen ist mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, was unter objektiv-finaler Betrachtungsweise zu verstehen ist, auf welche es nach der Senatsrechtsprechung bei der Auslegung und Anwendung des Mitbestimmungstatbestandes entscheidend ankommt. Danach erfährt der Maßstab der abstrakten Überwachungseignung eine Korrektur anhand der Sichtweise eines vernünftigen Betrachters, der nach den objektiv feststehenden und erkennbaren Bedingungen für den konkreten Einsatz der Anlage Anlass zur Befürchtung einer Überwachung haben muss. Dagegen ist es für das Eingreifen der Mitbestimmung nicht erforderlich, dass die Überwachung tatsächlich jederzeit bzw. fortlaufend stattfindet. Der Mitbestimmungstatbestand trägt vielmehr seinem Sinn und Zweck nach dem Umstand Rechnung, dass die Technisierung der Überwachung die jederzeitige und fortlaufende Kontrolle ermöglicht.

6 2. Mit der Divergenzrüge nach § 72 Abs. 2 Nr. 2, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG kommt der Beteiligte gleichfalls nicht zum Zuge. Der angefochtene Beschluss weicht nicht von den Senatsbeschlüssen vom 16. Dezember 1987 (a.a.O.) und vom 23. September 1992 (a.a.O.) ab.

7 Das Oberverwaltungsgericht hat keine Grundsätze aufgestellt, die mit denjenigen in der zitierten Senatsrechtsprechung nicht im Einklang stehen. Im Gegenteil hat es sich, wie seine Ausführungen zeigen, von den in der Senatsrechtsprechung anerkannten Grundsätzen durchgängig leiten lassen. Zum Maßstab der objektiv-finalen Betrachtungsweise hat es sich weder ausdrücklich noch sinngemäß in Widerspruch gesetzt. Es hat sich auch bei der Anwendung jenes Grundsatzes auf den zu entscheidenden Fall nicht damit begnügt, die abstrakte Überwachungseignung der in der Universitätsbibliothek aufgestellten Videokameras festzustellen. Es hat darüber hinaus konkrete Gesichtspunkte angeführt, aus denen nach seiner Auffassung auch ein besonnener Beobachter die Befürchtung einer umfassenden Überwachung von Beschäftigten herleiten konnte (vgl. S. 10, 12 f. des Beschlussabdrucks).

8 Das Merkmal der Unmittelbarkeit durfte das Oberverwaltungsgericht ohne Widerspruch zur Senatsrechtsprechung bejahen, weil Videoaufzeichnungen von Beschäftigten am Arbeitsplatz sich als unmittelbare Verhaltensüberwachung darstellen. Dass dieses Merkmal keine ununterbrochene oder gar gezielte Aufzeichnung des Verhaltens der Beschäftigten verlangt, ein derartiges Verständnis vielmehr die vom Senat aus dem Schutzzweck des Mitbestimmungstatbestandes hergeleitete objektiv-finale Betrachtungsweise entwerten würde, hat das Oberverwaltungsgericht mit zutreffenden Erwägungen erkannt.

9 Letztlich verdeutlichen die Ausführungen in Abschnitt 6 der Beschwerdebegründung, dass der Beteiligte die Anwendung der objektiv-finalen Betrachtungsweise auf den zu entscheidenden Einzelfall durch das Oberverwaltungsgericht für unzutreffend hält, weil nach seiner Überzeugung die Befürchtungen des Antragstellers fernliegend sind. Auf die falsche Subsumtion kann aber die Divergenzrüge nicht gestützt werden, wie der Beteiligte an anderer Stelle seiner Beschwerdebegründung selbst nicht verkennt.