Beschluss vom 26.09.2016 -
BVerwG 2 B 39.16ECLI:DE:BVerwG:2016:260916B2B39.16.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 26.09.2016 - 2 B 39.16 - [ECLI:DE:BVerwG:2016:260916B2B39.16.0]
Beschluss
BVerwG 2 B 39.16
- VG Schleswig - 13.06.2012 - AZ: VG 17 A 2/10
- OVG Schleswig - 19.01.2015 - AZ: OVG 14 LB 6/12
In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. September 2016
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kenntner und Dr. Günther
beschlossen:
- Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 19. Januar 2015 wird verworfen.
- Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
1 1. Der Beklagte war unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Zeit für sechs Jahre zum Bürgermeister ernannt und nach Ablauf seiner Wahlzeit in den Ruhestand versetzt worden. Noch vor Ablauf dieser Amtszeit wurde er wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Kindern vorläufig des Dienstes enthoben. Wegen der ihm zur Last gelegten Taten verurteilte ihn das Amtsgericht durch rechtskräftigen Strafbefehl zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im sachgleichen Disziplinarverfahren erkannte ihm das Verwaltungsgericht das Ruhegehalt ab, die hiergegen eingelegte Berufung ist erfolglos geblieben. Ausweislich der anwaltlichen Empfangsbestätigung ging dem Bevollmächtigten des Beklagten das Berufungsurteil am 22. April 2015 zu.
2 Am 20. Mai 2016 hat der Beklagte durch einen neuen Bevollmächtigten Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde gestellt und Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt. Die Frist sei durch das Verschulden einer Hilfsperson des früheren Prozessbevollmächtigten versäumt worden.
3 Die Angestellte S des ehemaligen Bevollmächtigten habe eine ordnungsgemäße postalische Übersendung des Urteils an den Beklagten unterlassen und dem Beklagten die Entscheidung nur durch eine E-Mail übermittelt, die im Absender den Namen der Angestellten ausgewiesen habe. Die Kanzlei habe sich auch nicht - etwa durch einen Telefonanruf - vergewissert, ob der Beklagte die E-Mail erhalten habe. Tatsächlich habe der Beklagte die E-Mail wegen des unbekannten Absenders nicht innerhalb der Beschwerdefrist geöffnet. Vom Urteil habe er erst durch ein Schreiben der Versorgungsausgleichskasse vom 15. Juni 2015 erfahren. Auf Nachfrage habe ihm der frühere Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 15. Juli 2015 daraufhin die Entscheidung übersandt und mitgeteilt, dass eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht eingelegt worden sei, weil der Beklagte auf die E-Mail nicht reagiert habe.
4 In dem beigefügten Schreiben des ehemaligen Bevollmächtigten des Beklagten vom 15. Juli 2015 gibt dieser an, dass das Urteil nicht nur per E-Mail, sondern auch im Postwege versandt worden sei. Weiterhin wird eingeräumt, dass er in den letzten Wochen telefonisch sehr schwer erreichbar gewesen sei, weil er mehrfach in seinem Helgoländer Büro gearbeitet habe. In einer weiterhin beigefügten eidesstattlichen Versicherung erklärt der Beklagte, (zunächst) keine postalische Urteilsübersendung durch seinen früheren Bevollmächtigten erhalten zu haben.
5 2. Das Vorbringen erfüllt die in § 60 VwGO normierten Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht. Die Beschwerde ist daher wegen Verfristung als unzulässig zu verwerfen.
6 a) Dies folgt zunächst schon daraus, dass bis zum heutigen Tage eine Beschwerdebegründung nicht vorgelegt worden ist (vgl. § 60 Abs. 2 Satz 3 und 4 VwGO). Selbst wenn dem Beklagten Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gewährt werden könnte, wäre deshalb die Begründungsfrist (§ 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO) versäumt. Einen entsprechenden Antrag hat der Beklagte nicht gestellt, er wäre mittlerweile auch verfristet.
7 Entgegen der von der Beschwerde vorgebrachten Auffassung hemmt ein Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 133 Abs. 2 Satz 1 VwGO) nicht die laufenden Fristen für einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die Begründungsfrist (vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 2. März 1992 - 9 B 256.91 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 2 Rn. 2 und vom 25. November 1993 - 1 B 178.93 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 14 Rn. 3). Dem Beklagten hätte daher für einen erfolgreichen Wiedereinsetzungsantrag oblegen, auch eine Begründung für die von ihm begehrte Zulassung der Revision vorzulegen.
8 Aus dem in Anspruch genommenen Beschluss vom 17. April 2002 - 3 B 137.01 - (Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 244) folgt nichts anderes, weil dieser den Fall eines erfolgreichen Prozesskostenhilfegesuchs hinsichtlich der Einlegungsfrist betrifft, der hier nicht vorliegt. Der Beklagte ist nicht infolge seiner finanziellen Lage an der Einhaltung von Fristen gehindert worden.
9 b) Unabhängig hiervon ist mit dem Antrag auch nicht glaubhaft gemacht worden, dass der Beklagte ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde verhindert war.
10 Nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO steht dem Verschulden des Beklagten dasjenige seines Bevollmächtigten gleich. Der Wiedereinsetzungsantrag muss deshalb Tatsachen glaubhaft machen, die auch ein Verschulden des Bevollmächtigten ausschließen. Dies wäre der Fall, wenn die Fristversäumung ausschließlich durch ein pflichtwidriges Handeln einer vom Bevollmächtigten sorgfältig angewiesenen und überwachten Hilfsperson verursacht worden wäre.
11 Der hierauf zielende Vortrag des Wiedereinsetzungsgesuchs erschöpft sich indes in bloßen Mutmaßungen zum Organisationsablauf in der Kanzlei des früheren Bevollmächtigten. Bereits dem Schreiben des ehemaligen Bevollmächtigten sind keinerlei Hinweise für einen entsprechenden Geschehensablauf zu entnehmen; eine Glaubhaftmachung fehlt ohnehin. Im Übrigen wäre nach dem vorgebrachten Geschehensablauf auch von einem eigenen Verschulden des Bevollmächtigten auszugehen, der sich der Fristenkontrolle nicht in einem derartigen Ausmaß entledigen kann (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 23. November 1982 - 9 C 167.82 - BVerwGE 66, 240 <241>).
12 Schließlich ist weder vorgetragen noch erkennbar, warum der Beklagte seit der unstreitigen Übermittlung des Urteils mit Schreiben seines ehemaligen Bevollmächtigten vom 15. Juli 2015 ohne eigenes Verschulden hätte daran gehindert gewesen sein sollen, sich Rechtsrat über die Möglichkeiten einer Wiedereinsetzung oder andere Abhilfen zu verschaffen. Falsche Rechtsauskünfte durch Bevollmächtigte sind insoweit nicht beachtlich (vgl. § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).
13 c) Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl. § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO). Der Senat weist jedoch darauf hin, dass angesichts der erheblichen strafgerichtlichen Sanktion, die bei außerdienstlichen Pflichtverletzungen Indizcharakter für die Schwere des Dienstvergehens entfaltet (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2015 - 2 C 9.14 - BVerwGE 152, 228 Rn. 37), ein Absehen von der Höchstmaßnahme hier nur bei Vorliegen besonderer Milderungsgründe in Betracht kommen könnte, die von den Tatsachengerichten nicht festgestellt worden sind. Angesichts der verhängten Freiheitsstrafe von einem Jahr ist der Verlust der Ruhestandsbezüge aber nur deswegen nicht bereits mit der Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung erfolgt (vgl. § 70 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG SH i.V.m. § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtStG), weil die Sanktion durch einen Strafbefehl ausgesprochen worden war.
14 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 41 Abs. 1 LDG SH, § 77 Abs. 1 BDG, § 154 Abs. 2 VwGO. Der Festsetzung eines Streitwertes bedarf es nicht, weil die Gerichtsgebühren streitwertunabhängig festgesetzt werden.