Urteil vom 27.01.2004 -
BVerwG 2 WD 2.04ECLI:DE:BVerwG:2004:270104U2WD2.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 27.01.2004 - 2 WD 2.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:270104U2WD2.04.0]

Urteil

BVerwG 2 WD 2.04

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 27. Januar 2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Pietzner,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
sowie
Oberst Füsser,
Oberstabsfeldwebel Richter
als ehrenamtliche Richter,
Leitender Regierungsdirektor
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizobersekretärin von Förster
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

  1. Auf die Berufung des früheren Soldaten wird das Urteil der 6. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 3. Juni 2003 im Ausspruch über die Disziplinarmaßnahme geändert.
  2. Der frühere Soldat wird in den Dienstgrad eines Obergefreiten der Reserve herabgesetzt.
  3. Die Kosten des Berufungsverfahrens und die dem früheren Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen werden dem Bund auferlegt.

Gründe

I

Der 33 Jahre alte frühere Soldat absolvierte mit Erfolg die Polytechnische Oberschule in W. und anschließend eine Berufsausbildung zum Instandhaltungsmechaniker, die er im Juli 1989 erfolgreich abschloss. Aufgrund seiner freiwilligen Verpflichtung als Berufsunteroffizier wurde er am 5. September 1989 in die Nationale Volksarmee der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik beim A...zentrum 10 in S. einberufen. Mit Wirkung vom 1. Februar 1991 wurde er aufgrund seiner Bewerbung für die Bundeswehr in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen und zum Unteroffizier ernannt. Entsprechend seinen Weiterverpflichtungserklärungen wurde seine Dienstzeit mehrfach verlängert und zuletzt auf zwölf Jahre festgesetzt. Sie endete mit Ablauf des 31. Januar 2003.

Der frühere Soldat wurde regelmäßig befördert, zuletzt mit Wirkung vom 1. Mai 1997 zum Oberfeldwebel. Durch Urteil der 10. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 17. Dezember 1998 (Az.: S 10 VL 21/98), rechtskräftig seit dem 17. März 1999, wurde er wegen eines Dienstvergehens (Misshandlung Untergebener in zwei Fällen) in den Dienstgrad eines Feldwebels herabgesetzt.

Nach der Übernahme in die Bundeswehr leistete der frühere Soldat seinen Dienst zunächst in der 3./A...bataillon 705 in B. in der Funktion eines ABC-Aufklärungsunteroffiziers. Den Feldwebellehrgang Teil 1 absolvierte er mit dem Ergebnis „teilgenommen“, den Feldwebellehrgang/Ausbildungsklasse ABC-Aufklärerfeldwebel mit dem Gesamtergebnis „befriedigend“. Zum 1. Oktober 1996 wurde er zur 2./A...bataillon 210 nach S. und zum 1. Juni 1997 zur V./A...schule, ebenfalls in S., versetzt und in der Funktion eines ABC-Dekontaminationsfeldwebels (ABCDekonF) verwendet. Aufgrund der Vorfälle, die sich während seiner Verwendung bei der A...schule in S. ereigneten und Gegenstand des zuvor erwähnten Urteils des Truppendienstgerichts Süd vom 17. Dezember 1998 waren, wurde er mit Wirkung vom 1. August 1998 zur 3./A...bataillon 610 nach A. in der Funktion eines ABCDekonFw auf eine zbV-Stelle und anschließend unter vorangehender Kommandierung mit Wirkung vom 1. Juli 1999 in der Funktion eines ABC-Aufklärerfeldwebels und Truppführers zur 1./A...bataillon 805 nach P. versetzt. Teilweise wurde er dort als stellvertretender Zugführer im Rahmen der Ausbildung von Soldaten eingesetzt. Mit Wirkung ab 3. Januar 2001 wurde ihm die Möglichkeit der Teilnahme an einer Fachausbildung des Berufsförderungsdienstes der Bundeswehr (BFD) eröffnet. Davon machte er jedoch keinen Gebrauch. Er wurde deshalb zunächst bis zu dem am 11. April 2001 erfolgten vorläufigen Verbot der Dienstausübung weiter in seiner bisherigen Funktion bei der 1./A...bataillon 805 in P. verwendet. Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis hat er bislang - krankheitsbedingt - an keiner Maßnahme der Berufsförderung teilgenommen.

Der frühere Soldat wurde am 31. März 1992, am 22. Januar 1997 sowie zuletzt am 4. Mai 1999 planmäßig beurteilt. In der gebundenen Beschreibung erhielt er in der letzten Beurteilung viermal die Wertung „5“ („Leistungen übertreffen erheblich die Anforderungen“), viermal die Wertung „4“, siebenmal die Wertung „3“ sowie einmal („Dienstaufsicht“) die Wertung „2“ („Leistungen entsprechen im wesentlichen den Anforderungen“). Seine „Eignung und Befähigung“ wurden einmal („Befähigung zur Einsatz- und Betriebsführung“) mit der Wertung „c“ sowie dreimal („Verantwortungsbewusstsein“, „Geistige Befähigung“ und „Eignung zur Menschenführung/Teambefähigung“) mit der Wertung „b“ beurteilt. Unter „Herausragende charakterliche Merkmale, Kameradschaft, berufliches Selbstverständnis, Bewährung im Einsatz und ergänzende Aussagen“ wird ausgeführt, der frühere Soldat sei ein Portepeeunteroffizier, der der klaren Anleitung und der konkreten Aufgabenstellung sowie der Dienstaufsicht bedürfe; er handele oftmals leichtfertig, ohne immer hinreichend die möglichen Konsequenzen seines Handelns abzuschätzen. An Aufgabenstellungen, die ihm Spaß brächten, gehe er mit viel Elan und Ideenreichtum heran. Wegen diverser Vorkommnisse habe ihm aber auch bis auf Weiteres verboten werden müssen, alleine als Kommandant eines Transportpanzers Fuchs mit Besatzung das Kasernengelände zu verlassen, da er manchmal den Ausbildungsdienst mit einem Abenteuer verwechselt habe. Gleichwohl habe er sich im Kameradenkreis integriert und werde auch akzeptiert. Er sei sicherlich gerne Soldat, was er auch selbst herausstelle; er müsse sich aber der Verantwortung, die er als Portepeeunteroffizier trage, noch stärker bewusst werden. Der nächsthöhere Vorgesetzte erklärte sich mit der Beurteilung insgesamt einverstanden und führte ergänzend aus, der frühere Soldat habe in der Ausbildung gute Ideen, sei aber für einen Portepeeunteroffizier manchmal erschreckend leichtsinnig; dies müsse er abstellen, um als Führer glaubwürdig zu sein. Aufgrund seines manchmal leichtfertigen Verhaltens sei er insgesamt einer der schwächeren Feldwebel. Seine Förderungswürdigkeit bewertete er mit „B“.

Der ehemalige Disziplinarvorgesetzte des früheren Soldaten, Hauptmann G., hat in der Hauptverhandlung vor dem Truppendienstgericht am 3. Juni 2003 die dienstlichen Leistungen des Soldaten, den er seit Übernahme der Funktion des KpChefs der 1./A...bataillon 805 in P. kenne, nach den neuen Beurteilungskriterien mit „5 bis 6“ bewertet. Seine Stärken hätten eindeutig im Gefechtsdienst gelegen. Als Ausbilder in der Truppe habe er gute Leistungen vollbracht. Schwächen habe er im Bereich der Führung; er sei sehr introvertiert, habe kein gutes Ausdrucksvermögen und sei ein Einzelgänger gewesen. Leistungsmäßig sei er unter den Unteroffizieren der Kompanie im mittleren Drittel einzustufen gewesen.

Abgesehen von dem mit dem vorliegenden gerichtlichen Disziplinarverfahren sachgleichen Strafverfahren (Urteil des Amtsgerichts P. - Strafrichter - vom 24. September 2002 - 22 Ds 349 Js 11679/01 -, rechtskräftig seit dem 2. Oktober 2002) weist der Auszug aus dem Zentralregister vom 1. August 2003 die folgenden beiden Eintragungen aus:

(1) Urteil des Amtsgerichts K. (Az.: 228 Js 12160/97) vom 11. November 1997, rechtskräftig seit 19. November 1997, wegen Diebstahls (§§ 242, 248 a StGB); Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 65 DM;

(2) Urteil des Amtsgerichts K. (Az.: Ds 200 Js 1829/98) vom 30. Juni 1998, rechtskräftig seit dem 30. Juni 1998, wegen Misshandlung Untergebener in zwei Fällen (§ 30 Abs. 1, § 36 Abs. 1 WStG); Freiheitsstrafe von drei Monaten; Aussetzung der Vollstreckung für drei Jahre unter späterer Verlängerung der Bewährungszeit bis zum 29. Juni 2003.

Ausweislich des Auszugs aus dem Disziplinarbuch vom 10. Februar 2003 und der Angaben des früheren Soldaten erhielt er am 18. Dezember 1992 sowie am 17. Dezember 1993 jeweils vom Kompaniechef der 3./A...bataillon 705 und am 23. November 2002 (richtig: 2000) vom Kompaniechef der 1./A...bataillon 805 förmliche Anerkennungen wegen vorbildlicher Pflichterfüllung. Darüber hinaus weist der Auszug neben der zuvor erwähnten strafgerichtlichen Verurteilung durch das Amtsgericht K. vom 30. Juni 1998 das in dem damit sachgleichen disziplinargerichtlichen Verfahren ergangene und bereits erwähnte Urteil des Truppendienstgerichts Süd (10. Kammer) vom 17. Dezember 1998 auf. Ferner ist in dem Auszug das mit dem vorliegenden Verfahren sachgleiche Urteil des Amtsgerichts P. vom 24. September 2002 aufgeführt.

Der frühere Soldat erhält ausweislich der Mitteilung der Wehrbereichsverwaltung Ost vom 24. Januar 2003 bis zum 31. Januar 2006 Übergangsgebührnisse in Höhe von 75 Prozent der Dienstbezüge des letzten Dienstmonats (nach der Besoldungsgruppe A 7 in der 5. Dienstaltersstufe) in Höhe von derzeit monatlich brutto ca. 1.390 €, netto ca. 991 €. In dieser Mitteilung blieb außer Ansatz, dass dem früheren Soldaten aufgrund der Anordnung des Kommandeurs der 14. P...division vom 22. Januar 2003 seit dem 1. Februar 2003 zehn Prozent seines jeweiligen Ruhegehalts nach § 126 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz WDO einbehalten werden. Die dem früheren Soldaten zustehende Übergangsbeihilfe in Höhe von 11.123,52 € ist nach § 82 Abs. 2 WDO bisher nicht ausgezahlt worden.

Der frühere Soldat ist ledig. Für seine Wohnung bezahlt er monatlich 230 € Miete. Er hat finanzielle Verbindlichkeiten aus einem im Jahre 1999 erlittenen Autounfall sowie wegen noch nicht beglichener Kosten früherer Gerichtsverfahren in Höhe von insgesamt ca. 8.000 €.

II

III