Verfahrensinformation

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ein im beschleunigten Verfahren nach § 13a BauGB aufgestellter, im Jahr 2015 bekannt gemachter Bebauungsplan („Ortszentrum Glindow - Teil A - 2. Änderung“). Der Plan weist auf einer zentralörtlich gelegenen Fläche am Glindower See ein allgemeines Wohngebiet aus und ersetzt damit Teile eines im Jahr 2005 bekannt gemachten, nicht umgesetzten Bebauungsplans, der ebenfalls Wohnbebauung vorgesehen hatte. Das Gelände war in der Vergangenheit u.a. gewerblich genutzt worden. Die vorhandenen Gebäude wurden im Jahr 2001 weitgehend zurückgebaut und das Areal großflächig entsiegelt.


Die Antragstellerin wendet sich - beschränkt auf die ihr Grundstück betreffenden Festsetzungen - unter verschiedenen Gesichtspunkten gegen den Plan.


Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat auf den Normenkontrollantrag hin den Plan insgesamt aufgehoben. Dieser habe nicht im beschleunigten Verfahren erlassen werden dürfen, da er Flächen in Anspruch nehme, die nicht mehr dem Siedlungsbereich zuzurechnen seien. Die frühere Überplanung und die ehemalige Nutzung änderten hieran nichts.


Im Revisionsverfahren wird insbesondere zu klären sein, ob der Bebauungsplan im beschleunigten Verfahren nach § 13a BauGB erlassen werden durfte.


Urteil vom 27.08.2020 -
BVerwG 4 CN 4.19ECLI:DE:BVerwG:2020:270820U4CN4.19.0

Wiedernutzbarmachung von Flächen als Maßnahme der Innenentwicklung

Leitsätze:

1. Die Wiedernutzbarmachung einer Fläche als Maßnahme der Innenentwicklung nach § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB ist erst ausgeschlossen, wenn eine ehemals dem Siedlungsbereich angehörende, baulich in Anspruch genommene Fläche diese Zugehörigkeit wieder verloren hat.

2. Ob eine tatsächlich vorbelastete Brachfläche weiterhin dem Siedlungsbereich angehört, bestimmt die Verkehrsauffassung.

  • Rechtsquellen
    BauGB § 13a Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1, Abs. 4, § 1a Abs. 2 Satz 1 und 4
    SUP-RL Art. 3 Abs. 5 Satz 1, Anhang II Nr. 1 Spiegelstrich 3

  • OVG Berlin-Brandenburg - 21.03.2019 - AZ: OVG 2 A 8.16

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 27.08.2020 - 4 CN 4.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2020:270820U4CN4.19.0]

Urteil

BVerwG 4 CN 4.19

  • OVG Berlin-Brandenburg - 21.03.2019 - AZ: OVG 2 A 8.16

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 27. August 2020
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Decker und Prof. Dr. Külpmann, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hampel und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hammer
für Recht erkannt:

  1. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 21. März 2019 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I

1 Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit des Bebauungsplans "Ortszentrum Glindow" - Teil A - 2. Änderung aus dem Jahr 2015 (im Folgenden: Änderungs-Bebauungsplan), den die Antragsgegnerin im beschleunigten Verfahren nach § 13a BauGB aufgestellt hat.

2 Das Plangebiet liegt nördlich des zum alten Ortskern gehörenden bebauten Bereichs um die Straße "K." und südlich des Betriebsgeländes der Antragstellerin. Im Osten wird es durch den Glindowsee begrenzt. Die Fläche war in der Vergangenheit als Ziegeleigelände, später als Übungsgelände der Zivilverteidigung bzw. als Stützpunkt für den Katastrophenschutz genutzt; 2001 wurden die meisten Gebäude zurückgebaut und das Areal großflächig entsiegelt.

3 Im Jahr 2005 überplante die Antragsgegnerin u.a. das Plangebiet mit dem Bebauungsplan "Ortszentrum Glindow", Teil A (im Folgenden: Ursprungsbebauungsplan). Dieser etwa 7,8 ha umfassende Plan setzte im Wesentlichen allgemeine Wohngebiete mit einer das Plangebiet von Norden nach Süden bogenförmig querenden Erschließungsstraße fest und überplante auch das Betriebsgelände der Antragstellerin. Seine Festsetzungen wurden nicht verwirklicht.

4 Der im Jahr 2015 beschlossene Änderungs-Bebauungsplan umfasst eine etwa 2,88 ha große Teilfläche des Ursprungsbebauungsplans. Er setzt im Wesentlichen ein allgemeines Wohngebiet fest und soll die Errichtung einer Wohnanlage im Geschosswohnungsbau ermöglichen. Diese hat die Beigeladene zwischenzeitlich fertiggestellt. Auf einem zu dem Betriebsgelände der Antragstellerin gehörenden Grundstück setzt der Änderungs-Bebauungsplan eine öffentliche Verkehrsfläche mit einer Größe von etwa 21 m x 21 m fest, die der im Ursprungsbebauungsplan geplanten, aber bisher nicht errichteten Erschließungsstraße als Verkehrswendeplatz dienen soll.

5 Auf den Normenkontrollantrag der Antragstellerin, den diese auf ihr Grundstück beschränkt hat, hat das Normenkontrollgericht den Änderungs-Bebauungsplan insgesamt für unwirksam erklärt. Es liege kein Bebauungsplan der Innenentwicklung im Sinne des § 13a BauGB vor. Dass der Plan einen bestehenden Bebauungsplan ändere, genüge nicht. Der Geltungsbereich des Änderungsplans betreffe zwar eine ehemals im Siedlungsbereich gelegene Fläche. Im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses sei jedoch ein beträchtlicher Teil des Plangebiets nicht mehr dem Siedlungsbereich zuzuordnen gewesen, nachdem das Gelände entsiegelt sowie die Gebäude zurückgebaut worden seien und mit einer Wiederbebauung nicht mehr gerechnet worden sei. Der Bebauungsplan leide wegen seiner Aufstellung im beschleunigten Verfahren an einem Verfahrensfehler gemäß § 214 Abs. 1 Nr. 3 BauGB, der nicht nach § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB unbeachtlich geworden sei und zur Gesamtunwirksamkeit führe.

6 Antragsgegnerin und Beigeladene machen mit ihrer Revision geltend, es liege eine Maßnahme der Innenentwicklung vor, weil der Änderungs-Bebauungsplan einen bestehenden Bebauungsplan ändere und die Fläche weiterhin dem Siedlungsbereich zuzurechnen sei. Die Antragstellerin verteidigt das Urteil.

II

7 Die Revision ist begründet. Entgegen der Ansicht der Beigeladenen liegen die Sachentscheidungsvoraussetzungen vor (1.). Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts beruht aber auf der Verletzung von Bundesrecht, § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO (2.). Eine abschließende Entscheidung des Senats lassen die tatrichterlichen Feststellungen nicht zu. Deshalb ist das Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.

8 1. Die in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen zu prüfenden Sachentscheidungsvoraussetzungen liegen vor.

9 a) Die Antragstellerin ist antragsbefugt. Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann einen Normenkontrollantrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden.

10 Der Änderungs-Bebauungsplan trifft für ein im Eigentum der Antragstellerin stehendes Grundstück neue Festsetzungen. Die Antragsbefugnis wegen einer möglichen Eigentumsverletzung ist grundsätzlich zu bejahen, wenn sich ein Eigentümer eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks gegen eine bauplanerische Festsetzung wendet, die unmittelbar sein Grundstück betrifft (BVerwG, Urteil vom 10. März 1998 - 4 CN 6.97 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 123). In diesem Fall kann der Eigentümer die Festsetzung gerichtlich überprüfen lassen, weil eine planerische Festsetzung Inhalt und Schranken seines Grundeigentums bestimmt (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG); die potenzielle Rechtswidrigkeit eines derartigen normativen Eingriffs braucht er nicht ungeprüft hinzunehmen (BVerwG, Beschluss vom 31. Januar 2018 - 4 BN 17.17 - BauR 2018, 814 Rn. 5).

11 b) Für den Antrag besteht ein Rechtsschutzbedürfnis. Bei bestehender Antragsbefugnis ist regelmäßig das erforderliche Rechtsschutzinteresse gegeben. Das Erfordernis eines Rechtsschutzbedürfnisses soll nur verhindern, dass Gerichte in eine Normprüfung eintreten, deren Ergebnis für den Antragsteller wertlos ist, weil es seine Rechtsstellung nicht verbessern kann (BVerwG, Beschlüsse vom 18. Juli 1989 - 4 N 3.87 - BVerwGE 82, 225 <231>, vom 22. September 1995 - 4 NB 18.95 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 108 und vom 4. Juni 2008 - 4 BN 13.08 - BRS 73 Nr. 51 Rn. 5). Ist ein Bebauungsplan durch genehmigte oder genehmigungsfreie Maßnahmen vollständig verwirklicht, so wird der Antragsteller in der Regel seine Rechtsstellung durch einen erfolgreichen Angriff auf den Bebauungsplan nicht mehr aktuell verbessern können (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. April 1999 - 4 CN 5.99 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 134 = juris Rn. 14; Beschlüsse vom 28. August 1987 - 4 N 3.86 - BVerwGE 78, 85 <92> und vom 9. Februar 1989 - 4 NB 1.89 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 37). Insofern kommt eine das Rechtsschutzbedürfnis ausschließende Verwirklichung einer angegriffenen Festsetzung nach der Senatsrechtsprechung aber nur in Betracht, wenn die Festsetzung auch räumlich "vollständig verwirklicht" ist (BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2020 - 4 CN 5.18 - juris Rn. 19 sowie Beschlüsse vom 28. August 1987 - 4 N 3.86 - BVerwGE 78, 85 <92> und vom 7. Januar 2010 - 4 BN 36.09 - juris Rn. 7). Daran fehlt es. Denn die Festsetzungen des Bebauungsplans für das Grundstück der Antragstellerin sind noch nicht umgesetzt.

12 c) Der Antrag ist auch nicht deshalb unzulässig, weil die Antragstellerin ihn auf die in ihrem Eigentum stehenden Flächen beschränkt hat. Auch für das Normenkontrollverfahren gilt die Dispositionsmaxime. Daher bestimmt der Antragsteller mit seinem Antrag, den er im Übrigen jederzeit ganz oder teilweise zurücknehmen kann, grundsätzlich den Umfang der gerichtlichen Prüfung und der möglichen Nichtigerklärung von Rechtsvorschriften oder Bebauungsplänen (BVerwG, Beschlüsse vom 18. Juli 1989 - 4 N 3.87 - BVerwGE 82, 225 <232> und vom 20. August 1991 - 4 NB 3.91 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 59 S. 84 = juris Rn. 24).

13 2. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf einer Verletzung von § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

14 a) Nach § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB kann ein Bebauungsplan für die Wiedernutzbarmachung von Flächen, die Nachverdichtung oder andere Maßnahmen der Innenentwicklung (Bebauungsplan der Innenentwicklung) im beschleunigten Verfahren aufgestellt werden. Dies gilt entsprechend für die Änderung und Ergänzung eines Bebauungsplans (§ 13a Abs. 4 BauGB).

15 Das Tatbestandsmerkmal der Innenentwicklung ist der Oberbegriff. Es ist Voraussetzung sowohl für die in § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB beispielhaft genannten Maßnahmen der Wiedernutzbarmachung und Nachverdichtung von Flächen als auch für andere, nicht konkretisierte Maßnahmen (BVerwG, Urteile vom 4. November 2015 - 4 CN 9.14 - BVerwGE 153, 174 Rn. 21 und vom 25. Juni 2020 - 4 CN 5.18 - juris Rn. 27; Beschluss vom 20. Juni 2017 - 4 BN 30.16 - Buchholz 406.11 § 13a BauGB Nr. 4 Rn. 4). Mit diesem Tatbestandsmerkmal beschränkt § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB seinen räumlichen Anwendungsbereich. Der Gesetzgeber knüpft mit § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB an die ältere Bodenschutzklausel des § 1a Abs. 2 Satz 1 BauGB an, wonach mit Grund und Boden sparsam und schonend umgegangen werden soll und dabei zur Verringerung der zusätzlichen Inanspruchnahme von Flächen für bauliche Nutzungen die Möglichkeiten der Entwicklung der Gemeinde insbesondere durch Maßnahmen der Innenentwicklung zu nutzen sowie Bodenversiegelungen auf das notwendige Maß zu begrenzen sind. Er grenzt Bebauungspläne der Innenentwicklung von Bebauungsplänen ab, die gezielt Flächen außerhalb der Ortslagen einer Bebauung zuführen, und will mit § 13a Abs. 1 BauGB Planungen fördern, die der Erhaltung, Erneuerung, Fortentwicklung, Anpassung und dem Umbau vorhandener Ortsteile dienen (vgl. § 1 Abs. 6 Nr. 4 BauGB). Als Gebiete, die für Bebauungspläne der Innenentwicklung in Betracht kommen, nennt er beispielhaft die im Zusammenhang bebauten Ortsteile im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB, innerhalb des Siedlungsbereichs befindliche brachgefallene Flächen sowie innerhalb des Siedlungsbereichs befindliche Gebiete mit einem Bebauungsplan, der infolge notwendiger Anpassungsmaßnahmen geändert oder durch einen neuen Bebauungsplan abgelöst werden soll (BT-Drs. 16/2496 S. 12 zu Nr. 8 und Absatz 1). Mit dem beschleunigten Verfahren und den damit verbundenen Verfahrenserleichterungen will der Gesetzgeber einen Anreiz dafür schaffen, dass die Gemeinden von einer Neuinanspruchnahme von Flächen durch Überplanung und Zersiedlung des Außenbereichs absehen und darauf verzichten, den äußeren Umgriff vorhandener Siedlungsbereiche zu erweitern (BVerwG, Urteile vom 4. November 2015 - 4 CN 9.14 - BVerwGE 153, 174 Rn. 24 und vom 25. Juni 2020 - 4 CN 5.18 - juris Rn. 26). Innenentwicklung ist daher nur innerhalb des Siedlungsbereichs zulässig; das gilt ausweislich der Gesetzesbegründung auch für die Änderung oder Anpassung von Bebauungsplänen (BT-Drs. 16/2496 S. 12; BVerwG, Urteile vom 4. November 2015 - 4 CN 9.14 - BVerwGE 153, 174 Rn. 22 ff. und vom 25. Juni 2020 - 4 CN 5.18 - juris Rn. 28). Dabei richtet sich die Abgrenzung von Innen- und Außenentwicklung grundsätzlich nach den tatsächlichen Verhältnissen und nicht nach dem planungsrechtlichen Status der Flächen (BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2020 - 4 CN 5.18 - juris Rn. 24 ff.). Dies sieht das Oberverwaltungsgericht richtig (UA S. 12).

16 b) Nach § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB ist die Wiedernutzbarmachung von Flächen eine Maßnahme der Innenentwicklung. Der Bedeutung dieses gesetzlichen Regelbeispiels trägt die tatrichterliche Würdigung nicht hinreichend Rechnung und verletzt damit Bundesrecht.

17 aa) Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts gehörte die überplante Fläche bis zum Uferbereich jedenfalls im Jahr 1995 und wohl noch 2001 zum Siedlungsbereich der Antragsgegnerin (UA S. 14).

18 Das Oberverwaltungsgericht hat eine fortdauernde Zugehörigkeit der Fläche zum Siedlungsbereich verneint, weil die aufstehende Bebauung beseitigt worden sei, zumindest deutlich wahrnehmbare oberflächliche Reste einer vormaligen Nutzung fehlten und die Verkehrsauffassung nicht mit einer erneuten Bebauung gerechnet habe. Mit dieser Sichtweise überspannt es die Voraussetzungen für die Wiedernutzbarmachung einer Fläche. Es hat sich ersichtlich an den strengen Maßstäben orientiert, die der Senat in seinem Urteil vom 4. November 2015 - 4 CN 9.14 - (BVerwGE 153, 174) zu der Frage aufgestellt hat, ob ein Bebauungsplan der Innenentwicklung auf - seit jeher unbebaute - Flächen des Außenbereichs zugreifen darf (vgl. UA S. 12). Diese Maßstäbe können aber nicht ohne Weiteres beantworten, ob eine einmal dem Siedlungsbereich zugehörige Fläche noch im Sinne des § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB wiedernutzbar gemacht werden kann.

19 Der durch § 13a BauGB vorgenommenen Abgrenzung zwischen Innen- und Außenentwicklung liegt die gesetzliche Wertung zu Grunde, dass Flächen innerhalb des Siedlungsbereichs aufgrund der baulichen Inanspruchnahme und der damit einhergehenden Versiegelung bodenrechtlich weniger schutzwürdig sind als "unberührte" Flächen außerhalb des Siedlungsbereichs. So knüpfen die beiden in § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB ausdrücklich genannten Fälle der Innenentwicklung, die Wiedernutzbarmachung von Flächen und die Nachverdichtung, jeweils an eine bauliche Inanspruchnahme an (BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2020 - 4 CN 5.18 - juris Rn. 28). Nach § 1a Abs. 2 Satz 1 BauGB sind zur Verringerung der zusätzlichen Inanspruchnahme von Flächen für bauliche Nutzungen die Möglichkeiten der Innenentwicklung zu nutzen. § 1a Abs. 2 Satz 4 BauGB verlangt vor der Umwandlung von landwirtschaftlich oder als Wald genutzten Flächen, dass Ermittlungen zu den Möglichkeiten der Innenentwicklung angestellt werden, zu denen insbesondere Brachflächen zählen können.

20 Die Wiedernutzbarmachung einer Fläche als Maßnahme der Innenentwicklung nach § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB ist erst ausgeschlossen, wenn eine ehemals dem Siedlungsbereich angehörende, baulich in Anspruch genommene Fläche diese Zugehörigkeit wieder verloren hat. Hierzu genügt es nicht, dass die Fläche von aufstehender Bebauung beräumt und oberflächlich entsiegelt wird. Solange die Fläche aufgrund unterirdisch verbleibender Gebäudereste, sonstiger Versiegelungen oder nachhaltiger Veränderungen der Bodenstruktur einer natürlichen Vegetationsentwicklung nicht oder nur sehr eingeschränkt zur Verfügung steht, wirkt die ehemalige bauliche Inanspruchnahme fort. Greift ein Bebauungsplan auf solche Flächen zu, kann dies dem Anliegen des § 13a BauGB Rechnung tragen, die gezielte erstmalige Inanspruchnahme von Flächen für Siedlungszwecke zu verringern und Eingriffe in Natur und Landschaft zu vermeiden (BT-Drs. 16/2496 S. 1, 9 und 15).

21 Diese Auslegung ist auch mit Unionsrecht vereinbar. Mit § 13a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BauGB hat der nationale Gesetzgeber von der zweiten Variante des Art. 3 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (ABl. L 197 S. 30; im Folgenden "SUP-Richtlinie") Gebrauch gemacht und abstrakt-generell festgelegt, dass bestimmte Pläne ausnahmsweise im beschleunigten Verfahren und damit nach § 13a Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 13 Abs. 3 Satz 1 BauGB ohne Umweltprüfung nach § 2 Abs. 4 BauGB erlassen werden können (BT-Drs. 16/2496 S. 13). Eine solche abstrakte Regelung ist zulässig, weil es denkbar ist, dass eine besondere Art von Plan, die bestimmte qualitative Voraussetzungen erfüllt, a priori voraussichtlich keine erheblichen Umweltauswirkungen hat, da die Voraussetzungen gewährleisten, dass ein solcher Plan den einschlägigen Kriterien des Anhangs II der Richtlinie entspricht (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2020 - 4 CN 5.18 - juris Rn. 30 und Beschluss vom 31. Juli 2014 - 4 BN 12.14 - Buchholz 406.11 § 13a BauGB Nr. 1 Rn. 10; EuGH, Urteil vom 18. April 2013 - C-463/11 [ECLI:​EU:​C:​2013:​247] - Rn. 39). Das trifft im Zusammenwirken mit den weiteren Vorgaben in § 13a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Satz 4 und 5 BauGB insbesondere auf solche Bebauungspläne zu, die der Wiedernutzbarmachung von Flächen dienen, deren vormalige bauliche Inanspruchnahme noch fortwirkt, und so einen zusätzlichen Flächenverbrauch sowie weitere Eingriffe in Natur und Landschaft vermeiden. Mit diesem Ziel leistet der Bebauungsplan der Innenentwicklung zugleich einen Beitrag zur Förderung der nachhaltigen Entwicklung im Sinne des Anhangs II Nr. 1 Spiegelstrich 3 der SUP-Richtlinie (BVerwG, Urteile vom 4. November 2015 - 4 CN 9.14 - BVerwGE 153, 174 Rn. 24 und vom 25. Juni 2020 - 4 CN 5.18 - juris Rn. 30).

22 bb) Ob eine tatsächlich vorbelastete Brachfläche weiterhin dem Siedlungsbereich angehört, bestimmt die Verkehrsauffassung. Dies erkennt auch die Vorinstanz, ihrer tatrichterlichen Würdigung liegen aber fehlerhafte rechtliche Maßstäbe zugrunde.

23 (1) Die Verkehrsauffassung, ob eine Fläche weiterhin dem Siedlungsbereich angehört, wird von Planungen der Gemeinde beeinflusst.

24 Beabsichtigt die Gemeinde die Renaturierung von Flächen, wird sich recht bald die Verkehrsauffassung bilden können, die Grenze des Siedlungsbereichs habe sich zurückgebildet. Stellt die Gemeinde dagegen im Zusammenhang mit dem Rückbau von Gebäuden einen Bebauungsplan für die Wiedernutzung auf, ist dies ein starkes Indiz, dass sich die Grenzen des Siedlungsbereichs nicht verschieben. Dieses Indiz mag mit der Zeit an Gewicht verlieren. Das ist aber nicht schon dann der Fall, wenn sich eine konkrete Planung oder ein bestimmtes städtebauliches Konzept nicht umsetzen lässt.

25 Anders als das Oberverwaltungsgericht annimmt, kann zur Bestimmung der Verkehrsauffassung nicht an die Rechtsprechung des Senats zum Erhalt des Bebauungszusammenhangs im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB (BVerwG, Urteile vom 12. September 1980 - 4 C 75.77 - Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 75 S. 79 f. und vom 14. September 1992 - 4 C 15.90 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 152 S. 68 f.) angeknüpft werden, wonach eine bereits beseitigte Bebauung bzw. eine eingestellte Nutzung den Charakter eines Gebiets fortwirkend prägen kann, solange mit einer erneuten Bebauung bzw. der Wiederaufnahme der Nutzung gerechnet werden kann. Denn die Reichweite des Siedlungsbereichs des § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB kann nicht nach den Maßstäben beantwortet werden, welche die Bebaubarkeit einzelner Grundstücke zum Gegenstand haben.

26 Entscheidend ist demgegenüber, ob sich eine Verkehrsauffassung dahingehend gebildet hat, dass der jeweilige Siedlungsbereich dauerhaft überhaupt keiner Bebauung mehr zugänglich sein wird. Erst in einem solchen Fall verliert eine gemeindliche Planung ihre indizielle Wirkung.

27 (2) Für die Frage, ob eine Fläche nach der Verkehrsauffassung weiterhin dem Siedlungsbereich zugehört, können auch tatsächliche Umstände Bedeutung erlangen. So mag eine dauerhafte, hinreichend wehrhafte Einzäunung für eine Zugehörigkeit zum Siedlungsbereich sprechen. Von Bedeutung können auch das äußere Erscheinungsbild der Flächen sowie Art, Dauer und Intensität der bisherigen Nutzung sein, sofern diese Rückschlüsse auf den Grad der verbliebenen baulichen Belastung zulassen. Dabei wird die Verkehrsauffassung berücksichtigen, dass gerade die Wiedernutzbarmachung industriell genutzter Flächen erhebliche Zeiträume in Anspruch nehmen kann.

28 c) Der Senat kann nicht selbst entscheiden, ob das Plangebiet dem Siedlungsbereich der Antragsgegnerin zum maßgeblichen Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses noch angehörte. Das Oberverwaltungsgericht hat - von seinem Standpunkt aus konsequent - keine Feststellungen dazu getroffen, in welchem Umfang Gebäudereste im Boden verblieben sind und die Bodenstruktur durch die vormalige Nutzung verändert worden ist, sondern diesen Umständen lediglich die Eignung abgesprochen, die Fläche äußerlich hinreichend zu prägen. Es hat überdies in Bezug auf die Verkehrsauffassung darauf abgestellt, dass sich eine konkrete städtebauliche Planung als nicht durchführbar erwiesen hat, jedoch nicht geprüft, ob deshalb damit gerechnet worden ist, dass die Flächen - gegebenenfalls nach Anpassung der Planung - künftig überhaupt nicht mehr baulich in Anspruch genommen werden.

29 d) Die Frage, ob ein Bebauungsplan der Innenentwicklung im Sinne des § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB vorliegt, kann auch nicht deshalb dahinstehen, weil eine fehlerhafte Wahl des beschleunigten Verfahrens und der damit verbundene, nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB beachtliche Mangel (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2020 - 4 CN 5.18 - juris Rn. 32 ff.) nachträglich unbeachtlich geworden wäre. Dies ist nach § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB der Fall, wenn der Mangel nicht innerhalb eines Jahres seit Bekanntmachung der Satzung schriftlich gegenüber der Gemeinde unter Darlegung des die Verletzung begründenden Sachverhalts geltend gemacht worden ist. Dabei verlangt § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB Substantiierung und Konkretisierung. Der Gemeinde soll durch die Darlegung die Prüfung ermöglicht werden, ob Anlass besteht, in eine Fehlerbehebung einzutreten ("Anstoßfunktion" der Rüge). Das schließt eine nur pauschale Rüge aus. Die Feststellung, ob eine Rüge im konkreten Fall den genannten Anforderungen genügt, obliegt den Tatsachengerichten (BVerwG, Beschlüsse vom 25. September 2019 - 4 BN 13.19 - UPR 2020, 102 Rn. 5 ff. und vom 7. Mai 2020 - 4 BN 13.20 - juris Rn. 9). Das Oberverwaltungsgericht hat unter Anwendung dieser Grundsätze festgestellt, dass mit dem der Antragsgegnerin fristgerecht zugegangenen Antragsschriftsatz im Normenkontrollverfahren der Mangel ordnungsgemäß gerügt worden ist. Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen.

30 3. Die Entscheidung stellt sich nicht nach § 144 Abs. 4 VwGO aus anderen Gründen als richtig dar. Insbesondere kann der Senat mangels entsprechender tatrichterlicher Feststellungen nicht entscheiden, ob die Festsetzung der Verkehrsfläche auf dem Grundstück der Antragstellerin abwägungsfehlerhaft ist. Die Sache ist daher gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

31 4. Auf die Verfahrensrügen kommt es nicht an, weil sie auch im Erfolgsfalle nur zur ohnehin notwendigen Zurückverweisung führen könnten.