Urteil vom 28.01.2004 -
BVerwG 2 WD 13.03ECLI:DE:BVerwG:2004:280104U2WD13.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 28.01.2004 - 2 WD 13.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:280104U2WD13.03.0]

Urteil

BVerwG 2 WD 13.03

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 28. Januar 2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Pietzner,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
sowie
Oberstleutnant Manthey,
Hauptmann Woywod
als ehrenamtliche Richter,
Leitender Regierungsdirektor Mühlbächer
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt Steffgen, Bobingen,
als Verteidiger,
Justizobersekretärin von Förster
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

  1. Auf die Berufung des Soldaten wird das Urteil der ... Kammer des Truppendienstgerichts ... vom 1. April 2003 aufgehoben.
  2. Der Soldat hat ein Dienstvergehen begangen.
  3. Das Verfahren wird eingestellt.
  4. Die Kosten des Verfahrens und die dem Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen werden dem Bund auferlegt.

Gründe

I

Der 38 Jahre alte Soldat erlangte am 29. Mai 1984 das Zeugnis der Allgemeinen Hochschulreife. Anschließend ließ er sich zum Apothekenhelfer ausbilden. Von 1986 bis 1994 absolvierte er das Studium der Medizin. Mit Wirkung vom 1. Dezember 1995 wurde ihm durch das Regierungspräsidium S. die Approbation als Arzt erteilt.

Aufgrund seiner Bewerbung für den freiwilligen Dienst in der Bundeswehr vom 14. September 1995 wurde er zum 4. Dezember 1995 zum Gebirgsjägerbataillon ... in B. R. als Sanitätsoffizier Arzt zur Ableistung einer Eignungsübung einberufen und mit Wirkung vom 4. April 1996 als Stabsarzt in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Seine Dienstzeit wurde zunächst auf drei, sodann auf acht und schließlich auf neun Jahre festgesetzt; sie endet mit Ablauf des 3. Dezember 2004.

Zum 1. Februar 1999 wurde der Soldat zum Bundeswehrkrankenhaus A. als Sanitätsstabsoffizier Arzt und in der gleichen Funktion zum 1. August 2000 zum Standortsanitätszentrum (StOSanZ) B. R. in B. R. versetzt. Er leistete abwechselnd Dienst in den Standorten B. R. und B.. Zum 1. Oktober 2002 wurde er zum StOSanZ P. als Sanitätsstabsoffizier Arzt und in derselben Funktion zum 1. März 2003 zum StOSanZ M. versetzt.

In seiner planmäßigen Beurteilung vom 4. April 2001 wurden die dienstlichen Leistungen des Soldaten in den Einzelmerkmalen fünfmal mit „6“, neunmal mit „5“ und einmal mit „4“ bewertet. In der Eignungs- und Befähigungsbeurteilung setzte der Beurteiler für „Verantwortungsbewusstsein“ und „Geistige Befähigung“ die Stufe „D“ sowie für „Eignung zur Menschenführung/Teambefähigung“ und „Befähigung zur Einsatz- und Betriebsführung“ die Stufe „C“ fest.

Unter „Herausragende charakterliche Merkmale, Kameradschaft, berufliches Selbstverständnis, Bewährung im Einsatz und ergänzende Aussagen“ führte der beurteilende Vorgesetzte aus:

„SA ... ist ein sensibler, engagierter und in herausragendem Maß um seine Patienten bemühter Sanitätsoffizier. Besonders eingesetzt hat er sich neben seiner fachlichen Weiterbildung im Bereich des Unterrichts an der Krankenpflegeschule der Sanitätsschülerkompanie. Hier hat er sich auf Grund seines verständnisvollen Wesens und seiner umgänglichen Art sowie auch seiner didaktischen Fähigkeiten und seiner Kompetenz im Bereich der Allgemeinmedizin hohe Anerkennung durch den Lehrstab und die Schüler erworben.

Er steht zu seiner Aufgabe als Offizier und Arzt und ist stets bestrebt, sich fachlich weiter zu bilden und neue Erfahrungen zu sammeln.“

In der Sonderbeurteilung vom 17. Juli 2003 durch Oberfeldarzt (OFA) Dr. M. wurden die Leistungen des Soldaten in den Einzelmerkmalen dreimal mit „7“ und 13mal mit „6“ bewertet. Bei Eignung und Befähigung wurde ihm für „Befähigung zur Einsatz- und Betriebsführung“ die Wertung „D“ und für „Geistige Befähigung“ die Wertung „E“ zuerkannt.

Unter „Herausragende charakterliche Merkmale, Kameradschaft, berufliches Selbstverständnis, Bewährung im Einsatz und ergänzende Aussagen“ wurde über den Soldaten ausgeführt:

„Stabsarzt ... ist ein im hohen Maße engagierter Arzt und durch das ärztliche Ethos geprägt.

Es gelingt ihm mühelos, diese Priorität seines Denkens und Handelns dem militärischen Umfeld soweit anzupassen, wie es für das Wohl der Patienten und die Belange des Dienstherrn erforderlich ist.

Einsätze im Rahmen des neuen Aufgabenspektrums der Bundeswehr werden von ihm - trotz enger familiärer Bindungen - grundsätzlich bejaht.

Seine Persönlichkeit ist geprägt durch Sensibilität, Emotionalität und hohe Fähigkeit zur Emphatie, was ihn als Mensch spürbar und als Arzt kompetent macht.

Diese Charaktereigenschaften bewirken im Verein mit seiner grundsätzlich positiven Lebenseinstellung und einem feinen Humor eine im Wesentlichen fördernde Wirkung auf den Teamgeist.

Seine stete Bereitschaft zu helfen oder Hilfe anzubieten ist gelebte Kameradschaft und Kollegialität.

Voll den menschlichen und tiefergehenden Problemen zugetan, sind ihm Äußerlichkeiten weniger wichtig.

In der Diskussion ist er standhaft, aber nicht stur, im Umgang mit Menschen und Problemen zeigt er sich flexibel und mobil.

Bei erfreulicher Offenheit - auch im Sinne konstruktiver Kritik - gab es nie geringste Zweifel an seiner Loyalität.

Die Beendigung fachlicher Ziele (Promotionsarbeit und Facharzt für Allgemeinmedizin, Fachkundenachweis Rettungsdienst) gerieten durch die Versetzung nach M. etwas in den Hintergrund, werden aber grundsätzlich weiter angestrebt.

Einer weiteren Verwendung von Stabsarzt ... im Bereich des StOSanZ M. stehe ich äußerst positiv gegenüber.“

Der nächsthöhere Vorgesetzte, der Leiter des Leitsanitätszentrums ..., Oberstarzt Dr. S., führte in seiner Stellungnahme u.a. aus:

„Der hier beurteilte SanStOffz Arzt ist mir persönlich bekannt. In Kenntnis der Person des Beurteilenden bin ich mit den Aussagen und Wertungen der Beurteilung grundsätzlich einverstanden, ich mache aber, aufgrund meiner eigenen Erfahrungen, von meinem Recht zur Abänderung Gebrauch.

Die hier vorliegende überdurchschnittliche Beurteilung betrifft im wesentlichen die Leistungen, die SA H. im StOSanZ M. erbracht hat. Diese stehen abgesehen von seiner kurativen Tätigkeit in einer deutlichen Diskrepanz zu seinem Auftreten im StOSanZ B.R. Vor allem im Bereich der Menschenführung waren seine Leistungen und Befähigungen nicht so, wie man es von einen SanOffz Arzt erwarten muss, und gaben Anlass zu disziplinaren Ermittlungen. Im Bereich des Verantwortungsbewusstseins und des beruflichen Selbstverständnisses wurden erhebliche Defizite offenkundig.

Ich ändere daher ab:

Im Feld F I 16 (Fürsorgeverhalten) von 07 auf 04;

Im Feld G 01 (Verantwortungsbewusstsein) von E auf A; im Feld G 03 (Eignung zur Menschenführung/Teambefähigung) von E auf A; im Feld I 01 (Verwendungsmöglichkeiten) c) u. d) von ‚geeignet’ auf ‚Eignung nicht erkennbar’.“

Der Soldat verweigerte die Unterschrift unter diese Stellungnahme.

OFA Dr. M. hat als Leumundszeuge vor dem Truppendienstgericht bekundet, er sei im Wesentlichen mit dem Soldaten sehr zufrieden. Der Soldat mache konstruktive Vorschläge und bringe sich aktiv ein, sei ein guter Mitarbeiter, der allerdings auch emotionalen Schwankungen unterliege. Die Behandlung der Patienten durch ihn sei einwandfrei. Im Vergleich zu anderen Truppenärzten stufe er den Soldaten im oberen Drittel ein.

Ausweislich des Auszugs aus dem Disziplinarbuch vom 31. Juli 2003 und der Auskunft aus dem Zentralregister vom 11. Juni 2003 ist der Soldat bislang weder disziplinar noch strafrechtlich in Erscheinung getreten.

Der Soldat erhielt am 10. Mai 1996 eine förmliche Anerkennung wegen vorbildlicher Pflichterfüllung und zugleich Sonderurlaub von einem Tag. Darüber hinaus wurde ihm am 6. Dezember 2001 eine Leistungsprämie in Höhe von 5.250 DM zuerkannt.

Nach Mitteilung der Wehrbereichsverwaltung Süd - Gebührniswesen - vom 18. Juni 2003 berechnen sich die Dienstbezüge des Soldaten aus der 8. Dienstaltersstufe der Besoldungsgruppe A 13 des Bundesbesoldungsgesetzes und betragen monatlich 3.732,71 € brutto und 3.449,66 € netto einschließlich Kindergeld für zwei Kinder. Außerdem erzielt der Soldat aus einer genehmigten Nebentätigkeit monatlich ca. 1.000 €. Seine Ehefrau ist berufstätig und arbeitet halbtags als Arzthelferin mit einem Nettoeinkommen von monatlich ca. 700 €. Aus der am 4. Juli 1986 geschlossenen Ehe sind zwei Söhne im Alter von 14 und zwölf Jahren hervorgegangen.

Die finanziellen Verhältnisse des Soldaten sind geordnet.

II

III