Beschluss vom 28.01.2021 -
BVerwG 8 B 31.20ECLI:DE:BVerwG:2021:280121B8B31.20.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 28.01.2021 - 8 B 31.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:280121B8B31.20.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 31.20

  • VG Potsdam - 23.10.2019 - AZ: VG 2 K 132/15

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. Januar 2021
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hoock und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller
beschlossen:

  1. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 23. Oktober 2019 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Kläger begehren die Rückübertragung des vormaligen Gutes S., hilfsweise Entschädigung nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz. Ihr Rechtsvorgänger veräußerte das Gut 1937 an die Reichshauptstadt Berlin. Nach der Wiedervereinigung machten die Kläger vermögensrechtliche Ansprüche wegen dieser Veräußerung geltend. Ihr Rechtsvorgänger sei Mitglied der Bekennenden Kirche gewesen, die von den Nationalsozialisten kollektiv verfolgt worden sei. Die Beklagte lehnte den Antrag ab. Der Senat hat zwei vorangehende, klageabweisende Urteile der Vorinstanz in dieser Sache jeweils wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen (zuletzt: BVerwG, Beschluss vom 18. Dezember 2014 - 8 B 55.14 - ZOV 2015, 62). Mit dem angegriffenen Urteil hat das Verwaltungsgericht nach Einholen eines historischen Sachverständigengutachtens die Klage erneut abgewiesen. Der Rechtsvorgänger der Kläger habe sein Eigentum am Gut S. nicht verfolgungsbedingt verloren. Er habe keinem in der Zeit des Nationalsozialismus aus religiösen Gründen kollektiv verfolgten Personenkreis angehört. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.

2 Die Beschwerde der Kläger, die ausschließlich Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geltend macht, bleibt ohne Erfolg.

3 1. Das Verwaltungsgericht hat § 144 Abs. 6 VwGO nicht dadurch verletzt, dass es von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist als in seiner vorherigen Entscheidung. Nach § 144 Abs. 6 VwGO hat das Gericht, an das die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen wird, seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen. Die Vorschrift gilt auch für Zurückverweisungen nach § 133 Abs. 6 VwGO. Die Bindungswirkung des § 144 Abs. 6 VwGO erfasst jedoch nur die entscheidungstragende Rechtsauffassung des Revisionsgerichts einschließlich der davon mitumfassten logischen Voraussetzungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. August 2016 - 4 C 3.15 - BVerwGE 155, 390 Rn. 17; Beschluss vom 11. Juli 2000 - 8 B 154.00 - Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 68 = juris Rn. 2). Wird das angegriffene Urteil im Revisions- oder Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben, so ist die Vorinstanz hinsichtlich der materiell-rechtlichen Beurteilung an die in dem aufgehobenen Urteil vertretene Auffassung grundsätzlich nicht mehr gebunden. Aus dem Erfolg der Verfahrensrüge allein kann auch nicht darauf geschlossen werden, dass das Bundesverwaltungsgericht sich die materiell-rechtliche Auffassung des Tatsachengerichts zu Eigen gemacht hätte (BVerwG, Beschluss vom 11. Juli 2000 a.a.O. Rn. 2).

4 Dies gilt auch hier. Die Bindungswirkung des § 144 Abs. 6 VwGO erstreckt sich nicht auf die materiell-rechtliche Rechtsauffassung, die dem aufgehobenen Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 7. November 2013 - VG 1 K 2032/08 - zugrunde lag. Der Senat hat dieses Urteil mit Beschluss vom 18. Dezember 2014 - 8 B 55.14 - wegen Verfahrensfehlern aufgehoben und an die Vorinstanz zurückverwiesen. Das Verwaltungsgericht hatte den Anspruch der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, weil es Klägervorbringen, auf das es nach seiner damaligen Rechtsauffassung ankam, übergangen hatte. Auf diesem Übergehen nach eigener Auffassung erheblichen Vorbringens beruht die Zurückverweisung, nicht auf der Rechtsauffassung selbst. Sie war nur der Prüfung der Erheblichkeit aus der Sicht des Verwaltungsgerichts zugrunde zu legen und wird im zurückverweisenden Beschluss weder überprüft noch geteilt. Daher erstreckt sich die Bindung gemäß § 144 Abs. 6 VwGO nicht auf sie.

5 Hinsichtlich einer weiteren, alternativ tragenden Erwägung seines Urteils hatte das Verwaltungsgericht die Aufklärungspflicht des § 86 Abs. 1 VwGO verletzt, weil es seine Entscheidung auf ein nicht geeignetes Sachverständigengutachten gestützt hatte. Auch insoweit beruhte die Zurückverweisung nicht auf materiell-rechtlichen Erwägungen zu den Voraussetzungen einer Verfolgung im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG i.V.m. Art. 3 REAO, sondern auf dem Verfahrensmangel fehlerhafter Sachaufklärung.

6 2. Die Gehörsrüge der Kläger ist teils nicht prozessordnungsgemäß substantiiert (a) und greift im Übrigen nicht durch (b).

7 a) Eine Verfahrensrüge genügt den Substantiierungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nur, wenn der Beschwerdeführer sowohl die Tatsachen angibt, aus denen seiner Ansicht nach der Mangel folgt, als auch die rechtlichen Erwägungen, derentwegen diese Tatsachen bei Zugrundelegen der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung der Vorinstanz den gerügten Verfahrensmangel begründen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. April 1989 - 1 B 54.89 - NVwZ-RR 1990, 220 <221>). Die materiell-rechtlichen Annahmen selbst können nicht mit der Verfahrensrüge angegriffen werden.

8 Daher genügt zur Substantiierung der Gehörsrüge nicht der Vortrag, das Gericht habe Beteiligtenvorbringen nicht zur Kenntnis genommen und gewürdigt. Vielmehr muss dargetan werden, dass dieses Vorbringen nach der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des Gerichts - und nicht nur nach der des Beschwerdeführers - für die angegriffene Entscheidung erheblich war. Das ist hier nicht geschehen. Die Kläger legen nicht dar, dass der ihres Erachtens übergangene Vortrag und die von ihnen vorgelegten Unterlagen für die aus der Sicht der Vorinstanz maßgebliche Absicht zur Verfolgung aller - auch der einfachen - Mitglieder der Bekennenden Kirche sprächen. Außerdem fehlt eine Auseinandersetzung mit der detaillierten, auf das Klägervorbringen Bezug nehmenden Beweiswürdigung des angegriffenen Urteils, mit der aufgezeigt würde, welche der angeblich übergangenen Elemente des Vortrags und welche im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Unterlagen das Gericht bei seiner Würdigung des Klägervortrags nicht zur Kenntnis genommen oder nicht berücksichtigt hätte.

9 b) Der Vorwurf der Kläger, das Verwaltungsgericht habe den Inhalt ihres Schriftsatzes vom 2. September 2019 (Bl. 2364 ff. der Streitakte) nicht zur Kenntnis genommen und gewürdigt, ist zwar ausreichend substantiiert, aber unbegründet. Wie die Kläger einräumen, hat das Verwaltungsgericht sich mit diesem Vortrag auseinandergesetzt (UA S. 31 bis 35). Damit hat es seine Pflichten aus § 108 Abs. 2 VwGO und Art. 103 Abs. 1 GG erfüllt. Diese Vorschriften gebieten nur, das nach der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserhebliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen, nicht aber, ihm zu folgen. Aus dem Umstand, dass das Gericht Beteiligtenvorbringen wegen rechtlicher Erwägungen außer Acht lässt, folgt daher kein Verstoß gegen den Anspruch der Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Auf die Frage, ob die Rechtsauffassung der Vorinstanz zutrifft, kommt es bei der Gehörsrüge nicht an.

10 Aus den gleichen Gründen bleibt die Gehörsrüge erfolglos, soweit sie sich gegen die Würdigung der zur Gerichtsakte gereichten Stellungnahme des Dr. G. und weitere historische Bewertungen der Tätigkeit der Bekennenden Kirche wendet. Das Verwaltungsgericht hat sich auch mit den darauf bezogenen Einwänden der Kläger auseinandergesetzt (UA S. 38 ff.), ihnen jedoch aufgrund seiner Auslegung des Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO keine maßgebliche Bedeutung zugemessen. Kritik an dieser Auslegung ist nicht mit der Gehörsrüge geltend zu machen.

11 3. Die sinngemäß erhobene Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO) ist nicht prozessordnungsgemäß substantiiert (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Dazu hätten die Kläger darlegen müssen, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung der Vorinstanz ermittlungsbedürftig gewesen wären, welche Beweismittel zu welchen Beweisthemen zur Verfügung gestanden hätten, welches Ergebnis die Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte und inwieweit das Urteil auf der unterbliebenen Sachaufklärung beruhen kann. Soweit bei anwaltlicher Vertretung in der Vorinstanz kein förmlicher Beweisantrag gestellt wurde, ist zudem darzulegen, aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Tatsachengericht die Notwendigkeit weiterer Sachaufklärung nach seiner materiell-rechtlichen Rechtsauffassung auch ohne einen solchen Antrag hätte aufdrängen müssen (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 2019 - 4 CN 8.18 - BVerwGE 166, 378 Rn. 29). Das leistet die Beschwerde nicht. Sie konkretisiert weder einzelne Beweisfragen noch legt sie dar, inwieweit es auf deren Aufklärung nach der insoweit zugrunde zu legenden materiell-rechtlichen Rechtsauffassung der Vorinstanz angekommen wäre.

12 Die Beschwerdebegründung stellt auch die Eignung des vom Gericht eingeholten Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. Ga. nicht substantiiert in Frage. Sie legt nicht dar, dass dieses Gutachten ungeeignet wäre. Dazu hätte aufgezeigt werden müssen, dass es grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweist oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgeht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. März 2013 - 4 B 15.12 - BauR 2013, 1248). Solche Mängel legen weder die Beschwerdebegründung noch die dazu eingereichte Stellungnahme des Dr. G. dar. Diese stellt der Ansicht des gerichtlich bestellten Sachverständigen die eigene, abweichende gegenüber, ohne konkrete Mängel des gerichtlich eingeholten Gutachtens im eben beschriebenen Sinne aufzuzeigen. Überdies geht sie nicht von der dem gerichtlichen Sachverständigen gestellten Beweisfrage aus, sondern wendet sich gegen die ihr zugrunde liegende Rechtsauffassung der Vorinstanz, von der jedoch bei der Prüfung von Verfahrensmängeln auszugehen ist. Anders als diese hält Dr. G. nicht für entscheidend, ob die Verfolgung schon an die Mitgliedschaft in der Bekennenden Kirche angeknüpft habe, sondern stattdessen, ob es zu Verfolgungshandlungen gekommen sei, weil Einzelne sich aus religiösen Gründen die Haltung der Bekennenden Kirche zu Eigen gemacht hätten (vgl. S. 11 der Stellungnahme).

13 4. Die materiell-rechtliche Rechtsauffassung der Vorinstanz selbst wird von der Beschwerde nicht mit wirksamen Rügen angegriffen. Die Kläger haben weder eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO dargelegt noch eine Grundsatzrüge gemäß Nr. 1 dieser Vorschrift erhoben.

14 Sie beanstanden weder ausdrücklich noch sinngemäß eine Abweichung des angegriffenen Urteils von einem entscheidungstragenden Rechtssatz einer bestimmten bundesverwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Soweit sie solche Entscheidungen benennen, rügen sie keine Abweichung von diesen, sondern eine Abweichung von der Rechtsauffassung des ersten - nach dem Gesetz jedoch nicht divergenzfähigen - Urteils des Verwaltungsgerichts. Im Übrigen verweist die Beschwerdebegründung pauschal auf die ständige, ihres Erachtens im angegriffenen Urteil missachtete Rechtsprechung zu § 1 Abs. 6 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO. Damit macht sie nicht den von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO vorausgesetzten Rechtssatzwiderspruch zu einer bestimmten Entscheidung geltend, sondern nur eine fehlerhafte Anwendung der bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung im konkreten Fall, die keine Divergenz begründen kann.

15 Eine wirksame Grundsatzrüge ist der Beschwerdebegründung ebenfalls nicht zu entnehmen. Gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 und § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO müsste sie dazu zumindest sinngemäß eine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwerfen, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt. Diese Voraussetzungen müsste sie substantiiert darlegen. Diesen Anforderungen genügt sie nicht. Ihre Kritik an der Annahme des Verwaltungsgerichts, eine Kollektivverfolgung der Bekennenden Kirche scheide aus, weil das NS-Regime nur Funktionsträger und hervorgehobene Mitglieder, nicht jedoch - auch - alle einfachen Mitglieder habe ausschalten wollen, wendet sich gegen die unzutreffende Anwendung der von ihr pauschal in Bezug genommenen bisherigen Rechtsprechung zur Kollektivverfolgung. Sie arbeitet keine klärungsbedürftige Rechtsfrage heraus, sondern rügt die unrichtige Anwendung ihres Erachtens bereits geklärter Tatbestandsvoraussetzungen. Das wird besonders deutlich an dem Vorwurf, das Verwaltungsgericht habe den Wortlaut der Norm missachtet, und an den Einwänden der Kläger gegen das gerichtliche Sachverständigengutachten. Sie richten sich nicht gegen die Beweisfrage, die schon durch die verwaltungsgerichtliche Auffassung geprägt ist, eine Kollektivverfolgung setze eine Absicht zur Verfolgung jedes einzelnen Mitglieds des Personenkreises voraus. Stattdessen werden tatsächliche Feststellungen und Schlussfolgerungen beanstandet. Die damit und auch im Übrigen von der Beschwerde geltend gemachte, fehlerhafte Anwendung der in der bisherigen Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe kann nicht Gegenstand einer Grundsatzrüge sein.

16 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 und 4 Nr. 3 GKG.