Beschluss vom 28.08.2024 -
BVerwG 1 WB 40.23ECLI:DE:BVerwG:2024:280824B1WB40.23.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 28.08.2024 - 1 WB 40.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:280824B1WB40.23.0]
Beschluss
BVerwG 1 WB 40.23
In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Henke
am 28. August 2024 beschlossen:
Das gegen den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht ..., die Richterin am Bundesverwaltungsgericht ... und den Richter am Bundesverwaltungsgericht ... gerichtete Ablehnungsgesuch wird zurückgewiesen.
Gründe
I
1 1. Mit dem unter dem 20. Juni 2024 gegen den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht ..., die Richterin am Bundesverwaltungsgericht ... und den Richter am Bundesverwaltungsgericht ... gerichteten Ablehnungsgesuch wendet sich der Antragsteller gegen deren Mitwirkung in dem von ihm betriebenen Wehrbeschwerdeverfahren BVerwG 1 WB 40.23 . Gegenstand dieses Wehrbeschwerdeverfahrens bildet die Frage, ob die Aufnahme der Impfung gegen den Covid-19-Erreger in die Liste der Basisimpfungen in Nr. 2001 der Allgemeinen Regelungen (AR) A1-840/8-4000 (Basisimpfschema) rechtmäßig ist.
2 2. Der Antragsteller begründet die Besorgnis der Befangenheit mit dem Verhalten der drei Richter in dem von einem Dritten betriebenen Wehrbeschwerdeverfahren BVerwG 1 WB 50.22 , das am 29. Mai 2024 von denselben Richtern mündlich verhandelt wurde. Zudem leitet er sie aus Beschlüssen des 1. Wehrdienstsenats vom 7. Juli 2022 in den Verfahren BVerwG 1 WB 2.22 und BVerwG 1 WB 5.22 ab, in denen der Vorsitzende Richter ... und die Richterin ... mitgewirkt haben und in denen die Aufnahme der Impfung gegen den Covid-19-Erreger in das Basisimpfschema für rechtmäßig befunden wurde (vgl. BVerwGE 176, 138 ff.). Im Einzelnen:
3 In der mündlichen Verhandlung am 29. Mai 2024 zu dem dieselbe Rechtsfrage betreffenden Verfahren BVerwG 1 WB 50.22 seien - ebenso wie in den Verfahren BVerwG 1 WB 2.22 und BVerwG 1 WB 5.22 - wesentliche Teile der Rechtmäßigkeitsprüfung unterlassen worden. Dies begründe die Besorgnis der Befangenheit der Richter auch im vorliegenden Verfahren. Ausweislich der dienstlichen Stellungnahmen des Vorsitzenden Richters ... und der Richterin ... seien in den Verfahren BVerwG 1 WB 2.22 , BVerwG 1 WB 5.22 und BVerwG 1 WB 50.22 keine Feststellungen zu der Frage getroffen worden, ob ein Dritter - und nicht die damalige Bundesministerin der Verteidigung - die Anordnung getroffen habe, die Covid-19-Impfung in das Basisimpfschema aufzunehmen, obgleich ein Zuständigkeitsmangel zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung führe. Vielmehr hätten sowohl der Vorsitzende Richter ... als auch die Richterin ... in der mündlichen Verhandlung am 29. Mai 2024 (BVerwG 1 WB 50.22 ) erklärt, ihnen habe die Anordnung der damaligen Bundesministerin für Verteidigung vom 24. November 2021 nicht vorgelegen. Darüber hinaus folge die Besorgnis der Befangenheit daraus, dass der Senat nicht geprüft habe, warum das Basisimpfschema bereits am 23. November 2021 geändert, die Anordnung der Verteidigungsministerin jedoch erst am 24. November 2021 getroffen worden sein solle. Da die Richter es versäumt hätten, diese Fragen zu klären, stehe zu befürchten, dass sie deren Klärung auswichen, indem sie bereits auf der prozessualen Ebene ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse verneinten. Dafür spreche zudem, dass sie in der mündlichen Verhandlung geäußert hätten, ein etwaiges Feststellungsinteresse könne überhaupt nur in Form eines Rehabilitationsinteresses bestehen, obwohl § 19 Abs. 1 Satz 2 WBO bei Dienstvorschriften mit Befehlscharakter gerade kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse verlange.
4 3. Zu den dienstlichen Äußerungen des Vorsitzenden Richters ... (vom 11. Juli 2024), der Richterin ... (vom 3. Juli 2024) und des Richters ... (vom 2. Juli 2024) hat der Antragsteller unter dem 9. August 2024 ergänzend vorgetragen, aus ihnen ergebe sich erneut eine defizitäre Prüfung.
5 Soweit der Richter ... ausführe, er habe sich über die aufgeworfenen Fragen des Antragstellers noch keine abschließende Meinung gebildet, suggeriere dies zwar, dass die Zuständigkeits- und Ermessensprüfung noch erfolgen solle oder erfolgt wäre; dies sei jedoch unglaubhaft, weil eine Zulässigkeitsprüfung stets vor der Prüfung der Begründetheit zu erfolgen habe. Könnten formelle Verfahrensfehler zu einer stattgebenden Entscheidung führen, seien die diesbezüglichen Tatsachen vorab von Amts wegen aufzuklären und die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zu fällen. Es sei mithin davon auszugehen, dass eine weitere Prüfung der entscheidungserheblichen Tatsachen unterbleibe.
6 Die Richterin ... und der Richter ... hätten in der mündlichen Verhandlung am 29. Mai 2024 auch zu verstehen gegeben, dass sie für die Feststellung der Rechtswidrigkeit der verfahrensgegenständlichen Duldungspflicht ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse für erforderlich hielten. Diese Frage sei jedoch - ausweislich des Schreibens des Bevollmächtigten des Antragstellers vom 28. Juni 2024 im Verfahren BVerwG 1 WB 50.22 - umstritten, worauf unbefangene Richter hingewiesen hätten. Stattdessen würden die Richter dies contra legem fordern. Dass im Verfahren BVerwG 1 WB 50.22 nach Eingang der Stellungnahmen der Parteien nun über die fraglichen Rechtsfragen entschieden werden solle, ändere daran nichts.
7 Der dienstlichen Äußerung des Vorsitzenden Richters ... möge man zwar entnehmen, dass kein Vorsatz bestanden habe, bestimmte Fragen in den bisherigen Covid-19-Verfahren nicht zu prüfen; dies ändere jedoch nichts an der zumindest in den Verfahren BVerwG 1 WB 2.22 und BVerwG 1 WB 5.22 unterlassenen Zuständigkeits- und damit Rechtmäßigkeitsprüfung, womit eine vorsätzliche Verletzung der Amtsermittlungspflicht vorliege. Könnten formelle Verfahrensfehler zu einer stattgebenden Entscheidung veranlassen, seien - wie erwähnt - die diesbezüglichen Tatsachen vorab von Amts wegen aufzuklären. Die erkennbar hohe Wahrscheinlichkeit, dass auch in dem von ihm betriebenen Verfahren eine Rechtmäßigkeitsprüfung (teilweise) unterlassen werde, rechtfertige somit auch bei diesem Richter die Besorgnis der Befangenheit. Dies gelte umso mehr, als er in der mündlichen Verhandlung geäußert habe, es sei ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse erforderlich.
II
8 1. Der 1. Wehrdienstsenat entscheidet über das Ablehnungsgesuch ohne Mitwirkung der ihm angehörenden Richter ..., ... und ..., da gegen sie die Besorgnis der Befangenheit geltend gemacht wird (§ 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 54 Abs. 1 VwGO, § 45 Abs. 1 ZPO).
9 2. Da damit dem 1. Wehrdienstsenat lediglich noch der - ausweislich des Beschlusses des 1. Wehrdienstsenats vom 27. August 2024 - BVerwG 1 WB 40.23 - nicht wegen Besorgnis der Befangenheit ausgeschlossene - Richter ... angehört, haben über das Ablehnungsgesuch gemäß C. III. 1. Satz 2 des Geschäftsverteilungsplans des Bundesverwaltungsgerichts für das Geschäftsjahr 2024 ergänzend vertretungsweise die Berufsrichter des 2. Wehrdienstsenats - Prof. Dr. Burmeister und Dr. Henke - zu befinden. Der Mitwirkung ehrenamtlicher Richter bedarf es nicht, weil im Ablehnungsverfahren keine abschließende Entscheidung zur Sache getroffen wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Oktober 2022 - 1 WB 48.22 - NVwZ 2023, 173 Rn. 26 m. w. N.).
10 3. Das Ablehnungsgesuch hat keinen Erfolg.
11 a) Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die für befangen erachteten Richter berechtigt gewesen wären, gleichwohl in der Sache zu entscheiden. Denn das sich gegen den ganzen Spruchkörper richtende Ablehnungsgesuch wird im Wesentlichen damit begründet, dass die Richter eine Vorentscheidung getroffen oder Handlungen vorgenommen haben, die nach der Prozessordnung vorgeschrieben sind oder sich aus der Stellung des Richters ergeben (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 20. April 2018 - L 12 AS 235/17 - juris Rn. 28; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 5. Oktober 2022 - 1 WB 48.22 - NVwZ 2023, 173 Rn. 29 ff.).
12 b) Jedenfalls ist es unbegründet.
13 Bei den Richtern liegen weder gesetzliche Ausschließungsgründe nach § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 54 Abs. 1 VwGO, § 41 ZPO und § 54 Abs. 2 VwGO (BVerwG, Beschlüsse vom 30. Januar 2018 - 1 WB 12.17 - juris Rn. 5 und vom 11. März 2021 - 1 WB 27. 20 - juris Rn. 5) vor, noch ist deren Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit gerechtfertigt. Einen Ausschluss aus sonstigen Gründen verbietet der Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG; BVerwG, Beschlüsse vom 18. August 2022 - 1 WB 46.22 , 1 W-VR 15.22 - juris Rn. 8 und vom 5. Oktober 2022 - 1 WB 48.22 - NVwZ 2023, 173 Rn. 43 m. w. N.).
14 aa) Nach dem gemäß § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO entsprechend anwendbaren § 54 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 42 Abs. 2 ZPO setzt die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit einen Grund voraus, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen, nicht hingegen, dass dieser tatsächlich befangen, voreingenommen oder parteiisch ist. Es genügt zwar, wenn vom Standpunkt eines Beteiligten aus gesehen hinreichend objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass geben, an der Unparteilichkeit eines Richters zu zweifeln, mithin bereits der "böse Schein" besteht. Die ausschließlich subjektive Besorgnis, für die bei Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, reicht indes nicht aus (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. August 2022 - 1 WB 46.22 , 1 W-VR 15.22 - Rn. 9 m. w. N.). Der Standpunkt dessen, der die Parteilichkeit geltend macht, ist nicht ausschlaggebend; entscheidend ist vielmehr, ob seine Befürchtung auch objektiv berechtigt ist (EGMR, Urteil vom 16. Februar 2021 - 1128/17 - NJW 2021, 2947 Rn. 46). Hiernach ist eine Besorgnis der Befangenheit zu verneinen.
15 bb) Das Ablehnungsverfahren dient nicht dazu, richterliche Entscheidungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen oder einem Verfahrensbeteiligten eine Handhabe zu geben, in dem von ihm betriebenen Verfahren einen seinem Anliegen gewogenen Richter auszuwählen, der seine Rechtsauffassung teilt. Es soll Verfahrensbeteiligte ausschließlich vor einer persönlichen Voreingenommenheit des Richters, nicht aber vor der Rechtsanwendung durch den Richter schützen. Deshalb kann allein aus der richterlichen Vorbefassung mit einer auch im anhängigen Verfahren entscheidungserheblichen Rechtsfrage grundsätzlich keine Besorgnis der Befangenheit abgeleitet werden (BVerwG, Beschluss vom 18. August 2022 - 1 WB 46.22 , 1 W-VR 15.22 - juris Rn. 10 m. w. N.). Dies gilt auch angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Urteil vom 16. Februar 2021 - 1128/17 - NJW 2021, 2947 Rn. 48; betreffend die Vorbefassung eines Strafrichters OLG Oldenburg, Beschluss vom 10. Juni 2022 - 1 Ws 203/22, 1 Ws 204/22 - NJW 2022, 2631 Rn. 10).
16 (1) Folglich begründet keine Besorgnis der Befangenheit, dass die für befangen erachteten hauptamtlichen Richter bei früheren Beschlüssen über die Aufnahme der Covid-19-Impfung in das Basisimpfschema nicht das entsprechende Originaldokument der Bundesministerin für Verteidigung angefordert haben und nicht der Frage einer zeitlich stimmigen Umsetzung dieser Anordnung nachgegangen sind. Denn es liegt schon kein Verstoß gegen § 18 Abs. 2 Satz 1 WBO vor, der allenfalls bei willkürlicher Handhabung eine solche Besorgnis indizieren könnte. Die Aufklärungspflicht besteht in dem Umfang, wie er zur Entscheidung erforderlich ist (Dau/Scheuren, WBO, 8. Aufl. 2024, § 18 Rn. 19). Die Aufklärung bis dato unstreitiger Umstände drängte sich seinerzeit mangels Anhaltspunkten für die Anordnung durch eine dritte Person nicht auf (BVerwG, Beschluss vom 28. Mai 2013 - 7 B 46.12 - juris Rn. 4), so dass es sich innerhalb pflichtgemäßen Ermessens (BVerwG, Beschluss vom 30. Juni 2014 - 4 B 51.13 - juris Rn. 4 m. w. N.) bewegte, in den Verfahren BVerwG 1 WB 2.22 und BVerwG 1 WB 5.22 eine Aufklärung insoweit nicht für erforderlich zu erachten. Nachdem im noch anhängigen Verfahren BVerwG 1 WB 50.22 diesbezügliche Zweifel geäußert worden sind, hat der 1. Wehrdienstsenat ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 29. Mai 2024 dem durch die Anforderung der Anordnung der Ministerin vom 24. November 2021 Rechnung getragen, was zusätzlich die Annahme des Soldaten widerlegt, die Richter verschlössen sich bewusst Umständen, denen ein Verfahrensbeteiligter Bedeutung beimisst.
17 (2) Dasselbe gilt für die Rüge, die Richter wollten der Klärung der Zuständigkeitsfrage gezielt dadurch ausweichen, dass sie ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse forderten. Ungeachtet dessen, dass auch hier lediglich eine fehlerhafte Rechtsanwendung gerügt wird, beruht die Rüge auf einem unzutreffenden Rechtsverständnis des Antragstellers. Denn die Zulässigkeitsprüfung, zu der bei einem Fortsetzungsfeststellungsbegehren grundsätzlich auch das Fortsetzungsfeststellungsinteresse zählen kann, ist vorgreiflich der Begründetheitsprüfung, innerhalb derer erst dann der Frage nachzugehen ist, ob eine Maßnahme von der zuständigen Stelle angeordnet wurde.
18 (3) Entsprechendes gilt für die Rüge, zu Unrecht werde ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse verlangt. Die wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnten Richter haben insoweit in der mündlichen Verhandlung zum Verfahren BVerwG 1 WB 50.22 als ihre vorläufige Rechtsauffassung zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei der Änderung des Basisimpfschemas nicht um einen Befehl, bei dem nach § 19 Abs. 1 Satz 2 WBO kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse erforderlich ist, sondern um eine andere Maßnahme handele, bei der gemäß § 19 Abs. 1 Satz 3 WBO ein berechtigtes Interesse an der Feststellung Voraussetzung ist. Rechtsstaatliche Erfordernisse und namentlich der Anspruch auf rechtliches Gehör gebieten es insoweit geradezu, die Verfahrensbeteiligten auf diese gerichtliche Einschätzung hinzuweisen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 27. September 2018 - 1 BvR 426/13 - juris Rn. 2; siehe auch § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO).
19 (4) Konkrete Umstände, die dafür streiten könnten, dass die Rechtsauffassung der Richter auf einer persönlichen Voreingenommenheit dem Soldaten gegenüber beruht, sind ebenfalls nicht ersichtlich.