Beschluss vom 28.10.2025 -
BVerwG 2 B 37.25ECLI:DE:BVerwG:2025:281025B2B37.25.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 28.10.2025 - 2 B 37.25 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:281025B2B37.25.0]
Beschluss
BVerwG 2 B 37.25
- VG Düsseldorf - 11.03.2022 - AZ: 35 K 6559/20
- OVG Münster - 07.05.2025 - AZ: 31 A 876/22.O
In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 28. Oktober 2025 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kenntner und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden und Dr. Hissnauer beschlossen:
- Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 7. Mai 2025 wird zurückgewiesen.
- Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
1 Der Rechtsstreit betrifft ein beamtenrechtliches Disziplinarklageverfahren.
2 1. Der 19.. geborene Beklagte stand bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit mit Ablauf des Monats Mai 2016 im Dienst des klagenden Landes, zuletzt als Kriminalhauptkommissar (Besoldungsgruppe A 11 LBesG NRW). Zuvor hatte der Beklagte seit dem 21. Juni 2012 keinen Dienst mehr geleistet.
3 Vor diesem Hintergrund ließ der Kläger den Beklagten 2013 sowohl vom polizeiärztlichen Dienst als auch auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet begutachten. Da die Gutachter zu dem Ergebnis kamen, dem Beklagten seien allgemeine Bürodienste und Verwaltungsarbeiten zumutbar und möglich, forderte das Polizeipräsidium ... den Beklagten im Januar 2014 auf, seinen Dienst im Rahmen einer Wiedereingliederung aufzunehmen und im Falle einer Arbeitsunfähigkeit umgehend den polizeiärztlichen Dienst aufzusuchen. Der Beklagte kam der Aufforderung nicht nach, sondern legte vielmehr — wie bereits zuvor — nur eine privatärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor.
4 Mit Verfügung vom März 2014 ordnete das Polizeipräsidium ... mit Sofortvollzug an, dass der Beklagte die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sowie jede weitere privatärztlich attestierte krankheitsbedingte Abwesenheit unverzüglich durch ein Gesundheitszeugnis des zuständigen polizeiärztlichen Dienstes zu überprüfen und nachzuweisen habe. Auch dieser Anordnung kam der Beklagte nicht nach.
5 Mit Bescheid vom April 2014 leitete das Polizeipräsidium ... ein Verlustfeststellungsverfahren gegen den Beklagten ein und stellte mit Bescheid vom September 2014 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung den Verlust der Dienstbezüge ab Februar 2014 fest. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies es mit Widerspruchsbescheid vom Juni 2015 zurück. Ein gerichtlich angestrengtes Eilverfahren blieb in beiden Instanzen ebenso ohne Erfolg wie das sich anschließende Hauptsacheverfahren. In seinem Urteil vom März 2017 führte das Verwaltungsgericht aus, der Beklagte sei dem Dienst vom 3. Februar 2014 bis einschließlich 30. November 2015 — zwischenzeitlich hatte der polizeiärztliche Dienst aufgrund einer Begutachtung des Beklagten am 1. Dezember 2015 zum vorgenannten Datum die Dienstunfähigkeit des Beklagten festgestellt — schuldhaft ohne rechtfertigenden Grund ferngeblieben. Es könne dahinstehen, ob er in diesem Zeitraum dienstfähig oder dienstunfähig gewesen sei, denn er habe die von ihm behauptete Dienstunfähigkeit nicht durch amtsärztliche Untersuchung nachgewiesen. Er habe weder die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom Januar 2014 noch spätere privatärztlich attestierte krankheitsbedingte Abwesenheiten unverzüglich durch ein Gesundheitszeugnis des zuständigen polizeiärztlichen Dienstes überprüfen lassen.
6 In dem zuvor mit Verfügung vom 23. Juli 2015, dem Beklagten zugestellt am 19. August 2015, eingeleiteten Disziplinarverfahren hat der Kläger nach dessen Ausdehnung im November 2020 Disziplinarklage erhoben. Das Verwaltungsgericht hat dem Beklagten mit Urteil vom März 2022 das Ruhegehalt aberkannt. Dessen hiergegen gerichtete Berufung hat das Berufungsgericht mit Urteil vom Mai 2025 zurückgewiesen.
7 Zur Begründung hat es ausgeführt, das Verwaltungsgericht habe dem Beklagten zu Recht das Ruhegehalt aberkannt. Auf der Grundlage der Feststellungen des Verwaltungsgerichts im Verlustfeststellungsverfahren stehe mit Bindungswirkung für das Disziplinarverfahren fest, dass der Beklagte vom 3. Februar 2014 bis zum 30. November 2015 schuldhaft ungenehmigt dem Dienst ferngeblieben sei und schuldhaft die Anordnung nicht befolgt habe, privatärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen durch den polizeiärztlichen Dienst bestätigen zu lassen. Der Beklagte habe ein innerdienstliches Dienstvergehen begangen, das nach einer Gesamtwürdigung sämtlicher zu berücksichtigender Umstände zur Aberkennung des Ruhegehalts führe. Trotz der verspäteten Einleitung des Disziplinarverfahrens könne von der Höchstmaßnahme nicht abgesehen werden. Es bestünden keine Zweifel daran, dass der Beklagte die Dienstpflichtverletzungen auch dann nicht beendet hätte, wenn das Disziplinarverfahren gegen ihn bereits im April 2014 eingeleitet worden wäre. Denn der Beklagte habe sich von seinem pflichtwidrigen Verhalten selbst nach Einleitung des Disziplinarverfahrens im August 2015 nicht abbringen lassen, nachdem bereits zuvor die gegen die Verfügung vom März 2014 gerichteten Eilverfahren in zwei verwaltungsgerichtlichen Instanzen ohne Erfolg geblieben seien.
8 Abgesehen davon wäre – "selbstständig tragend" – die Aberkennung des Ruhegehalts auch dann auszusprechen, wenn man davon ausgehe, die verspätete Einleitung des Disziplinarverfahrens sei bei der Maßnahmebemessung mildernd zu berücksichtigen. Unterstelle man, dass die Vorstellung des Beklagten beim polizeiärztlichen Dienst eine "Abkehr" von seinem Fehlverhalten zum Ausdruck bringe, sei entscheidend, dass der Beklagte diese "Abkehr" am 1. Dezember 2015 und damit erst zu einem Zeitpunkt vollzogen habe, als die Zustellung der Einleitungsverfügung mehr als zwei Monate zurückgelegen habe. Auch ein derartiger Zeitraum unerlaubten Fernbleibens vom Dienst führe bei Fehlen durchgreifender mildernder Gesichtspunkte dazu, dass die disziplinare Höchstmaßnahme ausgesprochen werden müsse.
9 2. Die auf Divergenz (§ 67 Satz 1 LDG NRW i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) sowie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 67 Satz 1 LDG NRW i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.
10 a) Die Revision ist nicht wegen der von der Beschwerde geltend gemachten Divergenz (§ 67 Satz 1 LDG NRW i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.
11 Eine die Revisionszulassung nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO begründende "Abweichung" liegt nur vor, wenn zwischen den Gerichten ein grundsätzlicher Meinungsunterschied hinsichtlich der die Rechtsanwendung im Einzelfall bestimmenden Maßstäbe besteht. Die Divergenzrüge setzt deshalb die Darlegung eines prinzipiellen Auffassungsunterschieds über den Bedeutungsgehalt eines im konkreten Rechtsstreit erheblichen Rechtssatzes voraus. Die bloße Behauptung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge dagegen nicht. Das Revisionszulassungsrecht kennt - anders als die Vorschriften über die Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) – den Zulassungsgrund ernstlicher Richtigkeitszweifel nicht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 9. April 2014 - 2 B 107.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 3, vom 14. Dezember 2023 - 2 B 45.22 - NVwZ-RR 2024, 519 Rn. 16, vom 18. Dezember 2024 - 2 B 21.24 - juris Rn. 7 m. w. N. und vom 16. Juli 2025 - 2 B 20.25 - juris Rn. 41).
12
aa) Die von der Beschwerde behauptete Divergenz zur Rechtsprechung des beschließenden Senats (Urteil vom 12. November 2020 - 2 C 6.19 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 81 Rn. 17 f.) liegt nicht vor. In vorgenannter Entscheidung hat der Senat ausgeführt:
"Die Dienstfähigkeit ist ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des unerlaubten Fernbleibens vom Dienst. (...). Ein typischer Anwendungsfall der Dienstunfähigkeit liegt in der Erkrankung des Beamten, die das Fernbleiben vom Dienst rechtfertigt.
(...)
Der Beamte muss die Erkrankung spätestens am folgenden Tag anzeigen und auf Verlangen des Dienstherrn durch ärztliches Attest, bei längerer Dauer auch wiederholt, nachweisen. Die medizinische Beurteilung eines Amts- oder Polizeiarztes oder eines vom Amts- oder Polizeiarzt hinzugezogenen Facharztes genießt für die Entscheidung über die aktuelle Dienstfähigkeit (Arbeitsfähigkeit) eines Beamten Vorrang vor der medizinischen Beurteilung eines Privatarztes, wenn beide hinsichtlich desselben Krankheitsbildes inhaltlich voneinander abweichen."
13 Einen hiervon abweichenden Rechtssatz hat das Berufungsgericht nicht aufgestellt. Insoweit verkennt die Beschwerde, dass nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, die mangels einschlägiger und durchgreifender Verfahrensrügen auch in einem Revisionsverfahren bindend wären (§ 137 Abs. 2 VwGO), die Dienstunfähigkeit des Beklagten (erst) aufgrund der Untersuchung durch den polizeiärztlichen Dienst am 1. Dezember 2015 festgestellt worden ist. Diese Feststellung bezog sich - entgegen der Auffassung der Beschwerde - nicht rückwirkend auf den davorliegenden Zeitraum, weshalb sich auch der disziplinare Vorwurf des unerlaubten Fernbleibens vom Dienst nur bis zum 30. November 2015 erstreckt. Diesbezüglich steht aufgrund der im Verlustfeststellungsverfahren getroffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts in dessen Urteil vom März 2017 mit bindender Wirkung (§ 56 Abs. 1 Satz 1 und § 65 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW) u. a. fest, dass der Beklagte dem Dienst vom 3. Februar 2014 bis einschließlich 30. November 2015 schuldhaft ohne rechtfertigenden Grund ferngeblieben ist. Diese Feststellungen hat das Berufungsgericht folgerichtig seiner Entscheidung zugrunde gelegt (vgl. UA S. 21 ff.). Die von der Beschwerde angenommene und aus ihrer Sicht eine Divergenz begründende Kongruenz zwischen den Aussagen zur Dienstunfähigkeit des Beklagten in den privatärztlichen Attesten und dem Gutachten des polizeiärztlichen Dienstes besteht vor dem 1. Dezember 2015 somit gerade nicht.
14 bb) Soweit die Beschwerde eine Abweichung von der Rechtsprechung des Senats auch im Zusammenhang mit den vom Berufungsgericht ausdrücklich selbständig tragend angestellten Erwägungen zur mildernden Berücksichtigung der verspäteten Einleitung des Disziplinarverfahrens annimmt (vgl. UA S. 28 f.), geht der Einwand ebenfalls fehl.
15 Ist eine Berufungsentscheidung - wie hier - selbständig tragend auf mehrere Gründe gestützt, kann die Revision nur zugelassen werden, wenn gegenüber jeder der Begründungen ein Revisionszulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. März 2016 - 2 B 66.15 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 62 Rn. 6 m. w. N. und vom 6. September 2022 - 2 B 44.21 - Buchholz 239.1 § 55 BeamtVG Nr. 32 Rn. 9 m. w. N.). Wie sich aus Vorstehendem ergibt (siehe aa), fehlt es hieran jedoch. Ungeachtet dessen erklärt sich die vermeintliche Divergenz auch insoweit mit der von den Feststellungen des Berufungsgerichts abweichenden Sachverhaltswürdigung durch die Beschwerde.
16 b) Die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 67 Satz 1 LDG NRW i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.
17 Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i. S. d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. Januar 2011 - 2 B 2.11 - NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4, vom 9. April 2014 - 2 B 107.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9, vom 24. April 2017 - 1 B 70.17 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 68 Rn. 3 m. w. N., vom 17. Dezember 2024 - 2 B 28.24 - juris Rn. 16 m. w. N. und vom 7. Mai 2025 - 2 B 38.24 - juris Rn. 5).
18
Die der Beschwerde bei rechtsschutzfreundlicher Auslegung als klärungsbedürftig zu entnehmende Frage,
ob ein unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst auch dann zu bejahen ist, wenn der Beamte Krankmeldungen einreicht und eine spätere Untersuchung von der Feststellung der Dienstunfähigkeit nicht abweicht,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Vielmehr bleibt die Beschwerde auch insoweit ohne Erfolg, weil die aufgeworfene Rechtsfrage ersichtlich in den Beschwerdevortrag zu den lediglich hilfsweise angestellten Erwägungen des Berufungsgerichts eingebettet ist.
19 Selbst wenn man dies anders sehen wollte, führte dies nicht zur Zulassung der Revision. Die von der Beschwerde bezeichnete Rechtsfrage würde sich in einem durchzuführenden Revisionsverfahren schon deshalb nicht stellen, weil der polizeiärztliche Dienst eine Dienstunfähigkeit des Beklagten, wie bereits ausgeführt, erst ab dem hier nicht streitgegenständlichen Zeitpunkt 1. Dezember 2015 angenommen hat.
20 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 74 Abs. 1 LDG NRW i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Werts des Streitgegenstands bedarf es nicht, weil für das Beschwerdeverfahren Festgebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 75 LDG NRW erhoben werden.