Beschluss vom 29.10.2025 -
BVerwG 3 BN 17.24ECLI:DE:BVerwG:2025:291025B3BN17.24.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 29.10.2025 - 3 BN 17.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:291025B3BN17.24.0]

Beschluss

BVerwG 3 BN 17.24

  • VGH München - 18.10.2024 - AZ: 20 N 20.2817

In der Normenkontrollsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 29. Oktober 2025 durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Rothfuß und Dr. Sinner beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. Oktober 2024 wird zurückgewiesen.
  2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Die Antragstellerin betreibt ein Beherbergungsunternehmen mit einem Gastronomiebetrieb. Sie begehrt die Feststellung, dass § 13 Abs. 1 und § 14 Abs. 1 der Achten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (8. BayIfSMV) vom 30. Oktober 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 616), die mit Ablauf des 30. November 2020 außer Kraft trat (§ 28 Satz 1 8. BayIfSMV), unwirksam waren. Die Vorschriften hatten folgenden Wortlaut:
§ 13
Gastronomie

  1. Gastronomiebetriebe jeder Art sind vorbehaltlich der Abs. 2 und 3 untersagt.
  2. Zulässig sind die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen und Getränken.
  3. Zulässig ist der Betrieb von nicht öffentlich zugänglichen Betriebskantinen, wenn gewährleistet ist, dass zwischen allen Gästen, die nicht zu dem in § 3 Abs. 1 bezeichneten Personenkreis gehören, ein Mindestabstand von 1,5 m eingehalten wird. Der Betreiber hat ein Schutz- und Hygienekonzept auszuarbeiten und auf Verlangen der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde vorzulegen.

§ 14
Beherbergung
  1. Übernachtungsangebote dürfen von Hotels, Beherbergungsbetrieben, Schullandheimen, Jugendherbergen, Campingplätzen und allen sonstigen gewerblichen Unterkünften nur für glaubhaft notwendige, insbesondere für berufliche und geschäftliche Zwecke zur Verfügung gestellt werden. Übernachtungsangebote zu touristischen Zwecken sind untersagt.

...

2 Der Verwaltungsgerichtshof hat den Antrag mit Beschluss vom 18. Oktober 2024 abgelehnt. Der Normenkontrollantrag sei zulässig, aber unbegründet. Die infektionsschutzrechtliche Generalklausel des § 32 Satz 1 IfSG i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG sei bei Erlass und während der Geltungsdauer der angegriffenen Regelungen eine verfassungsgemäße Grundlage für die Schließung von Gastronomiebetrieben und Beherbergungsbetrieben zu touristischen Zwecken gewesen. Sie habe in der maßgeblichen Zeit sowohl den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG) als auch denen des Parlamentsvorbehalts als einer Ausformung des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips genügt. Die weitgehende Schließung von Beherbergungs- und Gastronomiebetrieben sei verhältnismäßig und damit eine notwendige Schutzmaßnahme im Sinne von § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG gewesen. Auf der Grundlage der Erkenntnisse und Einschätzungen des hierzu berufenen Robert Koch-Instituts (§ 4 IfSG) habe in dem hier fraglichen Zeitraum eine ernste Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung bestanden und es habe - jedenfalls regional - eine Überlastung des Gesundheitssystems gedroht.

3 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen seinen Beschluss nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde der Antragstellerin.

II

4 Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

5 Die Rechtssache hat nicht die von der Antragstellerin geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

6 Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das ist gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO darzulegen und setzt die Formulierung einer bestimmten, jedoch fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, deren noch ausstehende höchstrichterliche Klärung zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint und im Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 13. April 2017 - 3 B 48.16 - juris Rn. 3 und vom 3. Februar 2025 - 3 BN 4.24 - juris Rn. 7, jeweils m. w. N.). Ist eine Rechtsfrage bereits bundesgerichtlich beantwortet, kommt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nur in Betracht, wenn die Beschwerde neue rechtliche Gesichtspunkte aufzeigt, die ein Überdenken der bisherigen Rechtsprechung erforderlich machen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 9. Juli 2019 - 6 B 2.18 - NVwZ 2019, 1771 Rn. 7 und vom 27. Juni 2024 - 6 B 3.24 - NVwZ 2024, 1772 Rn. 9, jeweils m. w. N.).

7 1. Die erste von der Antragstellerin aufgeworfene Frage
"Ist die infektionsschutzrechtliche Generalklausel des § 32 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG eine hinreichend klare und spezifische Grundlage für weitreichende Eingriffe wie Betriebsschließungen, oder sind spezifische, parlamentarisch legitimierte Regelungen erforderlich, um das Bestimmtheitsgebot (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG) und den Parlamentsvorbehalt zu wahren?"
bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, denn sie ist durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantwortet. Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die infektionsschutzrechtliche Generalklausel des § 32 in Verbindung mit § 28 Abs. 1 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045) in der Fassung des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587) − im Folgenden: IfSG − bis zum Inkrafttreten des § 28a IfSG in der Fassung des Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 (BGBl. I S. 2397) am 19. November 2020 eine verfassungsgemäße Grundlage für Regelungen wie die hier angegriffenen Betriebsschließungen durch die 8. BayInfSMV war (vgl. BVerwG, Urteile vom 22. November 2022 - 3 CN 1.21 - BVerwGE 177, 60 Rn. 34 ff. und vom 16. Mai 2023 - 3 CN 4.22 - BVerwGE 178, 298 Rn. 34 ff., - 3 CN 5.22 - NVwZ 2023, 1846 Rn. 24 ff. und - 3 CN 6.22 - BVerwGE 178, 322 Rn. 21 ff.). Inwieweit diese Rechtsprechung, auf die sich der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung gestützt hat (BA Rn. 24), klärungsbedürftige Fragen im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot und den Parlamentsvorbehalt offen lässt, legt die Beschwerde nicht dar.

8 2. Die weitere Frage
"Welche Rolle spielen individuelle Hygienekonzepte und Schutzmaßnahmen der betroffenen Betriebe bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung von pauschalen Betriebsschließungen?"
ist einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich, da ihre Beantwortung von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles abhängen würde, insbesondere von den jeweiligen Hygienekonzepten, den damaligen Erkenntnissen zu ihrer Wirksamkeit und der damaligen Infektionslage (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 2024 - 3 CN 12.22 - juris Rn. 19).

9 3. Auch die dritte Frage
"In welchem Umfang dürfen Gerichte allgemeine epidemiologische Einschätzungen und Prognosen heranziehen, ohne die spezifischen Umstände eines betroffenen Betriebs hinreichend zu berücksichtigen?"
führt nicht auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, da ihre Beantwortung von den tatsächlichen Umständen des jeweiligen Einzelfalles abhängen würde.

10 Was aus dem Urteil des Senats vom 16. Mai 2023 - 3 CN 6.22 - BVerwGE 178, 322 insoweit folgen soll, legt die Beschwerde nicht dar. Sollte sie daran anknüpfen wollen, dass die Schließung von Fitnessstudios durch § 4 Abs. 1 Nr. 4 SächsCoronaSchVO ohne die für Einrichtungen des Freizeit- und Amateursportbetriebs in § 4 Abs. 1 Nr. 6 Satz 1 SächsCoronaSchVO vorgesehene Ausnahme für den Individualsport mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unvereinbar war (a. a. O. Rn. 74 ff.), hätte es der Formulierung einer hier entscheidungserheblichen fallübergreifenden Frage bedurft.

11 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.