Beschluss vom 09.03.2021 -
BVerwG 2 B 6.21ECLI:DE:BVerwG:2021:090321B2B6.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 09.03.2021 - 2 B 6.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:090321B2B6.21.0]

Beschluss

BVerwG 2 B 6.21

  • VG Wiesbaden - 06.12.2018 - AZ: VG 28 K 1489/16.WI.D
  • VGH Kassel - 16.11.2020 - AZ: OVG 28 A 386/19.D

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. März 2021
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden und Dr. Hartung
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. November 2020 wird verworfen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 1. Der 1984 geborene Beklagte steht als Justizsekretär im Dienst des klagenden Landes. Im Jahr 2015 erging gegen den Beklagten ein amtsgerichtlicher Strafbefehl, in dem wegen Straftaten nach §§ 242, 248a StGB, die auch Gegenstand des vorliegenden Disziplinarverfahrens sind, eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen gegen ihn verhängt wurde. Auf die im September 2016 erhobene Disziplinarklage hat das Verwaltungsgericht den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Der Verwaltungsgerichtshof hat die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt:

2 Der Beklagte habe in der Zeit vom 8. November bis 4. Dezember 2013 an vier näher bezeichneten Tagen vier Geldscheine im Wert von insgesamt 50 € und einen weiteren (nicht bezifferten) geringen Geldbetrag aus der Handtasche bzw. Geldbörse einer Kollegin entwendet und an sich genommen, wobei er die ihm als Mitarbeiter der Poststelle der Dienststelle anvertrauten Schlüssel zu deren Dienstzimmer genutzt habe. Dadurch habe er seine innerdienstliche Pflicht verletzt, sein Amt uneigennützig wahrzunehmen und sich achtungs- und vertrauensgerecht zu verhalten. Der von der gesetzlichen Strafandrohung (Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren) abgeleitete Orientierungsrahmen für die disziplinare Maßnahmebemessung reiche bis zur Höchstmaßnahme. Unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des konkret begangenen Dienstvergehens sei dieser Orientierungsrahmen auszuschöpfen und die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis die angemessene Disziplinarmaßnahme. Dass der Beklagte die ihm als Mitarbeiter der Poststelle eröffnete Möglichkeit, jederzeit die Büros der Kollegen zu betreten, und das ihm dadurch entgegengebrachte Vertrauen missbraucht habe, wiege schwer. Die Geringwertigkeit der entwendeten Geldbeträge führe zu keiner Milderung. Eine Milderung scheide nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung aus, wenn wegen der konkreten Tatausführung oder auf andere Weise zusätzlich belastende Umstände hinzutreten. In diesem Sinne erschwerend sei nicht nur, dass ein Kollegendiebstahl stets mit einem besonderen Vertrauensbruch verbunden sei, sondern dass der Beklagte mit dem Zugriff auf die Handtasche bzw. Geldbörse seiner Kollegin in deren höchstpersönlichen Bereich eingedrungen sei und dabei von seiner Bekanntschaft und dem guten Verhältnis mit ihr profitiert und ihre darauf beruhende Arglosigkeit bewusst ausgenutzt habe. Gegen eine Maßnahmemilderung wegen des geringen Werts des entwendeten Betrages spreche weiter, dass es sich nicht um ein einmaliges Fehlverhalten, sondern um eine mehrfache Tatbegehung in einem relativ kurzen Zeitraum handele. Vor allem habe der Beklagte wohl bewusst stets nur kleine Beträge an sich genommen, damit dies nicht auffalle und um die Taten fortsetzen zu können. Nach der zeugenschaftlichen Vernehmung der ehemaligen Therapeutin des Beklagten lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beklagte sich zum Tatzeitpunkt in einer depressiven Phase befunden habe. Dasselbe gelte für eine vom Beklagten angeführte pathologische Spielsucht; dagegen sprächen sein zielstrebiges, berechnendes und arglistiges Handeln, sein Zugriff auf relativ geringe Beträge, das Fehlen jeglicher Hinweise auf eine suchttypische Situation sowie der Umstand, dass der Beklagte sich zu keinem Zeitpunkt deswegen in ärztliche Behandlung oder in eine stationäre Therapie begeben habe. Seine auch dazu vernommene ehemalige Therapeutin habe ebenfalls keine Anzeichen für eine Spielsucht erkannt.

3 2. Die hiergegen gerichtete, allein auf den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 73 HDG) gestützte Beschwerde des Beklagten ist als unzulässig zu verwerfen, weil sie den Anforderungen an die Darlegung eines Revisionszulassungsgrundes gemäß § 132 Abs. 2, § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO i.V.m. § 73 HDG nicht genügt (vgl. zu diesen Anforderungen zusammenfassend BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 f.).

4 a) Die Beschwerde rügt im Wesentlichen eine Abweichung des Berufungsurteils von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 25. Juli 2013 - 2 C 63.11 - BVerwGE 147, 229), wonach der disziplinare Orientierungsrahmen in den Fällen des sog. Kollegendiebstahls aufgrund einer Regeleinstufung bis zur Höchstmaßnahme reiche, wenn der entwendete Gesamtbetrag die Schwelle der Geringwertigkeit deutlich überschreite (ebenda Rn. 15), und dass - bei Verneinung dieser Grenze und ausgehend von einer Zurückstufung als Richtschnur für die Maßnahmebemessung - die Höchstmaßnahme nur in Betracht komme, wenn sich aus dem Persönlichkeitsbild oder aus dem Umfang des Vertrauensverlustes (§ 13 Abs. 1 Satz 3 und 4 BDG, entspricht § 16 Abs. 1 Satz 3 und 4 HDG) zusätzliche belastende Umstände ergeben. Solche hätten in dem angeführten Fall des Bundesverwaltungsgerichts vorgelegen (nämlich ein früheres Disziplinarverfahren und eine strafgerichtliche Verurteilung, die sich der dortige Beklagte nicht zur Warnung habe dienen lassen), während es im Streitfall an solchen Umständen fehle. Außerdem habe das Berufungsgericht entlastende Umstände fehlerhaft verneint.

5 b) Mit diesem Vorbringen ist eine für die erfolgreiche Divergenzrüge erforderliche Abweichung in den Rechtssätzen nicht dargetan.

6 aa) Dies ist schon deshalb der Fall, weil das Bundesverwaltungsgericht die der in Bezug genommenen Entscheidung zugrundeliegende Rechtsprechung zu einer "Regeleinstufung" von Zugriffsdelikten zu Lasten des Dienstherrn oder einem diesem gleichstellten Delikt - wie dem hier gegebenen Kollegendiebstahl - später ausdrücklich aufgegeben hat (BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2015 - 2 C 6.14 - BVerwGE 154, 10 Rn. 19 <unter Erwähnung auch des von der Beschwerde angeführten Urteils>). Auf eine aufgegebene oder überholte Rechtsprechung, an der das Bundesverwaltungsgericht nicht mehr festhält, kann eine Divergenz nicht gestützt werden (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 6. Mai 2014 - 2 B 90.13 - Buchholz 239.1 § 12 BeamtVG Nr. 22 Rn. 15, vom 7. Dezember 2015 - 2 B 79.14 - Buchholz 239.1 § 4 BeamtVG Nr. 3 Rn. 13 und vom 29. Juni 2017 - 2 B 77.16 - Buchholz 240 § 47 BBesG Nr. 18 Rn. 13 m.w.N.).

7 bb) Unabhängig davon wird vom Berufungsgericht - auf der Grundlage dieser von ihm auch zitierten (UA S. 21) neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - im Berufungsurteil eingehend begründet, dass und warum es im Fall des Beklagten - auch in Ansehung der Geringwertigkeit des Gesamtbetrages der entwendeten Geldbeträge (UA S. 21, 2. Absatz) - aufgrund der Umstände der Tatausführung zusätzliche, den Beklagten belastende bemessungsrelevante Umstände als gegeben ansieht. Dass die Beschwerde dies anders bewertet, betrifft die Ebene der tatrichterlichen Würdigung im konkreten Einzelfall, begründet aber keine Divergenz in Rechtssätzen und kann daher nicht zum Erfolg einer darauf gestützten Nichtzulassungsbeschwerde führen (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 24. Juni 2016 - 2 B 24.15 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 37 Rn. 13 m.w.N.).

8 cc) Dasselbe gilt für die von der Beschwerde des Weiteren angeführte Kritik, dass das Berufungsgericht im Streitfall eine psychische Ausnahmesituation (wegen Vorliegens einer depressiven Episode) und eine krankhafte Verhaltensstörung (in Form von Glücksspiel) verneint hat. Beides wird - wie unter Ziff. 1 dieses Beschlusses dargestellt - im Berufungsurteil eingehend tatrichterlich begründet, ohne dass die Beschwerde dazu auch nur ansatzweise eine Divergenz in Rechtssätzen zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder eines anderen divergenzfähigen Gerichts aufzeigt.

9 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes bedarf es nicht, weil die Gebühren für das gerichtliche Disziplinarverfahren gesetzlich festgelegt sind (§ 82 Abs. 1 Satz 1 HDG i.V.m. der zugehörigen Anlage <hier: Ziff. 62>).