Verfahrensinformation

Die Klägerin, eine Immobiliengesellschaft, wendet sich gegen die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts. Sie kaufte ein im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg gelegenes Grundstück, das mit einem Mehrfamilienhaus aus dem Jahre 1889 bebaut ist, in dem sich 20 Mietwohnungen und zwei Gewerbeeinheiten befinden. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich einer Erhaltungsverordnung, die dem Schutz der Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung aus besonderen städtebaulichen Gründen dient. Das zuständige Bezirksamt übte sein Vorkaufsrecht zugunsten einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft aus, um der Gefahr zu begegnen, dass ein Teil der Wohnbevölkerung aus dem Gebiet verdrängt wird, wenn im Anschluss an die Veräußerung die Wohnungen aufgewertet und die Mieten erhöht oder die Miet- in Eigentumswohnungen umgewandelt würden.


Die hiergegen gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision wendet sich die Klägerin gegen dessen Auffassung, die Ausübung des Vorkaufsrechts sei durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt. Das Oberverwaltungsgericht verfehle die rechtlichen Maßstäbe für den Nachweis einer konkreten Gefährdung der Erhaltungsziele und gehe insbesondere zu Unrecht davon aus, dass der Ausschlussgrund des § 26 Nr. 4 BauGB nicht gegeben sei.


Pressemitteilung Nr. 70/2021 vom 09.11.2021

Gemeindliches Vorkaufsrecht in Gebieten einer Erhaltungssatzung (Milieuschutzsatzung)

Das Vorkaufsrecht für ein Grundstück, das im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung bzw. -verordnung liegt, darf von der Gemeinde nicht auf der Grundlage der Annahme ausgeübt werden, dass der Käufer in Zukunft erhaltungswidrige Nutzungsabsichten verfolgen werde. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.


Die Klägerin, eine Immobiliengesellschaft, wendet sich gegen die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts. Sie erwarb ein im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg gelegenes Grundstück, das mit einem Mehrfamilienhaus aus dem Jahre 1889 bebaut ist, in dem sich 20 Mietwohnungen und zwei Gewerbeeinheiten befinden. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich einer Verordnung, die dem Schutz der Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung aus besonderen städtebaulichen Gründen dient (sog. Milieuschutzsatzung). Das Bezirksamt übte das Vorkaufsrecht zugunsten einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft aus, um der Gefahr zu begegnen, dass ein Teil der Wohnbevölkerung aus dem Gebiet verdrängt wird, wenn im Anschluss an die Veräußerung die Wohnungen aufgewertet und die Mieten erhöht oder die Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt würden.


Die hiergegen gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht hat ausgeführt, dass das Wohl der Allgemeinheit die Ausübung des Vorkaufsrechts rechtfertige. Die sozialen Erhaltungsziele würden gefördert. Werde das Vorkaufsrecht nicht ausgeübt, seien nach Lage der Dinge die vom Bezirksamt aufgezeigten erhaltungswidrigen Entwicklungen zu befürchten. Ein gesetzlicher Ausschlussgrund für die Ausübung des Vorkaufsrechts liege nicht vor; die zu erwartenden Nutzungen des Erwerbers seien ebenfalls zu berücksichtigen.


Das Bundesverwaltungsgericht ist dem nicht gefolgt; es hat das Berufungsurteil aufgehoben und der Klage stattgegeben. Der Beklagte durfte sein Vorkaufsrecht nach § 24 Abs. 1 Nr. 4 BauGB für das im Geltungsbereich einer Erhaltungsverordnung gelegene Grundstück nicht ausüben. Nach § 26 Nr. 4 Alt. 2 BauGB ist die Ausübung des Vorkaufsrechts ausgeschlossen, wenn das Grundstück entsprechend den Zielen oder Zwecken der städtebaulichen Maßnahmen bebaut ist und genutzt wird und eine auf ihm errichtete bauliche Anlage keine Missstände oder Mängel im Sinne des § 177 Abs. 2 und 3 Satz 1 aufweist. Diese Voraussetzungen liegen nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und für den Senat daher bindenden Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts vor.


§ 26 Nr. 4 BauGB ist nach seinem Wortlaut eindeutig auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung über das Vorkaufsrecht bezogen. Eine Auslegung in dem Sinne, dass die Vorschrift auf Vorkaufsrechte für Grundstücke im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung keine Anwendung findet, kommt nicht in Betracht. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber bei der Neuregelung des BauGB die alte Rechtslage nach dem BBauG insoweit unverändert übernehmen wollte und ihm dies bei der Gesetzesformulierung lediglich "misslungen" ist. Die vom Oberverwaltungsgericht angestellte Prüfung, ob zukünftig von erhaltungswidrigen Nutzungsabsichten auszugehen ist, scheidet daher aus.


BVerwG 4 C 1.20 - Urteil vom 09. November 2021

Vorinstanzen:

OVG Berlin-Brandenburg, 10 B 9.18 - Urteil vom 22. Oktober 2019 -

VG Berlin, 13 K 724.17 - Urteil vom 17. Mai 2018 -


Beschluss vom 31.01.2019 -
BVerwG 10 B 9.18ECLI:DE:BVerwG:2019:310119B10B9.18.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 31.01.2019 - 10 B 9.18 - [ECLI:DE:BVerwG:2019:310119B10B9.18.0]

Beschluss

BVerwG 10 B 9.18

  • VG Magdeburg - 27.03.2018 - AZ: VG 5 A 457/14 MD

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 31. Januar 2019
durch
den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rublack und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller
beschlossen:

  1. Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 27.  März 2018 wird aufgehoben. Die Revision wird zugelassen.
  2. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Gründe

1 Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung von Eigentum an dem Gebäude "Kälberstall" auf einem ihm gehörenden Grundstück (Gemarkung S., Flur 5, Flurstück 173/7, verzeichnet im Grundbuch von S., Blatt ...) zugunsten der Beigeladenen zu 1. Das Grundstück gehörte ursprünglich E. G. Zwischen 1960 und 1965 errichtete die LPG H. S. auf dem Grundstück mehrere Gebäude. 1990 schenkte V. G. das Grundstück B. G., der 1991 von der LPG Tierproduktion K., der Rechtsnachfolgerin der LPG H. S., zwei auf dem Grundstück befindliche Gebäude erwarb. 1995 beantragte die Beigeladene zu 1 als Rechtsnachfolgerin nach der LPG Tierproduktion K. die Feststellung von Gebäudeeigentum an dem Gebäude "Kälberstall". 1997 nahm sie diesen Antrag zurück. 2011 übertrug B. G. das Eigentum an dem Grundstück auf den Kläger. 2014 übertrug die Beigeladene zu 1 ihre Antragsbefugnis für die Feststellung von Eigentum am Gebäude "Kälberstall" auf den Beigeladenen zu 2, der die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragte. Mit Bescheid vom 22. Mai 2014 stellte das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen fest, dass an dem Gebäude "Kälberstall" am 3. Oktober 1990 selbständiges Gebäudeeigentum bestanden hat, und ordnete dies der Beigeladenen zu 1 zu. Das Verwaltungsgericht hat die Klage hiergegen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, Rechtsgrundlage für die Feststellung des Gebäudeeigentums und dessen Zuordnung sei Art. 233 § 2b Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 EGBGB i.V.m. § 27 Satz 1 LPGG. E. G. habe das Grundstück 1957 in die LPG H. S. eingebracht. Die LPG habe das Gebäude "Kälberstall" zwischen 1960 und 1965 auf Grundlage zweier Baugenehmigungen errichtet. Weder der Vater des Klägers noch der Kläger selbst hätten das Gebäudeeigentum gutgläubig erworben. Der Anspruch der Beigeladenen zu 1 sei auch nicht verjährt oder verwirkt.

2 Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist begründet. Der Rechtssache kommt die von dem Kläger geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zu. Seine Begründung führt auf die Rechtsfrage, ob die Feststellung und Zuordnung von Gebäudeeigentum nach Art. 233 § 2b Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 EGBGB i.V.m. § 27 Satz 1 LPGG auch dann erfolgen darf, wenn der materiell Zuordnungsberechtigte keinen wirksamen Zuordnungsantrag gestellt hat. Das Verwaltungsgericht ist lediglich von einem wirksamen Zuordnungsantrag des Beigeladenen zu 2 ausgegangen und hat offengelassen, ob ein solcher auch für die Beigeladene zu 1 vorliegt. Die Zuordnung des Gebäudeeigentums am "Kälberstall" an die Beigeladene zu 1 hat es als rechtmäßig angesehen. Damit hat es einen Zuordnungsanspruch der Beigeladenen zu 1 auch für den Fall bejaht, dass diese keinen wirksamen Zuordnungsantrag gestellt hat.

Rechtsbehelfsbelehrung


Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 10 C 5.19 fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (§ 55a Abs. 1 bis 6 VwGO sowie Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach vom 24. November 2017, BGBl. I S. 3803) einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO, § 5 Nr. 6 Alt. 2 RDGEG vertreten lassen.