Beschluss vom 31.07.2017 -
BVerwG 2 B 30.17ECLI:DE:BVerwG:2017:310717B2B30.17.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 31.07.2017 - 2 B 30.17 - [ECLI:DE:BVerwG:2017:310717B2B30.17.0]
Beschluss
BVerwG 2 B 30.17
- VG Münster - 07.10.2013 - AZ: VG 20 K 1267/12.BDG
- OVG Münster - 20.02.2017 - AZ: OVG 3d A 2596/13.BDG
In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 31. Juli 2017
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden
und Dr. Kenntner
beschlossen:
- Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 20. Februar 2017 wird zurückgewiesen.
- Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
1 1. Der 1953 geborene Beklagte ist Technischer Fernmeldeamtsrat (Besoldungsgruppe A 12) im Bundesdienst. Nach der Privatisierung der Deutschen Bundespost wurde er bei der Deutschen Telekom AG beschäftigt und im Jahr 2003 zur Personal Service Agentur - zwischenzeitlich: Vivento - versetzt. Im Januar 2006 leitete der Vorstand der Deutschen Telekom AG ein Disziplinarverfahren gegen den Beklagten ein wegen ungenehmigten Fernbleibens vom Dienst. Ein im Oktober 2006 beim Verwaltungsgericht gestellter Antrag des Beklagten auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen seine Beschäftigung als Projektmanager wurde noch im selben Monat abgelehnt.
2 Mit Bescheiden vom Dezember 2006, Februar 2008 und Juni 2008 wurde der Verlust der Dienstbezüge für vier Zeitabschnitte zwischen Oktober 2006 und Juni 2008 über insgesamt ca. siebeneinhalb Monate festgestellt. Alle Bescheide wurden nach erfolglosen verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren bestandskräftig.
3 Auf die im Februar 2012 erhobene Disziplinarklage hat das Verwaltungsgericht den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Das unerlaubte Fernbleiben vom Dienst über mehrere Zeiträume von insgesamt 235 Tagen innerhalb von zwei Jahren rechtfertige die Höchstmaßnahme. Hinsichtlich der vom Beklagten angeführten gesundheitlichen Beeinträchtigungen (Rückenbeschwerden), die aus seiner Sicht eine entsprechende Ausstattung des Arbeitsplatzes erforderten, hätte es ihm oblegen, dies substantiiert darzulegen, ggf. gegen eine diesbezügliche Ablehnung des Dienstherrn zu remonstrieren und gerichtlich vorzugehen oder eine entsprechende ärztliche Bescheinigung vorzulegen. Auch hätte er unverzüglich auf den "rechten Weg" zurückkehren müssen, nachdem seine rechtlichen Standpunkte und Bedenken nicht geteilt worden seien. Angesichts der langen Dauer des Fehlverhaltens sei das Vertrauen in seine Zuverlässigkeit vollständig zerstört.
4 Die Berufung des Beklagten ist erfolglos geblieben. Das Oberverwaltungsgericht ist von der Bindungswirkung der rechtskräftig gewordenen verwaltungsgerichtlichen Urteile in den Verlustfeststellungsverfahren ausgegangen. Hiernach sei der Beklagte jedenfalls fahrlässig dem Dienst insgesamt siebeneinhalb Monate unerlaubt ferngeblieben. Hinsichtlich der Maßnahmebemessung hat es sich die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu Eigen gemacht und hierauf Bezug genommen. Wenn ein Beamter besorge, nicht amtsangemessen beschäftigt zu werden, sei er auf die Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe verwiesen. Das eigenmächtige Fernbleiben vom Dienst sei kein zulässiges Mittel bei Problemen im Zusammenhang mit der Privatisierung ehemals staatlicher Unternehmen.
5 2. Die Revision ist nicht wegen Divergenz gemäß § 69 BDG i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen.
6 Eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, § 127 Nr. 1 BRRG setzt voraus, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der im Widerspruch zu einem Rechtssatz steht, den das Bundesverwaltungsgericht, das Bundesverfassungsgericht oder bei Klagen aus dem Beamtenverhältnis ein anderes Oberverwaltungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 und vom 25. Mai 2012 - 2 B 133.11 - NVwZ-RR 2012, 607 = juris Rn. 5). Die Behauptung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die eines der genannten divergenzfähigen Gerichte aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge dagegen nicht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 1995 - 6 B 39.94 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 342 S. 55). Die Entscheidungen müssen dasselbe Gesetz und dieselbe Fassung des Gesetzes zum Gegenstand haben (BVerwG, Beschluss vom 9. April 2014 - 2 B 107.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 3 ff.).
7 Die von der Beschwerde behauptete Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) wird bereits nicht in der gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlichen Weise dargelegt. Der Beschwerde ist zwar der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aufgestellte abstrakte Rechtssatz zu entnehmen, dass die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht den Dienstherrn verpflichtet, bei seinen Entscheidungen die wohlverstandenen Interessen des Beamten in gebührender Weise zu berücksichtigen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 23. Mai 2005 - 2 BvR 583/05 - BVerfGK 5, 250 = juris Rn. 10 m.w.N.). Die Beschwerde versäumt es aber, dem einen ebenso abstrakten und zudem entscheidungserheblichen Rechtssatz des Oberverwaltungsgerichts entgegenzusetzen, mit dem es im Berufungsurteil von dem genannten Rechtssatz des Bundesverfassungsgerichts abgewichen wäre (vgl. zu diesem Erfordernis etwa BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 m.w.N.). Der Sache nach erschöpft sich die Beschwerde in der Behauptung, dass die Bemessungsentscheidung des Oberverwaltungsgerichts zu einem für den Beklagten günstigeren Ergebnis, also einer milderen Disziplinarmaßnahme, hätte führen müssen. Damit wird keine Divergenz in Rechtssätzen aufgezeigt.
8 Abgesehen davon kam es für das Oberverwaltungsgericht maßgeblich nicht auf die - angesichts der gesundheitlichen Situation des Beklagten möglicherweise eingeschränkten - konkreten Verwendungsmöglichkeiten für den Beklagten im fraglichen Zeitraum an. Vielmehr hat es entscheidungserheblich darauf abgestellt, dass der Kläger dem Dienst nicht eigenmächtig hätte fernbleiben dürfen und stattdessen remonstrieren und gerichtlichen Rechtsschutz hätte in Anspruch nehmen müssen bzw. nach erfolgloser Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes "auf den Weg des Rechts" hätte zurückkehren müssen.
9 3. Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 69 BDG i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
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Soweit die Beschwerde im Rahmen ihrer Divergenzrüge die grundsätzliche Bedeutung der Fragen
- darf der Dienstherr - sofern ärztlicherseits eine Umgestaltung des Arbeitsplatzes für erforderlich gehalten wird - ohne auch nur diese Anpassungen darzulegen, den Beamten verbindlich auffordern, den Arbeitsplatz wieder einzunehmen? Muss der Beamte - ggf. unter Gefährdung seiner Gesundheit - zum "Probearbeiten" erscheinen oder muss nicht der Dienstherr zunächst die leidensgerechte Umgestaltung des Arbeitsplatzes nachweisen,
und
- darf der Dienstherr sich angesichts eingeschränkter Einsatzmöglichkeiten eines Beamten auf den Standpunkt stellen, ein solcher Arbeitsplatz stehe nicht zur Verfügung, um dann in der Folge gleichwohl den Beamten zum Dienstantritt aufzufordern und bei Nichtfolgeleistung ein Disziplinarverfahren einzuleiten und die Entfernung aus dem Dienst zu verlangen?
geltend macht, stellen sich diese Fragen auf der Grundlage des vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalts nicht, gegen den die Beschwerde keine (durchgreifenden) Verfahrensrügen erhebt. Das Berufungsgericht hat die tatsächlichen Feststellungen, von denen die Fragestellungen ausgehen, nicht getroffen und war im Übrigen hinsichtlich des schuldhaften Fernbleibens vom Dienst gemäß § 57 BDG an die tatsächlichen Feststellungen in den rechtskräftigen verwaltungsgerichtlichen Urteilen in den Verlustfeststellungsverfahren gebunden. Schließlich greift die Beschwerde der Sache nach lediglich die Bemessungsentscheidung des Disziplinargerichts nach § 13 BDG im konkreten Fall an, die einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich ist.
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Gleiches gilt für die als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfenen Fragen:
Macht sich ein Beamter, der nur bei leidensgerechter Ausstattung des Arbeitsplatzes dienstfähig ist, sich eines Dienstvergehens schuldig, wenn er auf Anraten des Privatarztes den Dienst nicht antritt, nachdem der Amtsarzt zwar die Dienstfähigkeit grundsätzlich festgestellt hat, seinerseits dem Dienstherrn aber Vorgaben zur leidensgerechten Ausgestaltung macht, sofern der Beamte sich vor Dienstantritt nicht gewiss sein kann, ob eine solche leidensgerechte Ausgestaltung erfolgt ist und somit ein Gesundheitsschaden bei Dienstantritt ausgeschlossen werden kann,
und
kann der Schuldvorwurf an einen Beamten, der in einem solchen Fall den Ratschlägen des Facharztes folgt, so schwerwiegend sein, dass die Verhängung der Höchstmaßnahme angezeigt ist?
12 Auch diese Fragen stellen sich auf der Grundlage des vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalts nicht, auch insoweit war das Berufungsgericht gemäß § 57 BDG an die tatsächlichen Feststellungen in den rechtskräftigen verwaltungsgerichtlichen Urteilen in den Verlustfeststellungsverfahren gebunden und greift die Beschwerde der Sache nach lediglich die einer grundsätzlichen Klärung nicht zugängliche Bemessungsentscheidung des Disziplinargerichts nach § 13 BDG im konkreten Einzelfall an.
13 Im Übrigen ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass unentschuldigtes Fernbleiben vom Dienst im Sinne von § 96 Abs. 1 Satz 1 BBG über einen Zeitraum von mehreren Monaten regelmäßig geeignet ist, das für das Beamtenverhältnis erforderliche Vertrauensverhältnis zwischen dem Dienstherrn und dem Beamten zu zerstören. Aufgrund der Bedeutung und der leichten Einsehbarkeit der Pflicht, überhaupt zum Dienst zu erscheinen, offenbart das Fernbleiben über einen derart langen Zeitraum ein besonders hohes Maß an Verantwortungslosigkeit und Pflichtvergessenheit. Daher ist in diesen Fällen die Entfernung aus dem Dienst grundsätzlich Ausgangspunkt der Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme. Die von der Schwere des Dienstvergehens ausgehende Indizwirkung entfällt nur dann, wenn im Einzelfall gewichtige Entlastungsgründe zu Gunsten des Beamten zu berücksichtigen sind (BVerwG, Urteile vom 7. November 1990 - 1 D 33.90 - juris Rn. 31 m.w.N., vom 22. April 1991 - 1 D 62.90 - BVerwGE 93, 78 <80 f.>, vom 6. Mai 2003 - 1 D 26.02 - juris Rn. 54 f., vom 12. Oktober 2006 - 1 D 2.05 - juris Rn. 51 und vom 25. Januar 2007 - 2 A 3.05 - Buchholz 235.1 § 52 BDG Nr. 4 Rn. 42; Beschluss vom 23. Januar 2013 - 2 B 63.12 - juris Rn. 11).
14 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 BDG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Verfahren streitwertunabhängig Gebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 78 Satz 1 BDG erhoben werden.