Beschluss vom 21.01.2022 -
BVerwG 6 B 1.22ECLI:DE:BVerwG:2022:210122B6B1.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 21.01.2022 - 6 B 1.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:210122B6B1.22.0]

Beschluss

BVerwG 6 B 1.22

  • OVG Münster - 27.09.2021 - AZ: 5 D 91/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Januar 2022
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Tegethoff und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gamp
beschlossen:

  1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Beschwerde wird abgelehnt.
  2. Die Beschwerde des Klägers zu 1. gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. September 2021 wird verworfen.
  3. Der Kläger zu 1. trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Die Kläger wenden sich gegen ein ihnen gegenüber verfügtes Vereinsverbot.

2 Das Oberverwaltungsgericht hat die Verbotsverfügung mit Urteil vom 27. September 2021 hinsichtlich des Klägers zu 2. aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das mit einer Rechtsmittelbelehrung versehene Urteil, in dem die Revision nicht zugelassen worden ist, wurde den Verfahrensbevollmächtigten der Kläger am Samstag, den 30. Oktober 2021, gegen Postzustellungsurkunde zugestellt.

3 Mit am 2. Dezember 2021 beim Oberverwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz legten die Verfahrensbevollmächtigten der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde ein; die Begründung sollte mit gesonderten Schriftsatz erfolgen. Am 3. Januar 2022 beantragten sie beim Oberverwaltungsgericht, die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde wegen Arbeitsüberlastung um einen Monat bis zum 3. Februar 2022 zu verlängern. Das Oberverwaltungsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

4 Der Vorsitzende des beschließenden Senats hat die Verfahrensbevollmächtigten der Kläger darauf hingewiesen, dass die Beschwerde nicht fristgerecht eingelegt worden sei. Zudem sei sie auch nicht rechtzeitig begründet worden; die Frist zur Begründung der Beschwerde (§ 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO) sei nicht verlängerbar.

5 Mit Schriftsatz vom 14. Januar 2022 haben die Verfahrensbevollmächtigten der Kläger wegen Versäumnis der Fristen zur Einlegung sowie Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Beschwerde begründet. Zu ihren Wiedereinsetzungsanträgen führen sie im Wesentlichen aus, die stets zuverlässige und regelmäßig kontrollierte Kanzleiangestellte W. habe wegen der Zustellung des angefochtenen Urteils am Samstag, den 30. Oktober 2021, und des gesetzlichen Feiertags am 1. November 2021 die Sache erst am 2. November 2021 bearbeitet. Dabei habe sie irrtümlich die Frist zur Beschwerdeeinlegung auf den 2. Dezember 2021 und die Begründungsfrist auf den 3. Januar 2022 notiert. Die Einlegungsfrist sei daher unverschuldet versäumt; das Gleiche gelte für die Begründungsfrist. Der Antrag auf Fristverlängerung könne unbeachtet bleiben, da auch eine ordnungsgemäße Begründung verfristet eingereicht worden wäre. Auf das weitere Vorbringen und die eidesstattliche Versicherung von Frau W. wird Bezug genommen.

II

6 Die Beschwerde, die in interessengerechter Auslegung des Begehrens auf den durch die angefochtene Entscheidung allein beschwerten Kläger zu 1. zu beschränken ist, erweist sich als unzulässig, da der Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung der Beschwerde mangels unverschuldeter Säumnis abzulehnen ist.

7 1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Beschwerde bleibt ohne Erfolg, da die Frist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO von den Klägervertretern nicht unverschuldet versäumt worden ist. Somit kann dahinstehen, ob wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden könnte.

8 Bei der Beschwerdebegründungsfrist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO handelt es sich um eine nicht verlängerbare (BVerwG, Beschluss vom 28. März 2001 - 8 B 52.01 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 61), von der Einlegungsfrist unabhängige, selbständige zweimonatige Ausschlussfrist. Deren Lauf beginnt grundsätzlich auch dann mit der Zustellung des angegriffenen Urteils, wenn die Frist zur Einlegung der Beschwerde versäumt und deshalb Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt worden ist (BVerwG, Beschluss vom 2. März 1992 - 9 B 256.91 - NJW 1992, 2780). Daher sind Wiedereinsetzungsanträge nach § 60 VwGO zum einen in die Beschwerdefrist und zum anderen in die Begründungsfrist im Ansatz unabhängig voneinander zu prüfen, auch wenn je nach Fallkonstellation die die Fristversäumnis auslösenden tatsächlichen Umstände dieselben sein können.

9 Die Beschwerdebegründung vom 14. Januar 2022 ist nicht fristgerecht eingereicht worden. Das mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehene Urteil des Oberverwaltungsgerichts ist den Verfahrensbevollmächtigten der Kläger am 30. Oktober 2021 gegen Postzustellungsurkunde zugestellt worden. Demzufolge lief die zweimonatige Frist zur Beschwerdebegründung (§ 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO) am Donnerstag, den 30. Dezember 2021, ab. Diese Frist haben die Verfahrensbevollmächtigten des Klägers zu 1. versäumt.

10 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nach § 60 Abs. 1 VwGO nur gewährt werden, wenn das geltend gemachte und unverschuldete Hindernis für die Fristsäumnis adäquat kausal geworden ist (BVerwG, Beschluss vom 10. August 2016 - 1 B 93.16 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 281 Rn. 5 m.w.N.); liegen mehrere Ursachen vor, ist wertend zu bestimmen, auf welchem Hindernis die Säumnis beruht (Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 60 Rn. 7). Das Hindernis, die Beschwerde rechtzeitig zu begründen, beruhte im vorliegenden Fall in erster Linie auf einem Verschulden der Verfahrensbevollmächtigten des Klägers zu 1. Diese unterlagen, wie ihr Verlängerungsgesuch im Schriftsatz vom 3. Januar 2022 belegt, dem Rechtsirrtum, die Ausschlussfrist zur Begründung der Beschwerde nach § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO könne auf Antrag verlängert werden. In der Rechtsprechung ist jedoch anerkannt, dass mangelnde Rechtskenntnis eine Fristversäumnis in aller Regel nicht entschuldigen kann (BVerwG, Beschlüsse vom 9. Januar 1970 - 4 B 71.69 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 58, vom 15. August 2017 - 4 B 38.17 - juris Rn. 6 und vom 7. Oktober 2009 - 9 B 83.09 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 266); das gilt erst recht bei prozessbevollmächtigten Rechtsanwälten. Das Verschulden seiner Verfahrensbevollmächtigten ist dem Kläger zu 1. gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO wie eigenes Verschulden zuzurechnen. Hinter dieser, von dem Verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwalt B. gesetzten wesentlichen und eigentlichen Ursache für die Versäumung der Frist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO tritt der Fehler der Kanzleiangestellten bei der Notierung der Begründungsfrist zurück und vermag deshalb - selbst bei mangelndem Verschulden - keine Wiedereinsetzung zu rechtfertigen.

11 Darüber hinaus liegt ein Organisationsverschulden der Prozessbevollmächtigten des Klägers zu 1. vor. Denn die Berechnung von Fristen, die in einer Kanzlei nicht geläufig sind, darf ein Rechtsanwalt nicht seinem Personal überlassen; dies gilt insbesondere für die Berechnung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 15. August 1994 - 11 B 68.94 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 189, vom 18. Januar 2000 - 9 B 559.99 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 231, vom 18. Juni 2009 - 5 B 32.09 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 265, vom 23. Juni 2011 - 1 B 9.11 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 268 Rn. 5 und vom 11. Januar 2012 - 9 B 55.11 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 269 Rn. 4).

12 Erweist sich die Versäumnis der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO) als verschuldet, bedarf es keiner Entscheidung mehr über den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Beschwerde.

13 2. Die nicht fristgerecht begründete Beschwerde ist wegen Versäumung der Begründungsfrist unzulässig. Zudem genügt auch die Begründung zu den beiden als rechtsgrundsätzlich bedeutsam aufgeworfenen Fragen nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Diese verlangen neben der Herausarbeitung einer fallübergreifenden konkreten Rechtsfrage, die für die erstrebte Revisionsentscheidung erheblich sein wird, einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 23. Januar 2001 - 6 B 35.00 - WissR 2001, 377 Rn. 3 und vom 9. Juli 2019 - 6 B 2.18 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 31 Rn. 7); dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit - falls vorhanden - der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu dem aufgeworfenen Problemkreis.

14 Daran fehlt es hier. Die Beschwerde setzt sich mit der bereits vorliegenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Entbehrlichkeit einer Anhörung vor Erlass eines Vereinsverbots (vgl. Urteile vom 18. Oktober 1988 - 1 A 89.83 - BVerwGE 80, 299 <303 f.>, vom 27. November 2002 - 6 A 4.02 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 35 S. 36, vom 3. Dezember 2004 - 6 A 10.02 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 41 S. 77 f., vom 5. August 2009 - 6 A 3.08 - BVerwGE 134, 275 Rn. 13 und vom 18. April 2012 - 6 A 2.10 - NVwZ-RR 2012, 648 Rn. 11; Beschlüsse vom 10. Januar 2003 - 6 VR 13.02 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 38 S. 61 f., vom 29. Januar 2013 - 6 B 40.12 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 60 und vom 21. September 2020 - 6 VR 1.20 - juris Rn. 11 f.) und der Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines solchen Verbots (BVerwG, Urteile vom 5. August 2009 - 6 A 3.08 - BVerwGE 134, 275 Rn. 87 und vom 7. Januar 2016 - 1 A 3.15 - BVerwGE 154, 22 Rn. 45; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 2019 - 1 BvR 1099/16 - NVwZ 2020, 224 Rn. 29) überhaupt nicht auseinander. Damit verfehlt sie die Anforderungen an die Darlegung einer Grundsatzfrage.

15 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG (Nr. 45.1.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).