Beschluss vom 01.03.2023 -
BVerwG 1 WB 12.22ECLI:DE:BVerwG:2023:010323B1WB12.22.0

Leitsätze:

1. Ein vom militärischen Dienst freigestellter Soldat (hier: Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen) hat Anspruch auf eine Neubildung der Referenzgruppe, wenn so viele Mitglieder der für ihn ursprünglich gebildeten Referenzgruppe zur Ruhe gesetzt worden oder sonst ausgeschieden sind, dass eine Förderung auf dieser Grundlage unmöglich geworden ist und damit das Ziel einer Fortschreibung der beruflichen Entwicklung nicht mehr erreicht werden kann.

2. Der Dienstherr ist im Hinblick auf das Benachteiligungsverbot des § 179 Abs. 2 SGB IX verpflichtet, eine Referenzgruppe regelmäßig mindestens alle zwei Jahre daraufhin zu überprüfen, ob sie noch eine hinreichend taugliche Grundlage für eine Fortschreibung der beruflichen Entwicklung des freigestellten Soldaten sein kann.

  • Rechtsquellen
    GG Art. 33 Abs. 2
    SG § 3 Abs. 1
    SGB IX § 179 Abs. 2
    WBO § 19 Abs. 1 Satz 3
    Allgemeine Regelung A-1336/1 ("Militärische Personalführung für Freigestellte, Entlastete oder Beurlaubte")

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 01.03.2023 - 1 WB 12.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:010323B1WB12.22.0]

Beschluss

BVerwG 1 WB 12.22

In den Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Koch,
den ehrenamtlichen Richter Oberst i.G. Jerono und
den ehrenamtlichen Richter Oberstleutnant Naumann
am 1. März 2023 beschlossen:

  1. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden.
  2. Es wird festgestellt, dass das Unterbleiben der Aufhebung der für den Antragsteller im Jahre 2011 gebildeten Referenzgruppe sowie das Unterbleiben der Neubildung einer Referenzgruppe rechtswidrig waren. Im Übrigen wird der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen.
  3. Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht einschließlich der im vorgerichtlichen Verfahren erwachsenen notwendigen Aufwendungen werden zur Hälfte dem Bund auferlegt.

Gründe

I

1 Der Rechtsstreit betrifft die Referenzgruppe für einen inzwischen in den Ruhestand versetzten Soldaten, der zuvor langjährig als Schwerbehindertenvertreter vom Dienst freigestellt war, sowie dessen fiktive Versetzung auf einen nach Besoldungsgruppe A 15 dotierten Dienstposten.

2 Der ... geborene Antragsteller war Berufssoldat. Zuletzt war er am 1. Dezember 1999 zum Oberstleutnant befördert und mit Wirkung vom 1. Oktober 1999 in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 14 eingewiesen worden. Seine ursprünglich zum 30. September 2020 endende Dienstzeit war mit Bescheid des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr vom 10. April 2019 gemäß § 44 Abs. 1 Satz 3 SG bis zum 31. Januar ... verlängert worden; mit Ablauf dieses Tages endete seine Dienstzeit. Der Antragsteller war seit Februar 2011 bis zum Eintritt in den Ruhestand durchgängig in Funktionen als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen vom Dienst freigestellt und wurde in dieser Zeit auf einem nach Besoldungsgruppe A 14 dotierten dienstpostenähnlichen Konstrukt geführt.

3 Wegen der Freistellung erstellte das Personalamt der Bundeswehr unter dem 6. April 2011 eine Referenzgruppe nach der damals geltenden Richtlinie für die Förderung vom Dienst freigestellter Soldatinnen und Soldaten vom 11. Juni 2002, in der der Antragsteller unter insgesamt neun Soldaten den Rangplatz 4 einnimmt. Hierüber wurde er mit Schreiben des Personalamts vom 6. Mai 2011, ihm gegen Empfangsbekenntnis ausgehändigt am 13. Mai 2011, informiert.

4 Mit Schreiben vom 26. November 2020 beantragte der Antragsteller seine Einweisung in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 15.

5 Mit Bescheid vom 16. Dezember 2020, eröffnet am 8. Januar 2021, lehnte das Bundesamt für das Personalmanagement diesen Antrag ab. Zur Begründung führte es aus, dass die Referenzgruppe bei Beginn der Freistellung im Jahre 2011 erlasskonform gebildet worden sei. Inzwischen sei eine Referenzperson in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 15 eingewiesen und sieben Referenzpersonen als Oberstleutnant A 14 zur Ruhe gesetzt worden. Eine Einweisung des Antragstellers in eine Planstelle der Besoldungshöhe A 15 sei daher im Rahmen der Referenzgruppe nicht möglich.

6 Hiergegen erhob der Antragsteller unter dem 30. Januar 2021 Beschwerde. Er wandte sich dabei zugleich gegen die Beibehaltung der Referenzgruppe und beantragte seine fiktive Versetzung auf einen nach Besoldungsgruppe A 15 dotierten Dienstposten. Mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 3. Februar 2021 ergänzte er, dass die Referenzgruppe in ihrer aktuellen Zusammensetzung nicht mehr zu einer Laufbahnnachzeichnung führen könne, weil er praktisch den letzten Platz belege; es könnten keine drei weiteren Beförderungen mehr erfolgen. Er beantrage daher, eine neue Referenzgruppe zu erstellen, weil andernfalls die Möglichkeit der Förderung dauerhaft vereitelt sei.

7 Mit Schreiben vom 12. März 2021 hat der Antragsteller Untätigkeitsbeschwerde gemäß § 16 Abs. 2 WBO erhoben und sich hierbei auf sämtliche Gegenstände der Beschwerde vom 30. Januar 2021 sowie seinen Antrag auf fiktive Versetzung auf einen A 15-Dienstposten bezogen. Mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2021 hat seine Bevollmächtigte die Vorlage des Verfahrens beim Bundesverwaltungsgericht angemahnt.

8 Das Bundesministerium der Verteidigung hat die Untätigkeitsbeschwerde vom 12. März 2021 hinsichtlich der Neubildung einer Referenzgruppe als Antrag auf gerichtliche Entscheidung gewertet und dem Senat mit einer Stellungnahme vom 14. März 2022 vorgelegt (BVerwG 1 WB 12.22 ). Den Schriftsatz vom 22. Dezember 2021 hat das Bundesministerium der Verteidigung als Untätigkeitsantrag auf gerichtliche Entscheidung ausgelegt und mit einer Stellungnahme vom 25. März 2022 dem Senat vorgelegt (BVerwG 1 WB 24.22 ).

9 Zur Begründung seiner Anträge führt der Antragsteller insbesondere aus:
Nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst mit Ablauf des 31. Januar ... setze er das Verfahren mit Fortsetzungsfeststellungsanträgen fort. Sein Feststellungsinteresse ergebe sich aus der Absicht, einen Schadensersatzprozess führen zu wollen. Nach Ablehnung seines Beförderungsantrags habe er beantragt, im Wege der Schadlosstellung in dienst-, besoldungs- und versorgungsrechtlicher Hinsicht so gestellt zu werden, als sei er mit Wirkung zum 1. August 2020 fiktiv auf einen nach A 15 dotierten Dienstposten versetzt und in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 15 eingewiesen worden.

10 In der Sache mache er geltend, dass die für ihn 2011 gebildete Referenzgruppe durch Zeitablauf rechtswidrig geworden sei. Inzwischen sei zwar ein Mitglied auf einen A 15-Dienstposten befördert worden, sieben Mitglieder der Referenzgruppe seien jedoch aus unterschiedlichen Gründen aus dem Dienst ausgeschieden und gehörten der Referenzgruppe nicht mehr an. Die Referenzgruppe sei damit einerseits zu klein geworden, andererseits schließe sie seine Laufbahnnachzeichnung aus. De facto befinde er sich auf dem letzten Rang der Referenzgruppe, auf dem eine Förderung nicht mehr in Betracht komme. Eine solche Konstellation sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unzulässig. Die Beibehaltung der 2011 gebildeten Referenzgruppe sei deshalb rechtswidrig. Es mache rechtlich keinen Unterschied, ob durch die Zusammensetzung der Referenzgruppe bereits von Beginn an die Förderung unmöglich sei oder ob diese Folge durch Zeitablauf oder andere Umstände eintrete. Beide Male ergebe sich eine Verletzung von Art. 33 Abs. 2 GG, weil ihm die Möglichkeit angemessenen beruflichen Fortkommens genommen werde. Er widerspreche auch der Auffassung des Bundesministeriums der Verteidigung, dass es sich bei dem Ausscheiden aus der Bundeswehr mit Erreichen der besonderen Altersgrenze um einen regulären Vorgang handele, der keine Korrektur der Referenzgruppe erfordere; abzustellen sei vielmehr auf die allgemeine Altersgrenze.

11 Der Antragsteller beantragt zuletzt,
unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr vom 16. Dezember 2020 festzustellen, dass das Unterbleiben der Aufhebung der für ihn im Jahre 2011 gebildeten Referenzgruppe sowie das Unterbleiben der Neubildung einer Referenzgruppe rechtswidrig waren und ihn in subjektiv-öffentlichen Rechten verletzen, und weiter
festzustellen, dass das Unterbleiben seiner fiktiven Versetzung auf einen Dienstposten der Dotierungsebene A 15 rechtswidrig war und ihn in subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt.

12 Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.

13 Die 2011 gebildete Referenzgruppe sei rechtmäßig und im Übrigen bestandskräftig, weil der Antragsteller sie nicht fristgerecht angefochten habe. Sie sei auch nicht von Beginn an ungeeignet gewesen, eine Einweisung des Antragstellers in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 15 zu ermöglichen. Dass die Förderung aufgrund einer Referenzgruppe im Lauf der Zeit unmöglich werde, sei mit den gesetzlichen Vorgaben vereinbar; es sei nicht erforderlich, dass die Chance auf Förderung bis zum Ablauf der Dienstzeit aufrechterhalten bleibe. Referenzgruppen würden gebildet, um die laufbahngerechte Fortentwicklung der freigestellten Person fiktiv fortzuschreiben. Es werde eine berufliche Entwicklung unterstellt, wie sie ohne die Freistellung verlaufen wäre. Dies könne im Ergebnis auch bedeuten, dass keine Förderung erfolge. So habe sich das auch bei sieben anderen der insgesamt neun Mitglieder der Referenzgruppe verhalten, die vor ihrem Eintritt in den Ruhestand nicht auf einen A 15-Dienstposten versetzt worden seien. Der Eintritt in den Ruhestand sei ein reguläres Ereignis, das im Rahmen der fiktiven Nachzeichnung der laufbahngerechten Entwicklung keinen Anlass zur Neubildung der Referenzgruppe gebe. Anderes gelte nur für irreguläre Ruhestandsversetzungen, was in der Richtlinie berücksichtigt sei, jedoch hier nicht vorliege.

14 Der Senat hat mit Beschluss vom 8. Juni 2021 - 1 W-VR 2.21 - einen Antrag des Antragstellers auf vorläufigen Rechtsschutz abgelehnt.

15 Auf Aufforderung des Gerichts hat das Bundesministerium der Verteidigung unter dem 16. Februar 2023 eine amtliche Auskunft des zuständigen Erlasshalters (Referat P II 1) zur Handhabung der Allgemeinen Regelung A-1336/1 ("Militärische Personalführung für Freigestellte, Entlastete oder Beurlaubte") in der Verwaltungspraxis übermittelt.

16 Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakten des Bundesministeriums der Verteidigung, die Personalgrundakte des Antragstellers und die Akten des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

II

17 Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat teilweise Erfolg.

18 1. Die Verfahren BVerwG 1 WB 12.22 (Neubildung einer Referenzgruppe) und BVerwG 1 WB 24.22 (fiktive Versetzung auf einen nach Besoldungsgruppe A 15 dotierten Dienstposten) werden zu gemeinsamer Beratung und Entscheidung verbunden, weil sie im Sinne von § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 93 Satz 1 VwGO den gleichen Gegenstand - die Vermeidung von Nachteilen in der beruflichen Entwicklung des Antragstellers als freigestellte Vertrauensperson schwerbehinderter Menschen - betreffen.

19 2. Der Antrag ist nur zulässig, soweit der Antragsteller die Feststellung begehrt, dass eine Neubildung der Referenzgruppe zu Unrecht unterblieben ist.

20 a) Der Rechtsweg zu den Wehrdienstgerichten ist eröffnet. Dem Antragsteller geht es nicht um Rechte aus seiner Funktion als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen, über die in entsprechender Anwendung von § 2a Abs. 1 Nr. 3a und Abs. 2 ArbGG die Arbeitsgerichte im Beschlussverfahren entscheiden (vgl. - jeweils zur Kostentragungspflicht des Arbeitgebers <bis 31. Dezember 2017: § 96 Abs. 8 Satz 1 SGB IX; ab 1. Januar 2018: § 179 Abs. 8 Satz 1 SGB IX> - BVerwG, Beschluss vom 13. Oktober 2020 - 1 WB 79.19 - Buchholz 450.1 § 17 WBO Nr. 110 Rn. 11 ff. und BAG, Beschluss vom 30. März 2010 - 7 AZB 32/09 - BAGE 134, 51 Rn. 4 ff.). Er macht mit der begehrten Förderung während der Freistellung vielmehr persönliche Rechte als Soldat geltend, für die im Streitfall die Wehrdienstgerichte, hier das Bundesverwaltungsgericht (§ 21 Abs. 1 Satz 1 WBO), zuständig sind (§ 82 Abs. 1 SG, § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO).

21 b) Die ursprünglichen Verpflichtungsanträge des Antragstellers, für ihn eine neue Referenzgruppe zu bilden und ihn auf der Basis dieser neugebildeten Referenzgruppe fiktiv auf einen Dienstposten der Dotierungsebene A 15 zu versetzen, waren bis zu seinem Dienstzeitende zulässig.

22 Eine Referenzgruppe, die der fiktiven Fortschreibung der beruflichen Entwicklung freigestellter Soldaten dient, stellt eine dienstliche Maßnahme im Sinne von § 17 Abs. 3 Satz 1 WBO (hier i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO) und damit einen statthaften Antragsgegenstand dar (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Mai 2017 - 1 WB 5.16 - Buchholz 450.1 § 17 WBO Nr. 95 Rn. 18 ff.). Gleiches gilt für die auf dieser Grundlage erfolgende fiktive Versetzung.

23 Der Antragsteller war auch antragsbefugt. Er kann sein Rechtsschutzbegehren auf das Leistungsprinzip (Art. 33 Abs. 2 GG, § 3 Abs. 1 SG) stützen, das hier in Gestalt des Verbots einer Benachteiligung in der beruflichen Entwicklung durch die Tätigkeit als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen zum Tragen kommt (bis 31. Dezember 2017: § 96 Abs. 2 SGB IX; ab 1. Januar 2018: § 179 Abs. 2 SGB IX).

24 c) Nach dem Dienstzeitende des Antragstellers verbleibt der die Neubildung der Referenzgruppe betreffende Antrag als Fortsetzungsfeststellungsantrag zulässig. Das auf die fiktive Versetzung auf einen A 15-Dienstposten gerichtete Begehren ist unzulässig geworden.

25 aa) Ab dem Eintritt in den Ruhestand mit Ablauf des 31. Januar ... kann der Antragsteller nicht mehr, auch nicht fiktiv, versetzt oder befördert werden. Spätestens damit wird zugleich die angefochtene Referenzgruppe gegenstandslos, weil sie ihre Funktion, dem Antragsteller die Versetzung auf einen nach Besoldungsgruppe A 15 dotierten Dienstposten und eine entsprechende Planstelleneinweisung zu ermöglichen, nicht mehr erfüllen kann (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 11. Dezember 2014 - 1 WB 6.13 - Buchholz 449.7 § 51 SBG Nr. 1 Rn. 19 und vom 29. Juni 2017 - 1 WB 11.16 - juris Rn. 25 und 55).

26 bb) Der Antragsteller hat deshalb zutreffend seine ursprünglichen Verpflichtungs- in entsprechende Fortsetzungsfeststellungsbegehren umgestellt.

27 Hat sich ein Antrag auf eine truppendienstliche Maßnahme vor der gerichtlichen Entscheidung erledigt, so entscheidet das Wehrdienstgericht gemäß § 19 Abs. 1 Satz 3 WBO (hier i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO), ob deren Ablehnung oder Unterbleiben rechtswidrig gewesen ist, wenn der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

28 Der Antragsteller hat ein berechtigtes Feststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs dargelegt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 11. Dezember 2014 - 1 WB 6.13 - Buchholz 449.7 § 51 SBG Nr. 1 Rn. 24 und vom 29. Juni 2017 - 1 WB 11.16 - juris Rn. 27). Er hat, aus den vorgelegten Akten ersichtlich, bereits in der Vergangenheit parallel zum vorliegenden Verfahren einen Anspruch auf Beförderung bzw. Einweisung in eine höher dotierte Planstelle verfolgt und mit Rücksicht auf die inzwischen erfolgte Ruhestandsversetzung seine Schadlosstellung in dienst-, besoldungs- und versorgungsrechtlicher Hinsicht beantragt. Das Schadensersatzbegehren des Antragstellers erscheint nicht als von vornherein aussichtslos. Auch ist die Erledigung des ursprünglichen Verpflichtungsbegehrens erst nach Rechtshängigkeit des Antrags auf gerichtliche Entscheidung eingetreten (vgl. zu dieser Einschränkung BVerwG, Beschluss vom 27. Mai 2014 - 1 WB 54.13 - juris Rn. 19).

29 cc) Für die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs ist jedoch nur die Klärung, ob das Unterbleiben einer Neubildung der Referenzgruppe rechtswidrig war, von rechtlichem Interesse. Auf Fragen der fiktiven Versetzung kommt es im Schadensersatzverfahren hingegen nicht mehr an; insoweit fehlt es daher an einem Feststellungsinteresse.

30 Für Bestehen und Höhe des vom Antragsteller verfolgten Schadensersatzanspruchs ist maßgebend, ob und wann eine hinreichende Zahl von Referenzpersonen bis zum Dienstzeitende des Antragstellers in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 15 eingewiesen wurden. Die Antwort auf diese Frage ergibt sich unmittelbar aus der im Schadensersatzverfahren vorzunehmenden Prüfung, welche Referenzgruppe mit welcher Zusammensetzung sich ergeben hätte, wenn diese rechtzeitig neu gebildet worden wäre, sowie aus den - in der Vergangenheit liegenden und damit feststehenden - Daten von Planstelleneinweisungen, soweit Mitglieder dieser Referenzgruppe bis zum Dienstzeitende des Antragstellers in die nach A 15 höher dotierte Planstelle eingewiesen wurden. Die Frage, ob eine fiktive Versetzung des Antragstellers auf einen höher dotierten Dienstposten zu Unrecht unterblieben ist, ist hierfür unerheblich.

31 3. Soweit der Antrag auf gerichtliche Entscheidung danach zulässig ist, ist er auch begründet. Das Unterbleiben der Neubildung der Referenzgruppe war rechtswidrig, nachdem so viele Mitglieder der Referenzgruppe zur Ruhe gesetzt worden waren, dass eine Förderung des Antragstellers auf der Grundlage der Referenzgruppe vom 6. April 2011 nicht mehr möglich war.

32 a) Das Bundesamt für das Personalmanagement durfte den Antragsteller im Ausgangspunkt auf der Grundlage der Referenzgruppe vom 6. April 2011 betrachten. Auf seine späteren Einwände gegen die ursprüngliche Referenzgruppenbildung kommt es nicht an, weil der Antragsteller die Referenzgruppe vom 6. April 2011 nicht fristgerecht mit der Beschwerde angefochten hat und diese damit in Bestandskraft erwachsen ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Mai 2017 - 1 WB 5.16 - Buchholz 450.1 § 17 WBO Nr. 95 Rn. 27 ff.).

33 Der Antragsteller hat das Schreiben des Personalamts der Bundeswehr vom 6. Mai 2011, mit dem er über die Bildung der Referenzgruppe vom 6. April 2011 informiert wurde, aktenkundig am 13. Mai 2011 gegen Empfangsbekenntnis erhalten. Er hat innerhalb der einmonatigen Beschwerdefrist (§ 6 Abs. 1 WBO) keinen Rechtsbehelf eingelegt und Einwände erst im Zusammenhang mit dem hier vorliegenden Verfahren, also mit rund neunjähriger Verspätung, geltend gemacht. Umstände, die als unabwendbarer Zufall im Sinne von § 7 WBO zu werten wären und den Fristablauf hemmen könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere bedurfte die Mitteilung über die Referenzgruppe als truppendienstliche Erstmaßnahme keiner Rechtsbehelfsbelehrung (§ 7 Abs. 2 WBO).

34 b) Der Antragsteller hatte jedoch Anspruch auf eine Neubildung der Referenzgruppe, nachdem so viele ihrer Mitglieder zur Ruhe gesetzt worden waren, dass eine Förderung auf der Grundlage der Referenzgruppe vom 6. April 2011 nicht mehr möglich war und damit das Ziel einer Fortschreibung der laufbahngerechten Fortentwicklung nicht mehr erreicht werden konnte (Nr. 312 und Nr. 313 Alt. 2 AR A-1336/1). Dieser Anspruch auf Neubildung folgt aus dem Benachteiligungsverbot des § 179 Abs. 2 SGB IX, der eine Gleichstellung der Vertrauenspersonen der schwerbehinderten Menschen auch für ihre berufliche Entwicklung fordert. Aus ihm folgt die Verpflichtung des Dienstherrn, die Referenzgruppe regelmäßig daraufhin zu überprüfen, ob sie noch eine hinreichend taugliche Grundlage für eine Fortschreibung der beruflichen Entwicklung des freigestellten Soldaten sein kann. Ebenso wie der Dienstherr dazu angehalten ist, die Soldaten regelmäßig planmäßig alle zwei Jahre dienstlich zu beurteilen, muss er schon im Interesse einer Gleichbehandlung des freigestellten Soldaten auch die Funktionsfähigkeit einer Referenzgruppe von Amts wegen in einem entsprechenden zeitlichen Abstand kontrollieren.

35 aa) Für die Funktionsweise des hier praktizierten Referenzgruppenmodells sind (u. a.) die folgenden Grundsätze kennzeichnend:
(1) Die Förderung einer freigestellten Person erfolgt, sobald für sie keine aktuelle dienstliche Beurteilung mehr vorliegt, allein auf der Grundlage der für sie gebildeten Referenzgruppe (Nr. 317 Satz 2 AR A-1336/1), deren Zusammensetzung während der Dauer der Freistellung grundsätzlich unverändert bleibt (Nr. 307 Satz 1 AR A-1336/1). Erreicht bei Verwendungsentscheidungen die Anzahl der Auswahl von (beliebigen) Angehörigen der Referenzgruppe für einen höher dotierten Dienstposten den Rangplatz der freigestellten Person innerhalb der Referenzgruppe, so ist diese fiktiv auf einen entsprechend (höher) dotierten Dienstposten zu versetzen, soweit keine Hinderungsgründe vorliegen (Nr. 320 Satz 1 AR A-1336/1). Das gleiche Prinzip gilt für die nachfolgende Beförderung bzw. Einweisung in eine höhere Besoldungsgruppe (Nr. 321 AR A-1336/1). Die Förderung basiert mithin nicht auf der Annahme eigener individueller Leistungssteigerungen des Soldaten während der Freistellungsphase, sondern darauf, dass er entsprechend seinem Rangplatz in der Referenzgruppe "mitgezogen" wird, wenn die Zahl der aus der Referenzgruppe geförderten Soldaten diesen Rangplatz erreicht (vgl. zuletzt BVerwG, Beschluss vom 23. November 2022 - 1 WB 21.21 - juris Rn. 37 m. w. N.).

36 (2) Die Referenzgruppe ist dabei aus Soldaten zu bilden, die zum Zeitpunkt der Freistellung laufbahnrechtlich über einen vergleichbaren Stand verfügen (Nr. 308 Satz 1 AR A-1336/1). Zur Herstellung einer in diesem Sinne möglichst homogenen Referenzgruppe dienen Kriterien wie insbesondere ein (nach der zugrunde zu legenden dienstlichen Beurteilung) wesentlich gleiches Eignungs- und Leistungsbild bei Beginn der Freistellung, eine gleiche Entwicklungsprognose, die Versetzung im gleichen Jahr oder ggf. in benachbarten Jahren wie die freigestellte Person auf einen nach der Verwendungsebene vergleichbaren Dienstposten und die Zugehörigkeit zu einer möglichst gleichen oder zumindest fachverwandten Ausbildungs- und Verwendungsreihe bzw. einen entsprechend gleichen oder verwandten Werdegang oder Kompetenzbereich (im Einzelnen Nr. 308 Satz 2 und Nr. 309 AR A-1336/1).

37 Nicht zu den Kriterien, nach denen die Mitglieder einer Referenzgruppe zu identifizieren sind, gehört das Geburtsdatum bzw. Lebensalter der Referenzpersonen im Verhältnis zum Geburtsdatum bzw. Lebensalter des freigestellten Soldaten. Nr. 310 AR A-1336/1 bestimmt insoweit lediglich, dass bei der Referenzgruppenbildung soweit möglich auf die Homogenität der Altersstruktur der Referenzgruppenmitglieder zu achten ist. Diese Regelung ist im Ausgangspunkt nicht zu beanstanden, weil das Lebensalter unter dem - auch für die Laufbahnnachzeichnung maßgeblichen - Blickwinkel des Leistungsprinzips (Art. 33 Abs. 2 GG, § 3 Abs. 1 SG) kein unmittelbar eignungs- oder leistungsbezogenes Kriterium darstellt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Dezember 2013 - 1 WB 51.12 - Buchholz 449 § 3 SG Nr. 67 Rn. 30 m. w. N.). Im Ergebnis setzt sich daher jede Referenzgruppe aus Mitgliedern zusammen, deren Lebensalter sich in einer als solcher nicht vorherbestimmten Bandbreite und Verteilung zum Lebensalter des freigestellten Soldaten verhält.

38 (3) Im Referenzgruppenmodell als solchem ist schließlich nicht vorgezeichnet, ob und wie viele Mitglieder einer Referenzgruppe während deren Geltungsdauer auf einen höher dotierten Dienstposten gefördert werden. Das Modell enthält insbesondere auch keine Garantie, dass während der Dauer der Freistellung eine Zahl von Referenzgruppenmitgliedern gefördert wird, die ausreicht, um den freigestellten Soldaten in die Förderung "mitzuziehen"; eine solche Garantie würde im Übrigen gegen § 179 Abs. 2 SGB IX verstoßen, der nicht nur ein Verbot der Benachteiligung, sondern auch der Begünstigung wegen des Amtes aufstellt. Ziel der Referenzgruppe ist eine "Fortschreibung der laufbahngerechten Fortentwicklung" (Nr. 312 AR A-1336/1), die - wie auch bei aktiven, militärischen Dienst leistenden Soldaten - nicht zwangsläufig zu einer Förderung über das erreichte Verwendungs- oder Statusniveau hinausführen muss. Dass es eine mehr oder weniger große Zahl an Mitgliedern der Referenzgruppe gibt, die nicht gefördert werden, gehört zur Normalität dieses Systems.

39 Systemimmanent gegeben ist damit auch die Möglichkeit, dass ein Mitglied der Referenzgruppe zur Ruhe gesetzt wird, ohne bis dahin gefördert worden zu sein, sodass auch eine künftige Förderung, die dem freigestellten Soldaten zugutekäme, nicht mehr in Betracht kommt. Eine solche Fallkonstellation wird in der Regel nicht eintreten, wenn die Referenzgruppe aus lebensjüngeren Soldaten zusammengesetzt ist oder die Freistellungsphase nur von kurzer Dauer ist. Handelt es sich - wie im vorliegenden Fall - jedoch um durchweg lebensältere Soldaten und um eine sehr langdauernde Freistellung, so ist nicht auszuschließen, dass in deren Verlauf ein Mitglied oder mehrere Mitglieder der Referenzgruppe pensioniert werden, und zwar möglicherweise auf derselben Dotierungsebene, auf der sie sich bereits im Zeitpunkt der Referenzgruppenbildung befunden haben, sodass sie nicht mehr zu einer "mitziehenden" Förderung der freigestellten Person beitragen können. Auch diese Folge ist zunächst in der Funktionsweise des Referenzgruppenmodells, das die Förderung des freigestellten Soldaten an die berufliche Entwicklung der Gruppenmitglieder koppelt, angelegt.

40 bb) Der Grundsatz, dass die Zurruhesetzung von Gruppenmitgliedern keine Auswirkung auf die Zusammensetzung und den Bestand der jeweiligen Referenzgruppe hat (vgl. Nr. 316 AR A-1336/1), gilt allerdings nicht ohne - ebenfalls systemimmanente - Einschränkungen.

41 (1) Zum einen beruht das Referenzgruppenmodell auf der Vorstellung eines regelmäßig zu erwartenden, typischen Verlaufs der Laufbahnentwicklung. Nur Soldaten, deren Zurruhesetzung einem solchen regelmäßigen Karriereverlauf entspricht, sind deshalb geeignet, als Referenzpersonen für die Laufbahnnachzeichnung des freigestellten Soldaten zu dienen.

42 Rund zwei Drittel der Berufssoldaten werden gemäß § 44 Abs. 2 Satz 1, § 45 Abs. 2 SG mit Erreichen der nach Dienstgraden abgestuften besonderen Altersgrenze (für Oberstleutnante in der Laufbahn der Offiziere des Truppendienstes: Vollendung des 61. Lebensjahres, mit Übergangsvorschriften in § 96 SG) und rund ein weiteres Viertel in dem Zeitraum zwischen besonderer und allgemeiner Altersgrenze in den Ruhestand versetzt. Nur etwa fünf Prozent der Berufssoldaten treten gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1, § 45 Abs. 1 SG mit Erreichen der allgemeinen Altersgrenze (für Oberstleutnante in der Laufbahn der Offiziere des Truppendienstes: Vollendung des 62. Lebensjahres) in den Ruhestand; weniger als ein Prozent überschreiten im Pensionierungszeitpunkt die allgemeine Altersgrenze (Zahlenangaben für 2020 bis 2022 nach Nr. 5 der amtlichen Auskunft des Bundesministeriums der Verteidigung vom 16. Februar 2023; vgl. im Zusammenhang mit § 48 BHO auch BVerwG, Beschluss vom 25. Februar 2021 - 1 WB 32.20 - BVerwGE 171, 357 Rn. 40). Als typischer Fall der Zurruhesetzung aus Altersgründen ist danach das Erreichen der besonderen Altersgrenze anzusehen. Soweit Referenzpersonen darüber hinaus bis hin zum Erreichen der allgemeinen Altersgrenze Dienst leisten, wirkt sich dies potentiell zum Vorteil des freigestellten Soldaten aus.

43 Umgekehrt dürfen atypische Fälle der Beendigung des Dienstes, insbesondere solche eines vorzeitigen Dienstzeitendes, die Förderchancen des freigestellten Soldaten nicht mindern. Derartige atypische Fälle, die im Werdegang eines Soldaten nicht vorgezeichnet sind, bedürfen deshalb eines Ausgleichs oder einer Korrektur, um Verzerrungen in der Förderung aufgrund der Referenzgruppe zu vermeiden. Zutreffend ordnet deshalb zum Beispiel Fußnote 25 zu Nr. 316 AR A-1336/1 an, dass Referenzgruppenmitglieder, die gemäß § 44 Abs. 3 SG wegen Dienstunfähigkeit zur Ruhe gesetzt werden, nicht mehr weiter in der Referenzgruppe verbleiben. Das Bundesministerium der Verteidigung hat in seiner amtlichen Auskunft vom 16. Februar 2023 (unter Nr. 2 und 3) darüber hinaus erklärt, dass dies in der Verwaltungspraxis auch in anderen vergleichbaren Fallgruppen (wie etwa bei vorzeitigen Pensionierungen im Zuge gesetzlicher Maßnahmen zum Personalabbau) so gehandhabt werde.

44 (2) Zum anderen muss die Referenzgruppe - insgesamt betrachtet - für den Zweck der Laufbahnnachzeichnung tauglich bleiben. Gemäß Nr. 312 und Nr. 313 Alt. 2 AR A-1336/1 behält eine Referenzgruppe grundsätzlich solange Bestand, wie das mit ihr verfolgte Ziel (Fortschreibung der laufbahngerechten Fortentwicklung) noch erreicht werden kann. Diese Voraussetzung ist dann nicht mehr gegeben, wenn infolge von Ruhestandsversetzungen von Referenzpersonen eine Förderung des freigestellten Soldaten nicht mehr möglich ist, weil die Zahl der noch aktiven Mitglieder der Referenzgruppe nicht mehr ausreicht, dass eine dem Rangplatz des freigestellten Soldaten entsprechende Zahl förderlicher Verwendungsentscheidungen zustande kommen kann.

45 Sie verliert ihre Funktion, der freigestellten Vertrauensperson - ähnlich wie eine dienstliche Beurteilung bei nicht freigestellten Soldaten - eine Perspektive auf einen beruflichen Aufstieg zu eröffnen. Die der Referenzgruppe ursprünglich innewohnende Steuerungsfunktion entfällt nachträglich. Sie hat sich damit "auf andere Weise" im Sinne des § 43 Abs. 2 VwVfG (zur Anwendung dieser Vorschrift mit Blick auf Referenzgruppen BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 2022 - 1 WB 8.21 - Buchholz 450.1 § 17 WBO Nr. 115 Rn. 18 m. w. N.) erledigt und ist unwirksam.

46 Entgegen der Auffassung des Bundesministeriums der Verteidigung gilt dies auch dann, wenn dieser Zustand durch - im eben beschriebenen Sinne - typische Zurruhesetzungen bei Erreichen der besonderen Altersgrenze eintritt. Zwar handelt es sich bei diesen Zurruhesetzungen - bei isolierter Betrachtung der einzelnen Fälle - jeweils um das reguläre Ende eines militärischen Karriereverlaufs. In der Summe entsteht jedoch der Effekt, dass der freigestellte Soldat, obwohl selbst noch im aktiven Dienst, schon theoretisch nicht mehr gefördert werden kann. Dieser Effekt, nämlich von allen Förderchancen bereits theoretisch ausgeschlossen zu sein, ist gerade nicht mehr "typischer Teil der beruflichen Entwicklung von Berufssoldaten" (so das Kriterium nach der amtlichen Auskunft vom 16. Februar 2023 unter Nr. 1a). Auch wenn die praktischen Chancen auf einen beruflichen Aufstieg von Soldat zu Soldat mehr oder weniger groß sein mögen, so sind sie jedoch für einen Soldaten, der militärischen Dienst leistet, bis zu seinem Dienstzeitende niemals bereits theoretisch "auf Null gesetzt". Das Verbot einer Benachteiligung in der beruflichen Entwicklung durch die Tätigkeit als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen (§ 179 Abs. 2 SGB IX) – ebenso wie entsprechende gesetzliche Benachteiligungsverbote für andere freigestellte Personen - verlangt, dass das auch für vom militärischen Dienst freigestellte Soldaten gilt.

47 Dieses Ergebnis stimmt überein mit den Erwägungen, die dem Beschluss vom 30. Juni 2014 - 2 B 11.14 - (Buchholz 449 § 3 SG Nr. 76 LS und Rn. 15) zugrunde liegen. Der 2. Revisionssenat hat dort entschieden, dass der Dienstherr gegen das personalvertretungsrechtliche Benachteiligungsverbot verstößt, wenn er eine Vergleichsgruppe zur fiktiven Nachzeichnung des beruflichen Werdegangs eines freigestellten Personalratsmitglieds so zusammenstellt, dass dessen berufliches Fortkommen von vornherein ausgeschlossen ist; ein solcher Fall lag vor, weil der freigestellte Soldat bereits bei der Bildung der Referenzgruppe an die letzte Position platziert wurde, von der aus bereits theoretisch eine "mitziehende Förderung" nicht in Betracht kam. Nichts anderes gilt, wenn ein Ausschluss von jeglicher Fördermöglichkeit nachträglich eintritt.

48 cc) Nach den vorstehenden Grundsätzen war das Bundesministerium der Verteidigung seit dem 1. Oktober 2017 zur Vermeidung eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot des § 179 Abs. 2 SGB IX von Amts wegen verpflichtet, für den Antragsteller eine neue Referenzgruppe zu bilden, weil ab diesem Zeitpunkt mit der Referenzgruppe vom 6. April 2011 das Ziel einer Fortschreibung der laufbahngerechten Fortentwicklung nicht mehr erreicht werden konnte (Nr. 313 Alt. 2 i. V. m. Nr. 312 AR A-1336/1). Das Unterbleiben dieser Neubildung war rechtswidrig.

49 Der Antragsteller nahm in der Referenzgruppe vom 6. April 2011 unter insgesamt neun Soldaten den Rangplatz 4 ein. Es waren daher innerhalb der Referenzgruppe vier Verwendungsentscheidungen für einen höher, d. h. mit A 15 dotierten Dienstposten ("Zählfälle", Nr. 314 AR A-1336/1) erforderlich, damit auch der Antragsteller fiktiv auf entsprechend dotierten Dienstposten zu versetzen war (Nr. 320 Satz 1 AR A-1336/1).

50 Einen ersten Zählfall bildet die Versetzung des auf Rangplatz 1 geführten Soldaten auf einen A 15-dotierten Dienstposten zum 1. Oktober 2015.

51 Der auf Rang 3 platzierte Soldat wurde auf der Grundlage von § 2 des Gesetzes zur Anpassung der personellen Struktur der Streitkräfte (SKPersStruktAnpG) vom 21. Juli 2012 (BGBl. I S. 1583), einer personalpolitischen Maßnahme zur Verringerung der Zahl der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, vorzeitig pensioniert. Der Soldat, der noch nicht auf die Ebene A 15 gefördert war, war im Zeitpunkt der Zurruhesetzung 53 Jahre alt. Die Zeitspanne, innerhalb der er bis zum Erreichen der besonderen Altersgrenze noch hätte gefördert werden können, wurde damit um über sechs Jahre verkürzt. Es handelt sich im Sinne des oben Gesagten um einen atypischen Fall des Dienstzeitendes, der eines Ausgleichs oder einer Korrektur zugunsten des Antragstellers bedarf. Die Fallkonstellation ist in den Verwaltungsvorschriften zwar nicht ausdrücklich geregelt. Es liegt jedoch nahe, sie den in Nr. 315 AR A-1336/1 aufgeführten Fällen (Laufbahnwechsel, Tod, Entlassung, Wechsel in die Personalführungsverantwortung MAD/AMK, Beförderungshemmnis/-ausschluss) gleichzustellen mit der Folge, dass der zur Ruhe gesetzte Soldat nicht berücksichtigt wird und der Antragsteller von Rangplatz 4 auf Rangplatz 3 aufrückt (Nr. 315 Satz 1 und 2 AR A-1336/1). Der Antragsteller steht damit im Ergebnis so, als wäre der zur Ruhe gesetzte Soldat auf die Ebene A 15 gefördert worden (zweiter Zählfall).

52 Zu einem weiteren Zählfall ist es nicht mehr gekommen. Die sechs verbliebenen Referenzgruppenmitglieder (Rangplätze 2 sowie 5 bis 9) wurden allesamt mit Erreichen der besonderen Altersgrenze in den Ruhestand versetzt, bevor der Antragsteller selbst pensioniert wurde. In dem Zeitpunkt, in dem das fünfte dieser sechs Referenzgruppenmitglieder in den Ruhestand versetzt wurde, stand fest, dass die dem Antragsteller noch fehlenden zwei Zählfälle nicht mehr eintreten konnten und deshalb für den Antragsteller eine Förderung nach der bestehenden Referenzgruppe theoretisch ausgeschlossen war. Dieser Zeitpunkt war mit der Zurruhesetzung des auf Rangplatz 5 geführten Soldaten mit Ablauf des 30. September 2017 erreicht.

53 Bezogen auf die für ihn geltende besondere Altersgrenze (30. September 2020) verfügte der Antragsteller damit für die Dauer von drei Jahren und bezogen auf sein - nach Verlängerung der Dienstzeit gemäß § 44 Abs. 1 Satz 3 SG - tatsächliches Dienstzeitende (31. Januar ...) für die Dauer von fünf Jahren und vier Monaten rechtswidrig über kein taugliches Instrument für die nach § 179 Abs. 2 SGB IX gebotene Laufbahnnachzeichnung.

54 dd) Für die Folgen der im Tenor getroffenen Feststellung der Rechtswidrigkeit weist der Senat noch auf Folgendes hin:

55 (1) Nach dem Dienstzeitende des Antragstellers kommt die förmliche Neubildung einer Referenzgruppe, die der Antragsteller ggf. wiederum vor dem Wehrdienstgericht anfechten müsste, nicht mehr in Betracht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 2022 - 1 WB 8.21 - Buchholz 450.1 § 17 WBO Nr. 115 Rn. 18). Vielmehr ist im Rahmen des bereits anhängigen Schadensersatzbegehrens inzident zu prüfen, welche berufliche Entwicklung des Antragstellers sich bei einer korrekten Neubildung der Referenzgruppe zum 1. Oktober 2017 ergeben hätte.

56 (2) Bei dieser Prüfung können die bestehenden Verwaltungsvorschriften herangezogen werden. Der Senat hat zwar mit Beschluss vom 23. November 2022 - 1 WB 21.21 - (juris LS 2 und Rn. 40 ff.) entschieden, dass die ausschließlich auf Verwaltungsvorschriften gestützte Förderpraxis nach dem Referenzgruppenmodell dem Grundsatz des Gesetzesvorbehalts nicht gerecht wird. Er hat mit Beschluss vom 26. Januar 2023 - 1 WB 41.21 - (juris LS und Rn. 22 ff.) jedoch weiter ausgesprochen, dass die bisherige Praxis für freigestellte Personalratsmitglieder im Hinblick auf das für sie geltende gesetzliche Benachteiligungsverbot (§ 52 Abs. 1 Satz 2 BPersVG i. V. m. § 62 Abs. 3 Satz 1 SBG) noch für eine Übergangszeit bis Ende des Jahres 2023 fortgeführt werden kann. Entsprechendes gilt für Schwerbehindertenvertreter - wie den Antragsteller - im Hinblick auf das Benachteiligungsverbot gemäß § 179 Abs. 2 SGB IX.

57 (3) Sofern bei der Prüfung, wie der Antragsteller auf der Grundlage einer korrekten Neubildung der Referenzgruppe zum 1. Oktober 2017 stünde, Schwierigkeiten auftreten sollten, eine ausreichende Zahl von Referenzpersonen zu identifizieren, ist es auch zulässig, Abstriche bei der beruflich-fachlichen Homogenität der Referenzpersonen zu machen (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 2023 - 1 WB 45.22 - juris LS und Rn. 37 ff.).

58 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 20 Abs. 1 Satz 1 WBO.