Beschluss vom 02.02.2023 -
BVerwG 6 AV 1.22ECLI:DE:BVerwG:2023:020223B6AV1.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 02.02.2023 - 6 AV 1.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:020223B6AV1.22.0]

Beschluss

BVerwG 6 AV 1.22

  • VG Düsseldorf - 21.12.2022 - AZ: 18 L 1769/22

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. Februar 2023
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht Hahn und Dr. Tegethoff
beschlossen:

Als zuständiges Gericht wird das Amtsgericht Leipzig bestimmt.

Gründe

I

1 Die Antragstellerin beantragte im August 2022 beim Verwaltungsgericht Düsseldorf im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO u. a. die Verpflichtung des Antragsgegners, ein im Juni 2022 durch Beamte der Kreispolizeibehörde Wesel sichergestelltes Kraftfahrzeug an sie herauszugeben.

2 Mit Beschluss vom 23. September 2022 erklärte das Verwaltungsgericht Düsseldorf nach Anhörung der Beteiligten den zu ihm beschrittenen Rechtsweg für unzulässig und verwies den Rechtsstreit an das Amtsgericht Leipzig. Zur Begründung führte es aus, der Verwaltungsrechtsweg sei nicht eröffnet, weil die Sicherstellung des Fahrzeugs durch die Kreispolizeibehörde nach ihrer objektiven Zweckrichtung nicht der Gefahrenabwehr, sondern der Strafverfolgung zuzuordnen sei.

3 Das Amtsgericht Leipzig lehnte mit Beschluss vom 6. Dezember 2022 die Übernahme des Verfahrens vom Verwaltungsgericht Düsseldorf ab. Es vertrat die Auffassung, die Verweisung sei willkürlich und äußere keine Bindungswirkung. Selbst wenn man von einer Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte ausgehe, sei das Amtsgericht Leipzig (Zivilabteilung) nicht zuständig.

4 Am 5. September 2022 wurde das Fahrzeug an die Antragstellerin herausgegeben.

5 Mit Beschluss vom 21. Dezember 2022 hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf das Bundesverwaltungsgericht zur Bestimmung der Zuständigkeit angerufen. Die Antragstellerin verteidigt die Erwägungen des Amtsgerichts Leipzig.

II

6 1. Das Bundesverwaltungsgericht ist zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem Verwaltungsgericht Düsseldorf und dem Amtsgericht Leipzig berufen.

7 Gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 VwGO wird ein negativer Kompetenzkonflikt zwischen Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit von dem Gericht entschieden, das den beteiligten Gerichten übergeordnet ist. Zwar ist diese Vorschrift auf den Kompetenzkonflikt zwischen einem Verwaltungsgericht und einem Amtsgericht weder unmittelbar anwendbar noch gibt es für einen solchen Fall an anderer Stelle eine gesetzliche Regelung. Diese Regelungslücke ist aber - im Einklang mit der Rechtsprechung anderer oberster Gerichtshöfe des Bundes - in der Weise zu schließen, dass dasjenige oberste Bundesgericht den negativen Kompetenzkonflikt zwischen den Gerichten verschiedener Gerichtszweige entscheidet, das einem der beteiligten Gerichte übergeordnet ist und zuerst angegangen wird (BVerwG, Beschluss vom 10. April 2019 - 6 AV 11.19 - NJW 2019, 2112; BGH, Beschluss vom 26. Juli 2001 - X ARZ 69/01 - NJW 2001, 3631 <3632>). Denn obwohl ein nach § 17a GVG ergangener und unanfechtbar gewordener Beschluss, mit dem ein Gericht den bestrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen hat, nach dem Gesetz keiner weiteren Überprüfung unterliegt, ist eine Zuständigkeitsbestimmung in Analogie zu § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit geboten, wenn es in einem Verfahren zu Zweifeln über die Bindungswirkung der Verweisung kommt und deshalb keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2013 - X ARZ 167/13 - MDR 2013, 1242 zu § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO). Das ist hier der Fall.

8 2. Für die Entscheidung über den von der Antragstellerin u. a. geltend gemachten Herausgabeanspruch ist das Amtsgericht Leipzig durch die gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG bindende Verweisung des Rechtsstreits im Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 23. September 2022 zuständig geworden.

9 2.1 Gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG ist ein Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs bindend. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 23. September 2022 ist unanfechtbar geworden. Die in § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG angeordnete Bindungswirkung tritt auch bei einem fehlerhaften Verweisungsbeschluss ein, etwa wenn der Rechtsweg zu dem verweisenden Gericht entgegen dessen Rechtsauffassung gegeben war (BVerwG, Beschluss vom 10. März 2016 - 6 AV 1.16 - Buchholz 300 § 17a GVG Nr. 36 Rn. 4).

10 2.2 Mit Rücksicht auf die in § 17a GVG eröffnete Möglichkeit, einen Verweisungsbeschluss in dem in § 17a Abs. 4 Satz 3 - 6 GVG vorgesehenen Instanzenzug überprüfen zu lassen, kann die gesetzlich angeordnete Bindungswirkung eines unanfechtbaren Verweisungsbeschlusses allenfalls bei extremen Rechtsverstößen durchbrochen werden. Das ist nur dann der Fall, wenn sich die Verweisung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass sie schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 30. Juni 1970 - 2 BvR 48/70 - BVerfGE 29, 45 <48 f.>, vom 23. Juni 1981 - 2 BvR 1107, 1124/77 und 195/79 - BVerfGE 58, 1 <45> und vom 26. August 1991 - 2 BvR 121/90 - NJW 1992, 359 <361>). Hiervon kann ausgegangen werden, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BVerwG, Beschlüsse vom 10. März 2016 - 6 AV 1.16 - Buchholz 300 § 17a GVG Nr. 36 Rn. 4, vom 10. April 2019 - 6 AV 11.19 - NJW 2019, 2112 Rn. 10 und vom 16. Juni 2021 - 6 AV 1. und 2.21 - juris Rn. 10; vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 8. Juli 2003 - X ARZ 138/03 - NJW 2003, 2990 <2991>, vom 9. Dezember 2010 - Xa ARZ 283/10 - MDR 2011, 253 und vom 18. Mai 2011 - X ARZ 95/11 - NJW-RR 2011, 1497; BAG, Beschluss vom 16. Juni 2015 - 10 AS 2/15 - NJW 2015, 2523; BFH, Beschluss vom 20. Dezember 2004 - VI S 7/03 - BFHE 209, 1 <3 f.>; BSG, Beschluss vom 18. Juli 2012 - B 12 SF 5/12 S - juris).

11 2.3 Im vorliegenden Fall lässt der Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 23. September 2022 weder verfahrens- noch materiellrechtliche Mängel erkennen, die seine gesetzliche Bindungswirkung infrage stellen könnten. Mit seiner in der Entscheidung vom 6. Dezember 2022 vertretenen Auffassung, die Sicherstellung des Kraftfahrzeugs sei auf Hinweis eines privaten Ermittlers zur Eigentumssicherung und nicht zu strafprozessualen Zwecken erfolgt, verkennt das Amtsgericht den Prüfungsmaßstab des Bundesverwaltungsgerichts im Verfahren der Zuständigkeitsbestimmung nach § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO in analoger Anwendung. Dieses Verfahren, in dem lediglich Mängel korrigiert werden können, die eine Entscheidung nach § 17a GVG mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) als willkürlich erscheinen lassen, ist kein Ersatz für eine gerichtliche Überprüfung im Rechtsmittelverfahren. Die Antragstellerin, die die Bedenken des Amtsgerichts teilt, hat davon abgesehen, gegen den Verweisungsbeschluss Beschwerde zu erheben. Somit verbleibt es bei der in § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG angeordneten Bindungswirkung der Verweisung an das Amtsgericht Leipzig.