Urteil vom 03.04.2025 -
BVerwG 2 WD 19.24ECLI:DE:BVerwG:2025:030425U2WD19.24.0

Disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme bei vierfacher Dienstentziehung durch Täuschung

Leitsatz:

Die disziplinarrechtliche Geltendmachung einer posttraumatischen Belastungsstörung bedarf der Vorlage eines fachärztlichen Attestes, aus dem sich nachvollziehbar ergibt, auf welcher Grundlage der Arzt zu seiner Diagnose gelangt ist und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt.

  • Rechtsquellen
    SG §§ 7, 13, 17 Abs. 1
    WStG § 15 Abs. 1, § 18 Abs. 1
    StGB a. F. §§ 267, 277

  • TDG Süd 10. Kammer - 20.06.2024 - AZ: S 10 VL 39/23

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 03.04.2025 - 2 WD 19.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:030425U2WD19.24.0]

Urteil

BVerwG 2 WD 19.24

  • TDG Süd 10. Kammer - 20.06.2024 - AZ: S 10 VL 39/23


In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 3. April 2025, an der teilgenommen haben:


Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,


Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister,


Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Henke,


ehrenamtlicher Richter Oberstleutnant Hille und


ehrenamtlicher Richter Stabsfeldwebel Jablonski,


Ministerialrat ...


als Vertreter der Bundeswehrdisziplinaranwaltschaft,


Rechtsanwalt ...


als Verteidiger,


Geschäftsstellenverwalterin ...


als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,


für Recht erkannt:

  1. Die Berufung des früheren Soldaten gegen das Urteil der 10. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 20. Juni 2024 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem früheren Soldaten auferlegt, der auch die ihm darin erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen hat.

Gründe

I

1 Das Berufungsverfahren betrifft den Vorwurf der vierfachen Dienstentziehung durch Täuschung.

2 1. Der ... geborene frühere Soldat besitzt den Realschulabschluss und trat ... seinen Dienst in der Bundeswehr an. Er wurde zunächst in die Laufbahn der Unteroffiziere des allgemeinen Fachdienstes aufgenommen, wechselte später in die Laufbahn der Feldwebel und wurde zum Personalfeldwebel ausgebildet. Der frühere Soldat erhielt in den Jahren 1999 bis 2004 zwei förmliche Anerkennungen wegen vorbildlicher Pflichterfüllung und zwei Leistungsprämien. 2006 wurde er zum Hauptfeldwebel befördert und ... zum Berufssoldaten ernannt. Er wurde zuletzt im ... eingesetzt.

3 In der letzten planmäßigen dienstlichen Beurteilung wird er als erfahrener Mitarbeiter im Bereich der Personalführung von Zivil- und Katalogpersonal der Bundeswehr beschrieben, der sich im Rahmen der Umstrukturierung der Dienststelle positiv eingebracht habe. Seine Leistungen wurden mit einem Durchschnittswert von 6,0 bewertet. Sein sehr zurückhaltendes und in sich gekehrtes Wesen mache es ihm schwer, seine Leistungsfähigkeit in vollem Umfang unter Beweis zu stellen. Erschwerend sei in der zurückliegenden Beurteilungsphase eine besonders herausfordernde familiäre Situation hinzugekommen. Nach Klärung der Herausforderungen werde der Soldat jedoch absehbar zu alter Stärke zurückfinden. Die Entwicklungsprognose reiche bis zur allgemeinen Laufbahnperspektive.

4 Der frühere Soldat hat dazu ausgeführt, dass sich seine Ehefrau von ihm 2014 getrennt habe. Er habe davor viel Geld in ihre künstlerische Ausbildung, ihre freiberufliche Tätigkeit und ihre Heilpraktikerausbildung investiert, was zur Überschuldung der Familie geführt habe. Er habe 2015 die Eröffnung der Privatinsolvenz beantragt und dadurch seine finanziellen Verhältnisse auf eingeschränktem Niveau stabilisiert. Er habe sich nach der Trennung 2014 um die Erziehung seines Sohnes gekümmert und deswegen seine Zweitwohnung in Dienstortnähe aufgegeben. Ausweislich der Gesundheitsakte absolvierte er in den Jahren 2014/2015 eine ambulante Psychotherapie und war 2016 wegen einer Sprunggelenkverletzung längere Zeit krankgeschrieben.

5 Im Frühjahr 2017 kam es zu den angeschuldigten Vorfällen. Im sachgleichen Strafverfahren verurteilte ihn das Amtsgericht ... am 13. November 2017 rechtskräftig wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit eigenmächtiger Abwesenheit in vier Fällen zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 50 €.

6 Während eine Untersuchung Ende März 2017 noch zu dem Ergebnis gelangte, dass der Soldat im Innendienst verwendungsfähig sei, änderte sich diese Einschätzung in den folgenden Jahren. Nach stationären Untersuchungen und Behandlungen im Bundeswehrkrankenhaus ... und der Reha Fachklinik ... im Jahr 2018 wurde der frühere Soldat im Frühjahr 2020 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt.

7 Der frühere Soldat ist verheiratet, aber getrennt lebend, und hat zwei Kinder im Alter von 4 und 22 Jahren. Der jüngere Sohn lebt bei der Ehefrau, der ältere bei dem früheren Soldaten. Er erhält derzeit ein Ruhegehalt von monatlich ca. 2 300 €, wovon ihm etwa 2 000 € ausgezahlt werden.

8 2. In dem am 22. Dezember 2017 ordnungsgemäß eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren wurde der frühere Soldat angeschuldigt, am 30. Januar 2017, 7. Februar 2017, 1. März 2017 und 13. März 2017 jeweils im Anschluss an die Untersuchung im Sanitätsversorgungszentrum ... die von den behandelnden Ärzten ausgestellten Krankenmeldescheine manipuliert zu haben. Er habe das Enddatum der ärztlich empfohlenen Genesungszeiten überschrieben und dadurch den Eindruck erweckt, dass ärztlicherseits der Status "krank zu Hause" um jeweils drei bis sechs Arbeitstage länger verordnet worden sei. Durch Vorlage dieser abgeänderten Krankenmeldescheine bei seinem Disziplinarvorgesetzten habe er sich insgesamt 18 dienstfreie Tage erschlichen. Hierdurch habe er vorsätzlich, zumindest jedoch fahrlässig, die Dienstpflichten verletzt, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen, in dienstlichen Angelegenheiten die Wahrheit zu sagen und sich so zu verhalten, dass er der Achtung und dem Vertrauen gerecht wird, die sein Dienst als Soldat erfordert, wobei er als Vorgesetzter in Haltung und Pflichterfüllung ein schlechtes Beispiel gegeben habe.

9 3. Das Truppendienstgericht hat die angeschuldigten Vorwürfe als erwiesen angesehen und dem früheren Soldaten mit Urteil vom 20. Juni 2024 das Ruhegehalt aberkannt. Er habe durch die vier Taten vorsätzlich - wie angeschuldigt - Dienstpflichten nach §§ 7, 13 und § 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG verletzt und Straftaten nach § 18 Abs. 1 WStG und § 267 StGB begangen. Das Dienstvergehen wiege äußerst schwer. Bei der Maßnahmebemessung stehe das Erschleichen von zusätzlichen dienstfreien Tagen dem eigenmächtigen Fernbleiben vom Dienst gleich. Bei länger dauernder oder wiederholter eigenmächtiger Abwesenheit sei regelmäßig die Höchstmaßnahme angezeigt. Es liege ein Wiederholungsfall vor.

10 Für ein Abweichen von dieser Einstufung seien nach Würdigung aller Umstände keine Gründe ersichtlich. Die vom früheren Soldaten zur Erklärung seiner Tat angeführte seinerzeitige schwierige persönliche Lebenssituation rechtfertige keine Maßnahmemilderung. Auf eine psychische Zwangslage könne er sich nicht berufen, weil kein plötzliches, unvorhergesehenes Ereignis eingetreten sei, das sein Fehlverhalten ausgelöst habe. Die durch das Privatinsolvenz- und Scheidungsverfahren sowie seinen Gesundheitszustand hervorgerufenen Belastungen hätten schon länger bestanden. Bei einer länger dauernden seelischen Belastung sei allerdings vom Betroffenen zu erwarten, dass er sich mit seiner Situation auseinandersetze und es dadurch vermeide, den Ausweg in der Begehung eines Dienstvergehens zu suchen. Überdies sei kein Zusammenhang mit den vorgebrachten persönlichen Problemen und dem Fehlverhalten erkennbar. Dem Geständnis des früheren Soldaten komme angesichts der Beweislage keine erheblich mildernde Bedeutung zu. Eine Nachbewährung habe nicht stattgefunden. Da das Vertrauen in ihn und die Höchstmaßnahme verwirkt sei, komme der überlangen Verfahrensdauer keine maßnahmemildernde Wirkung zu.

11 4. Mit seiner Berufung begehrt der frühere Soldat eine mildere Disziplinarmaßnahme. Das Truppendienstgericht habe seine psychische Erkrankung zur Tatzeit nicht aufgeklärt und berücksichtigt. Die Auswertung seiner Gesundheitsakte werde belegen, dass er aufgrund seiner psychischen Zwänge krankheitsbedingt gehandelt habe. Eine verminderte Schuldfähigkeit sei zu prüfen. Der Zeuge Oberfeldarzt A könne als behandelnder Arzt und Gutachter bescheinigen, dass er aufgrund seiner psychischen Beeinträchtigungen für den gesamten Zeitraum über krankgeschrieben worden wäre und somit kein Nachteil für den Dienstherrn eingetreten sei. Einen Verstoß gegen die Verpflichtung zur Dienstleistung habe er somit nicht begangen. Er habe allenfalls vorgehabt, sich Krankheitstage zu erschleichen.

12 Die Taten seien im Gesamtkomplex eines einzigen Entschlusses im Rahmen seiner Erkrankung erfolgt. Weiter sei zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, dass er sein Vergehen nie verheimlicht, sondern sofort gestanden habe. Das Vertrauensverhältnis sei nicht für die Zukunft gestört. Aufgrund der damaligen Erkrankung und des nun neuen Gesundheitszustandes sei bei objektiver Betrachtung nicht von neuem Fehlverhalten auszugehen, zumal keine weiteren Straftaten oder Vergehen vorlägen. Es verstoße schließlich gegen das Gleichheitsgebot, wenn ihm eine Nachbewährung nur deshalb nicht zugebilligt werde, weil er aufgrund des Gesundheitszustandes aus dem Dienst entlassen worden sei. Zum Nachweis der psychischen Beeinträchtigungen wurden insbesondere der Entlassungsbericht des Bundeswehrkrankenhauses ... über den stationären Aufenthalt des früheren Soldaten vom 27. Februar 2018 sowie der Entlassungsbericht der Reha Fachkliniken ... vom 27. Juni 2018 vorgelegt.

13 5. Der Senat hat die vorgelegten ärztlichen Unterlagen ausgewertet, die Gesundheitsakte des früheren Soldaten beigezogen und Herrn Oberfeldarzt A als Zeugen vernommen. Zu den ansonsten im Berufungsverfahren gestellten Anträgen und erhobenen Beweisen wird auf das Protokoll der Berufungshauptverhandlung Bezug genommen. Für die weiteren Einzelheiten zur Person des früheren Soldaten und der Anschuldigungsschrift wird auf die Begründung des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.

II

14 Die zulässige Berufung, über die nach Art. 5 des Dritten Gesetzes zur Neuordnung des Wehrdisziplinarrechts und zur Änderung weiterer soldatenrechtlicher Vorschriften vom 17. Dezember 2024 (BGBl. I Nr. 424) auf der Grundlage der neuen Wehrdisziplinarordnung zu entscheiden ist, ist unbegründet. Da die Berufung in vollem Umfang eingelegt worden ist, hat der Senat im Rahmen der Anschuldigung eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen, diese rechtlich zu würdigen und über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden. Danach hat das Truppendienstgericht dem früheren Soldaten im Ergebnis zu Recht das Ruhegehalt aberkannt.

15 1. Schwerwiegende Mängel des truppendienstgerichtlichen Urteils, die eine Zurückverweisung nach § 151 Abs. 7 WDO i. V. m § 120 Abs. 1 Nr. 2 in der zuletzt durch Gesetz vom 20. August 2021 geänderten Fassung (WDO a. F.) ermöglichen würden, liegen nicht vor. Insbesondere kann der vom früheren Soldaten gerügte Aufklärungsmangel in Bezug auf eine verminderte Schuldfähigkeit schon deswegen keinen schweren Verfahrensmangel begründen, weil der frühere Soldat dazu im erstinstanzlichen Verfahren nichts vorgetragen hat. Im Übrigen wäre angesichts der erheblichen Überlänge des Verfahrens bei der von § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO a. F. gebotenen prozessualen Ermessensentscheidung aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung von einer Zurückverweisung abzusehen.

16 2. In tatsächlicher Hinsicht steht fest, dass der frühere Soldat die ihm in der Anschuldigungsschrift zur Last gelegten Taten wissentlich und willentlich begangen hat. Dies folgt schon aus den gemäß § 127 Satz 3 i. V. m. § 87 Abs. 1 Satz 1 WDO bindenden tatsächlichen Feststellungen im rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts. Im Übrigen hat der frühere Soldat die vorsätzliche Manipulation der vier Eintragungen in den Krankenmeldescheinen eingestanden und angegeben, er habe die verfälschten ärztlichen Bescheinigungen mit dem Handy fotografiert, seinem Disziplinarvorgesetzten per E-Mail zugesandt und auf diese Weise für insgesamt 18 zusätzliche Tage ohne ärztliche Empfehlung eine Befreiung vom Dienst erlangt. Daher besteht kein Anlass, sich von den strafgerichtlichen Tatsachenfeststellungen nach § 87 Abs. 1 Satz 2 WDO ausnahmsweise zu lösen (BVerwG, Urteil vom 4. März 2021 - 2 WD 11.20 - NVwZ-RR 2021, 807 Rn. 37 ff.). Da sich die Bindungswirkung des § 87 Abs. 1 Satz 2 WDO allein auf tatsächlichen Feststellungen rechtskräftiger Urteile erstreckt, ist das Wehrdienstgericht nicht an die strafrechtliche Einordnung des Verhaltens als Verstoß gegen § 15 WStG und § 267 StGB oder die strafrechtliche Würdigung der Rechtsfragen des § 21 StGB gebunden.

17 3. In rechtlicher Hinsicht hat der frühere Soldat durch das festgestellte Verhalten schuldhaft gegen drei grundlegende soldatische Pflichten verstoßen und damit ein Dienstvergehen gemäß § 23 Abs. 1 SG begangen.

18 a) Durch Vorlage der vier gefälschten Krankenmeldescheine hat der frühere Soldat jedenfalls konkludent erklärt, dass der Truppenarzt ihn über den daraus ersichtlichen Zeitraum krankgeschrieben habe. Damit hat er vorsätzlich gegen die Pflicht nach § 13 Abs. 1 SG verstoßen, in dienstlichen Angelegenheiten die Wahrheit zu sagen. Eine Armee kann schlechterdings nicht geführt werden, wenn sich die Führung nicht auf die Richtigkeit der abgegebenen dienstlichen Meldungen, Erklärungen und Aussagen verlassen kann.

19 b) Dadurch hat der frühere Soldat auch die innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG verletzt. Verstößt ein Soldat in dienstlichen Angelegenheiten bewusst und gewollt gegen die Wahrheitspflicht, wird er der Achtung und dem Vertrauen nicht gerecht, die sein Dienst erfordert. Er büßt seine Glaubwürdigkeit ein und weckt gewichtige Zweifel an seiner Zuverlässigkeit und Integrität.

20 c) Er hat mit der Vorlage gefälschter Krankenmeldescheine schließlich vorsätzlich seine Pflicht zum treuen Dienen gemäß § 7 SG verletzt. Darin liegt zwar kein unmittelbarer Verstoß gegen die Pflicht zur Dienstleistung. Denn der frühere Soldat ist aufgrund der von ihm vorgelegten Krankenmeldescheine für die gesamte Dauer seiner Abwesenheit von der Dienstleistungspflicht befreit worden. Sein Verhalten richtete sich jedoch mittelbar gegen die Erfüllung der Dienstpflicht und verstößt gegen die in § 7 SG enthaltene Pflicht zur Loyalität gegenüber der Rechtsordnung. Denn der frühere Soldat hat sich die Freistellung von 18 Tagen durch wiederholte Verstöße gegen Strafgesetze erschlichen. Er hat in vier Fällen Fälschungen von Gesundheitszeugnissen nach § 277 StGB (in der bis zum 23. November 2021 geltenden Fassung) in Tateinheit mit Dienstentziehung durch Täuschung nach § 18 Abs. 1 WStG begangen.

21 Nach § 277 StGB a. F. hat sich unter anderem strafbar gemacht, wer unter dem Namen eines Arztes ein Zeugnis über seinen Gesundheitszustand verfälscht und davon zur Täuschung von Behörden Gebrauch gemacht hat. Mit § 277 StGB a. F. ist einen Sonderfall der Urkundenfälschung geregelt worden, der als lex specialis die allgemeine Regelung des § 267 StGB verdrängt hat (vgl. Erb, in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl. 2022, § 277 Rn. 1 m. w. N.). Der frühere Soldat hat vier Gesundheitszeugnisse in diesem Sinne verfälscht. Denn Krankenmeldescheine dienen dazu, den Gesundheitszustand eines Menschen zu beschreiben (vgl. BGH, Urteil vom 23. April 1954 - 2 StR 120/53 - BGHSt 6, 90 <92>; Zieschang, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Aufl. 2023, § 277 Rn. 13). Auch wenn darin das genaue Krankheitsbild aus Datenschutzgründen nicht mitgeteilt wird, wird bescheinigt, dass sich der jeweilige Soldat in einem pathologischen Zustand befindet, der seine Dienstfähigkeit einschränkt oder ausschließt. Der frühere Soldat hat somit Gesundheitszeugnisse manipuliert und seinem Disziplinarvorgesetzten vorgelegt, um eine entsprechende Dienstbefreiung zu erlangen. Er hat damit auch zur Täuschung von Behörden - hier des ... – gehandelt.

22 Da der frühere Soldat auf diese Weise bei seinem Disziplinarvorgesetzten einen Irrtum erregt und die Erlaubnis zum Fernbleiben vom Dienst erlangt hat, liegt auch eine vierfache Dienstentziehung durch Täuschung gemäß § 18 Abs. 1 WStG vor. Der Tatbestand der Norm verlangt, dass sich ein Soldat durch arglistige, auf Täuschung berechnete Machenschaften dem Wehrdienst dauernd oder für eine gewisse Zeit entzieht. Nach der Gesetzesbegründung ist dafür erforderlich, dass ein Soldat seiner unwahren Behauptung durch schriftliche Belege, andere Täuschungsmittel oder durch ein System von Lügen den Anschein der Wahrheit gibt (BT-Drs. 2/3040 S. 28 f.). Die Vorlage gefälschter Krankenmeldescheine zur Erlangung zusätzlicher Dienstbefreiungstage erfüllt damit den objektiven Tatbestand des § 18 Abs. 1 WStG (vgl. Lingens/​Korte, Wehrstrafgesetz, 6. Aufl. 2023, § 18 Rn. 8). Der frühere Soldat hat auch den subjektiven Tatbestand erfüllt. Er handelte mit Wissen und Wollen, um von seinem Disziplinarvorgesetzten für mehrere, von den behandelnden Ärzten nicht empfohlene Zeiträume von der Dienstleistungspflicht befreit zu werden.

23 4. Bei der Bemessung von Art und Höhe der Disziplinarmaßnahme sind nach § 60 Abs. 7 i. V. m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des früheren Soldaten zu berücksichtigen. Dabei legt der Senat ein zweistufiges Prüfungsschema zugrunde, dessen Anwendung hier zur Verhängung der Höchstmaßnahme in Form der Aberkennung des Ruhegehalts gemäß § 60 Abs. 2 Nr. 4, § 67 WDO führt.

24 a) Auf der ersten Stufe bestimmt der Senat zwecks Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle und im Interesse der Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die betreffende Fallgruppe als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Der Schwerpunkt des gemäß § 18 Abs. 2 WDO einheitlich zu ahndenden Dienstvergehens liegt in der Dienstentziehung durch Täuschung. Da der Unrechtsgehalt dieser Wehrstraftat ebenso wie bei der eigenmächtigen Abwesenheit nach § 15 Abs. 1 WStG durch das rechtswidrige Fernbleiben vom Dienst gekennzeichnet ist und der Strafrahmen des § 18 Abs. 1 WStG sogar noch höher ist, ist es gerechtfertigt, beim Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen an die für die eigenmächtige Abwesenheit von Soldaten entwickelten disziplinarrechtlichen Grundsätze anzuknüpfen (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. März 2025 - 2 WD 15.24 - juris Rn. 24). In Fällen des vorsätzlichen unerlaubten Fernbleibens eines Soldaten von der Truppe ist bei einer kürzeren unerlaubten Abwesenheit grundsätzlich eine Dienstgradherabsetzung zu verhängen; bei länger dauernder, wiederholter eigenmächtiger Abwesenheit oder Fahnenflucht ist regelmäßig die Höchstmaßnahme angezeigt (vgl. BVerwG, Urteile vom 6. Oktober 2021 - 2 WD 3.21 - juris Rn. 17 und vom 13. Juni 2024 - 2 WD 8.23 - juris Rn. 17). Im vorliegenden Fall liegt eine wiederholte Begehung vor. Die vier Dienstpflichtverletzungen sind nicht - wie der frühere Soldat meint - durch einen Gesamtvorsatz verknüpft und darum nur als eine Tat zu werten. Vielmehr hat der frühere Soldat jeweils neu entschieden, die Krankenmeldescheine zu verfälschen und die Fälschungen seinem Disziplinarvorgesetzten vorzulegen. Aufgrund der vierfachen Dienstentziehung durch Täuschung bildet die Höchstmaßnahme den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen.

25 Denn ein Soldat, der sich der Truppe durch Täuschung entzieht, versagt im Kernbereich seiner Dienstpflichten. Die Bundeswehr kann ihre Aufgaben nur erfüllen, wenn nicht nur das innere Gefüge der Streitkräfte so gestaltet ist, dass sie ihren militärischen Aufgaben gewachsen ist, sondern auch ihre Angehörigen im erforderlichen Maße jederzeit präsent und einsatzbereit sind. Der Dienstherr muss sich darauf verlassen können, dass jeder Soldat seinen Pflichten zur Verwirklichung des Verfassungsauftrags der Bundeswehr nachkommt und alles unterlässt, was dessen konkreter Wahrnehmung zuwiderläuft. Dazu gehören insbesondere die Pflichten zur Anwesenheit und gewissenhaften Dienstleistung. Die Verletzung der Pflicht zur militärischen Dienstleistung berührt nicht nur die Einsatzbereitschaft der Truppe, sie erschüttert auch die Grundlagen des Dienstverhältnisses selbst (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. Juli 2021 - 2 WD 6.21 - juris Rn. 32 und vom 6. März 2025 - 2 WD 15.24 - juris Rn. 25).

26 b) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im Einzelfall im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die ein Abweichen von der Regelmaßnahme gebieten. Da Milderungsgründe umso gewichtiger sein müssen, je schwerer ein Dienstvergehen wiegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Oktober 2021 - 2 WD 23.20 -‌ BVerwGE 173, 352 Rn. 29 m. w. N.), ist hier kein Abweichen von der Höchstmaßnahme geboten.

27 aa) Bei Art und Schwere des Dienstvergehens ist festzustellen, dass jedenfalls kein leichter Fall der Dienstentziehung durch Täuschung vorliegt. Denn der frühere Soldat hat nicht nur einmal wiederholt, sondern in insgesamt vier Fällen eine Dienstentziehung durch Täuschung begangen. Dies ist jeweils auch durch eine Straftat - hier eine Fälschung von Gesundheitszeugnissen gem. § 277 StGB - erfolgt. Diese weitere Straftat ist vom Unrechtsgehalt des § 18 WStG noch nicht erfasst, weil er nicht voraussetzt, dass die Täuschung durch oder jedenfalls mit Hilfe einer strafbaren Handlung erfolgt (Lingens/​Korte, WStG 6. Aufl. 2023, § 18 Rn. 8). Daher ist die Begehung einer strafbaren Handlung zum Zwecke der Täuschung erschwerend zu gewichten.

28 Erschwerend kommt weiter hinzu, dass der frühere Soldat zur Tatzeit wegen seines Dienstgrads als Hauptfeldwebel eine Vorgesetztenstellung innehatte (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 SG i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 VorgV). Nach § 10 SG war er damit zu vorbildlicher Pflichterfüllung angehalten. Insoweit ist es nicht erforderlich, dass der frühere Soldat es innerhalb eines konkreten Vorgesetztenverhältnisses an Beispielhaftigkeit hat fehlen lassen. Es genügt das Innehaben einer Vorgesetztenstellung aufgrund des Dienstgrads (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Januar 2021 - 2 WD 7.20 - NVwZ-RR 2021, 770 Rn. 40 m. w. N.). Wer in dieser Stellung eine Pflichtverletzung begeht, gibt ein schlechtes Vorbild ab, was das Gewicht seines Dienstvergehens erhöht (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Oktober 2020 - 2 WD 20.19 - juris Rn. 40 m. w. N.).

29 bb) Was das Maß der Schuld anbetrifft, hat der frühere Soldat vorsätzlich gehandelt und war voll schuldfähig. Er hat die Taten nicht entsprechend § 21 StGB im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangen. Dies würde voraussetzen, dass die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 StGB genannten Gründe bei Begehung der angeschuldigten Dienstpflichtverletzungen erheblich vermindert gewesen ist. Der als Zeuge vernommene Oberfeldarzt A hat hierzu ausgesagt, dass nach seiner Einschätzung auch bei Berücksichtigung der psychischen Probleme des früheren Soldaten dessen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit bei Begehung der angeschuldigten Taten nicht eingeschränkt gewesen sei. Dafür spricht auch ansonsten nichts.

30 Es fehlen bereits ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass bei dem früheren Soldaten zur Tatzeit ein in § 20 StGB genanntes Eingangsmerkmal vorgelegen hat. Insbesondere ist auszuschließen, dass er an einer psychischen Störung eines solchen Ausmaßes gelitten hat, dass man von einer schweren anderen seelischen Störung im Sinne des § 20 StGB (zur Tatzeit im Gesetzestext noch schwere andere seelische Abartigkeit genannt, vgl. BT-Drs. 19/19859 S. 35) sprechen könnte. Denn im Tatzeitraum lag die im Entlassungsbericht des Bundeswehrkrankenhauses ... vom 27. Februar 2018 diagnostizierte längere depressive Reaktion bei Anpassungsstörung (ICD F 43.2) noch nicht vor. In dem Bericht wird ausgeführt, dass nicht von einer durchgängigen Erkrankung auszugehen sei. Vielmehr hätten die neuerlichen Belastungsfaktoren - die belastende Situation nach Bekanntwerden der angeschuldigten Taten, das laufende gerichtliche Disziplinarverfahren und die angespannte Arbeitssituation nach Rückkehr in den Dienst im April 2017 - zu den nunmehr aufgetretenen Symptomen geführt. Dementsprechend wird auch in der Gesundheitsakte des früheren Soldaten erst nach der Aufdeckung der Fälschungen am 16. Mai 2017 von psychisch bedingten Beschwerden berichtet; insbesondere ergibt ein Abgleich der gefälschten Krankenmeldescheine mit den über den Krankschreibungsgrund aufschlussgebenden Dokumenten, dass für die Krankschreibungstage keine psychische Erkrankung vorlag.

31 Ferner wären die Diagnosen eine Anpassungsstörung (ICD F 43.2) und einer mittelschweren depressiven Episode (ICD 10 F 32.1 ), die auch im Entlassungsbericht der Reha-Kliniken ... vom 27. Juni 2018 zu finden sind, nicht ausreichend, um eine schwere andere seelische Störung zu begründen. Die Diagnose einer wie auch immer gearteten Persönlichkeitsstörung lässt für sich genommen eine Aussage über die Frage der Schuldfähigkeit des Täters nicht zu (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 2007 - 4 StR 7/07 - juris Rn. 7 m. w. N.). Da es gerade bei Anpassungsstörungen und depressiven Erkrankungen eine große Bandbreite von Ausprägungs- und Schweregraden gibt, liegt eine schwere andere seelische Störung im Sinne des § 20 StGB nur dann vor, wenn sie in ihrem Gewicht einer krankhaften seelischen Störung gleichkommt und Symptome aufweist, die in ihrer Gesamtheit das Leben des Täters vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder einengen. Dabei ist in den Blick zu nehmen, dass für die Schwere der Persönlichkeitsstörung maßgebend ist, ob es im Alltag außerhalb des angeklagten Delikts zu Einschränkungen des beruflichen und sozialen Handlungsvermögens gekommen ist (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 2007 ‌- 4 StR 7/07 - juris Rn. 7 m. w. N.).

32 Für solche Einschränkungen des früheren Soldaten in seiner allgemeinen Lebensführung ist im Frühjahr 2017 nichts ersichtlich. Er hat selbst erklärt, dass er mit Hilfe des Sozialdienstes der Bundeswehr seine finanziellen Probleme 2015 in den Griff bekommen und gelernt habe, mit weniger Geld zu leben. Er konnte sich der Erziehung des bei ihm lebenden Sohnes widmen und bedurfte anders als im Jahr zuvor keiner Psychotherapie mehr, um die bereits 2014 erfolgte Trennung von seiner Frau zu verarbeiten. Für gravierende Einschränkungen des beruflichen und sozialen Handlungsvermögens im Tatzeitraum fehlt es an jedweden objektiven Anhaltspunkten. Soweit der frühere Soldat erstmals in der Berufungsverhandlung von Ängsten, das Haus zu verlassen, Panikattacken und vom Hören von Stimmen gesprochen hat, handelt es sich um ein aus prozesstaktischen Gründen gesteigertes Vorbringen. Denn eine Behandlung wegen Agoraphobie oder schizophrenen Symptomen hat nie stattgefunden.

33 Gleichermaßen unglaubhaft ist die mit der Berufungsschrift geltend gemachte posttraumatische Belastungsstörung. Der frühere Soldat hat ein ärztliches Attest vom 7. März 2025 des Allgemein-, Notfall- und Sportmediziners Dr. med. B vorgelegt, in dem ihm eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD 10 F 43.1 ) bescheinigt wird, die "auf das damalige Beamtenverhältnis bei der Bundeswehr" zurückgehe. Diese völlig undifferenzierte Bescheinigung enthält schon nicht die Behauptung, dass das Krankheitsbild bereits im Frühjahr 2017 vorgelegen hat und ist im Übrigen als Beweismittel zum Nachweis einer posttraumatischen Belastungsstörung von vornherein ungeeignet. Dazu bedarf es der Vorlage eines fachärztlichen Attestes, aus dem sich nachvollziehbar ergibt, auf welcher Grundlage der Arzt zu seiner Diagnose gelangt ist und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8.07 - ‌NVwZ 2008, 330 Rn. 15). Das vorliegende Attest stammt jedoch nicht von einem Facharzt und lässt auch nicht erkennen, welches traumatische Ereignis im Berufsleben des Soldaten wann aufgetreten sein soll und unter welchen posttraumatischen Belastungssymptomen der frühere Soldat leidet. Es handelt sich um eine unsubstantiierte Bescheinigung, die keine Rückschlüsse auf psychische Beeinträchtigungen zur Tatzeit zulässt und zu keinen weiteren Ermittlungen Anlass gibt.

34 cc) Die Auswirkungen des Dienstvergehens rechtfertigen gleichfalls keine mildere Bewertung. Der frühere Soldat erhielt für 18 Arbeitstage Bezüge, ohne die dem Dienstherrn geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Soweit er vorträgt, ohnedies in dieser Zeit nicht dienstfähig gewesen zu sein, trifft das nicht zu. Ausweislich der Gesundheitsakte ist der frühere Soldat von den behandelnden Ärzten am 30. Januar, 7. Februar, 1. März und 13. März 2017 jeweils nur kurzfristig für wenige Tage wegen grippaler Infekte und Reizhusten krankgeschrieben worden. Der frühere Soldat behauptet selbst nicht, dass ihn diese vorübergehenden Erkrankungen auch in den Tagen nach Ablauf der ärztlichen Verordnung noch belastet hätten. Soweit er vorträgt, aufgrund psychischer Belastungen in dieser Zeit nicht dienstfähig gewesen zu sein, fehlen dafür jedwede objektiven Anhaltspunkte. Eine von Oberfeldarzt A durchgeführte Untersuchung am 21. März 2017 ergab, dass der frühere Soldat innendienstverwendungsfähig war und damit seiner beruflichen Tätigkeit als Personalfeldwebel nachgehen konnte.

35 dd) Die Beweggründe des früheren Soldaten sprechen ebenfalls gegen ihn. Sein Handeln war von Eigennutz geprägt. Der frühere Soldat hat in der Berufungshauptverhandlung ausgesagt, er habe nach der Trennung von seiner Ehefrau seine Zweitwohnung in Dienstortnähe aufgegeben, um sich auch unter der Woche um seinen Sohn kümmern zu können. Das tägliche Pendeln von Wohnort zu Dienstort habe aber zwei Stunden in Anspruch genommen und ihn sehr belastet. Sein Disziplinarvorgesetzter habe es ihm nicht gestattet, von zu Hause aus zu arbeiten, was ihm den Dienst sehr erschwert habe. Außerdem habe es mit dem neuen Disziplinarvorgesetzten Differenzen gegeben. Dies lässt darauf schließen, dass der frühere Soldat maßgeblich aus dem Motiv heraus gehandelt hat, sich den mit dem Dienstalltag verbundenen Schwierigkeiten zu entziehen. Dementsprechend hat auch Oberfeldarzt A ausgesagt, dass der frühere Soldat sich ihm gegenüber auf die Frage nach den Gründen der Fälschungen mit seinen finanziellen Problemen, seiner familiären Situation und mit seinen beruflichen Problemen mit dem Disziplinarvorgesetzten entschuldigt habe. Diese glaubwürdige Aussage des authentisch wirkenden Zeugen stimmt inhaltlich mit den Angaben überein, die der frühere Soldat ausweislich des Entlassungsberichts vom 27. Juni 2018 gegenüber dem behandelnden Arzt der Reha-Fachkliniken ... gemacht hat.

36 Soweit der frühere Soldat in der Berufungshauptverhandlung abgestritten hat, dass es ihm auch darum gegangen sei, die Fahrtkosten zum Dienstort zu sparen, er in dieser Zeit Stimmen gehört und schon beim Verlassen des Hauses Ängste gehabt habe, ist diese Aussageänderung erkennbar prozesstaktisch motiviert. Ebenso unglaubwürdig ist seine Einlassung, er habe zur Tatzeit aus Scham seine psychischen Probleme gegenüber den ständig wechselnden Ärzten beim Sanitätsversorgungszentrum ... nicht ansprechen können. Oberfeldarzt A hat zwar glaubhaft ausgeführt, dass Patienten mit psychischen Problemen häufig am Anfang wiederholt vorsprechen und nur geringe körperliche Beschwerden vorschieben, ehe sie sich öffnen und ihre seelischen Nöte offenbaren. Der frühere Soldat kannte aber aufgrund zahlreicher Besuche das Sanitätsversorgungszentrum seit langem und hatte bereits im Jahr 2014 eine Psychotherapie verschrieben bekommen, so dass er nicht mit der Hemmschwelle kämpfen musste, ein erstmals auftretendes psychisches Problem anzusprechen.

37 ee) Zugunsten des früheren Soldaten kann auch nicht angenommen werden, dass er in einer seelischen Ausnahmesituation gehandelt hätte. Dieser Milderungsgrund setzt voraus, dass die Situation von so außergewöhnlichen Besonderheiten geprägt war, dass von dem Betroffenen ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und daher auch nicht vorausgesetzt werden konnte (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2018 - 2 WD 8.18 - juris Rn. 31 m. w. N.). Für eine derartige Zuspitzung der Probleme des früheren Soldaten im Frühjahr 2017 ist jedoch nichts ersichtlich. Eine extreme Ausnahmesituation ist für keinen der vier Tattage konkret vorgetragen oder ersichtlich. Gleichwohl kann dem früheren Soldaten - jedoch nur mit geringem Gewicht - zu Gute gehalten werden, dass er sich insgesamt in einer schwierigen Lebensphase befand. Dies hat auch Oberfeldarzt A bestätigt, der den früheren Soldaten im Hinblick auf die vorangegangene eheliche Trennung, den Verkauf des Wohnhauses und die Privatinsolvenz als verletzte Persönlichkeit beschrieben hat, die auch durch die beruflichen Schwierigkeiten massiv unter Druck gestanden habe.

38 ff) Der frühere Soldat hat allerdings nicht in einer ausweglos erscheinenden, unverschuldeten wirtschaftlichen Notlage gehandelt. Dies kann nur angenommen werden, wenn der Soldat oder eine Person, der er zum Unterhalt verpflichtet ist, in ernsthaften wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckt, welche das Ausmaß einer die Existenz gefährdenden Situation erreichen (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. März 1987 - 1 D 59/86 - juris Rn. 14). Die erforderliche Ausweglosigkeit der Notlage lässt sich zudem nur dann bejahen, wenn der Versuch scheitert, sich wegen der Verschuldung in sachverständige Beratung oder auf den Weg einer geordneten Privatinsolvenz zu begeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2019 - 2 WD 18.18 - juris Rn. 27 m. w. N.). Hier hat der frühere Soldat selbst in der Berufungshauptverhandlung vorgetragen, dass sich seine finanzielle Situation nach Eröffnung der Privatinsolvenz im Jahr 2015 stabilisiert habe und dass er gelernt habe, damit umzugehen. Auch wenn er seine Taten gegenüber Oberfeldarzt A und gegenüber anderen behandelnden Ärzten mit seiner prekären finanziellen Situation entschuldigt hat, kann jedenfalls nicht von einer ausweglos erscheinenden finanziellen Notlage gesprochen werden.

39 gg) Zugunsten des früheren Soldaten ist hingegen zu berücksichtigen, dass er sich im Disziplinarverfahren und im Strafverfahren im November 2017 geständig eingelassen hat. Ein sofortiges Geständnis, das weitere Ermittlungen überflüssig gemacht hätte, liegt allerdings nicht vor. Vielmehr hat der frühere Soldat zunächst die Aussage verweigert und die Vorwürfe erst eingeräumt, als die Beweislage im November 2017 bereits erdrückend gewesen ist. Daher ist dem Geständnis kein hohes entlastendes Gewicht beizumessen, auch wenn der frühere Soldat darin sein Verhalten als falsch bewertet und sich reuig gezeigt hat.

40 hh) Ebenfalls zu Gunsten des früheren Soldaten sprechen seine soliden dienstlichen Leistungen in den Vorjahren und die allerdings schon lange zurückliegenden Auszeichnungen und Leistungsprämien. Einer erheblich mildernd zu berücksichtigenden Nachbewährung steht bereits entgegen, dass der frühere Soldat nach Aufdeckung der Taten keine deutliche Leistungssteigerung über einen hinreichend aussagekräftigen Zeitraum gezeigt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2019 - 2 WD 18.18 - juris Rn. 31 m. w. N.). Der frühere Soldat leistete nach Beendigung des Dienstvergehens am 15. März 2017 nur noch etwa neun Wochen lang Dienst und war dann krankgeschrieben, bis er zum 31. März 2020 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt wurde. Soweit er vorträgt, dass man ihm seine Krankheit nicht entgegenhalten könne, trifft dies zu. Das Verbot, Soldaten wegen ihrer Krankheitszeiten zu diskriminieren, kann allerdings auch nicht umgekehrt zu der vom früheren Soldaten geforderten Privilegierung führen, in Wahrheit nicht erfolgte Leistungssteigerungen und Bewährungszeiten zu fingieren.

41 c) Bei der erforderlichen Gesamtwürdigung kann nach allem von der Höchstmaßnahme nicht abgewichen werden. Denn die mildernden Aspekte sind im Vergleich zu den erschwerenden Umständen nicht von durchschlagendem Gewicht. Vielmehr hat der frühere Soldat durch die vierfache Dienstentziehung durch Täuschung das Vertrauen in seine Person endgültig zerstört. Ist die Höchstmaßnahme zu verhängen, kann auch die überlange Verfahrensdauer keine maßnahmemildernde Wirkung mehr entfalten (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Juli 2021 - 2 WD 6.21 - juris Rn. 56).

42 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2, § 144 Abs. 5 Satz 2 WDO.