Beschluss vom 05.01.2023 -
BVerwG 4 B 26.22ECLI:DE:BVerwG:2023:050123B4B26.22.0

Anhörung des Käufers vor Ausübung des kommunalen Vorkaufsrechts

Leitsatz:

Im Anwendungsbereich des Abwendungsrechts nach § 27 BauGB ist der Käufer des Grundstücks vor Ausübung des Vorkaufsrechts grundsätzlich nach § 28 Abs. 1 LVwVfG als von Gesetzes wegen Beteiligter anzuhören.

  • Rechtsquellen
    BauGB §§ 27, 28 Abs. 2 Satz 1
    VwVfG § 1 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 und 2, § 28 Abs. 1

  • VG Karlsruhe - 29.04.2021 - AZ: 14 K 1958/20
    VGH Mannheim - 20.07.2022 - AZ: 3 S 3915/21

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 05.01.2023 - 4 B 26.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:050123B4B26.22.0]

Beschluss

BVerwG 4 B 26.22

  • VG Karlsruhe - 29.04.2021 - AZ: 14 K 1958/20
  • VGH Mannheim - 20.07.2022 - AZ: 3 S 3915/21

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. Januar 2023
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt und Dr. Hammer
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 20. Juli 2022 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 337 500 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 Ist die vorinstanzliche Entscheidung − wie hier wegen sowohl formeller als auch materieller Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids − auf mehrere selbstständig tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt. Denn ist nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben, kann diese hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 26. November 2020 - 4 BN 19.20 - KommJur 2021, 52 <53> m. w. N.). Jedenfalls in Bezug auf den vom Verwaltungsgerichtshof festgestellten formellen Fehler des Bescheids wegen unterlassener ordnungsgemäßer Anhörung des Klägers ist ein Zulassungsgrund nicht dargelegt. Auf das Vorbringen der Beklagten zu dem vom Verwaltungsgerichtshof angenommenen Ermessensfehler kommt es demnach nicht an.

3 1. Die in Bezug auf den ersten tragenden Begründungsstrang als rechtsgrundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bezeichnete Frage,
ob und unter welchen Voraussetzungen eine vorkaufsberechtigte Kommune verpflichtet ist, den (Erst-)Käufer vor der Ausübung eines Vorkaufsrechts (§ 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB) unabhängig von einem Antrag (vgl. § 13 Abs. 2 VwVfG BW) des (Erst-)Käufers nach § 28 Abs. 1 VwVfG BW anzuhören,
rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Soweit entscheidungserheblich, wird mit ihr ein Klärungsbedarf nicht aufgezeigt. Vielmehr lässt sich die Frage bei Anwendung üblicher Methoden der Gesetzesauslegung ohne Weiteres im Sinne des vom Verwaltungsgerichtshof eingenommenen Standpunkts beantworten, ohne dass es eines Revisionsverfahrens bedürfte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. August 1999 - 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270>).

4 Der Kreis der Beteiligten eines Verwaltungsverfahrens, der nach Maßgabe des § 28 VwVfG BW anzuhören ist, richtet sich zunächst im Grundsatz im Anwendungsbereich des Verwaltungsverfahrensgesetzes nach § 13 VwVfG BW (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 23. Mai 2002 - 3 C 28.01 - Buchholz 316 § 28 VwVfG Nr. 19 S. 5). Zu den sogenannten geborenen Beteiligten gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG BW, denen von Gesetzes wegen diese Rechtsstellung zukommt, zählt der Käufer des Grundstücks nicht. Er ist nicht Adressat des Verwaltungsakts, denn das Vorkaufsrecht wird gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB gegenüber dem Verkäufer ausgeübt. Die Betroffenheit in eigenen Rechten, die im Verlust des Eigentumsverschaffungsanspruchs durch den privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt liegt und dadurch die Klagebefugnis begründet (BVerwG, Beschlüsse vom 25. Mai 1982 - 4 B 98.82 - Buchholz 406.11 § 25a BBauG Nr. 1 S. 1, 15. Februar 2000 - 4 B 10.00 - Buchholz 406.11 § 25 BauGB Nr. 4 S. 2 und vom 30. November 2009 - 4 B 52.09 - BRS 74 Nr. 130 Rn. 5), reicht als solche zur Begründung der Beteiligtenstellung nicht aus (BVerwG, Beschluss vom 10. Januar 2018 - 1 VR 14.17 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 73 Rn. 8). Nach den allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelungen bedarf es in einer solchen Situation der konstitutiven Hinzuziehung als sogenannter gekorener Beteiligter gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 VwVfG BW (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Mai 2020 - 8 C 5.19 - BVerwGE 168, 103 Rn. 12). Auf diese Hinzuziehung hat der Betroffene gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 VwVfG BW einen Anspruch. Welche Anforderungen an einen entsprechenden vorgängigen Antrag zu stellen sind und unter welchen Voraussetzungen von einer Hinzuziehung von Amts wegen auszugehen ist, bedarf hier keiner Klärung. Denn die als solche abschließende Regelung in § 13 VwVfG BW verdrängt fachgesetzliche Verfahrensbestimmungen nicht; das Verwaltungsverfahrensgesetz gilt auch insoweit nur subsidiär (siehe § 1 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2, Abs. 3 VwVfG; vgl. Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2022, § 13 Rn. 8; Ritgen, in: Knack/Henneke, VwVfG, 11. Aufl. 2020, § 13 Rn. 3). Vorrangige Bestimmungen sind dabei nicht nur solche, die ausdrücklich den Kreis der Beteiligten bezeichnen (siehe dazu etwa Geis, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, VwVfG, Stand August 2022, § 13 Rn. 10), sondern auch solche, die die Verfahrensbeteiligung voraussetzen. Hierzu zählt die Vorschrift des § 27 BauGB über das Abwendungsrecht, die hier anwendbar ist (§ 27 Abs. 2 BauGB). Wenn der Käufer in der Lage sein soll, das ihm eingeräumte öffentlich-rechtliche Abwehrrecht geltend zu machen, muss er schon unmittelbar von Gesetzes wegen am Verfahren über die Ausübung des Vorkaufsrechts beteiligt - und nach Maßgabe des § 28 Abs. 1 VwVfG BW angehört - werden (vgl. Köster, in: Schrödter, BauGB, 9. Aufl. 2019, § 28 Rn. 7; Kronisch, in: Brügelmann, BauGB, Stand Juli 2022, § 28 Rn. 43; Roos, in: Brügelmann, BauGB, Stand November 2001, § 28 Rn. 15a; Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand April 2022, § 28 Rn. 23, 26; Grziwotz, in: Spannowsky/Uechtritz, BeckOK BauGB, Stand 1. Januar 2022, § 28 Rn. 21 a. E.; siehe auch Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Aufl. 2022, § 28 Rn. 4; Bracher, in: Bracher/Reidt/Schiller, Bauplanungsrecht, 9. Aufl. 2022, Rn. 23.76).

5 2. Die von der Beschwerde hinsichtlich der ersten tragenden Begründung behauptete Abweichung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist ebenso wenig dargetan. Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Diesen Anforderungen wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.

6 Die Beschwerde zeigt einen abstrakten Rechtssatz, mit dem das Oberverwaltungsgericht ausdrücklich oder jedenfalls der Sache nach von dem in der Beschwerdebegründung genannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Mai 2002 - 3 C 28.01 - im Sinne eines prinzipiellen Auffassungsunterschieds über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes (BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 2017 - 6 B 43.17 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 198 Rn. 4) abgewichen sein soll, nicht auf. Soweit die Beklagte meint, aus dem genannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts einen Rechtssatz des Inhalts entnehmen zu können, der Kreis der Beteiligten eines Verwaltungsverfahrens werde ausschließlich durch § 13 VwVfG bestimmt, trifft dies - wie auch oben ausgeführt - nicht zu.

7 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.