Beschluss vom 06.06.2023 -
BVerwG 7 B 28.22ECLI:DE:BVerwG:2023:060623B7B28.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 06.06.2023 - 7 B 28.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:060623B7B28.22.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 28.22

  • VG Karlsruhe - 29.03.2019 - AZ: 10 K 14952/17
  • VGH Mannheim - 21.09.2022 - AZ: 10 S 1391/20

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 6. Juni 2023
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Korbmacher, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Günther und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Bähr
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 21. September 2022 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Die Klägerin wendet sich gegen eine immissionsschutzrechtliche Anordnung der Beklagten. Mit dem angegriffenen Bescheid wurde ihr aufgegeben, für die im Jahr 2015 in ihrem Wohnhaus eigenhändig errichtete und betriebene Feuerungsanlage durch einen Schornsteinfeger vor Ort Messungen zur Ermittlung der Kohlenstoffmonoxidemissionen und der staubförmigen Emissionen durchführen zu lassen.

2 Das Verwaltungsgericht gab der Klage hiergegen statt. Es sei nicht möglich, die Anlage neben der Zubereitung von Speisen auch als Heizung zu benutzen. Auf die Berufung der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Bei der streitgegenständlichen Feuerungsanlage handele es sich um einen Grundofen, der bei der gebotenen objektiven Betrachtung nicht (nur) zur Zubereitung von Speisen durch unmittelbare Berührung mit heißen Abgasen bestimmt sei, sondern einen darüberhinausgehenden Wärmespeicherungs- und Heizeffekt aufweise. Deshalb sei die Klägerin verpflichtet, die geforderten Abgasmessungen durchführen zu lassen, um einen emissionsarmen Betrieb sicherzustellen.

3 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.

II

4 Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

5 1. Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Klägerin beigemessene grundsätzliche Bedeutung.

6 Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt werden, dass und inwiefern diese Voraussetzungen vorliegen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Juli 2022 - 7 B 16.21 - juris Rn. 7).

7 Die von der Klägerin als rechtsgrundsätzlich aufgeworfene Frage,
unter welchen näheren Voraussetzungen die Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b der 1. BImSchV anzuwenden ist,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Diese Frage würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen, weil sie in dieser allgemeinen Form für das Berufungsgericht nicht entscheidungserheblich war. Die Klägerin hat damit eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt.

8 Selbst wenn man die Frage dahin versteht, dass die Klägerin geklärt wissen will, ob der Privilegierungstatbestand des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b der Ersten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über kleine und mittlere Feuerungsanlagen - 1. BImSchV) nur dann erfüllt ist, wenn die Feuerungsanlage keinen über die Zubereitung von Speisen hinausgehenden Wärmespeicherungs- und Heizeffekt aufweist, fehlt es an einer grundsätzlichen Bedeutung. Denn diese Frage ist ohne Weiteres im Sinne des vom Verwaltungsgerichtshof eingenommenen Rechtsstandpunktes zu beantworten, ohne dass es hierzu der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.

9 Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b der 1. BImSchV gelten die Anforderungen der §§ 4 bis 20 sowie die §§ 25 und 26 der 1. BImSchV nicht für Feuerungsanlagen, die dazu bestimmt sind, Speisen durch unmittelbare Berührung mit heißen Abgasen zu backen oder in ähnlicher Weise zuzubereiten. Schon von dem Wortlaut der Ausnahmevorschrift sind nur solche Feuerungsanlagen erfasst, deren Wärmefunktion lediglich einen unvermeidbaren Nebeneffekt der Speisenzubereitung darstellt, nicht aber solche, die einen darüberhinausgehenden Wärmespeicherungs- und Heizeffekt haben. Diese enge Auslegung entspricht zudem der Gesetzessystematik und dem Normzweck des § 4 Abs. 5 der 1. BImSchV. Der Verwaltungsgerichtshof hat zutreffend darauf hingewiesen, dass der Begriff des "Grundofens" in § 2 Nr. 13 der 1. BImSchV als "Einzelraumfeuerungsanlage als Wärmespeicherofen aus mineralischen Speichermaterialien, die an Ort und Stelle handwerklich gesetzt werden" definiert ist. Für einen solchen Grundofen, der nach dem 31. Dezember 2014 errichtet und betrieben wurde, gilt insbesondere die Nachweispflicht der Einhaltung der Anforderungen bei einer Messung durch einen Schornsteinfeger nach § 4 Abs. 5 Satz 2 der 1. BImSchV. Ist nach allem eine enge Auslegung des Privilegierungstatbestandes des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b der 1. BImSchV geboten, kommt es für die Abgrenzung auf die technische Konzeption der Feuerungsanlage und nicht auf die individuellen Nutzungsgewohnheiten des Betreibers an (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. November 2010 - 7 B 41.10 - Buchholz 406.25 § 4 BImSchG Nr. 14 Rn. 15). Ob eine Feuerungsanlage einen über die Zubereitung von Speisen hinausgehenden Wärmespeicherungs- und Heizeffekt aufweist, lässt sich nicht generell beantworten, sondern ist eine Frage der Umstände des Einzelfalls.

10 2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen der behaupteten Abweichung des angegriffenen Urteils von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts zuzulassen.

11 Eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung (unter anderem) des Bundesverwaltungsgerichts oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (BVerwG, Beschluss vom 4. Dezember 2018 - 4 B 3.18 - juris Rn. 10). Daran fehlt es hier.

12 In den von der Klägerin angeführten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts wurde § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b der 1. BImSchV nicht angewendet. Die Klägerin rügt mit ihrem Vorbringen, dem angegriffenen Urteil liege eine Abweichung beim "rechtsmethodologischen Vorgehen" zugrunde, lediglich einen - nach ihrer Ansicht vorliegenden - Rechtsanwendungsfehler des Berufungsgerichts. Dies kann jedoch nicht Gegenstand der Divergenzrüge sein.

13 3. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich auch nicht das Vorliegen eines Verfahrensmangels im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, auf dem das angefochtene Urteil beruhen kann.

14 Die Klägerin macht eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) geltend, weil der Verwaltungsgerichtshof seine Entscheidung auf eine zuvor im Verfahren noch nicht angesprochene Auslegung gestützt und - obwohl in früheren Verfahrensstadien von ihm für erforderlich gehalten - ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens entschieden habe.

15 Ein Gehörsverstoß in Form einer Überraschungsentscheidung liegt nicht vor. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs soll sicherstellen, dass ein Verfahrensbeteiligter Einfluss auf den Gang des gerichtlichen Verfahrens und dessen Ausgang nehmen kann. Zu diesem Zweck muss er Gelegenheit erhalten, sich zu allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten zu äußern, die entscheidungserheblich sein können. Zwar korrespondiert mit diesem Äußerungsrecht keine umfassende Frage-, Aufklärungs- und Hinweispflicht des Gerichts. Jedoch verlangt der Schutz vor einer Überraschungsentscheidung, dass das Gericht nicht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <144 f.> sowie Kammerbeschluss vom 15. Februar 2011 - 1 BvR 980/10 - NVwZ-RR 2011, 460 Rn. 13 m. w. N.). So liegt der Fall hier nicht.

16 Der vom Verwaltungsgerichtshof eingenommene Rechtsstandpunkt zur Auslegung des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b der 1. BImSchV wurde nicht nur von Beginn des Verfahrens an von der Beklagten, sondern auch bereits vom Verwaltungsgericht (UA S. 5) vertreten. Der Verwaltungsgerichtshof hat lediglich den Sachverhalt anders gewürdigt. Auch insoweit ist ihm aber kein Gehörverstoß vorzuwerfen. Zwar trifft es zu, dass das Berufungsgericht in einem früheren Verfahrensstadium für eine Entscheidung des Rechtsstreits die Einholung eines Sachverständigengutachtens für erforderlich gehalten und dies den Beteiligten mitgeteilt hat. Dabei handelte es sich jedoch um eine vorläufige Rechtsauffassung, an die der Verwaltungsgerichtshof nicht gebunden war. Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung, spätestens aber im Verlauf der mündlichen Verhandlung musste die anwaltlich vertretene Klägerin damit rechnen, dass das Berufungsgericht keinen Sachverständigenbeweis erheben wird. Einen Beweisantrag hat die Klägerin nicht gestellt und auch nicht substantiiert dargelegt, aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Verwaltungsgerichtshof die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen.

17 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG.