Beschluss vom 08.07.2022 -
BVerwG 4 B 34.21ECLI:DE:BVerwG:2022:080722B4B34.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 08.07.2022 - 4 B 34.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:080722B4B34.21.0]

Beschluss

BVerwG 4 B 34.21

  • VG Hamburg - 18.02.2020 - AZ: 9 K 3290/15
  • OVG Hamburg - 23.09.2021 - AZ: 2 Bf 168/20

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. Juli 2022
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Külpmann und Dr. Hammer
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 23. September 2021 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Der Beigeladene begehrt die Zulassung der Revision gegen ein Urteil, mit dem das Oberverwaltungsgericht die Klage einer Nachbarin gegen eine ihm erteilte Baugenehmigung als unbegründet abgewiesen hat. Die Baugenehmigung sei dahingehend auszulegen, dass sie die von der Klägerin angegriffene und von dem Beigeladenen verteidigte Nutzung eines Vereinshauses für geschlossene private Veranstaltungen schon nicht erfasse. Eine Verletzung der Rechte der Klägerin sei insofern ausgeschlossen.

II

2 A. Die Beschwerde des Beigeladenen ist zulässig.

3 Die Zulässigkeit eines Rechtsmittels setzt voraus, dass das angefochtene Urteil den Rechtsmittelführer beschwert. Für ein Rechtsmittel des Beigeladenen kommt es auf die materielle Beschwer an. Er muss geltend machen können, auf Grund der Bindungswirkung des angegriffenen Urteils nach § 121 VwGO präjudiziell und unmittelbar in seinen subjektiven Rechten beeinträchtigt zu werden (BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2020 - 4 C 4.19 - BRS 88 Nr. 190 S. 1153 m. w. N.).

4 Rechtskräftige Urteile binden die Beteiligten gemäß § 121 VwGO, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Streitgegenstand der Anfechtungsklage ist der Anspruch auf Aufhebung des Verwaltungsaktes sowie die Feststellung, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (BVerwG, Urteil vom 22. September 2016 - 2 C 17.15 - BVerwGE 156, 159 Rn. 11). Wird eine Klage abgewiesen, geben erst die tragenden Gründe Aufschluss darüber, weshalb ein geltend gemachter Anspruch verneint wurde. Sie sind zur Ermittlung der Reichweite der Entscheidungsformel heranzuziehen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. März 1968 - 7 C 183.65 - BVerwGE 29, 210 <212>, Urteil vom 21. September 1984 - 8 C 4.82 - BVerwGE 70, 159 <161> und Beschluss vom 30. Juni 2014 - 2 B 99.13 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 106 Rn. 14 m. w. N.). Legt das Gericht bei der Abweisung einer Anfechtungsklage den angegriffenen Bescheid aus, gehört auch dies zu den tragenden Gründen, denn das Gericht hat den Bescheid mit dem Inhalt geprüft, den es ihm durch Auslegung beigemessen hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. August 2008 - 7 C 7.08 - BVerwGE 131, 346 Rn. 20).

5 Wird das angegriffene Urteil rechtskräftig, steht nach § 121 VwGO für die Beteiligten mit bindender Wirkung fest, dass Rechte der Klägerin nicht verletzt werden, weil die von dem Beigeladenen in Anspruch genommene Rechtsposition von der erteilten Baugenehmigung nicht umfasst ist. Hiervon wäre in künftigen Auseinandersetzungen zwischen den Beteiligten auszugehen. Der Beigeladene wird daher durch das angegriffene Urteil materiell beschwert, obwohl die Klageabweisung seinem Antrag entspricht (vgl. zu diesen Fallgestaltungen bereits BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 1961 - 1 B 135.60 - DVBl 1961, 449).

6 B. Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde ist nicht begründet.

7 1. Nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung (u. a.) des Bundesverwaltungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Die Abweichung setzt einen Widerspruch in einem abstrakten Rechtssatz voraus, also einen prinzipiellen Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes (BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 2017 - 6 B 43.17 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 198 Rn. 4). Für einen solchen Widerspruch genügt hingegen nicht der Vorwurf, die Vorinstanz habe einen abstrakten Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts fehlerhaft oder gar nicht angewandt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14 f. und vom 23. August 2021 - 4 BN 11.21 - juris Rn. 11).

8 Die Beschwerde benennt keinen abstrakten Rechtssatz, den das Oberverwaltungsgericht aufgestellt hat, sondern rügt, das Gericht habe entgegen der Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 16. Oktober 2013 - 8 C 21.12 - (BVerwGE 148, 146 Rn. 14) bei der Auslegung des Bescheides nicht "alle" dem Empfänger bekannten oder erkennbaren Umstände herangezogen. Sie legt sodann dar, warum die Vorinstanz bei zutreffender Berücksichtigung verschiedener Umstände zu einem anderen Auslegungsergebnis hätte kommen müssen. Damit wird keine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufgezeigt, sondern die Rechtsanwendung im Einzelfall kritisiert.

9 2. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Die Beschwerde legt nicht dar, dass das angegriffene Urteil auf aktenwidrigen Feststellungen beruht.

10 Die Rüge der Aktenwidrigkeit verlangt - unter Angabe konkreter Textstellen aus den vorinstanzlichen Verfahren - den schlüssigen Vortrag, zwischen den in der angegriffenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Annahmen und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt sei ein Widerspruch gegeben. Dieser Widerspruch muss offensichtlich sein, so dass es einer weiteren Beweiserhebung zur Klärung des richtigen Sachverhalts nicht bedarf (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 23. November 2016 - 4 CN 2.16 - BVerwGE 156, 336 Rn. 23 und vom 27. Februar 2020 - 7 C 3.19 - Buchholz 406.25 § 47 BImSchG Nr. 8 Rn. 28). Die Beschwerde zeigt keine aktenwidrigen Feststellungen in diesem Sinne auf, sondern wiederholt allein ihren Vorwurf, das Oberverwaltungsgericht hätte bei sachgerechter Würdigung aller erheblichen Umstände zu einem anderen Auslegungsergebnis kommen müssen.

11 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.